Begriff in der Primatologie: Taxonomie und Systematik



Die Taxonomie ist ein Werkzeug, um unsere Kenntnisse über die biologische Vielfalt von Organismen durch allgemein anerkannte Namensregeln zu ordnen. Wenn Wissenschaftler über Tiere und Pflanzen sowie über ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede diskutieren und kommunizieren wollen, brauchen sie ein standardisiertes Namenssystem sowohl für einzelne Arten als auch für verwandte Artengruppen.

Zum Beispiel bezeichnet man den Gehaubten Kapuziner im Englischen als Leierkastenaffe (organ-grinder monkey) und in Südamerika gibt es allein in Surinam bei verschiedenen Stämmen und ethnischen Gruppen über ein Dutzend verschiedener Namen für diese Spezies. Wissenschaftler auf der ganzen Welt benutzen bei Diskussionen über den Gehaubten Kapuziner jedoch nur seinen wissenschaftlichen Namen: Cebus apella. Wie man sich unschwer vorstellen kann, ist dies eine ausgezeichnete Methode, um sprachlichen Missverständnissen unter Forschern aus verschiedenen Nationen vorzubeugen. Die Praxis, jeder lebenden oder bereits ausgestorbenen Lebensform einen eindeutigen, aus zwei lateinischen Wörtern bestehenden Namen zuzuweisen, geht auf Carl von Linné zurück, einen bedeutenden schwedischen Wissenschaftler des achtzehnten Jahrhunderts. Sein System der biologischen Nomenklatur wird bis heute allgemein befolgt.

Im Linne´schen System bezeichnet z.B. Cebus den Namen einer Gattung oder Tiergruppe, in diesem Fall also alle Arten von Kapuzineraffen. (Der Gattungsname wird immer großgeschrieben). Das Wort apella ist der Artname und bezieht sich auf eine bestimmte Art von Kapuzineraffen, hier also auf den Gehaubten Kapuziner. (Der Artname beginnt immer mit einem Kleinbuchstaben). Jeder Gattungsname muss eindeutig sein, Artnamen müssen jedoch nur innerhalb einer Gattung eindeutig sein, so ist die Kombination aus Gattungs- und Artnamen einzigartig und bezieht sich nur auf diese eine Art von Organismus. (Der wissenschaftliche Name einer Art wird immer kursiv geschrieben oder unterstrichen). Irgendwo in irgend einem Museum gibt es immer ein meist gut erhaltenes Exemplar einer Art (ein Skelett, ein Schädel oder ein Fell/Haut), das zum Artmuster (Typus) erklärt worden ist. Dieses Typusexemplar liefert eine objektive Referenz für die fragliche Art, so dass jeder Wissenschaftler im Rahmen seiner Forschungsarbeit das Individuum untersuchen kann, anhand dem die Art beschrieben wurde.

Das Linne´sche System besteht aus hierarchischen Ebenen um Organismen im immer größeren Einheiten zusammenzufassen. Innerhalb der Gattung Cebus gibt es z.B. mehrere Arten: Cebus apella (Gehaubter Kapuziner), Cebus albifrons (Weißstirnkapuziner), Cebus capucinus (Weißschulterkapuziner) und andere. Gattungen werden zu Familien gruppiert, Familien zu Ordnungen, Ordnungen zu Klassen und Klassen zu Stämmen. Für bestimmte Linien sind diese grundlegenden Ebenen oft noch weiter unterteilt oder gruppiert in Unterordnungen, Infraordnungen, Superfamilien, Unterfamilien, Stämme, Untergattungen oder Unterarten. Zur besseren Unterscheidung und der Einfachheit halber haben die Namen der verschiedenen Ebenen der Hierarchie bestimmte Endungen. Familiennamen enden gewöhnlich mit -dae, Überfamilien mit -oidea und Unterfamilien mit - inae.

Mit der Klassifizierung von Organismen, Systematik genannt, versucht man das geordnete Linne´sche System auf die ungeordnete, unbenannte Welt der Tiere zu übertragen. Die Abbildung unten ist die Klassifizierung, der diese Homepage zugrunde liegt, sie ist das Ergebnis eines solchen Ordnungsversuchs. Biologen stimmen zwar alle der wissenschaftlichen Namensgebung im Rahmen der Linne´schen Vorgaben zur Benennung von Organismen zu, jedoch gibt es oft Uneinigkeit über die korrekte Klassifizierung bestimmter Lebewesen. So kann es unterschiedliche Ansichten geben, ob die Gibbons auf den verschiedenen südostasiatischen Inseln eigenständigen Arten zuzuordnen sind oder ob es sich nur um Unterarten einer einzigen Spezies handelt. Einige Autoren sind der Meinung, dass Gibbons und große Menschenaffen in einer einzigen Familie zusammengefasst werden sollten, während andere meinen, dass sie in getrennten Familien untergebracht werden sollten. Schon bald nachdem Schüler und Studenten das Linne´sche System kennengelernt haben, müssen sie verärgert und frustriert feststellen, dass verschiedene Lehrbücher kaum eine einheitliche Klassifizierung der verschiedenen Lebensformen liefern. Bei den Primaten gibt es jedoch in der Regel gute Gründe für solche Meinungsverschiedenheiten.

Primaten  (Primates) 
 Feuchtnasenaffen  (Strepsirrhini)
 Lemuren  (Lemuriformes) 

 Fingertiere (Daubentoniidae)

 Lemuroidea 

 Katzenmakis (Cheirogaleidae)

       Wieselmakis (Lepilemuridae)

  N.N. 

 Indriartige (Indriidae)

       Gewöhnliche Makis (Lemuridae)




 Loriartige  (Lorisiformes) 

 Loris (Lorisidae)

       Galagos (Galagonidae)



 Trockennasenaffen  (Haplorhini) 

 Koboldmakis (Tarsiiformes)

 Eigentliche Affen  (Anthropoidea) 
Neuweltaffen oder  Breitnasenaffen  (Platyrrhini)

 Sakiaffen (Pitheciidae)

  N.N. 

 Klammerschwanzaffen (Atelidae)

  N.N. 

 Krallenaffen (Callitrichidae)

  N.N. 

 Nachtaffen (Aotidae)

       Kapuzinerartige (Cebidae)





Altweltaffen oder  Schmalnasenaffen  (Catarrhini)
 Geschwänzte Altweltaffen  (Cercopithecoidea)   Meerkatzenverwandte (Cercopithecidae)

 Menschenartige  (Hominoidea)

 Gibbons (Hylobatidae)

       Menschenaffen (Hominidae)






Kladogramm aus Wikipedia

Ein Grund für solche Unstimmigkeiten bei der Klassifizierung von Primaten ist, dass die Regeln für die Unterscheidung einer Gattung, einer Familie oder einer Überfamilie etwas willkürlich sind. Wissenschaftler haben in der Regel ihre eigenen Standards. Die einzige allgemein anerkannte Regel gilt für die Benennung von Arten. Eine biologische Art ist in der Regel dadurch definiert, dass sich ihre Mitglieder miteinander uneingeschränkt fortpflanzen können, aber sich nicht ohne nennenswerten Verlust an Fruchtbarkeit mit anderen Arten vermischen können. Diese Definition kann man natürlich unmöglich bei ausgestorbenen Primaten anwenden und es ist oft schwierig genug, sie bei rezenten Arten anzuwenden. Ein eher praktischer Ansatz bei der Identifizierung von Arten ist es die metrische Variabilität bei den in Frage kommenden Individuen zu untersuchen - sie ist ein statistisches Maß für Schwankungen in Größe, Gewicht oder Körperdimensionen. Heute lebende Säugetierarten sind in ihrer metrischen Variabilität bemerkenswert konsistent (Gingerich und Schoenigner, 1979) und wir können diesen Standard verwenden, um fossile Arten zu identifizieren. Die Grenzwerte für Gattungen und Familien sind jedoch auch hier eher willkürlich.

Es besteht allgemeine Übereinstimmung, dass die Klassifizierung von Lebewesen ihre Phylognese widerspiegeln sollte, und dass taxonomische Gruppen wie Familien, Unterfamilien und Unterordnungen monophyletische Gruppen sein sollten, das heißt, dass sie einen einzigen gemeinsamen Vorfahren haben sollten. Viele meinen auch, dass taxonomische Gruppen gleichzeitig holophyletische Gruppen sein sollten, d.h. sie sollten alle Nachfahren eines gemeinsamen Vorfahren beinhalten und nicht nur einige von ihnen. Klassifikationen sind häufig Kompromisse aus mehreren möglichen Abstammungen. Darüber hinaus meinen viele Biologen, dass die Klassifizierungvon Lebewesen nicht nur ihre Phylogenese, sondern auch wichtige adaptive Unterschiede (selbst unter nahe verwandten Arten) wiedergeben sollte. So sind sich z.B. die meisten Biologen darüber einig, dass Menschen (Homo) viel näher mit Gorillas (Gorilla) und Schimpansen (Pan) verwandt sind als mit Orang-Utans (Pongo). Daher wurden entsprechend einer reinen phylogenetischen Taxonomie Menschen und afrikanische Menschenaffen in der Familie Hominidae zusammengefasst und der Orang-Utan in die nun separate Familie Pongidae gestellt. Trotzdem zählen viele Wissenschaftler immer noch einzig den Menschen zur Familie Hominidae und alle lebenden großen Menschenaffen zur Familie Pongidae, da sich dieser Ansicht nach Menschen weiter vom gemeinsamen Vorfahren entfernt haben als Schimpansen und Gorillas.

Folgt man letzterer Klassifizierung, dann wäre die Familie Pongidae eine paraphyletische Gruppierung, da einige ihrer Mitglieder (Schimpansen und Gorillas) näher mit einer Spezies (Mensch) verwandt sind, die zu einer anderen Familie gehört als die anderen Mitglieder (Orang-Utans) ihrer eigenen Familie.

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