Lemuren (Lemuridae) leben nur auf Madagaskar. Einzige Ausnahme bilden einige auf den Komoren eingeführte Arten. Über 50 bekannte Arten, von denen heute noch rund 35 erhalten sind, stellen das Ergebnis einer adaptiven Radiation dar, die mit einer einigen erfolgreichen Besiedlung im Paläozän (vor etwa 40 Millionen Jahren) ihren Anfang nahm. Diese Besiedlung könnte durch ein trächtiges Weibchen erfolgt sein, das auf Pflanzenteilen von Ostafrika auf die große Insel gelangte.

Der Familie Lemuridae gehören die bekanntesten Lemuren an. Besonders Kattas (Lemur catta) werden seit vier Jahrzehnten erforscht und in den meisten Zoos gehalten. Den Familiennamen verdanken die Lemuren ihren Rufen, die frühe Naturkundler an die Schreie der römischen lemures oder Totengeister denken ließen. Die sozialen Strukturen der Kattas (Lemur catta) stehen unter Säugetieren einzigartig da: Die erwachsenen Weibchen dominieren alle Männchen der Gruppe. Eigentliche Lemuren trifft man in so gut wie allen Wäldern Madagaskars an. Kattas (Lemur catta) kommen nur im trockenen Süden und Südwesten vor, doch kürzlich wurde auch eine in den Bergen lebende Population beschrieben. Halbmakis (Hapalemur) bewohen die östlichen Regenwälder. Zwei isolierte Populationen der Halbmakis trifft man im feuchten Nordwesten bzw. im trockenen Westen an. Varis (Varecia variegata) sind Regenwaldbewohner und entlang der Ostküste heimisch. Echte Makis (Eulemur) haben mit fünf Arten alle Waldtypen besiedelt.


Verbreitung Vollbild

Verbreitung

Eigentliche Lemuren (Lemuridae) - biologie-seite.de
Milne-Edwards-Wieselmaki

Besonders bemerkenswert sind Braune Makis (Eulemur fulvus), deren sechs Unterarten außer im trockenen Süden überall auf der Insel vorkommen. Alle Lemuridae klettern sehr gut und halten sich meist auf Bäumen auf. Nur Kattas bewegen sich viel am Boden.

Kattas (Lemur catta) sind katzengroß. Sie haben ein dichtes graues Fell mit weißer Unterseite, eine schwarze Maske und einen langen, schwarz-weiß geringelten Schwanz. Sie laufen auf allen Vieren und verbringen mehr Zeit am Boden als alle anderen Lemuren. Ihre engsten Verwandten sind die Halbmakis (Hapalemur), die dunkelgrau, orange oder aschgrau sind und nur die Größe kleiner Katzen erreichen.

Die Echten Makis (Eulemur) stellen innerhalb dieser Familie die größte Gruppe dar. Sie sind alle etwa katzengroß, laufen auf vier Beinen und haben lange Schwänze. Die Fellfärbung ist je nach Art verschieden. Die meisten Taxa besitzen auffällige Geschichtszeichnungen aus weißen, schwarzen oder orangefarbenen Streifen, Flecken oder Bärten. Dies ist die einzige Lemurengattung, in der sich Männchen und Weibchen hinsichtlich Fellfärbung und Geschichtszeichnung unterscheiden.

Varis (Varecia variegata) sind die größten lebenden Eigentlichen Lemuren. Ihre Schwänze sind lang und buschig und es gibt zwei gleichermaßen auffällige Farbvarianten - beide mit schwarzen Gesichtern, Schwänzen, Händen und Füßen, doch bei einer Unterart sind die Körper sehr unterschiedlich schwarz und weiß gemustert, während das Fell der anderen Unterart kastanienrot leuchtet.

Die meisten Echten Makis (Eulemur) zeigen ein Aktivitätsmuster, das man unter Primaten sonst nie und auch bei anderen baumlebenden tropischen Säugern nur vereinzelt antrifft: Sie sind cathemeral, d.h., bei ihnen verteilen sich mehrere Aktivitätsphasen über Tag und Nacht. Kattas und vielleicht auch Varis gelten dagegen als überwiegend tagaktiv. All diesen Arten fehlt das trichromatische Farbsehen, das anderen tagaktiven Primaten eigen ist. Cathemerale Aktivität könnte ein Stadium im evolutionären Übergang vom Nacht- zum Tagtier darstellen oder aber eine nahezu einzigartige Anpassung dieser Lemuren, die außer ihnen nur die südamerikanischen Nachtaffen (Aotus spp.) zeigen.

Die Vielfalt der in dieser Familie auftretenden Reproduktionsmuster könnte einen Einblick in mögliche Evolutionsschritte in der Primatenentwicklung geben. Die Weibchen der Varis gebären nach einer Tragzeit von 100 Tagen zwei bis vier unterentwickelte Babys. In ihren ersten drei Lebenswochen lässt die Mutter sie, wenn sie auf Nahrungssuche geht, in einem Nest zurück. Später trägt sie ihren Nachwuchs im Maul an Orte, an denen sie von Männchen bewacht werden. Die Jungen "reiten" nie auf dem Rücken der Mutter. Sie entwickeln sich sehr rasch und bewegen sich im Alter von vier Monaten ebenso geschickt wie erwachsene Varis. Auch einige Halbmakis bauen für ihre "Einzelkinder" Nester. Hier dauert die Tragzeit 140 Tage und die Kleinen werden entweder im Maul transportiert oder klammern sich an das Fell. Die Weibchen der Kattas und anderer Echter Makis bringen nach 120 Tagen ein einzelnes Baby zur Welt, das sie von der Geburt an mit sich tragen und vier Monate lang säugen. Im zweiten oder dritten Lebensjahr sind die Tiere geschlechtsreif. Die Lebenserwartung beträgt bis zu 20 Jahre.


Systematik


Eigentliche Lemuren sind entweder Allesfresser oder Spezialisten. Halbmakis etwa ernähren sich ausschließlich von Bambus. Treten an einem Ort alle drei Hapalemur-Arten auf, so spezialisiert sich jede auf einen bestimmten Teil der Pflanze: Graue Halbmakis (Hapalemur griseus) auf die Blätter, Goldene Halbmakis (Hapalemur aureus) auf neue Triebe (die Zyanid in einer Konzentration enthalten, die für die meisten Säugetiere tödlich ist) und Breitschnauzenhalbmakis (Hapalemur simus) auf das Mark.

Kattas (Lemur catta) ziehen die Früchte des eingeführten Tamarindenbaums vor, während Varis (Varecia variegata) von allen Lemuren die ausgeprägtesten Früchtefresser sind. Echte Makis (Eulemur) sind eher Allesfresser und ernähren sich von Früchten sowie von Blüten und Blättern. Mitunter fressen sie aber auch Gliederfüßer und kleine Wirbeltiere.

Als Nahrung selbst dienen die Mitglieder dieser Lemurenfamilie wiederum der Fossa (Cryptoprocta ferox) - zumindest dort, wo diese Schleichkatzenart noch verbeitet ist. Junge Lemuren können größeren Greifvögeln zum Opfer fallen. Um ihren Nachwuchs zu warnen, stoßen erwachsene Lemuren beim Erscheinen feindlicher Tiere spezielle Warnrufe aus.

Alle Eigentlichen Lemuren (Lemuridae) schließen sich entweder zu Paaren oder zu Gruppen von höchsten 20 Tieren zusammen. Das Leben in Paaren, das bei Primaten und anderen Säugetieren selten auftritt, entwickelte sich in allen vier Gattungen. Einige Varis (Varecia variegata) und Braune Makis (Eulemur fulvus) leben in fluktuierenden Gemeinschaften mit Untergruppen, deren Zusammensetzung sich täglich ändert. Die Gruppen der geselligeren Arten unterscheiden sich in Größe und Aufbau, doch gehören ihnen in den meisten Fällen die gleiche Anzahl erwachsener Männchen und Weibchen an. Die Gruppen der übrigen Primaten enthalten in der Regel mehr Weibchen, da durch die Rivalenkämpfe mehr Männchen sterben und der weibliche Anteil sich verstärkt. Bei den Lemuren sind die Männchen ebenso groß oder kleiner als die Weibchen und besitzen keine vergrößerten Eckzähne. Das einzigartige dominante Verhalten der weiblichen Tiere einiger Arten könnte in Zusammenhang mit diesen Eigenschaften der Männchen stehen. Jedes erwachsene Weibchen kann - oft sogar ohne Aggression - bei jedem Männchen unterwürfiges Verhalten hervorrufen. Die Ursachen für diese Umkehrung der üblichen Geschlechterrollen sind unbekannt.

Es bietet sich an, Muster sozialen Verhaltens gesellig lebender Lemuren mit dem haplorrhiner Primaten zu vergleichen, bei denen sich das Leben in der Gruppe später herausbildete. Lemurengruppen werden nicht durch soziale Beziehungen unter verwandten Weibchen zusammengehalten, auch wenn die Weibchen gewöhnlich in ihrer Geburtsgruppe bleiben. Nur Mütter und Töchter scheinen sich gegenseitig zu unterstützen; entfernter verwandte Weibchen vertreiben einander mitunter sogar aus Gruppen. Kattas kennen Dominanzbeziehungen und eine klare Hierarchie - auch innerhalb der Geschlechter -, während bei Braunen Makis keine Verhaltensmechanismen auftreten, die die Anerkennung von Machtasymmetrien signalisieren.

Die meisten Eigentlichen Lemuren kommunizieren durch Laute, um Artgenossen vor Fressfeinden zu warnen oder sich mit Nachbargruppen zu verständigen. Signale werden auch mittels Duftdrüsen an Kehle, Händen, After und Genitalien gegeben. Das Revierverhalten ist von Art zu Art verschieden und hängt mit der jeweiligen Verfügbarkeit und Verteilung wichtiger Ressourcen zusammen. Ebenso wie Tier- und Menschenaffen betreiben auch die Lemuren gegenseitige Fellpflege, um soziale Beziehungen zu verfestigen. Anders als jene setzen sie dabei aber ihre unteren Schneidezähne ein, die als spezialisierter "Putzkkamm" in einem Winkel von 45° vorstehen.

Bei einigen Arten leben die Erwachsenen in monogamen Paarbeziehungen zusammen. Die Arten, die Gruppen bilden, zeigen dagegen stärkere Promiskuität . In der kurzen Paarungszeit, in der alle erwachsen Weibchen einen Tag lang brünstig sind, kämpfen die Männchen gegeneinander. Zuletzt paaren sich die Weibchen mit fast allen ortsansässigen Männchen und manchmal sogar mit Nachbarn. Genetische Vaterschaftsunteruchungen erbrachten, dass oft ein einzelnes, dominantes Männchen die meisten Jungtiere zeugt.

Der Goldene Bambuslemur und der Breitschnauzenhalbmaki gelten als vom Aussterben bedroht. Diese und viele andere Arten leiden unter der Zerstörung ihrer Lebensräume. Halbmakis haben ohnehin sehr kleine Verbreitungsgebiete. Echte Makis werden bejagt und sind ebenfalls vom Verlust ihrer Lebensräume betroffen, doch außer bei einigen seltenen Unterarten sind die Bestände noch relativ groß.


Literatur

Macdonald, D. (2001) The New Encyclopedia of Mammals: 1;. Oxford University Press, London.

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