Neunaugen



Neunaugen

Meerneunauge (oben), Flussneunauge (Mitte) und Bachneunaugen (unten)

Systematik
Stamm: Chordatiere (Chordata)
Unterstamm: Wirbeltiere (Vertebrata)
Überklasse: Petromyzontomorphi
Klasse: Petromyzontida
Ordnung: Petromyzontiformes
Familie: Neunaugen
Wissenschaftlicher Name der Ordnung
Petromyzontiformes
Berg, 1940
Wissenschaftlicher Name der Familie
Petromyzontidae
Risso, 1826

Neunaugen (Petromyzontidae) ist eine Familie kiementragender fischähnlicher, stammesgeschichtlich basaler Wirbeltiere (Vertebrata), lebende Fossilien, die sich seit 500 Millionen Jahren kaum verändert haben. Sie haben einen aalartigen, langgestreckten Körper, der mit einem flossenartigen Rücken- und Schwanzsaum besetzt ist.

Neunaugen fanden und finden auch in der Küche Verwendung, wo sie als Lampreten ähnlich wie Aal zubereitet wurden. Dies ist durch die zahlreichen Schutzbestimmungen heute kaum mehr möglich. Alle Arten von Neunaugen befinden sich auf der Roten Liste.

Der Verband Deutscher Sportfischer, das Bundesamt für Naturschutz und der Verband Deutscher Sporttaucher haben die Familie der Neunaugen zum Fisch des Jahres 2012 gekürt, auch wenn sie laut zoologischer Taxonomie nicht zu den Reihen (Seria) der Fische gehören.

Verbreitungsgebiet

Neunaugen kommen überwiegend in Küstengewässern und Süßwasser in kalten und gemäßigten Zonen vor. Das Verbreitungsgebiet ist disjunkt und umfasst Europa, das kalte und gemäßigte Asien, Nordamerika, Patagonien, den Südosten Australiens (inklusive Tasmanien) und Neuseeland. Für mindestens eine Art, nämlich Geotria australis, wird angenommen, dass sie auch beachtliche Distanzen im offenen Meerwasser zurücklegt. Ursache für diese Annahme ist, dass sich zwischen australischen und neuseeländischen Populationen keine isolierte Entwicklung feststellen lässt.

Neunaugen laichen im Oberlauf von Bächen und Flüssen. Sie benötigen hierfür kiesige Substrate, die von kühlem, sauerstoffreichem Wasser durchströmt werden (daher kommen sie in den Tropen nicht vor). Nach dem Schlüpfen vergraben sich die noch augenlosen Larven („Querder“) in sandigen Abschnitten der Gewässersohle. Der Kopf bleibt frei und fischt feine Nahrungspartikel (Plankton) aus dem Wasser.

Sehr stark haben sich Meerneunaugen als Neozoon in den nordamerikanischen Großen Seen ausgebreitet, wo sie durch Schiffe und Kanäle eingeschleppt wurden und keine natürlichen Feinde haben. Dort sind sie zur Plage geworden und bedrohen die einheimischen Fischbestände.[1] In Nordamerika gibt es für sie traditionell und aus ethischen Gründen („Blutsauger“) keinen Markt als Speisefisch. Außerdem sind die Tiere aufgrund ihrer Lebensweise zu stark mit Umweltgiften belastet. Sie werden mit Fallen (unter anderen auch mit künstlichen Pheromonfallen) und speziellen Giften in den Oberläufen der zufließenden Gewässer bekämpft. Da Neunaugen biologisch gesehen keine Fische sind und sich in ihrer Körperchemie stark von Fischen unterscheiden, war es möglich, Giftstoffe zu finden, die für Neunaugen, aber nicht für echte Fische giftig sind.

Erscheinungsbild

Das Maul eines Meerneunauges

Neunaugen haben keine Kiefer, das rundliche Maul ist mit Hornzähnen ausgestattet und als Saugmaul ausgebildet. Sie werden je nach Art circa 20 bis 40 cm groß, im Meer bis zu 75 cm, vereinzelt auch größer. Neunaugen haben zwei Augen. Der Name Neunauge geht auf eine falsche historische Beschreibung zurück, wonach der Beobachter neben dem eigentlichen Auge auch die Nasenöffnung und die sieben seitlichen Kiemenspalten als Augen ansah (also neun "Augen" auf jeder der beiden Körperseiten).

Schema
Neunaugen an einem Amerikanischen Seesaibling

Nach einer recht radikalen Umwandlung (Metamorphose) des Körperbaus zum erwachsenen Tier, die meist nach 5 bis 7 Jahren erfolgt, wandern etwa die Hälfte der Arten, die zu den Neunaugen gerechnet werden, in das Meer, wo sie bis zu 18 Monate als Parasiten leben, gewöhnlich nahe der Küste. Zu den Arten, bei denen dies vorkommt, zählen unter anderem die auch in Mitteleuropa verbreiteten Meer- und Flussneunaugen. Ihre Beutetiere sind Fische, an denen sie sich festsaugen, Blut trinken und Fleischstücke herausraspeln. Durch spezielle Substanzen in ihrem Speichel hemmen sie die Blutgerinnung, weshalb bei angegriffenen Fischen keine Blutgerinnsel entstehen. Forscher versuchen, diese Substanz aus dem Speichel zu extrahieren, um sie in der Medizin einzusetzen und Blutgerinnsel aufzulösen. Größere, gesunde Fische überleben solche Angriffe meist und behalten nur typische kreisförmige Narben zurück, kleinere Arten jedoch, Jungtiere und kranke Fische können daran sterben. Größere Neunaugen greifen vereinzelt in Küstennähe auch Menschen an und saugen deren Blut. Die Bisse sind jedoch für den Menschen nicht giftig.[2] Nach einigen Jahren steigen die Neunaugen wiederum bis in den Oberlauf eines Fließgewässers auf, um zu laichen. Während des Rückzugs in die Süßwassergewässer bildet sich der Darm zurück. Nach dem Laichakt sterben die Tiere.

Etwa zwanzig Arten der Neunaugen sind stationäre, nicht-parasitische Süßwasserbewohner. Sie sind jeweils eng verwandt mit großen, anadrom lebenden Arten und werden deshalb auch als "Satelliten-Art" der jeweils verwandten, anadromen Art genannt.[3] Ein Beispiel für eine solche stationäre Art ist das Bachneunauge. Die Tiere bleiben in der Nähe der Stelle, an der sie die Larvenzeit verbrachten, und laichen hier auch wieder ab. Nach der Larvenzeit nehmen sie keine Nahrung mehr zu sich. Weitere, nur im Süßwasser vorkommende Neunaugen sind das Oberitalienische Neunauge, das nur in Seitenflüssen des Pos vorkommt und das nur im Einzugsgebiet der Donau vorkommende Ukrainische Bachneunauge (Eudontomyzon mariae). Bei diesen Neunaugenarten graben sich die Larven im Gewässergrund ein und ernähren sich von Kleinorganismen, die sie aus dem Wasser filtrieren. Bereits während der Umwandlung in adulte Tiere bildet sich der Darm zurück. Die Tiere laichen nur noch ab und sterben dann.

Das donauendemische Donauneunauge (Eudontomyzon danfordi) weicht von diesem Verhaltensmuster ab. Es ist die einzige europäische Neunaugenart, die an Süßwasserfischen wie Barschen und Döbeln parasitiert.

Systematik

Es gibt drei Familien, neun Gattungen und 40 Arten:

Geotria australis
Eudontomyzon danfordi
Eudontomyzon mariae
Lampetra tridentata
  • Familie Geotriidae
    • Gattung Geotria
      • Geotria australis (Gray,1851)
  • Familie Mordaciidae
    • Gattung Mordacia
      • Mordacia lapicida (Gray, 1851)
      • Mordacia mordax (Richardson, 1846)
      • Mordacia praecox (Potter, 1968)
  • Familie Petromyzontidae
    • Unterfamilie Lampetrinae
      • Gattung Caspiomyzon
      • Gattung Eudontomyzon
        • Donauneunauge (Eudontomyzon danfordi) (Regan, 1911)
        • Griechisches Bachneunauge (Eudontomyzon hellenicus) (Vladykov, Renaud, Kott & Economidis, 1982)
        • Ukrainisches Bachneunauge (Eudontomyzon mariae) (Berg, 1931)
        • Eudontomyzon morii (Berg, 1931)
        • Eudontomyzon stankokaramani (Karaman, 1974)
        • Donaubachneunauge (Eudontomyzon vladykovi) (Oliva & Zanandrea, 1959)
      • Gattung Lampetra
        • Lampetra aepyptera (Abbott, 1860)
        • Lampetra alaskensis (Vladykov & Kott, 1978)
        • Lampetra appendix (DeKay, 1842)
        • Lampetra ayresii (Günther, 1870)
        • Flussneunauge (Lampetra fluviatilis) (Linnaeus, 1758)
        • Lampetra hubbsi (Vladykov & Kott, 1976)
        • Arktisches Neunauge (Lampetra japonica) (Martens, 1868)
        • Lampetra lamottei (Lesueur, 1827)
        • Lampetra lanceolata (Kux & Steiner, 1972)
        • Lampetra lethophaga (Hubbs, 1971)
        • Lampetra macrostoma (Beamish, 1982)
        • Lampetra minima (Bond & Kan, 1973)
        • Bachneunauge (Lampetra planeri) (Bloch, 1784)
        • Lampetra richardsoni (Vladykov & Follett, 1965)
        • Lampetra similis (Vladykov & Kott, 1979)
        • Mexikanisches Neunauge (Lampetra spadicea) (Bean, 1887)
        • Lampetra tridentata (Richardson, 1836)
      • Gattung Lethenteron
        • Arktisches Neunauge (Lethenteron camtschaticum) (Tilesius, 1811)
          Lethenteron japonica
        • Lethenteron japonicum (Martens, 1868)
        • Lethenteron kessleri (Anikin, 1905)
        • Lethenteron matsubarai (Vladykov & Kott, 1978)
        • Lethenteron reissneri (Dybowski, 1869)
        • Oberitalienisches Neunauge (Lethenteron zanandreai) (Vladykov, 1955)
      • Gattung Tetrapleurodon
        • Tetrapleurodon geminis (Alvarez, 1964)
        • Tetrapleurodon spadiceus (Bean, 1887)
    • Unterfamilie Petromyzontinae
      • Gattung Ichthyomyzon
        Ichthyomyzon greeleyi
        Petromyzon marinus
        • Ichthyomyzon bdellium (Jordan, 1885)
        • Ichthyomyzon castaneus Girard, 1858
        • Ichthyomyzon fossor (Reighard & Cummins, 1916)
        • Ichthyomyzon gagei (Hubbs & Trautman, 1937)
        • Ichthyomyzon greeleyi (Hubbs & Trautman, 1937)
        • Ichthyomyzon unicuspis (Hubbs & Trautman, 1937)
      • Gattung Petromyzon

Neunaugen als Nahrungsmittel

Lamprete mit Reis

Neunaugen werden seit der Antike als sogenannte Speisefische sehr geschätzt und in der Küche meist als Lampreten bezeichnet. Ihr Fleisch ist weiß und fein, mit Aal vergleichbar, im Geschmack „fleischiger“ als das Fleisch der meisten echten Fische.

„Lamprete“ ist eine Bezeichnung aus dem Volksmund und umfasst verschiedene Neunaugenarten. Der größte und auch wirtschaftlich genutzte Vertreter der Neunaugen ist das Meerneunauge.

Im Mittelalter waren besonders die Lampreten von Nantes so berühmt, dass die Pariser den Händlern entgegenfuhren. Noch im 19. Jahrhundert wurden in Norddeutschland hunderttausende von Lampreten gefangen und gebraten und mit Essig und Kräutern mariniert angeboten. Das kleinere Flussneunauge (auch Bricke oder Pricke genannt) wurde bis in neuere Zeit in Elbe und Weser gefangen und über Holzkohle gegrillt.

In Frankreich, Galicien und Portugal stehen Lampreten noch heute auf traditionellen Speisekarten. Ein klassisches Lampretengericht ist Lamproie à la Bordelaise, bei dem die Fischstücke in einer Sauce aus Bordeaux, dem eigenen Blut, rohem Schinken, Porree, Zwiebeln und Knoblauch gedünstet werden.

Mittlerweile gehören Neunaugen in Europa zu den gefährdeten Arten und werden nur noch selten angeboten.

Einzelnachweise

  1. Parasiten in der Falle. In: der Standard. Abgerufen am 22. August 2009.
  2. Blutige Neunaugen-Attacken in der Ostsee. Abgerufen am 24. August 2009.
  3. Roland Gerstmeier und Thomas Romig: Die Süßwasserfische Europas. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2003, S. 129. ISBN 3-440-09483-9

Literatur

  • Joseph S. Nelson: Fishes of the World. John Wiley & Sons, New York 2006. ISBN 0-471-25031-7

Weblinks

Commons: Neunaugen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Neunauge – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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