Koboldmaki-Erbgut liefert neue Einblicke in die Evolution der Primaten



Bio-News vom 07.11.2016

Ein Forscherteam hat das Koboldmaki-Erbgut analysiert und dabei neue Erkenntnisse über die Evolution der Primaten und springender Gene gewonnen

Ein deutsch-amerikanisches Forscherteam hat das Erbgut des Philippinischen Koboldmakis analysiert. Die Ergebnisse ermöglichen neue Einblicke in die frühe Primatenevolution. An der Studie waren das Institut für Experimentelle Pathologie der Medizinischen Fakultät Münster, das McDonnell Genome Institute Washington, die University of California in Santa Cruz sowie das Deutsche Primatenzentrum (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen beteiligt. Durch die Untersuchungen von speziellen DNS-Abschnitten, den sogenannten springenden Genen, im Erbgut der kleinen Waldbewohner, haben die Forscher neue Elemente und deren Verteilungsmechanismen entdeckt. Außerdem konnten sie die Aktivitätsmuster verschiedener anderer springender Gene im Laufe der Primatenevolution aufklären. Da der Mensch ebenfalls zu den Primaten gehört, können die Forscher anhand der Ergebnisse Rückschlüsse auf unsere eigene Entwicklung ziehen (Nature Communications 7, 12997).


Ein Koboldmaki (Carlito syrichta) mit seiner Beute.

Publikation:


Schmitz, J. et al.
Genome sequence of the basal haplorrhine primate Tarsius syrichta reveals unusual insertions
Nat. Commun. 7, 12997

DOI: 10.1038/ncomms12997



Abenddämmerung im philippinischen Regenwald. Im dichten Geäst einer Baumkrone ist ein ungewöhnliches Kerlchen aufgewacht. Der etwa faustgroße Waldbewohner klettert aus seiner Baumhöhle und macht sich für die Nacht bereit. Mit seinen großen Kugelaugen, jedes davon größer als sein Gehirn, nimmt der Philippinische Koboldmaki eine Heuschrecke ins Visier. Die Augen kann er zwar nicht bewegen, aber dank seiner stark modifizierten Halswirbel kann er seinen Kopf um 180 Grad in jede Richtung drehen.

Mit seinen langen, spindeldünnen Fingern greift der kleine Fleisch- und Insektenfresser die Heuschrecke und verspeist sie genüsslich. Seine mit speziellen Fußwurzeln ausgestatteten Füßchen gaben ihm den wissenschaftlichen Namen Tarsier (Singular Tarsius). Die kräftigen Hinterbeine ermöglichen es ihm, bis zu sechs Meter weit von Baum zu Baum zu springen. Mit rund 150 Gramm ist der Koboldmaki leichter als zwei Tafeln Schokolade. Für die Forschung hingegen ist er ein Schwergewicht, da er stammesgeschichtlich einen bisher kaum erforschten Zeitraum der Primatenevolution abdeckt.

Was kann solch ein sonderbarer Zeitgenosse über die frühe Evolution der Primaten erzählen? Die Antwort liegt versteckt im Erbgut. Um herauszufinden, was den kleinen Affen so einzigartig macht, nutzte ein deutsch-amerikanisches Forscherteam moderne, gentechnische Methoden (unter anderem Hochdurchsatz-Sequenzierung), um sein Erbgut zu entschlüsseln. Bei den anschließenden, detaillierten Analysen des Erbguts wurde besonderes Augenmerk auf sogenannte springende Gene gelegt, die eine wichtige Rolle bei der Evolution von Genen und Genomen und somit auch für die Evolution der Primaten spielen können.

Die Wissenschaftler um Jürgen Schmitz vom Institut für Experimentelle Pathologie der Medizinischen Fakultät Münster und Wesley Warren vom McDonnell Genome Institute Washington interessierten sich speziell für die Analyse springender Gene innerhalb der Koboldmakis. „Wir können durch die Analyse ihrer springenden Elemente viel über unsere eigene Evolution lernen“, erklärt Jürgen Schmitz, Leiter der Studie. Diese springenden Gene sind DNS-Abschnitte, die sich selbst kopieren und neue Positionen im Erbgut einnehmen können. Wie beim Menschen machen die springenden Gene bei Koboldmakis rund die Hälfte des Erbgutes aus. Gemeinsam mit der University of California, Santa Cruz sowie Christian Roos und Angela Noll vom Deutschen Primatenzentrum (DPZ) in Göttingen konnten die Wissenschaftler bisher unbekannte springende Gene entdecken und deren Verteilungsmechanismen erklären. „Dank des vorliegenden Koboldmaki-Erbguts war es uns möglich, Integrationen springender Gene zu erkennen, die bereits sehr lange zurückliegen“, erläutert Jürgen Schmitz.

Vergleichsstudien mit anderen Primaten zeigen, dass vor etwa 50 Millionen Jahren, in der frühen Stammeslinie der Trockennasenaffen, viele dieser Gene ihren springenden Charakter verloren haben. Stattdessen evolvierten bei Affen andere Formen von springenden Genen, die heute einen sehr großen Teil unseres eigenen Erbgutes ausmachen. Vermutlich war ein extremer Rückgang in der Primatenpopulation der Grund für den Wechsel. Das Erbgut des Koboldmakis ist in der stammesgeschichtlichen Entwicklung von besonders großem wissenschaftlichen Interesse, da er Merkmale zweier verschiedener Primatengruppen besitzt – sowohl Merkmale der Feuchtnasenaffen, denen die Lemuren und Loris angehören, als auch Merkmale der höheren Primaten, denen die Affen und Menschen angehören.

„Wir haben den ersten Nachweis dafür gefunden, dass ein komplettes Erbgut eines Mitochondriums in ein Kernerbgut integriert worden ist“, erklärt Jürgen Schmitz. „Mitochondrien sind zelluläre Organellen, die eine eigene Erbsubstanz besitzen. Ein kompletter Einbau ist bei Säugetieren zuvor noch nie nachgewiesen worden.“ Außerdem konnten auch verschiedene Gene identifiziert werden, die den kleinen Waldbewohner so einzigartig machen und beispielsweise für die ausgeprägte Sehfähigkeit und die außerordentliche Sprungfähigkeit verantwortlich sind. Die Analysen zeigten zudem, dass die Populationsgröße des Koboldmakis zurzeit leider auf dem niedrigsten Stand seiner bisherigen Geschichte ist. „Wie hoffen, dass unsere neuen Forschungsergebnisse und die einzigartige Position des Koboldmakis in der Stammesgeschichte der Primaten viele weiterführende Studien nach sich ziehen werden, die sowohl ein tiefergehendes Verständnis für die Biodiversität und Genetik der Primaten, als auch eine gesteigerte Aufmerksamkeit für diese besonderen Tiere zum Ziel haben werden“, fasst Angela Noll vom Deutschen Primatenzentrum die Bedeutung der Studie zusammen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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