Arbeitsteilung bei sozialen Insekten: Allrounder gegenüber Spezialisten bei Störungen im Vorteil



Bio-News vom 07.03.2016

Fitnesskosten: Ameisenkolonien mit starker Spezialisierung haben bei plötzlichen Veränderungen geringere Überlebenschancen

Eine Gemeinschaft sozialer Insekten wie Ameisen zeichnet sich durch hohe Arbeitsteilung aus. Nicht nur zwischen Königinnen und Arbeiterinnen, sondern auch unter den Arbeiterinnen selbst gibt es klare Zuständigkeiten etwa für Brutpflege, Verteidigung oder Nestbau. Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass eine solche Arbeitsteilung ganz wesentlich zum Erfolg von Gesellschaften beiträgt. Ein hoher Grad an Spezialisierung, so die Annahme, bringt Vorteile, weil die jeweilige Arbeit besser und effektiver ausgeführt wird. Tatsächlich kann das Gegenteil der Fall sein. Wie Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zeigen, fehlt hoch spezialisierten Ameisen die Flexibilität, um sich schnell genug auf neue Anforderungen einzustellen – mit schwerwiegenden Folgen für die gesamte Kolonie.


Arbeiterinnen der Wirtsart Temnothorax longispinosus kämpfen gegen eine in ihre Kolonie eingedrungene, etwas größere Sklavenhalterarbeiterin der Art T. americanus.

Publikation:


Evelien Jongepier, Susanne Foitzik
Fitness costs of worker specialization for ant societies
Proceedings of the Royal Society B, 13. Januar 2016

DOI: 10.1098/rspb.2015.2572



„Unsere Beobachtungen liefern eine Erklärung für die Allgegenwart von Generalisten und zeigen, wie wichtig sie für die Flexibilität und Robustheit ganzer Gesellschaften sind“, teilte die Mainzer Evolutionsbiologin Univ.-Prof. Dr. Susanne Foitzik zu der Studie mit. Foitzik und Evelien Jongepier haben untersucht, wie mehr oder weniger stark spezialisierte Ameisenkolonien auf einen Angriff von außen reagieren. Dazu haben sie rund 3800 Ameisen der Art Temnothorax longispinosus getestet und anhand ihres Verhaltens Ameisenkolonien aus Generalisten bzw. aus Spezialisten gebildet. Diese Kolonien wurden nun Angriffen der Sklavenhalter-Ameise Temnothorax americanus ausgesetzt, worauf sie fliehen oder sich verteidigen mussten. Der Sozialparasit T. americanus überfällt benachbarte Wirtskolonien, um die Brut zu rauben, wobei erwachsene Arbeiterinnen und die Königin häufig getötet werden.

„Im Gegensatz zu der verbreiteten Annahme, dass eine individuelle Spezialisierung soziale Vorteile bringt, haben wir herausgefunden, dass sich eine Spezialisierung nachteilig auf die Fortpflanzung und auf die Chancen fürs Überleben und Wachstum der Kolonie auswirken kann“, fasst Jongepier, Erstautorin der Studie, zusammen. Ameisenkolonien, die auf Verteidigung und Brutfürsorge spezialisiert waren, verloren durch einen Überfall der Sklavenhalter fast 80 Prozent ihrer Brut. Generalisten gelang es dagegen, über die Hälfte ihrer Nachkommen zu retten. Für eine Art wie T. longispinosus, die sich nur einmal im Jahr reproduziert, bedeuten hohe Brutverluste beinahe den Untergang der Kolonie, gefährden jedenfalls die künftigen Überlebenschancen deutlich. Diese „Fitnesskosten“ durch strikte Spezialisierung begünstigen in einer natürlichen Umgebung wahrscheinlich die Alleskönner-Strategie: Ameisengemeinschaften, die in der Nähe von Sklavenhaltern leben, sind weniger stark spezialisiert als Gemeinschaften in Gebieten ohne diese Sozialparasiten. „Sklavenhalter“, so Foitzik, „sind im Feld ein Evolutionsfaktor, der eine höhere Spezialisierung verhindert.“

Flexibilität im Verhalten zahlt sich aus

In einer Diskussion ihrer Ergebnisse vermuten Foitzik und Jongepier, dass Spezialistengemeinschaften wahrscheinlich Probleme beim Wechsel von Tätigkeiten haben, also wenig flexibel sind. Auch wenn sich die Ergebnisse nicht eins zu eins auf andere Bereiche übertragen lassen, so geben sie doch Anhaltspunkte für die Evolution sozialer Gruppen und Perspektiven für ihre Entwicklung. „Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, die Organisation von Arbeit und individuelle Verhaltensmuster aus einer ökologischen Perspektive zu betrachten, um Vorteile für die ganze Gemeinschaft zu erreichen“, so die Wissenschaftlerinnen. Flexibilität im Verhalten wäre demnach nicht nur in Ameisengemeinschaften, sondern auch für ganz andere Organisationsformen günstig, insbesondere wenn häufige Störungen möglich sind: von Stoffwechselkreisläufen mit Allround-Enzymen bis zu stabilen Finanzsystemen, die nicht nur auf wenigen spezialisierten Instituten beruhen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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