Neuweltgeier



Neuweltgeier

Rabengeier (Coragyps atratus)

Systematik
Unterstamm: Wirbeltiere (Vertebrata)
Klasse: Vögel (Aves)
Ordnung: Greifvögel (Falconiformes)
Familie: Neuweltgeier
Wissenschaftlicher Name
Cathartidae
Lafresnaye, 1839

Neuweltgeier (Cathartidae) werden die Geier der „Neuen Welt“, also der zwei Kontinente Amerikas, genannt. Es gibt lediglich sieben Arten. Der bekannteste von ihnen ist der Andenkondor (Vultur gryphus), der einer der größten flugfähigen Vögel der Erde ist und neben dem Wanderalbatros die größte Flügelspannweite hat. Weitere bekannte Arten sind Truthahngeier und Rabengeier, die für viele Touristen im Süden der USA, Mittel- und Südamerika zum gewohnten Anblick gehören.

Verbreitung und Lebensraum

Das Verbreitungsgebiet des Truthahngeiers (gelb nur im Sommer) entspricht dem der ganzen Familie

Neuweltgeier kommen in ganz Süd- und Mittelamerika und in den USA vor. Das größte Verbreitungsgebiet hat der Truthahngeier, der von Feuerland und den Falklandinseln bis etwa zur Südgrenze Kanadas lebt, im Winter allerdings die nördliche und mittlere USA nach Süden verlässt. Neuweltgeier leben in fast allen Habitaten ihres Verbreitungsgebietes. Im Unterschied zu den Altweltgeiern, die offene Landschaften bewohnen, kommen sie auch in Wäldern und geschlossenen Buschländern vor. Die anpassungsfähigste Art ist der Truthahngeier, der sowohl in Wäldern als auch in Wüsten lebt. Er hat seinen Lebensraum in den letzten Jahrzehnten weit nach Norden ausgedehnt, wobei er sich vor allem von toten Tieren ernährt, die Opfer des Straßenverkehrs wurden. Der Rabengeier, der ursprünglich ein Bewohner von Feuchtgebieten und Flussufern war, ist zum Kulturfolger und in vielen Städten Mittel- und Südamerikas heimisch geworden. Er sucht seine Nahrung im Müll, vor allem in den Abfällen der Fischmärkte.

Merkmale

Neuweltgeier werden 64 Zentimeter bis 1,34 Meter lang, erreichen eine Flügelspannweite von 1,37 bis 3,20 Meter und ein Gewicht von 850 g bis 11 kg. Ihr Gefieder ist vor allem dunkel oder schwarz, bei adulten Königsgeiern überwiegt das weiß. Bei kleinen Arten gibt es keinen Geschlechtsdimorphismus, weder hinsichtlich der Größe noch der Gestalt. Beim Königsgeier und Kalifornischen Kondor werden die Männchen etwa 10 % größer als die Weibchen. Männliche Andenkondore werden 25 % größer, sie unterscheiden sich außerdem durch das schwarze Gefieder (das der Weibchen ist dunkelbraun), die weiße Halskrause und Schwungfedern, den fleischigen Kamm auf dem Scheitel und den eher rötlichen Kopf deutlich von den weiblichen Vögeln.

Vergleich mit den Altweltgeiern

Neuweltgeier haben keine Nasenscheidewand

Die Neuweltgeier unterscheiden sich von den Altweltgeiern durch das Fehlen einer Nasenscheidewand und den gut entwickelten Geruchssinn. Die Nasenöffnung befindet sich in der Schnabelspitze. Altweltgeier nisten auf Bäumen oder Felsvorsprüngen, die Neuweltgeier bauen keine Nester.

Ernährung

Truthahngeier an einer totgefahrenen Möwe.

Neuweltgeier sind vor allem Aasfresser. Truthahn- und Rabengeier töten allerdings auch wehrlose Beute, vor allem kleine oder sehr junge Tiere, wie Echsen oder Jungvögel im Nest. Rabengeier suchen Strände nach gerade geschlüpften Meeresschildkröten ab. Sie werden auch beschuldigt, neugeborene Lämmer und Kälber zu attackieren. Wahrscheinlicher ist aber, das sie bei gebärendem Vieh nur auf die Nachgeburt warten. Beide Arten fressen auch Insekten, Beeren und andere Früchte und Dung größerer Säugetiere. Die drei Arten der Gattung Cathartes können mit ihrem guten Geruchssinn auch die Kadaver sehr kleiner Tiere aufspüren.

Wie bei den Altweltgeiern gibt es an größeren Kadavern eine feste Hierarchie zwischen den verschiedenen Arten. Nur die beiden Kondorarten sind in der Lage, bei größeren toten Säugetieren die Haut aufzureißen. In den Regenwäldern dominiert der Königsgeier, der noch mittelgroße Kadaver von Affen oder Faultieren öffnen kann. Rabengeier fressen vor allem Muskelfleisch und Eingeweide. Die drei Arten der Gattung Cathartes fressen wesentlich langsamer und nagen vor allem Fleischreste von den Knochen.

Fortpflanzung

Gerade geschlüpfter Jungvogel und Ei des Truthahngeiers

Das Fortpflanzungsverhalten der meisten Neuweltgeier ist nur wenig bekannt. Keine Art nistet in Kolonien. Der Große Gelbkopfgeier ist noch nie nistend beobachtet worden, der Kleine Gelbkopfgeier nur ein einziges Mal, der Königsgeier nur wenige Male. Die bei der Fortpflanzung schon beobachteten Arten bauen alle kein Nest, sondern legen ihre Eier auf Felsvorsprüngen, in großen Baumhöhlen und in Baumstümpfen direkt auf den Grund. Die beiden Kondore nisten an unzugänglichen Felsvorsprüngen in den Bergen, die Nester der kleineren Arten befinden sich in Örtlichkeiten, die auch für Beutegreifer eher zugänglich sind. Die Vögel verhalten sich sehr heimlich, wenn sie sich dem Nest nähern oder von ihm entfernen. Ein fauliger Aasgeruch, der den Nestern einiger Arten entströmt, könnte Räuber ebenfalls von einem Besuch abhalten. Ältere, aber noch nicht flugfähige Jungvögel entfernen sich oft von den Nestern. Die Nester werden von den Altvögeln nicht stark verteidigt und durch Raubtiere geplünderte Nester sind der Hauptgrund für Misserfolge bei der Brut.

Die beiden Kondorarten legen lediglich ein einzelnes Ei, Raben- und Truthahngeier meist zwei. Die Eier sind weißlich, die des Truthahngeiers, der offenere Brutstätten benutzt, gefleckt. Bei den Arten, die bei der Brutpflege beobachtet wurden, wechseln sich die Paarpartner beim Brüten ab. Die Brutdauer reicht von 40 Tagen bei den kleineren Arten bis zu 55 Tagen bei den Kondoren. Die Jungen haben ein feines Daunenkleid, das bei den Kondoren, dem Königsgeier und dem Truthahngeier weiß ist, beim Rabengeier braun. Sie sind wahrscheinlich früh in der Lage, sich selber warm zu halten. Truthahngeier besuchen ihre Küken nur wenige Minuten am Tag zum Füttern. Das Futter wird im Kropf zu den Jungen gebracht und nicht mit den Fängen. Zunächst werden die Jungen von den Eltern mit dem Schnabel gefüttert, später wird das Futter auf den Grund gelegt und von den Jungvögeln selbständig aufgenommen. Junge Kondore werden erst mit einem Alter von drei Monaten flügge, bleiben danach aber noch monatelang bei den Eltern. Die Aufzucht eines einzelnen Jungen dauert bei den beiden Kondorarten über zwölf Monate. Eine Brut in einem Jahr bedingt damit eine Brutpause im folgenden.

Kleine Neuweltgeierarten werden wahrscheinlich mit drei Jahren geschlechtsreif. In Gefangenschaft gehaltene Kondore beginnen erst mit sechs Jahren mit Brutaktivitäten. Der Kalifornische Kondor ist wahrscheinlich monogam und auch vom Rabengeier wird vermutet, das Paare lange zusammen bleiben.

Stammesgeschichte

Skelettfragment von Eocathartes robustus, einem fossilen Neuweltgeier aus dem Geiseltal.

Neuweltgeier haben eine längere fossil nachgewiesene Stammesgeschichte als die meisten anderen Vogelfamilien und treten mit den beiden Gattungen Palaeogyps und Phasmagyps zum ersten Mal im frühen Oligozän vor 35 Millionen Jahren auf. Zunächst kamen Neuweltgeier auch in der Alten Welt vor, ebenso wie Altweltgeier in der Neuen Welt. Es gibt allerdings keine fossilen Überreste von Neuweltgeiern in Europa, Asien oder Afrika, die jünger sind als das frühe Miozän, vor etwa 20 Millionen Jahren. Altweltgeier überlebten in Amerika bis zum späten Pleistozän vor 10.000 Jahren. Aus dem Pliozän vor fünf Millionen Jahren kennt man einen gemeinsamen Vorfahren von Andenkondor und Königsgeier. Seit dem frühen Pleistozän, vor zwei Millionen Jahren können der Rabengeier, der Truthahngeier und der Kalifornische Kondor zusammen mit anderen, inzwischen ausgestorbenen Neuweltgeiern fossil nachgewiesen werden.

Vom Miozän bis zum Pleistozän gab es mit den Teratornithidae eine nahe verwandte Familie, zu denen unter anderen Teratornis und Argentavis als größte bis heute bekannte fliegende Vögel gehörten [1].

Systematik

Die Neuweltgeier wurden zunächst den Greifvögeln (Falconiformes) zugeordnet. Aber schon Huxley bemerkte 1876, dass sie von allen anderen Greifvögeln verschieden waren. Seit mehr als hundert Jahren war bekannt, dass sie einige Merkmale mit den Störchen (Ciconiidae) teilen. Dazu zählen vor allem die Knochenstruktur, die Schädelanatomie und die Anordnung einiger Muskeln. Wie Störche kühlen sie sich, indem sie die Beine mit Ausscheidungen benetzen. Molekularbiologische Methoden eröffneten im späten 20. Jahrhundert schließlich neue Möglichkeiten, Verwandtschaftsverhältnisse zu erforschen. Nach ihrer auf DNA-Hybridisierung beruhenden neuen Vogelsystematik ordneten Charles Gald Sibley und Jon Edward Ahlquist die Neuweltgeier als Unterfamilie in die Familie der Störche ein [2]. Die Sibley-Ahlquist-Taxonomie fand allerdings keine allgemeine Anerkennung und die Neuweltgeier wurden als eigenständige Familie innerhalb der Schreitvögel (Ciconiiformes) geführt.

Seit den 1990 Jahren wurde die DNA-Hybridisierung durch die DNA-Sequenzierung abgelöst, die den direkten Vergleich von DNA des Zellkerns oder der Mitochondrien (mtDNA) ermöglicht. Neue Untersuchungen von Hackett und Mitarbeiter sehen die Neuweltgeier mit einem Bootstrappwert von 61 % als basales Taxon der Greifvögel [3]. Ihre systematische Stellung wird in folgendem Kladogramm deutlich [4]:

  Greifvögel (Falconiformes)  

Neuweltgeier (Cathartidae)


   

Sekretäre (Sagittariidae)


   

Fischadler (Pandionidae)


   

Habichtartige (Accipitridae)





Vorlage:Klade/Wartung/Style

Das South American Classification Committee der American Ornithologists’ Union gliederte die Neuweltgeier deshalb aus den Schreitvögeln aus [5] und stellten sie in die monotypische Ordnung Cathartiformes [6].

Der International Ornithological Congress ordnet die Neuweltgeier wieder in die Ordnung der Greifvögel ein, die jetzt aber nicht mehr die Falkenartigen (Falconidae) beinhaltet, und, da die Falken den wissenschaftlichen Namen der Ordnung, Falconiformes mitgenommen haben, Accipitriformes genannt werden [7] [8] [9].

Gattungen und Arten

Kleiner Gelbkopfgeier (Cathartes burrovianus)

Es gibt sieben Arten in fünf Gattungen. Vier der Gattungen sind monotypisch.

Quellen

Einzelnachweise

Die Informationen dieses Artikels entstammt zum größten Teil der unter Literatur angegebenen Quelle, darüber hinaus werden folgende Quellen zitiert:

  1. Alan Feduccia: The Origin and Evolution of the Birds. 2. Aufl., Yale University Press, New Haven/ London, 1999, ISBN 0-300-07861-7
  2. Charles Sibley & Jon Ahlquist (1990): Phylogeny and classification of birds. Yale University Press, New Haven, Conn., ISBN 0-300-04085-7
  3. Hackett et al.: A Phylogenomic Study of Birds Reveals Their Evolutionary History. Science 27 June 2008: Vol. 320. no. 5884, pp. 1763–1768 doi:10.1126/science.1157704
  4. Harshman, John. 2008. Accipitriformes. Version 27 June 2008 (under construction). [1] in The Tree of Life Web Project
  5. Proposal (#241) to South American Classification Committee Remove Cathartidae from the Ciconiiformes
  6. Proposal (#361) to South American Classification Committee Place Cathartidae in their own order
  7. Frank Gill and Minturn Wright: BIRDS OF THE WORLD Recommended English Names. Princeton University Press, 2006, ISBN 0-7136-7904-2
  8. IOC World Bird List
  9. Families in the order Accipitriformes

Literatur

  • Josep del Hoyo et al.: Handbook of the Birds of the World, Band 2 (New World Vultures to Guinea Fowl). Lynx Edicions, 1994, ISBN 84-87334-15-6

Weblinks

Commons: Neuweltgeier – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

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