Nebennierenrindeninsuffizienz


Bei der Nebennierenrindeninsuffizienz handelt es sich um eine Unterfunktion der Nebennierenrinde (NNR), die gut behandelbar ist, unbehandelt jedoch tödlich verläuft.

Klassifikation nach ICD-10
E27.1 Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz
Addison-Krankheit
E85 Amyloidose
E35.1* Krankheiten der Nebennieren bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
A39.1+ Waterhouse-Friderichsen-Syndrom
A18.7+ Tuberkulose der Nebennieren
E23.0 Hypopituitarismus
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Verbreitung

Eine NNR-Insuffizienz findet sich bei etwa 40 von 100.000 Menschen.

Grundlagen

Die Nebenniere ist eine Hormondrüse, welche jeweils dem oberen Pol der Nieren anliegt. Sie besteht aus dem Nebennierenmark, das Katecholamine produziert, und der Nebennierenrinde, welche die Steroidhormone Cortisol (Glukokortikoide) und Aldosteron (Mineralokortikoide) sowie Sexualhormone (Androgene) und auch g-Strophanthin [1] synthetisiert. Die Bildung von Cortisol wird vom Hormon ACTH gesteuert, das im Hypophysenvorderlappen der Hirnanhangsdrüse gebildet wird. Dieses wiederum wird vom Corticotropin-releasing Hormone (CRH) einem Hormon des Hypothalamus, einer übergeordneten Hirnregion, gesteuert. Aldosteron als wichtiges Hormon der Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts wird im Rahmen des Renin-Angiotensin-Aldosteron-System reguliert.

Einteilung

Es werden nach der Entstehung drei Formen der Unterfunktion der Nebennierenrinde unterschieden.

Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz

Bei der Primären Form (Syn: Morbus Addison, benannt nach dem englischen Arzt Thomas Addison, etwa 80 Prozent aller Fälle) liegt die Störung in der Nebenniere selbst. Dazu gehören

Die Tuberkulose mit Befall der Nebennieren war früher die häufigste Ursache eines Morbus Addison. Damals überwog die Anzahl der Männer. Heute ist in den entwickelten Ländern die Autoimmunerkrankung als Ursache vorherrschend und Frauen sind häufiger als Männer betroffen.

Durch den niedrigen Cortisolspiegel im Blut wird in der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) vermehrt ACTH gebildet, welches die Bildung von Cortisol stimulieren soll. ACTH entsteht durch Spaltung von Proopiomelanocortin, wobei zusätzlich auch Melanozyten-stimulierendes Hormon entsteht, das die in der Haut vorhandenen Melanozyten zur vermehrten Pigmenteinlagerung anregt. Die Haut erscheint dadurch brauner, daher wird der Morbus Addison auch als „Bronzekrankheit“ bezeichnet.

Sekundäre Nebennierenrindeninsuffizienz

Die sekundären Form wird durch eine Unterfunktion der Hirnanhangdrüse (Hypophyseninsuffizienz) verursacht. Durch den Mangel an ACTH wird die Nebennierenrinde nicht ausreichend zur Bildung von Cortisol angeregt. Ursachen sind

  • Tumore
  • Verletzungen (Schädel-Hirn-Trauma, Geburtstraumen)
  • Durchblutungsstörungen, Sonderform: Sheehan-Syndrom
  • Entzündungen
  • Autoimmune Reaktionen

Tertiäre Nebennierenrindeninsuffizienz

Eine Unterfunktion des Hypothalamus verursacht die tertiäre Form. Hierbei wird zu wenig CRH gebildet, wodurch die Hirnanhangsdrüse nicht ausreichend zur Bildung von ACTH angeregt wird. Erkrankungen des Hypothalamus sind selten. Häufiger ist eine länger andauernde höher dosierte Behandlung mit Corticosteroiden. Hierdurch wird die CRH-Bildung längerfristig unterdrückt, abruptes Absetzen kann zu einer Addisonkrise führen.

Patienten die länger als 5 Tage Kortisonpräparate oberhalb der Cushing-Schwellendosis einnehmen, muss bei Operationen zusätzliches Kortisol verabreicht werden, da der Körper den bei Operationen notwendigen Kortisolstoß nicht selber erzeugen kann. Bei kleinen Operationen reicht dabei eine einmalige Kortisoldosis. Bei größeren Operationen sollte über die ersten 24 Stunden zusätzliches Kortisol kontinuierlich verabreicht werden, um danach wieder auf die Dauerdosis vor der OP zurückzukehren. [2]

Klinische Erscheinungen

Beschwerden treten erst auf, wenn 90 Prozent der Nebennierenrinde nicht funktionieren. Die Patienten klagen über:

  • allgemeines Schwächegefühl
  • Infektanfälligkeit
  • Gewichtsverlust
  • Appetitlosigkeit
  • Erbrechen
  • "Salzhunger" (Verlangen nach salzigen Nahrungsmitteln)
  • Schwindel
  • niedrigen Blutdruck mit Kollapsneigung
  • bräunliche Verfärbung der Haut, auch an Handflächen und Fußsohlen, Narben, Lippen (nur primäre Form)
  • Bauchschmerzen
  • Verstopfung oder Durchfall
  • bei Frauen eventuell Verlust der Schambehaarung
  • Verlust der Libido
  • Unterzuckerungen

Addisonkrise

Durch besondere Belastungssituationen, wie z. B. Operationen und Krankheiten, kann sich vor allem eine noch nicht behandelte NNR-Insuffizienz plötzlich verschlechtern. Dieser potentiell lebensbedrohliche Zustand ist durch Bewusstseinstrübung bis hin zu Koma, Blutdruckabfall, massive Austrocknung des Organismus, Unterzuckerung und Bauchbeschwerden (Pseudoperitonitis) gekennzeichnet.

Untersuchungsmethoden

Bei Verdacht auf eine NNR-Insuffizienz wird zunächst Labordiagnostik durchgeführt. Mit bildgebenden Verfahren (Ultraschall, Computer-, Magnetresonanztomographie) können dann ggf. Veränderungen der Nebennieren, der Hypophyse oder des Hypothalamus dargestellt werden.

Laborchemische Abgrenzung der NNR-Insuffizienz-Formen
Form Natrium Kalium Cortisol ACTH Aldosteron ACTH-Test CRH-Test NNR-Antikörper
primär vermindert erhöht vermindert erhöht vermindert Cortisol steigt nicht Cortisol steigt nicht
ACTH steigt
häufig positiv
sekundär normal normal vermindert vermindert normal Cortisol steigt Cortisol steigt nicht
ACTH steigt nicht
negativ
tertiär normal normal vermindert vermindert normal Cortisol steigt Cortisol steigt
ACTH steigt
negativ

Behandlung und Heilungsaussichten

Die Behandlung des Morbus Addison besteht in der Zufuhr der im Körper nicht ausreichend gebildeten Hormone in Form von

  • Hydrocortison zum Ausgleich des Cortisolmangels und
  • Fludrocortison zum Ersatz des fehlenden Aldosterons.

Bei besonderen Belastungen für den Körper, etwa bei Operationen, muss die Dosis vorübergehend erhöht werden. Eventuell vorliegende Infektionen als Ursache für den Morbus Addison werden mit Antibiotika behandelt, Tumore werden operiert. Eine Addison-Krise verlangt eine intensivmedizinische Überwachung sowie eine Behandlung mit zucker- und cortisolhaltigen Infusionen.

Mit Ausnahme der tertiären Form auf dem Boden einer Cortisoltherapie ist die Erkrankung nicht heilbar, jedoch durch lebenslange Gabe der fehlenden Hormone in Form von Medikamenten behandelbar.

Bei der heute seltenen tuberkulösen Form der primären Nebenniereninsuffizienz führt die alleinige Gabe von Corticosteroiden zur Verschlimmerung der Tuberkulose. Die Tuberkulose muss zuerst ausgeheilt werden und dann erst kann der Hormonmangel dauerhaft ersetzt werden.

Siehe auch

Weblink

Literatur

  • Marzotti S, Falorni A.: Addison’s disease. In: Autoimmunity 37 (2004), S. 333-336.
  • G.H. Williams, R.G. Dluhy (dtsch. von M. Berger). Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (Morbus Addison). In: K.J.G. Schmailzl (Hrsg.): Harrisons, Innere Medizin 2. Blackwell Wiss.-Verlag, Dt. Ausg. der 13. Auflage/ (1995), S. 2303-2306.
  • M-F. Kong, W. Jeffcoate (1994) Eighty-six cases of Addison’s disease. In: Clin. Endocrinology 41, S. 757-761.
  • W. Oelkers, S. Diederich, V. Bähr: Diagnostik der Nebennierenrindeninsuffizienz Dtsch. med. Wschr. 119 (1994), S. 555-559.
  • W. Oelkers: Review Article: Adrenal Insufficiency. In: N. Engl. J. Med. 335 (1996), S. 1206-1212.
  • Kelestimur F.: The endocrinology of adrenal tuberculosis: the effects of tuberculosis on the hypothalamo-pituitary-adrenal axis and adrenocortical function. In: J Endocrinol Invest. 27 (2004), S. 380-386.
  • C. Betterle, M. Volpato, B. Rees Smith, J. Furmaniak, S. Chen, N.A. Greggio, M. Sanzari, F. Tedesco, B. Pedini, M. Boscaro, F. Presotto: I. Adrenal cortex and steroid 21-hydroxylase autoantibodies in adult patients with organ-specific autoimmune diseases: markers of low progression to clinical Addison’s disease. In: J. Clin. Endocrinol. Metab. 82 (1997), S. 932-938.
  • C. Betterle, M. Volpato, B. Rees Smith, J. Furmaniak, S. Chen, R. Zanchetta, N.A. Greggio, B. Pedini, M. Boscaro, F. Presotto II. Adrenal cortex and steroid 21-hydroxylase autoantibodies in children with organ-specific autoimmune diseases: markers of high progression to clinical Addison’s disease. In: J. Clin. Endocrinol. Metab. 82 (1997), S. 939-942.

Einzelnachweise

  1. W. Schoner, G. Scheiner-Bobis: Endogenous and exogenous cardiac glycosides and their mechanisms of action. In: American journal of cardiovascular drugs : drugs, devices, and other interventions. Band 7, Nummer 3, 2007, S. 173–189, ISSN 1175-3277. PMID 17610345. (Review)
  2. A. S. Milde, B. W. Böttiger, M. Morcos: Nebennierenrinde und Steroide. In: Der Anaesthesist. 54, 2005, S. 639–654, doi:10.1007/s00101-005-0867-5.