Das neue Gesicht der Antarktis



Bio-News vom 07.01.2021

Die Antarktis könnte künftig ergrünen und von neuen Arten besiedelt werden. Andererseits dürften Spezies verschwinden.

Diese und viele andere Ergebnisse haben 25 Forscherinnen und Forscher in einem internationalen Großprojekt zusammengetragen, in dem sie Hunderte von Fachartikeln über die Antarktis aus dem letzten Jahrzehnt ausgewertet haben. Damit liefert das Team eine ungewöhnlich umfassende Einschätzung des aktuellen und künftigen Zustands des Kontinents und des ihn umgebenden Südlichen Ozeans.


Königspinguine.

Publikation:


Julian Gutt, Enrique Isla, José C. Xavier , Byron J. Adams, In‐Young Ahn, C.‐H. Christina Cheng, Claudia Colesie, Vonda J. Cummings, Guido di Prisco, Huw Griffiths , Ian Hawes et al.
Antarctic ecosystems in transition – life between stresses and opportunities
Biological Reviews

DOI: 10.1111/brv.12679



Noch nie zuvor haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so viele neue Erkenntnisse über die biologischen und biochemischen Vorgänge in der Antarktis gesammelt wie im vergangenen Jahrzehnt. Dieses Wissen haben jetzt 25 Fachleute unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) im Projekt „AnT-ERA“ ausgewertet und zusammengefasst. Alles in allem musste das AnT-ERA-Team dafür mehrere Hundert Fachartikel zur Antarktis durcharbeiten.

Die wichtigsten Erkenntnisse hat es jetzt in einem Übersichtsartikel in zehn Kernbotschaften zusammengefasst, die verschiedene Aspekte wie die Ozeanversauerung, die Artenvielfalt oder die Bedeutung des Meereises für die Lebewesen thematisieren. „Betrachtet man den Zeitraum von 1970 bis heute, dann sind allein in den Jahren 2010 bis 2020 rund 80 Prozent aller wissenschaftlichen Publikationen zur Biologie und Biochemie in der Antarktis erschienen. Für uns war das der Grund, dieses enorme Wissen in einem Fachartikel zu kondensieren“, sagt Meeresbiologe und Projektkoordinator Julian Gutt vom AWI. Die Projektergebnisse sind jetzt im Fachjournal Biological Reviews erschienen.


Die Vegetation auf dem antarktischen Kontinent besteht überwiegend aus Flechten und Moosen, deren Verbreitung sich regional durch die Erwärmung ausdehnt.

Zunahme der Artenvielfalt

Eine Erkenntnis der Forscher ist, dass die Erwärmung der antarktischen Gewässer im Zuge des Klimawandels sehr wahrscheinlich ist, und dass damit Pflanzen- und Tierarten aus wärmeren Regionen in die Antarktis einwandern dürften. Wobei nicht nur die Temperatur, sondern auch die künftige Eisbedeckung eine Rolle spielen wird. So wird für die kommenden Jahrzehnte unter anderem damit gerechnet, dass sich das Ergrünen eisfreier Küstengebiete während des Südsommers verstärken wird, weil Moose oder Flechten einwandern. Alles in allem dürfte die Artenvielfalt zunächst zunehmen. Bei einer andauernden Erwärmung aber werden die an extrem tiefe Temperaturen angepassten Arten das Nachsehen haben. „Wir rechnen damit, dass sich solche Arten in die letzten verbliebenen sehr kalten Bereiche der Antarktis zurückziehen werden“, sagt Julian Gutt. „Das heißt auch, dass man diese Regionen wird unter Schutz stellen müssen, um diese Arten zu erhalten.“


Es hat sich herausgestellt, dass der Reproduktionserfolg von See-Elefanten von der Produktivität des marinen Nahrungsnetzes abhängig ist.

Mit der Versauerung leben?

Was die Ozeanversauerung angeht, sieht die Zukunft laut Studie düster aus. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts rechnen die Experten mit einer weitgehenden Versauerung der antarktischen Gewässer. „Es steht außer Frage, dass vor allem jene Lebewesen Probleme bekommen, die Kalkschalen bilden“, sagt Gutt. „Ob sie ganz aussterben oder ob einige Arten ihren Stoffwechsel an die veränderten Bedingungen anpassen, können wir aktuell ebenfalls nicht mit Sicherheit sagen.“ Eine überraschende Erkenntnis der letzten zehn Jahre Forschung war auch, dass die scheinbar so trägen Organismen am Meeresboden der Antarktis wie etwa einige Schwämme oder Seescheiden sehr schnell auf gute Lebensbedingungen reagieren – schnell wachsen oder sich stark vermehren. Das Beunruhigende: Bei ungünstigen Umweltbedingungen reagieren sie aber auch besonders empfindlich. Mit den starken Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, könnten diese Arten ebenfalls Probleme bekommen.

Während sich seit längerem vor allem die antarktische Halbinsel erwärmt hat, die in den Südatlantik hineinragt, haben die Erwärmung und damit der Verlust von Meereis in den vergangenen drei Jahren auch auf die Ostantarktis übergegriffen. Ob das ein langfristiger Trend ist oder nur eine kurzfristige Veränderung, können die Experten noch nicht sagen. In jedem Fall aber ist diese Veränderung der physikalischen Umweltparameter beunruhigend, weil sie einen erheblichen Einfluss auf die künftige Entwicklung des Lebens im Südlichen Ozean haben könnte.


Der Rückgang des Eises an Land und auf Seen führt zu einer Vermischung von bisher durch die Vereisung bedingte Trennung von Populationen von Fadenwürmern.

Wie viel CO2 kann die Antarktis schlucken?

Unklar ist bislang auch noch, inwieweit ein Verlust von Meereis dazu beiträgt, dass die Gewässer um die Antarktis durch verstärktes Algenwachstum künftig mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen werden oder nicht. Grundsätzlich nehmen Fachleute an, dass das Algenwachstum zunimmt, wenn sich das Meereis zurückzieht, weil die Algen dann beispielsweise stärker vom Licht beschienen werden. Da Algen beim Wachsen über die Photosynthese Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen, kann das dem Klimawandel entgegenwirken. Seit längerem deuten einfache Prognosen darauf hin, dass die Algen in den Gewässern um die Antarktis rund 25 Prozent mehr CO2 schlucken würden, wenn das Gebiet künftig im Südsommer gänzlich frei von Meereis wäre. Doch zeigt die aktuelle Studie, dass solche pauschalen Aussagen schwierig sind. „Die von uns analysierten Publikationen machen klar, dass die Situation geographisch sehr unterschiedlich ist“, sagt Julian Gutt. „Aber immerhin wissen wir jetzt, welche Meeresgebiete und Messgrößen wir uns künftig genauer anschauen müssen, um Antworten zu finden.“

Knackige Kernbotschaften

Dass ausgerechnet in den vergangenen Jahren so viele neue Fakten zusammengetragen worden sind, führen die Autorinnen und Autoren der Studie vor allem auf die technische Entwicklung zurück – etwa von molekularbiologischen Methoden, von neuen Schiffen und Stationen oder auch autonomen Unterwasserfahrzeugen, von denen einige sogar unter dem Eis navigieren können. Neue numerische und konzeptionelle Modelle wiederum helfen dabei, die Zusammenhänge in den Ökosystemen besser zu verstehen. Für Julian Gutt besteht die Leistung dieser Studie vor allem darin, dass es den 25 Autorinnen und Autoren gelungen ist, sich auf zehn Kernbotschaften zu einigen, die recht plakativ die Ergebnisse zusammenfassen und auch einen Blick in die Zukunft werfen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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