Somatisches Nervensystem


Das Somatische Nervensystem (s. N.; von griech. σῶμα soma „Körper“), animale oder animalische Nervensystem (von lat. anima „Das Beseelte, Lufthauch, Wind“) bzw. cerebrospinale Nervensystem oder auch willkürliche Nervensystem bezeichnet eine funktionelle Unterteilung und Abgrenzung des Nervensystems des Menschen und aller anderen Wirbeltiere. Es wird dem vegetativen Nervensystem (v. N.) gegenübergestellt. Im Gegensatz zum vegetativen Nervensystem ist das somatische Nervensystem für die bewusste Aufnahme von Kontakten zur Umwelt über die Sinnesorgane und die dem Willen unterworfene Motorik (Willkürmotorik) ausgezeichnet.

Bewusstseinskriterium

Das somatische Nervensystem bezeichnet den Anteil des Nervensystems, der für die bewusste Wahrnehmung von Umweltreizen (Exterozeption) und Reizen aus dem Körperinneren (Propriozeption), für die bewusste oder willkürliche Steuerung motorischer Funktionen sowie für die bewusste Nachrichtenverarbeitung (Integration) zuständig ist.

Ein Problem stellt das Bewusstseinskriterium bei Wirbeltieren dar, denen ebenfalls ein somatisches Nervensystem zugesprochen wird (siehe Einleitung). Auch bei eventuellen Zweifeln hinsichtlich des Zutreffens dieser Voraussetzung ist auch hier eine Einteilung von Körperreaktionen nicht abzuweisen, die automatisch ablaufen (vegetatives Nervensystem) und solchen, die meist durch Reize aus der Umwelt, willentlich gesteuert werden (somatisches Nervensystem).

Gültigkeit des Bewusstseinskriteriums

Die Unterscheidung des somatischen vom vegetativen Nervensystem anhand des Bewusstseinskriteriums zieht eine harte Trennlinie, die so in der Realität nicht aufrechterhalten werden kann: Viele viszeroafferente Signale haben durchaus eine bewusstwerdende Komponente, so wie beispielsweise Geruch und Geschmack oder der „Eingeweideschmerz“. Dass Geruch und Geschmack dennoch viszerale/vegetative Reizbahnen sind, erkennt man an der starken Affekthaftigkeit dieser Wahrnehmungen und den viszeralen Reaktionen, die sie in der Lage sind auszulösen (Erbrechen, Übelkeit). Auf der anderen Seite existiert auch bei höheren Wirbeltieren etwas wie eine halbwillkürliche Motorik im Bereich der Schlundbogenmuskulatur: Die Mimik des Gesichts ist beispielsweise nur zum Teil der Willkür unterworfen, Affekte kommen hier auch unwillkürlich oder sogar gegen den Willen zum Ausdruck. Der Schluckvorgang als weiteres Beispiel kann sowohl willkürlich als auch unwillkürlich eingeleitet werden (Extrapyramidal-motorisches Nervensystem).

Eine strenge Abgrenzung zwischen bewussten und unbewussten neuronalen Funktionen ist auch deshalb schwierig, weil die Begriffe bewusst und unbewusst zwar logisch voneinander zu trennen sind, nicht aber in der Praxis, da neben diesem begrifflichen Gegensatzpaar vor allem in der Wahrnehmungspsychologie fließende vorbewusste Übergänge bestehen. Bei der Begriffsbestimmung des sog. psychophysischen Niveaus sollte daher auch eine Zone des „Niemandslands“ berücksichtigt werden.

In der rein begrifflichen Unterscheidung zwischen vegetativem und animalem Nervensystem kommen auch historische Unterscheidungen zum Ausdruck, die sich auf die seit Galenos und Paracelsus bekannten Begriffe der „spiritus animales“ beziehen, durch die Theorien des Animismus und Vitalismus fortgesetzt wurden und sich auf das Leib-Seele-Problem beziehen. Dieses Problem kann jedoch nicht unabhängig vom Bewusstseinskriterium gesehen werden.[1] Zur Bezeichnung → „somatisch“ siehe auch die unter diesem Stichwort erläuterte Bedeutung in der Neurologie.

Andere Kriterien

Zur Propädeutik: Sympathisches Nervensystem und Parasympathisches Nervensystem als Untergruppen des vegetativen Nervensystems

Die Unterscheidung zwischen somatischem und vegetativem Nervensystem ist nicht nur aufgrund des Bewusstseinskriteriums, sondern auch aufgrund anatomischer, physiologischer und pharmakologischer Kriterien möglich.

Anatomie und Histologie

Ähnlich wie das vegetative Nervensystem ist auch das somatische Nervensystem in Afferenzen und Efferenzen gegliedert.

Afferenzen

Die afferenten Neuronen des somatischen Nervensystems sind die aufsteigenden Projektionsbahnen. Sie führen zu den Projektions- und mittelbar auch zu den Assoziationszentren. Aufsteigende Projektionsbahnen sind z. B. die Sehstrahlung und Teile der Hörbahn. Afferenzen sind allgemein die zu den cerebralen Projektionszentren verlaufenden Nervenbahnen der Sinnesorgane wie der Riechbahn (Tractus olfactorius) N.I, der Sehbahn (Tractus opticus) N.II, der Hörbahn N.VII, der Gleichgewichtsbahn N.VII und den Geschmacksbahnen verschiedener Hirnnerven (Tractus solitarii) N.V, N.VII, N.IX, N.X. Diese Bahnen bestehen aus unterschiedlich gestaffelten Neuronenketten, die Sehbahn z. B. aus einer Kette von insgesamt 4 Neuronen, die dorsale Hörbahn aus einer Kette von 3 Neuronen.[2]

Efferenzen

Efferente motorische Nervenfasern des somatischen Nervensystems versorgen stets quergestreifte Muskulatur (Skelettmuskulatur). Unter den motorischen Bahnen des somatischen Nervensystems sind die motorischen Anteile der Hirnnerven zu nennen, die quergestreifte Muskulatur versorgen und die Pyramidenbahn (PS), welche die übrige Skelettmuskulatur versorgt. Auch das extrapyramidalmotorische System (EPS) versorgt quergestreifte Muskulatur, die entsprechenden motorischen Abläufe sind jedoch weitgehend automatisiert, weil das EPS die vom PS bereits „eingefahrenen“ willkürlichen Bewegungen übernimmt.[2] Somatomotorische Anteile besitzen folgende Hirnnerven: Nn. III, IV, VI, XI und XII. Die motorischen Hirnnervenfasern der Nn. V, VII, IX und X werden als Kiemenbogennerven bezeichnet, ihre Tätigkeit als viszeromotorisch. Die Nervenfasern der durch die Pyramidenbahn versorgten Muskulatur besteht aus zwei in Serie geschalteten Motoneuronen, die Fasern der von den Hirnnerven versorgten Muskulatur aus einem Motoneuron.[3]

Histologie

Während efferente motorische Nervenfasern des somatischen Nervensystems stets quergestreifte Muskulatur (Skelettmuskulatur) versorgen, innervieren efferente motorische Nervenfasern des vegetativen Nervensystems in der Regel glatte Muskulatur (z. B. Gefäße oder Darm).[4] Ausnahme: Die Nerven des vegetativen Nervensystems versorgen zum Teil auch Skelettmuskelfasern.[5]

Physiologie

Die dem Bewusstsein unterstellte Tätigkeit der quergestreiftem Muskulatur ist zur Leistungssteigerung auf Unterstützung durch das Vegetativum (vegetatives Nervensystem) angewiesen. Zur Leistungssteigerung cerebrospinaler Funktionen sind sog. ergotrope Reaktionen wesentlich. Diese sind durch den Sympathicus gewährleistet. Afferente vegetative Nerven innerer Organe haben teilweise bewusstseinsfähige Signalwirkung. Geruchs- und Geschmacksnerven haben andererseits wie schon gesagt nahe Beziehungen zum Verdauungssystem, das als größtes vegetatives Organ anzusehen ist. Damit ist ebenfalls eine Beziehung des cerebrospinalen zum vegetativen Nervensystem gegeben. Das Großhirn als Ort der bewussten Wahrnehmung verfügt nicht nur über primäre Geruchs- und Geschmackszentren, sondern ist auch mit vegetativen sympathischen und parasympathischen Nervenbahnen ausgestattet.[6]

Pharmakologie

Pharmakologisch ist auf unterschiedliche Überträgerstoffe für vegetatives und somatisches Nervensystem hinzuweisen. Sogenannte adrenerge und nikotinähnliche Neurotransmitter sind nur im vegetativen Nervensystem wirksam. Im somatischen Nervensystem ist lediglich Acetylcholin als physiologische Überträgersubstanz zu erwähnen. Sie hat jedoch überschneidend mit dem Vegetativum auch Wirkung für die parasympathischen Nerven des vegetativen Nervensystems. Es gibt auch spezifische pharmakologische Hemmstoffe wie Alphablocker und Betablocker für das sympathische Nervensystem, Atropin für das parasympathische Nervensystem und z. B. Curare für das somatische Nervensystem.[7]

Nomenklatur und Gliederung

Sowohl vegetatives als auch somatisches Nervensystem haben periphere und zentrale Anteile – diese Einteilung spiegelt einen topographischen Ansatz wider. Daraus ergeben sich die Kombinationen: zentral-somatisch, zentral-vegetativ, peripher-somatisch, peripher-vegetativ.

Dasselbe gilt für den dritten Ansatz einer Gliederung: die Richtung des Signals. Hier unterscheidet man zwischen sensorisch und motorisch bzw. zwischen afferent und efferent.

Einzelnachweise

  1. Ackerknecht, Erwin H.: Kurze Geschichte der Psychiatrie. Enke, Stuttgart 31985, ISBN 3-432-80043-6; Seiten 31, 36
  2. 2,0 2,1 Hermann Voss, Robert Herrlinger: Taschenbuch der Anatomie. Band III: Nervensystem, Sinnessystem, Hautsystem, Inkretsystem. Fischer, Jena 1964; (a) zu Stw. „Anzahl verknüpfter Neurone“: S. 69ff.; (b) zu Stw. „EPS“: S. 21f.
  3. Eduard M. W. Weber: Schemata der Leitungsbahnen des Menschen. Lehmanns, München 1960; Tab. IV, Nervi craniales
  4. Max Watzka: Kurzlehrbuch der Histologie und mikroskopischen Anatomie des Menschen. 3. Auflage. Schattauer, Stuttgart 1964, S. 49ff.
  5. Alfred Benninghoff u. a.: Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Dargestellt unter Bevorzugung funktioneller Zusammenhänge. 3. Band: Nervensystem Haut und Sinnesorgane. Urban und Schwarzenberg, München 1964, S. 356.
  6. Hermann Rein, Max Schneider: Physiologie des Menschen. 15. Auflage. Springer, Berlin 1964; zu Stw. „Ergotrope Reaktion“: S. 405, 543; zu Stw. „Cerebrospinales Nervensystem“: S. 471ff.
  7. G. Kuschinsky, H. Lüllmann: Pharmakologie. 3. Auflage. Thieme, Stuttgart 1967, S. 1ff. und 100ff.

Siehe auch