Psychoneuroimmunologie


Die Psychoneuroimmunologie (PNI) oder Psychoimmunologie ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, das sich mit der Wechselwirkung der Psyche, des Nervensystems und des Immunsystems beschäftigt. Ein Nachbargebiet ist die Psychoneuroendokrinologie, das außerdem die Wechselwirkungen des Hormonsystems mit einbezieht.

Das Forschungsgebiet wurde etabliert, nachdem der amerikanische Psychologe Robert Ader 1974 experimentell nachwies, dass das Immunsystem mit dem zentralen Nervensystem zusammenarbeitet und lernen kann. Seitdem ist es zu einem der bedeutendsten Gebiete moderner medizinischer Forschung geworden.[1]

Eine Grundlage ist die Erkenntnis, dass Botenstoffe des Nervensystems auf das Immunsystem und Botenstoffe des Immunsystems auf das Nervensystem wirken. Schnittstellen der Regelkreise sind das Gehirn mit der Hirnanhangdrüse, die Nebennieren und die Immunzellen. Beispielsweise besitzen Neuropeptide die Eigenschaft, an Immunzellen anzudocken und z. B. die Geschwindigkeit als auch Bewegungsrichtung von Makrophagen zu beeinflussen.

Durch diese Grundlage werden Erklärungen möglich, warum psychologische und psychotherapeutische Prozesse sich nachweisbar auf körperliche Funktionen auswirken (Psychosomatik). Im Mittelpunkt steht die Wirkung der Psyche auf das Immunsystem, z. B. warum Stress Immunfaktoren negativ beeinflussen kann.

Geschichte

Erste Hinweise auf psychoneuroimmunologische Wechselwirkungen wurden bereits 1878 von Louis Pasteur vermutet. Er stellte fest, dass Hühner unter Stressbelastung eine höhere Infektionsanfälligkeit aufweisen.[2]

Im Jahr 1957 wies Rasmussen nach, dass Stress bei Mäusen die Anfälligkeit für Herpes simplex Infektionen erhöht.[3]

1975 fanden der Psychologe Robert Ader und der Immunologe Nicholas Cohen von der University of Rochester (US-Bundesstaat New York) die immunsuppressive Wirkung von Cyclophosphamid heraus.[4] Ihre Arbeit kann als die Geburtsstunde der PNI angesehen werden.

In den 1980er Jahren wurden die meisten der am Immunsystem beteiligten Zellen erstmals beschrieben. Die Kenntnis über die Kommunikation der Immunzellen untereinander sowie die Steuerung und Regulierung der Immunantwort legte die Basis dafür, dass auch neurologische Steuerungsmechanismen des Immunsystems genauer erforscht werden konnten.

Bis heute gibt es jedoch noch eine Fülle von Funktionen und Interaktionen bei den Immunzellen, die noch nicht vollständig erforscht sind. So befindet sich auch die PNI noch im Stadium der Grundlagenforschung. Die Entwicklung von neuen Therapien durch die Erkenntnisse der PNI ist heute noch nicht in Sicht.

Abhängigkeiten der Immunzellen von der Psyche

Nachgewiesen ist das Absinken der Konzentration von sekretorischem Immunglobulin A im Speichel und die vermehrte Ausschüttung von Glukokortikoiden (wirken als Immunsuppressiva) bei chronischem Stress. Kortikosteroide hemmen die Zytokin-Produktion, mindern die Reaktivität von T- und B-Lymphozyten und die Aktivität der natürlichen Killerzellen.

Durch die verschlechterten Immunfaktoren steigt die Infektionshäufigkeit und es kann die Entstehung bzw. Verschlechterung von Krankheiten begünstigt werden. Dies wird als „Open-Window-Phänomen“ bezeichnet, d. h. ein geschwächtes Immunsystem kann Krankheitserreger nicht mehr ausreichend beseitigen.

Ferner werden diese Abhängigkeiten vermutet:

  • „Die Neigung Ärger zu unterdrücken“ und Beta-Endorphin
  • „Depression“ und CD8+ T-Suppressorzellen
  • „Neugierde“ und CD4+ T-Helferzellen
  • „Zunahme der situativen momentanen Angst“ und sinkender IL-2-Rezeptorenbesatz

Negative psychische Einflussfaktoren auf die Immunabwehr

Stress

Klinische und experimentelle Befunde zeigen, dass die Auswirkungen von Stress auf das Immunsystem sehr unterschiedlich sind. Das liegt daran, dass es unterschiedliche Arten von Stress gibt und diese zudem auch unterschiedlich wahrgenommen werden.

Folgende Eigenschaften der Stressoren müssen unterschieden werden:

  • Dauer (wenige Minuten bis zu lange anhaltenden oder chronischen Belastungen)
  • zeitlich zurückliegende Stressoren die Traumata hinterlassen haben
  • das subjektive Empfinden des Stressors als Herausforderung oder als bedrohliche und überfordernde Situation

Verschiedene Experimente zeigen übereinstimmend, dass akuter Stress die Aktivität des unspezifischen, angeborenen Immunsystems steigert. Es kann innerhalb weniger Minuten heraufgefahren werden und daher viel schneller reagieren, als das adaptive Immunsystem. Außerdem verbraucht das angeborene Immunsystem weniger Energie. Evolutionsbiologisch mag diese Reaktion von Vorteil gewesen sein, da in gefährlichen Situationen, in denen Kampf oder Flucht erforderlich waren, kleinere Verletzungen und dadurch Kontakt mit Pathogenen häufiger vorkamen. Eine erhöhte Einsatzbereitschaft des unspezifischen Immunsystems wäre für solche Situationen ein besserer Schutz.

Bei chronischen Stressoren wurden sowohl bei dem angeborenen, als auch bei dem adaptiven Immunsystem sowohl eine allgemeine Immunsuppression als auch Fehlfunktionen beobachtet.[5]

Depression

Verschiedene Studien haben nachgewiesen, dass Depressionen mit Veränderungen der Immunfunktionen einhergehen. Die Auswirkungen sind jedoch sehr vielfältig und ergeben nach dem aktuellen Stand der Forschung noch kein einheitliches Bild. Übereinstimmend wird festgestellt, dass die Aktivität der NK-Zellen verringert wird. Dadurch ist ein wesentlicher Pfeiler des Immunsystems geschwächt. Durch die Einnahme von Antidepressiva steigt die Aktivität der NK-Zellen wieder an.

Angst

Bei Patienten mit Angststörungen wurden bisher unterschiedliche Auswirkungen auf das Immunsystem nachgewiesen. Übereinstimmend wurde eine Verringerung der Lymphozyten-Produktion beobachtet. Hier sind noch weitere Forschungen erforderlich, um eine genauere Zuordnung der funktionalen Veränderungen der Immunabwehr zu dem psychischen Auswirkungen der Ängste zu ermöglichen.

Positive psychische Einflussfaktoren auf die Immunabwehr

Die Persönlichkeitseigenschaften, die ein angenehmes Lebensgefühl verbreiten, korrelieren mit einer besseren Funktionsfähigkeit des Immunsystems.

Optimismus

Menschen mit einer optimistischen Lebenseinstellung gehen davon aus, dass alles ein gutes Ende finden wird.

Verschiedene Studien konnten zeigen, dass Optimismus die Funktionen des Immunsystems verstärkt und die negativen Auswirkungen von Ängsten abmildert.

In mehreren Studien wurde nachgewiesen, dass Optimismus mit einem langsameren Krankheitsverlauf bei HIV-positiven Patienten einhergeht. Umgekehrt wurde bei Patienten, die sich selbst aufgegeben haben, eine schnellere Verschlechterung des Gesamtzustandes beobachtet.[6] Langzeituntersuchungen an HIV-positiven Patienten zeigten, dass z.B. die NK-Zellen eine höhere Toxizität und eine höhere Aktivität aufweisen.

Selbstwert

Unter Selbstwert versteht man den Eindruck oder die Bewertung, die man von sich selbst hat.

In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass nach einer Röteln-Infektion die Anzahl der Antikörper mit einem höheren Selbstwert der Patienten korreliert.[7]

Selbstwirksamkeit

Als Selbstwirksamkeit bezeichnet man den Glauben, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen erfolgreich selbst ausführen zu können. Es gibt Gemeinsamkeiten zum Optimismus, der ganz allgemein an ein gutes Ende aller Dinge glaubt. Bei der Selbstwirksamkeit liegt der Schwerpunkt jedoch auf dem Glauben an die eigene Fähigkeit, das gute Ende herbeiführen zu können.

Untersuchungen liegen hier ebenfalls aus dem Bereich der HIV-Forschung vor. Es wurde nachgewiesen, dass Patienten mit einer hohen Selbstwirksamkeit eine geringere Konzentration von Viren im Blut aufweisen, eine weniger häufige Ausprägung der AIDS-Symptome und eine geringere Sterblichkeitsrate aufweisen.

Soziale Bindungen

Die Bindungstheorie geht davon aus, dass Menschen ein angeborenes Bedürfnis haben, enge und von intensiven Gefühlen geprägte Beziehungen zu Mitmenschen aufzubauen. Das Erleben sozialer Unterstützung gibt Anerkennung, Identität, Zugehörigkeit und Sicherheit.

Durch mehrere Studien wurde nachgewiesen, dass die soziale Unterstützung durch Freunde und Familie korreliert mit einer hohen Anzahl von NK-Zellen sowie einem guten Gleichgewicht diverser am Immunsystem beteiligten Zellen. In psychisch belastenden Situationen wirken sich gute soziale Beziehungen stimulierend auf die erworbene Immunität aus.[8]

Versuchspersonen, die mit Erkältungsviren in Kontakt gebracht wurden, erkrankten mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit an einer Erkältung, wenn sie über eine größere soziale Aufgeschlossenheit verfügten.

Positive Gefühle

Gefühle der Dankbarkeit, der Fröhlichkeit, der Begeisterung und des Stolzes haben nicht nur Auswirkungen auf schnellere Heilungserfolge nach Verletzungen oder Operationen, sondern auch auf die Effektivität und Regulierung des Immunsystems. Bei HIV-infizierten Männern konnte eine geringere Sterblichkeitsrate nachgewiesen werden. Allgemein wurde eine höhere Resistenz gegen Rhinoviren, die Erreger von Schnupfen und Erkältung festgestellt.

Wenn negative Gefühle vorherrschend sind, so zeigt sich eine Tendenz zu einem Verlust der Balance im Immunsystem an verschiedenen Stellen. Die Folge ist, dass das gesamte System nicht mehr so effektiv arbeiten kann und demzufolge Infektionen nicht so schnell erkannt und bekämpft werden können.

Schon das Anschauen eines lustigen Videos bewirkt einen Anstieg der Anzahl diverser am Immunsystem beteiligten Zellen.[9]

Literatur

  • J. Hennig: Psychoneuroimmunologie. 1998, ISBN 3-8017-1205-2.
  • Manfred Schedlowski, Uwe Tewes: Psychoneuroimmunologie. Spektrum Akademischer Verlag, 1996, ISBN 3-86025-228-3.
  • Niels Birbaumer, Robert Franz Schmidt: Biologische Psychologie. 7., überarb. und erg. Auflage. 2010, ISBN 978-3-540-95937-3.
  • Rainer H. Straub: Vernetztes Denken in der biomedizinischen Forschung. Psycho-Neuro-Endokrino-Immunologie. 2005, ISBN 3-525-45050-8.
  • Christian Schubert: Psychoneuroimmunologie und Psychotherapie. Schattauer Verlag, 2011, ISBN 978-3-7945-2700-7.
  • Ulrike Ehlert, Roland von Känel (Hrsg.): Psychoendokrinologie und Psychoimmunologie. Springer Verlag, 2011, ISBN 978-3-642-16963-2.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Daniel Goleman: Emotional Intelligence. Why It Can Matter More Than IQ. 1. Auflage. Bantam, New York 1995, ISBN 0-553-09503-X.
  2. L. Pasteur, J. Jourbert, R. Chamberland: Le charbon des poules. In: Compt Rend Acad Sci. 87, 1878, S. 47.
  3. A.F. Rasmussen, J.T. Marsh, N.Q. Brill: Increased susceptibility to herpes simplex in mice subject to avoidance learning stress or restraint. In: Proceedings of the Society for Experimental Biologie and Medicine. 96, 1957, S. 183.
  4. R. Ader, N. Cohen: Behaviorally conditioned immunosuppression. In: Psychosomatic Medicine. Vol 37, Issue 4 1975, S. 333–340.
  5. Christian Schubert: Psychoneuroimmunologie und Psychotherapie. Schattauer Verlag 2011, ISBN 978-3-7945-2700-7, S. 116.
  6. J.E. Milram, J.L. Richardson, G. Marks, C.A. Kemper, A.J. McCutchan: The roles of dispositional optimism and pessimism in HIV disease progression. In: Psychol Helth. 2004; 19, S. 167–181.
  7. M. Morag, A. Morag, A. Reichenberg, B. Lerer, R. Yirmiya: Psychological variables as predictors of rubella antibody titers and fatigue - a prospective, double bind study. In: J Psychiatr Res. 1999; 33, S. 389–395.
  8. T. Miyazaki, S. Ishilkawa, A. Natata u. a.: Association between perceived social support and Th1 dominance. In: Biol Psychology. 2005; 70, S. 30–37.
  9. S. D. Pressman, S. Cohen: Does positive affect influence health? In: Psychological Bullentin. 2005; 131, S. 926–971.

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