Stadtleben: Wie man seinen Lebensraum mit Menschen teilt



Bio-News vom 02.04.2024

Tiere können im menschlichen Umfeld leben, wenn sie Risiken gut einschätzen können. Forscher haben nun das Verhalten von Großschwanzgrackeln untersucht, einer Vogelart, die sich in den letzten Jahren erfolgreich über weite Teile des städtischen Nordamerikas ausgebreitet hat.

Die Studie ergab, dass die Ausbreitung von männlichen Grackeln vorangetrieben wird, die dazu neigen, Risiken zu vermeiden. Diese Eigenschaft kommt ihnen in chaotischen Umgebungen wie Städten zugute. Die neuen Erkenntnisse liefern faszinierende Einblicke, wie und warum Tiere und Menschen zusammenleben können.


Männliche Großschwanzgrackel bei der Nahrungssuche auf einem Parkplatz.

Publikation:


Alexis J. Breen, Dominik Deffner
Risk-sensitive learning is a winning strategy for leading an urban invasion

eLife (2024)

DOI: 10.7554/eLife.89315



“Für Tiere ist das Zusammenleben mit dem Menschen eine riskante Angelegenheit. Doch einige Arten, wie zum Beispiel die Grackeln, kommen in einer von Menschen dominierten Umgebung eindeutig besser zurecht und suchen diese sogar gezielt auf. Wir wollten herausfinden, was das Erfolgsgeheimnis der Grackeln in der Stadt ist”, sagt Breen. Die aktuelle Studie basiert auf neuen Analysen des Fressverhaltens dieser Vogelart. Deffner erklärt:



Deffner weiter: “Um mit diesen Unsicherheiten zurechtzukommen, dachten wir, dass die Grackeln bei der Nahrungssuche eine ganz bestimmte Strategie verfolgen könnten.” In drei verschiedenen Populationen untersuchten die Forschenden zunächst, wie schnell die Grackeln lernten, dass das Futter an einem ganz bestimmten Ort versteckt war und nicht an einem anderen. Dann untersuchten sie, wie schnell die Grackeln umlernten, wenn sich der Ort des Futters änderte.


Schwarm von Großschwanzgrackeln auf Stromleitungen.

Bei der Besiedlung von Städten auf Nummer sicher gehen

“Unser wichtigstes Ergebnis ist, dass die männlichen Grackeln in allen drei Populationen schneller lernten, an welchem neuen Ort sich das Futter befand, als ihre weiblichen Artgenossen. Männliche Grackeln scheinen bei der Futtersuche in unberechenbaren Umgebungen effizienter zu sein als Weibchen”, sagt Breen.

Warum das so ist? “Im Gegensatz zu den Weibchen sind die Männchen beim Lernen sehr risikobewusst. Sie achten sehr genau darauf, wo sie zuletzt Nahrung gefunden haben, und fressen dann lieber dort, als anderswo nach Nahrung zu suchen”, erklärt Deffner. Diese Strategie konnte das Forschungsteam mit Hilfe eines Simulationsmodells aus dem Fressverhalten der Grackeln ableiten.

“Das unterschiedliche Lernverhalten von männlichen und weiblichen Grackeln ist biologisch sinnvoll”, sagt Breen und fügt hinzu: “Bei dieser Vogelart sind es die Männchen, die sich ausbreiten und in neue Gebiete ziehen – sie führen die Besiedlung städtischer Lebensräume an. Als Anführer sollten männliche Grackeln also vorsichtig sein, denn neue Stadtviertel bringen neue Herausforderungen mit sich”. Das Autorenteam geht davon aus, dass später eintreffende Weibchen die gleichen Herausforderungen meistern, indem sie von den bereits etablierten und somit "erfahreneren" Männchen lernen.

Risikobewusstsein hilft in unberechenbaren Umgebungen

Am Computer simulierten die Forschenden evolutionäre Prozesse und untersuchten, welche Lernstrategien in unberechenbaren Umgebungen wie Städten zum Erfolg führen. Deffner erklärt: "In der Simulation lernen die Tiere, wie sie in einer städtischen Umgebung Nahrung finden. Die Lernstrategie, die sie bei der Futtersuche anwenden, bestimmt, wie viel Nahrung ihnen zur Verfügung steht. Wie viel sie fressen, bestimmt wiederum, ob sie Nachwuchs bekommen, der auf eine ähnliche Weise lernt. So werden über viele Generationen die Tiere mit der besten Lernstrategie die städtische Umwelt dominieren. Diese 'Gewinner' geben uns eine Vorstellung davon, wie Tiere generell im Anthropozän gedeihen können.”

Welche Strategie bevorzugen Lernende in städtischen Umgebungen? "Auffällig ist, dass Risikobewusstsein in unsicheren Situationen zum Erfolg führt. Das deutet darauf hin, dass risikobewusste Individuen, wie die männlichen Grackeln, besser an chaotische Umgebungen angepasst sind, unabhängig davon, ob diese Bedingungen von Menschen verursacht wurden oder nicht", sagt Breen.

“Unsere Studie zeigt überzeugend, wie und warum Grackeln in unvorhersehbaren städtischen Umgebungen gedeihen”, schlussfolgert Breen. “Wir verbinden die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Lernstrategien von Grackeln mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Frage, wer die Ausbreitung ihrer Art in städtische Lebensräume anführt. Und wir zeigen, dass Risikobewusstsein wahrscheinlich eine gute Strategie für viele Tiere ist, die mit Menschen zusammenleben".

Um zukünftige Studien zur Koexistenz von Mensch und Tier zu erleichtern, hat das Forschungsteam ein Online-Repositorium eingerichtet, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftern sowie der Öffentlichkeit freien Zugang zu den eigens entwickelten Modellierungswerkzeugen bietet. “Wir hoffen, dass diese Open-Science-Ressource auch für andere nützlich sein wird", sagt Deffner.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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