Mikroben helfen bei der Anpassung an den Klimawandel



Bio-News vom 04.07.2022

Forschende aus Kiel und Düsseldorf untersuchen am Beispiel der Seeanemone Nematostella vectensis den Beitrag des Mikrobioms zur Temperaturanpassung von Lebewesen.

Alle vielzelligen Lebewesen sind von einer unvorstellbar großen Anzahl von Mikroorganismen besiedelt und haben sich in der Entstehungsgeschichte des Lebens von Beginn an gemeinsam mit ihnen entwickelt. Das natürliche Mikrobiom, also die Gesamtheit dieser Bakterien, Viren und Pilze, die in und auf einem Körper leben, ist von fundamentaler Bedeutung für den Gesamtorganismus: Es übernimmt zum Beispiel von der Unterstützung der Nährstoffaufnahme bis hin zur Abwehr vor Krankheitserregern lebenswichtige Aufgaben für den Wirtsorganismus. Ein Forschungsteam von der der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) ist nun der Frage nachgegangen, wie das Mikrobiom einen Organismus bei der Anpassung an geänderte Umweltbedingungen unterstützen kann.


Die Seeanemone Nematostella vectensis, hier bei der Eiablage, kann ihre Temperaturanpassung durch die Weitergabe bestimmter Bakterien direkt an ihre Nachkommen vererben.

Publikation:


Laura Baldassarre, Hua Ying, Adam M. Reitzel, Sören Franzenburg, Sebastian Fraune
Microbiota mediated plasticity promotes thermal adaptation in the sea anemone Nematostella vectensis
Nat Commun 13, 3804 (2022

DOI: 10.1038/s41467-022-31350-z



In einer Studie im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ haben sie in einem sogenannten Akklimatisierungsexperiment die Beteiligung des Mikrobioms an der Temperaturanpassung der Anemonen untersucht. Die Forschenden um HHU-Professor Sebastian Fraune, Projektleiter im Kieler SFB 1182, konnten zeigen, dass sich die Bakterienbesiedlung der Tiere infolge der Akklimatisierung ändert und deren Organismus zudem resistenter gegenüber Hitzestress wird. Zusätzlich gelang es ihnen, einen ursächlichen Zusammenhang zu belegen: Übertrugen sie das Mikrobiom der wärmeangepassten auf nicht akklimatisierte Anemonen, wurden auch diese unempfindlicher gegenüber höheren Temperaturen. Ihre besonders hinsichtlich sich ändernder Umweltbedingungen infolge des Klimawandel bedeutsamen Ergebnisse veröffentlichte das Forschungsteam des SFB 1182 kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Communications.

Mehrjähriges Akklimatisierungsexperiment

Grundlage der neuen Arbeit ist ein vom „Human Frontier Science Program (HFSP)“ gefördertes Langzeitexperiment, in dem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit mehr als vier Jahren die Anpassung der Anemonen an geänderte Umweltbedingungen untersuchten. Dazu arbeiteten sie mit Klonen eines einzigen Ursprungstiers und verglichen jeweils 50 genetisch identische Anemonen in 15 verschiedenen Kolonien miteinander. Diese Kolonien unterteilten die Forschenden in drei Gruppen, die bei 15, 20 und 25 Grad Celsius gehalten wurden um ihre Akklimatisierung oder Anpassung an unterschiedliche Temperaturbedingungen zu analysieren. Im Laufe des langen Beobachtungszeitraums zeigten sich charakteristische Änderungen im sogenannten Phänotyp der Anemonen, also ihrer äußeren Gestalt einschließlich der physiologischen Eigenschaften: Unter anderem erreichten die Tiere bei niedrigeren Temperaturen eine gesteigerte Körpergröße und änderten ihren Fortpflanzungsmodus. Besonders interessant waren zudem Änderungen in der Temperaturtoleranz. „Die Anemonen unterschieden sich sehr stark in der Stressresistenz gegenüber hohen Temperaturen. Setzten wir sie für sechs Stunden einem sehr starken Temperaturstress von 40 Grad Celsius aus, überlebten fast ausschließlich die bei 25 Grad Celsius akklimatisierten Tiere“, sagt Laura Baldassarre, ehemalige Mitarbeiterin in Fraunes Arbeitsgruppe und Erstautorin der Studie.

Frühere Forschungsarbeiten deuteten darauf hin, dass die Anpassung an den Temperaturstress mit Veränderungen in der Mikrobiomzusammensetzung der Tiere zusammenhängen könnten. Auch die Analyse der Bakterienbesiedlung der verschiedenen Bakterienkolonien des Akklimatisierungsexperiments untermauerte erneut diese Vermutung, denn auch das Mikrobiom der akklimatisierten Tiere änderte sich gegenüber ihren nicht angepassten Artgenossen. „Dass diese Anpassungen, die sogenannte phänotypische Plastizität eines Lebewesens, von Bakterien mit gesteuert werden können, erscheint sehr plausibel. Die viel kürzeren Generationszeiten der Mikroorganismen erlauben eine deutlich schnellere Anpassung, als es über genetische Rekombination des Wirtslebewesens möglich wäre“, betont Prof. Fraune. Ob zwischen der Veränderung des Mikrobioms und der Temperaturanpassung tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang besteht, war bisher jedoch nicht belegt.

Mikrobiomtransplantation liefert Bestätigung

„In einem Transplantationsexperiment haben wir anschließend die Mikrobiome von den an 15, 20 und 25 Grad Celsius akklimatisierten Anemonen auf nicht temperaturangepasste, aber genetisch identische Tiere übertragen. Es zeigte sich, dass die Tiere, die das Mikrobiom der bei 25 Grad Celsius akklimatisierten Anemonen erhalten haben, anschließend ebenfalls die Toleranz gegenüber hohen Temperaturen übernahmen“, sagt Laura Baldassarre. Wenn das gesamte Mikrobiom eines Tieres übertragen wird, lässt sich so also tatsächlich auch der Phänotyp mit seiner geänderten Temperaturtoleranz transplantieren. „Uns ist es damit gelungen, einen kausalen Zusammenhang von Mikrobiomzusammensetzung und Umweltanpassungen herzustellen. Damit bestätigen wir experimentell das Hologenom-Konzept, das die Evolution als Entwicklung von Wirtslebewesen mit ihren besiedelnden Mikroorganismen hin zu gemeinsamen Fitnessvorteilen für den gesamten Metaorganismus definiert“, so Prof. Fraune.

Anschließend analysierte das Forschungsteam, ob das aufgrund von Temperaturanpassungen geänderte Mikrobiom zwischen den Anemonen weitergegeben werden kann – eine notwendige Voraussetzung für einen dauerhaften Akklimatisierungsprozess. In einer Vorgängerarbeit konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits zeigen, dass bei Nematostella bestimmte Bakterien von der Elterngeneration an die Nachkommen weitergegeben werden können. Der evolutionäre Vorteil der Temperaturanpassung könnte also im Prinzip direkt vererbt und die dafür nötigen Bakterien müssen nicht erneut aus der Umwelt aufgenommen werden. Auch die aktuelle Studie belegte erneut die Übertragung von mütterlichen Bakterien auf die Nachkommen: Zusätzlich zeigten die Nachkommen ihrer genetisch identischen Eltern eine unter Temperaturstress höhere Überlebenswahrscheinlichkeit, wenn die Muttertiere bei 25 Grad Celsius akklimatisiert wurden.

Mechanismen auf Ebene der Einzelarten weiter erforschen

Mit den neuen Forschungsergebnissen tragen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu bei, die Rolle des Zusammenspiels von Wirtslebewesen und Mikroorganismen bei der Anpassung an sich schnell ändernde Umweltbedingungen besser zu verstehen. „Unsere Ergebnisse helfen dabei, die Mechanismen der schnellen, durch das Mikrobiom vermittelten Temperaturanpassungen und ihre Übertragung auf folgende Generationen zu erklären“, so Prof. Fraune.

In weiteren Forschungsarbeiten wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Düsseldorf und Kiel nun die Mechanismen der Akklimatisierung im Detail erforschen und dabei besonders die Rolle der beteiligten einzelnen Bakterienarten untersuchen. Dazu sind für eine geplante dritte Phase der Förderung des SFB 1182 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) detaillierte genomischen Analysen in Vorbereitung, die mögliche Einzelbeziehungen zwischen Bakterien und bestimmten Stoffwechselprozessen der Wirtszellen und deren Einfluss auf die Temperaturtoleranz des Gesamtorganismus beleuchten sollen.

„Insgesamt ist es wichtig, die bakterielle Komponente der thermischen Akklimatisierung genauer zu verstehen. Sie spielt wahrscheinlich auch in vielen anderen Lebewesen von verschiedenen Tieren und Pflanzen bis hin zu Gesamtökosystemen wie etwa Korallenriffen eine fundamentale Rolle. Ein besseres Verständnis der zugrundliegenden Prozesse ist daher von zentraler Bedeutung, um die Auswirkungen des globalen Wandels auf Arten und Lebensräume besser einschätzen oder möglicherweise abmildern zu können“, fasst Prof. Fraune zusammen.



Diese Newsmeldung wurde mit Material der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

Die News der letzten 7 Tage 6 Meldungen






warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte