Den genetischen Ursprüngen des Coronavirus auf der Spur



Bio-News vom 09.04.2020

Einer Gruppe internationaler Forschender aus der Genetik und Archäologie aus Kiel und Cambridge ist es durch Anwendung phylogenetischer Netzwerkanalysen gelungen, den Ursprung und die Verbreitung des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) nachzuvollziehen, das die Lungenkrankheit COVID-19 verursacht. Es ist die erste große, von Expertinnen und Experten begutachtete und damit qualitätsgesicherte Analyse der Entwicklung der vollständigen Erbinformationen des Virus in diesem weltweiten Ausbruch.

Bevor SARS-CoV-2 im letzten Jahr einen Menschen infizierte, hatten sich bereits Vorfahren dieses Virus in tierischen Wirten entwickelt. Nach heutigem Erkenntnisstand ist ein Fledermaus-Coronavirus dem menschlichen SARS-CoV-2 am ähnlichsten. Dies geht aus dem Vergleich der Virus-Erbinformation, dem sogenannten Virusgenom, hervor. Die Forschenden verglichen weiterhin in einer sogenannten phylogenetischen Netzwerkanalyse, d.h. in einer Untersuchung der genetischen Verwandtschaftsverhältnisse, die ersten 160 vollständigen Genome der menschlichen COVID-19-Viren, die zu Beginn des aktuellen Ausbruchs von Ende 2019 bis März 2020 von den weltweiten Forschungslaboren gesammelt wurden.


Visualisierung des Coronavirus, das die Lungenkrankheit COVID-19 verursacht

Publikation:


Peter Forster, Lucy Forster, Colin Renfrew, Michael Forster
Phylogenetic network analysis of SARS-CoV-2 genomes
PNAS

DOI: 10.1073/pnas.2004999117



Hierbei fanden die Forschenden drei zentrale Varianten, die sie als A, B und C bezeichnet haben. Typ A ist dem eng verwandten Fledermaus-Coronavirus am ähnlichsten und somit wahrscheinlich der Urahn aller menschlichen Coronaviren. Dies haben weitere Vergleiche mit zwei entfernter verwandten Pangolin-Coronavirus-Stämmen bestätigt. Interessanterweise ist der in Wuhan vorherrschende Typ B nicht der ursprüngliche menschliche Virustyp. Aber auch in Wuhan kommt Typ A, also das ursprüngliche menschliche Virusgenom, durchaus vor.

In dieser ersten Phase des Ausbruchs waren die A- und C-Typen in signifikanten Anteilen außerhalb Ostasiens zu finden – bei Betroffenen in Europa, Australien und Amerika. Im Gegensatz dazu ist der B-Typ der häufigste Typ in Ostasien. Der C-Typ ist unter anderem früh in Singapur dokumentiert worden und ist auch unter den ersten europäischen Infektionsfällen häufig vertreten.

Die Forschenden verwendeten eine sogenannte phylogenetische Netzwerkanalyse. Diese Methode war ursprünglich in der archäologischen Forschung zur Rückverfolgung der Vorgeschichte der menschlichen DNA und zur Rekonstruktion prähistorischer Sprachen entwickelt worden. Im Gegensatz zu konventionellen Stammbaummethoden ermöglicht es dieser Ansatz, hunderte mögliche Stammbäume gleichzeitig in einer übersichtlichen Darstellung anzuzeigen. Dies ist ein wesentlicher Vorteil, wenn der wahre Stammbaum unbekannt ist.

Die Anwendung dieser Methode im Fall des Coronavirus bedeutet, dass die Infektionswege für dokumentierte COVID-19-Fälle genau nachgezeichnet werden können: So wurde beispielsweise zunächst angenommen, dass der erste norditalienische Infektionsfall („Patient Eins“) von einer bestimmten Wuhan-Kontaktperson aus seinem Bekanntenkreis infiziert worden war. Doch als diese Kontaktperson getestet wurde, stellte sich heraus, dass sie das Virus nicht hatte.

Die Suche nach dem italienischen „Patienten Null“ endete somit in einer Sackgasse und eine wirksame Quarantäne potenziell infizierter Personen war unmöglich. Seitdem hat sich die Krankheit unkontrolliert in Italien ausgebreitet. Das phylogenetische Netzwerk weist auf mindestens zwei unabhängige frühe Infektionswege in Italien hin, von denen einer mit dem ersten bekannten Fall in Deutschland und der andere mit dem Ausbruch im sogenannten „Singapur-Zweig“ in Verbindung steht. Die phylogenetische Rückverfolgung könnte daher künftig dabei helfen, COVID-19-Infektionsquellen ungeklärter Herkunft zu identifizieren, die dann zur Eindämmung künftiger Ausbrüche der Krankheit unter Quarantäne gestellt werden können.

„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit der genomischen Sequenzierung und der Anwendung der Methode der phylogenetischen Netzwerkanalyse“, sagt IKMB-Wissenschaftler Dr. Michael Forster, der die Studie in Zusammenarbeit mit dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten deutschlandweiten Gensequenzierungs-Zentrum „Competence Centre for Genomic Analysis“ (CCGA) Kiel an der CAU durchführte. „Wir sind überrascht, dass für Italien, einem der am frühesten und stärksten betroffenen EU-Länder, trotz der hervorragenden Forschenden bisher nur eine Handvoll italienischer Fälle in der globalen COVID-19-Falldatenbank GISAID gemeldet wurden“, fügt Prof. Andre Franke hinzu.


Diese Newsmeldung wurde mit Material Universitätsklinikum Schleswig-Holstein via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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