Alpine Ökosysteme im Klimawandel: Auf den Boden kommt es an



Bio-News vom 12.09.2019

Die Alpenflora verändert sich rasant mit dem Klimawandel. Die Böden sind ein entscheidender, jedoch weitgehend unerforschter Faktor. Sie speichern die grössten CO2-Mengen. Wie sich alpine Böden in einer wärmeren Zukunft ändern, ist jedoch weitgehend unbekannt, betonen Forschende der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL im Fachjournal «Science».

Unter der Bodenoberfläche verborgen, spielen sich im Hochgebirge für Klima und Ökosystem äusserst wichtige Prozesse ab. In alpinen Böden leben mehr als 10 000 verschiedene Arten von Pilzen und Bakterien. 90 Prozent des Kohlenstoffs liegen in der alpinen Zone unterirdisch vor. Auch bei den Veränderungen der Alpenvegetation mit dem Klimawandel spielen Böden eine entscheidende – und weitgehend unbekannte – Rolle.


Welche alpinen Pflanzen vom Klimawandel profitieren, hängt stark vom Boden ab, der Wasser und Nährstoffe zur Verfügung stellt. Der Bayrische Enzian ist von vielen Schweizer Berggipfeln verschwunden.

Publikation:


Hagedorn, Frank; Gavazov, Konstantin; Alexander, Jake M.
Above- and belowground linkages shape responses of mountain vegetation to climate change
Science

DOI: 10.1126/science.aax4737



Das Klima erwärmt sich in hohen Lagen besonders stark und führt dazu, dass alpine Pflanzen sich in Richtung Berggipfel ausbreiten. Wird es im Laufe dieses Jahrhunderts wie erwartet um 2 bis 4 Grad wärmer, könnten Pflanzen um 300 bis 600 Höhenmeter vorstossen. Allerdings benötigen Pflanzen Boden, der Nährstoffe und Wasser speichert. Dessen Bildung «hinkt der Erwärmung deutlich hinterher», sagt Bodenökologe Frank Hagedorn von der WSL. Es dauert Jahrhunderte bis Jahrtausende, bis sich neuer Boden aus Gestein bildet, wie Beobachtungen entlang von abschmelzenden Gletschern zeigen. Dies begünstigt die klimabedingte Ausbreitung von Pflanzen, die mit wenig Boden auskommen, zum Beispiel die Alpenmargerite oder das Alpenrispengras. Hingegen werden Arten, die entwickelte Böden mit viel Humus bevorzugen, nicht Schritt halten können. So ändert sich die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften auf unvorhersehbare Weise – und zwar sowohl über- als auch unterirdisch.

«Böden sind die Terra incognita des alpinen Raumes», sagt Hagedorn. Sie beherbergen die grösste Artenvielfalt aller Lebensräume im Hochgebirge, von den Funktionen dieser Organismen sei aber nur ein Bruchteil bekannt. Der «Science»-Übersichtsartikel, in dem Hagedorn und seine Kollegen die Verknüpfungen zwischen Pflanzen und Boden in einer sich erwärmenden Bergwelt zusammenfassen, passt gut in eine Sonderausgabe zum 250. Geburtstag des Naturforschers Alexander von Humboldt. Humboldt hatte als erster weltweit die Vegetation in unterschiedlichen Höhenlagen beschrieben und mit den klimatischen Verhältnissen erklärt.

Kohlenstoff-Speicher oder Quelle?

Wie Böden sich in der erwärmenden Bergwelt verändern, hat auch Auswirkungen auf das Klima. Denn alpine Böden speichern grosse Kohlenstoffmengen, die als CO2 den Klimawandel weiter anheizen würden. Allerdings fällt diese Speicherung nicht überall gleich aus: An der Vegetationsgrenze werden mit dem günstigeren Klima mehr Pflanzen wachsen und somit mehr Kohlenstoff im Boden eingelagert. Andererseits wird mehr CO2 frei, wenn der Permafrost auftaut und sich der Bergwald in grössere Höhen verschiebt. Denn auch wenn sich neuer Wald oberhalb der heutigen Waldgrenze etabliert, verlieren nach heutigem Kenntnisstand die Böden CO2.

Die Daten deuten darauf hin, dass aufs Ganze gesehen die CO2-Verluste der Böden dominieren dürften, sagt Frank Hagedorn. Er hat bei Davos ein Experiment durchgeführt, in dem Heizkabel während sechs Jahren den Boden erwärmt haben. Dies führte zu Verlusten bei der CO2-Speicherung im Boden und auch die mikrobielle Vielfalt im Boden veränderte sich, was die Verfügbarkeit von Nährstoffen für die Pflanzen und damit deren Wachstum erhöhte.

Gebirgsböden intensiver beobachten

Obwohl diese unterirdischen Vorgänge für Klima und Ökosystem äusserst wichtig sind, sind alpine Böden weitgehend unerforscht – obwohl sie immerhin einen Drittel der Landesfläche der Schweiz bedecken. Im Rahmen der Nationalen Bodenbeobachtung existiere gerade mal eine einzige Aufnahme eines Bodenprofils oberhalb der Waldgrenze, bemängelt Hagedorn. Von der mengenmässigen CO2-Speicherung im alpinen Permafrost wisse man praktisch nichts. Dies gelte für den gesamten Alpenraum. Die Autoren des Artikels regen deshalb an, dass der Boden und seine Lebewesen fester Bestandteil langfristiger Beobachtungsprogramme der Vegetation im Klimawandel werden sollen, zum Beispiel in dem Monitoring-Programm GLORIA, das klimabedingte Veränderungen der pflanzlichen Biodiversität auf etwa 130 Hochgebirgsgipfeln in sechs Kontinenten verfolgt.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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