„Liebeshormon“ Oxytocin kann auch Aggression verstärken



Bio-News vom 15.06.2020

Studie an Mäusen zeigt unterschiedliches Verhalten je nach Haltungsbedingungen.

Während der Pandemie-Einschränkungen waren Paare gezwungen, Tage und Wochen miteinander zu verbringen - einige haben dabei ihre Liebe wiedergefunden, andere sind wohl mittlerweile auf dem Weg zum Scheidungsrichter. Oxytocin, ein Peptid, das im Gehirn produziert wird, spielte dabei möglicherweise eine Rolle: Als Neuromodulator kann es positive Gefühle verstärken, das ist bekannt. Neu ist: Es kann auch Aggressionen auslösen. Diese Schlussfolgerung ziehen Wissenschaftler des Weizmann-Instituts für Wissenschaft. Gemeinsam mit Kollegen des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie haben sie die Oxytocin-produzierenden Gehirnzellen von Mäusen, die unter halb-natürlichen Bedingungen leben, manipuliert und untersucht. Die in der Zeitschrift Neuron veröffentlichten Ergebnisse könnten ein neues Licht auf die Oxytocin-Behandlung verschiedener psychiatrischer Erkrankungen von sozialer Angst und Autismus bis hin zu Schizophrenie werfen.


Vielzitzenmaus aus der Gattung der Altweltmäuse. Die hier gezeigten und unter halbnatürlichen Bedingungen gehaltenen Mäuse sind nicht Gegenstand der Studie.

Publikation:


Sergey Anpilov, Yair Shemesh, Noa Eren, Shlomo Wagner, Ofer Yizhar, Alon Chen et al.
Wireless Optogenetic Stimulation of Oxytocin Neurons in a Semi-natural Setup Dynamically Elevates Both Pro-social and Agonistic Behaviors
Neuron 107, 1–12 August 19, 2020

DOI: 10.1016/j.neuron.2020.05.028



Viel Wissen zur Wirkung von Neuromodulatoren wie Oxytocin stammt aus Verhaltensstudien an Labortieren unter Standardlaborbedingungen: Alle Parameter sind streng kontrolliert und künstlich. Eine Reihe neuerer Studien legt jedoch nahe, dass die Handlungen einer Maus in einer halbnatürlichen Umgebung viel mehr über ihr natürliches Verhalten aussagen, insbesondere wenn die Erkenntnisse auf den Menschen übertragen werden sollen.

Das Team um den Neurobiologen Alon Chen hat einen Versuchsaufbau geschaffen, der es möglich macht, Mäuse in einer Umgebung zu beobachten, die ihren natürlichen Lebensbedingungen ähnlicher ist. Acht Jahre lang hat das Team an der Studie gearbeitet: Tag und Nacht haben die Wissenschaftler die Aktivität der Nagetiere mit Kameras überwacht und computergestützt analysiert. Neu war dabei vor allem die Nutzung der Optogenetik und einer eigens entwickelten, implantierbaren Vorrichtung, die es ermöglichte, bestimmte Nervenzellen im Gehirn ferngesteuert mit Hilfe von Licht an- oder auszuschalten. So konnten sie das Verhalten der Mäuse in einer natürlichen Umgebung verfolgen und gleichzeitig ihre Hirnfunktionen analysieren.

Oxytocin diente als eine Art Testlauf für das experimentelle System. Das „Liebeshormon“ stand schon länger im Verdacht, nicht nur positive Gefühle zu vermitteln, sondern eher die Wahrnehmung sozialer Signale zu verstärken und damit, je nach dem individuellen Charakter und der Umgebung, auch sozial auffälliges Verhalten zu begünstigen. Für die Studie nutzten die Forscher Mäuse, bei denen sie die Oxytocin-produzierenden Zellen im Hypothalamus sanft aktivieren konnten.

Oxytocin kann antagonistische Verhaltensweisen bewirken

In der halbnatürlichen Umgebung zeigten die Tiere zunächst ein verstärktes Interesse aneinander, schnell jedoch kam zunehmend aggressives Verhalten hinzu. Im Gegensatz dazu führte die zunehmende Oxytocinproduktion bei den Mäusen unter klassischen Laborbedingungen zu einer verminderten Aggression. In einem rein männlichen, natürlichen sozialen Umfeld wäre ein aggressives Verhalten zu erwarten, wenn die Tiere um Territorium oder Nahrung konkurrieren. Das heißt, die sozialen Bedingungen sind förderlich für Konkurrenz und Aggression. Eine andere soziale Situation, wie die Standardlaborbedingungen, führt dagegen zu einer anderen Wirkung des Oxytocins.

Wenn das "Liebeshormon" also eher ein "soziales Hormon" ist, was bedeutet das für seine pharmazeutische Anwendung? Seine Wirkungen hängen sowohl vom Kontext als auch von der Persönlichkeit ab. Dies impliziert, dass für den therapeutischen Einsatz eine sehr viel differenziertere Sichtweise erforderlich ist. Die Komplexität von Verhalten kann man nur verstehen, wenn man es in einer komplexen Umgebung untersucht. Erst dann können Erkenntnisse auf das menschliche Verhalten übertragen werden.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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