Schimpansen erschnüffeln Gruppenmitglieder und Verwandte



Bio-News vom 24.10.2018

Primaten, uns Menschen eingeschlossen, verlassen sich normalerweise auf ihre Augen, weil sie über einen vergleichsweise schlechten Geruchssinn verfügen. Ein internationales Forschungsteam der Universität Leipzig, des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und der Durham University in Großbritannien hat nun in Verhaltensstudien im Zoo Leipzig herausgefunden, dass Schimpansen hauptsächlich ihren Geruchssinn nutzen, um neue Dinge zu erkunden, und dass sie Gruppenmitglieder und Verwandte am Geruch erkennen.

Kommunikation mittels chemischer Botenstoffe ist im Tierreich zur Übertragung sozialer Informationen weit verbreitet. Tiere benutzen Duftsignale, um Gruppenmitglieder oder Verwandte zu erkennen, oder um genetisch zu ihnen passende Paarungspartner zu finden. Im Gegensatz zu den meisten anderen Säugetieren wurden Primaten jedoch seit jeher als „Mikrosmaten“ bezeichnet, welche einen schlechten Geruchssinn besitzen.

Obwohl die Erforschung der Olfaktorik bei manchen Primatenarten in den letzten Jahren zugenommen hat, wurden Menschenaffen dabei weitestgehend ausgespart. Forschende der Universität Leipzig, des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und der Durham University haben nun eine der ersten Studien durchgeführt, die die Signalfunktion von sozialen Gerüchen bei Menschenaffen untersucht.


Schimpansengruppe im Wolfgang-Köhler-Primatenforschungszentrum im Zoo Leipzig.

Publikation:


Stefanie Henkel and Joanna M. Setchell
Group and kin recognition via olfactory cues in chimpanzees (Pan troglodytes)
Proceedings of the Royal Society B, 24. Oktober 2018

DOI: http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2018.1527



Dazu haben die Wissenschaftlerinnen den Mitgliedern zweier Schimpansengruppen Urin von Gruppenmitgliedern, fremden Artgenossen und eine geruchslose Kontrolle präsentiert. Die Geruchsproben befanden sich jeweils in luftdurchlässigen Plexiglasboxen; die Verhaltensreaktionen der Schimpansen wurden auf Video aufgezeichnet. Das Ergebnis: Die Schimpansen haben länger am Urin als an der Kontrolle gerochen – ein Hinweis darauf, dass sie den Geruch anderer Schimpansen wahrnehmen können. Noch wichtiger war jedoch: sie konnten zwischen dem Geruch von Gruppenmitgliedern und dem von Fremden unterscheiden, wobei sie länger an der Duftprobe schnüffelten, wenn es sich um fremde Artgenossen handelte, die nicht zu ihrer Gruppe gehörten.

"Schimpansen sind sehr territorial, und Begegnungen zwischen verschiedenen Gruppen verlaufen meist aggressiv – tatsächlich werden Tiere aus anderen Schimpansengemeinschaften im Freiland manchmal sogar getötet. Duftspuren könnten ihnen dabei helfen, andere Tiere zu lokalisieren und zu ermitteln, ob sie zu ihrer eigenen oder einer anderen Gruppe gehören. Das wirkt sich auf Überleben und Fitness der Tiere positiv aus", sagt Erstautorin Stefanie Henkel von der Universität Leipzig und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. "Gerüche könnten gerade für Schimpansen besonders wichtig sein, weil sie meist in dichten Wäldern mit einer eingeschränkten Sichtweite leben. Darüber hinaus spalten sich Schimpansengemeinschaften zeitweise in Untergruppen auf, wobei sich Gruppenmitglieder oft tagelang nicht sehen", fügt Henkel hinzu.

Desweiteren konnten die Forscherinnen belegen, dass Schimpansen länger an einem Geruch geschüffelt haben, je näher sie mit dem Duftgeber verwandt sind – ein erster Hinweis darauf, dass Menschenaffen ihre Verwandten am Geruch erkennen können. "Die Fähigkeit Verwandte zu erkennen, ist äußerst wichtig. Sie ermöglicht es den Tieren, geeignete Koalitionspartner auszuwählen und zu vermeiden, dass sie sich mit nahen Verwandten paaren oder ihren eigenen Nachwuchs töten", erklärt Co-Autorin Jo Setchell.

"Es gibt Hinweise darauf, dass auch Menschen den Geruch ihrer Verwandten erkennen können, sogar schon als Neugeborene. Wir haben also anscheinend gute olfaktorische Fähigkeiten beibehalten, obwohl wir – genau wie unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen – normalerweise keine Duftmarken setzen und uns das spezialisierte olfaktorische System fehlt, welches man bei vielen anderen Tieren findet. Unsere Ergebnisse helfen uns, die Evolution der chemischen Kommunikation bei Primaten besser zu verstehen und verdeutlichen, dass wir dem Geruchssinn bei Menschenaffen in der Forschung mehr Beachtung schenken sollten."

"Als sich die Schimpansen den Plexiglasboxen zum ersten Mal annäherten, nutzten die meisten Tiere interessanterweise zuerst ihren Geruchssinn, um die Boxen zu untersuchen, anstatt sie zu berühren oder einer genauen visuellen Inspektion zu unterziehen", betont Henkel. "Mich überrascht es, dass die Erforschung des Geruchssinns bei Menschenaffen bisher so vernachlässigt wurde, obwohl es immer mehr Hinweise darauf gibt, dass Olfaktorik auch für andere Primatenarten, uns Menschen eingeschlossen, sehr wichtig ist. Unsere Ergebnisse verdeutlichen die Bedeutung des Geruchssinns für Schimpansen. Zukünftige Studien könnten den gesamten Informationsgehalt verschiedener Duftquellen bei Menschenaffen entschlüsseln, anhand von chemischen Analysen und weiteren Verhaltensstudien."


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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