Nordharz: Viele Insekten verschwunden (nur die Blattläuse nicht)



Bio-News vom 10.11.2023

Neue Daten weisen für die landwirtschaftlich intensiv bewirtschaftete Region in Sachsen-Anhalt hohe Biomasse-Verluste fliegender Insekten nach. Blattläuse und Zikaden profitieren.

Seit der 2017 veröffentlichten „Krefeld-Studie“ wird intensiv über das Insektensterben diskutiert. Die Datenlage zu Insektenvielfalt und -dichte in der Landschaft und ihrer rückläufigen Tendenz ist lückenhaft und uneinheitlich. Eine Langzeitstudie des Julius Kühn-Instituts (JKI) beschreibt nun für den Nordharz und damit für eine intensiv landwirtschaftlich genutzte Region einen drastischen Rückgang von rund 95 Prozent der Biomasse fliegender Insekten über einen Zeitraum von 24 Jahren.


Während die Gesamtbiomasse fliegender Insekten im Nordharz in vergangenen Dekaden zurückgegangen ist, profitieren Schadinsekten wie die Große Getreideblattlaus Sitobion avenae.

Publikation:


Tim M. Ziesche, Frank Ordon, Edgar Schliephake, Torsten Will
Long-term data in agricultural landscapes indicate that insect decline promotes pests well adapted to environmental changes

Journal of Pest Science (2023)

DOI: 10.1007/s10340-023-01698-2



Doch nicht alle Arten sind gleichermaßen betroffen: Während manche taxonomische Gruppen ungeachtet natürlicher Populationsschwankungen deutlich zurückgehen, zeigen die Langzeitdaten der Forschenden für den Nordharz eine tendenzielle Zunahme und längere Flugaktivität bei anpassungsfähigen Pflanzenschädlingen wie Blattläusen.



Ziesche weiter: „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Blattläuse auf den großen und strukturarmen Landwirtschaftsflächen der Region Nahrung auf dem Silbertablett serviert bekommen, während vielen potenziellen Gegenspielern dort Nahrung und Nistmöglichkeiten fehlen.“ Die Datenauswertung der JKI-Autoren legt nahe, dass Agrarlandschaften mit großen Ackerschlägen und wenig Kleinstrukturen wie Hecken, Randstreifen oder Gehölzen das Verhältnis von Pflanzenschädlingen zu Gegenspielern zugunsten der Schädlinge verschieben und gleichzeitig mit einem Verlust schädlingsregulierender Ökosystemdienstleistungen einhergehen.



Seit 1996 ist die Temperatur während der Vegetationsperiode in der verhältnismäßig trockenen Region im Windschatten des Harzes zudem um rund 2°C gestiegen. Der Klimawandel fördert die frühe und schnellere Entwicklung sowie längere Aktivität der Schädlinge. „Das heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass der Klimawandel Pflanzenschädlinge grundsätzlich begünstigt,“ so Dr. Ziesche. „Bei den Blattflöhen und Thripsen etwa sehen wir ebenfalls einen signifikanten Rückgang. Es sind wärmeliebende bzw. trockenstresstolerante Arten wie Zikaden oder anpassungsfähige Insektengruppen wie die der Blattläuse, die von den steigenden Temperaturen profitieren.“ So stellten Blattläuse als Reaktion auf wärmere Umweltbedingungen beispielsweise ihre sexuelle Fortpflanzung und Eiablage auf Winterwirtspflanzen ein, um direkt in Getreide- und Rapsflächen zu überwintern.

Die Studie liefert wertvolle Hinweise für eine nachhaltige Förderung der Insektenvielfalt in Agrarlandschaften. Die JKI-Autoren gehen davon aus, dass Klimawandel und intensive Landbewirtschaftung in strukturarmen Agrarlandschaften sich in ihrer Wirkung auf Insekten gegenseitig verstärken. Da viele Insektenarten wichtige, schädlingsregulierende Funktionen in der Agrarfläche einnehmen, sollte diese Wechselwirkung in Pflanzenschutzstrategien stärker bedacht werden.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Julius Kühn-Instituts, Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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