Molekulare Archäologie: Die Entdeckung einer ausgerotteten Landschildkröte auf Madagaskar



Bio-News vom 12.01.2023

Einem internationalen Forschungsteam ist es gelungen, das Erbgut von bis zu 1200 Jahre alten Schildkrötenfunden aus dem westlichen Indischen Ozean zu sequenzieren. Dabei wurde eine im Mittelalter ausgerottete Landschildkrötenart aus Madagaskar entdeckt, die eine Panzerlänge von einem halben Meter erreichte. Acht Riesenschildkrötenarten lebten auf Madagaskar und benachbarten Inseln, die bis auf eine Art auf Aldabra ausgerottet wurden, heißt es in einer jetzt publizierten Studie.

Das Sequenzieren von DNA aus historischen Bodenfunden in den Tropen ist eine Herausforderung, die weltweit nur wenige Labore meistern können. Die meisten DNA-Spuren, die sich in solchen Proben finden, sind Verunreinigungen durch Pilze und Bakterien oder stammen von den Menschen, die das Material ausgegraben haben. Das originale Erbgut ist dagegen nur noch selten vorhanden und dann in verschwindend geringer Konzentration und in kleinste Fragmente zerbrochen.


Die vom Aussterben bedrohte Art Astrochelys yniphora aus Madagaskar ist nahe mit der neu entdeckten ausgerotteten Spezies Astrochelys rogerbouri verwandt.

Publikation:


Kehlmaier, C., Graciá, E., Ali, J.R., Campbell, P.D., Chapman, S.D., Deepak, V., Ihlow, F., Jalil, N.-E., Pierre-Huyet, L., Samonds, K.E., Vences, M., Fritz, U.
Ancient DNA elucidates the lost world of western Indian Ocean giant tortoises and reveals a new species from Madagascar
Science Advances 9, eabq2574 (2023)

DOI: 10.1126/sciadv.abq2574



Nur durch aufwändige Verfahren, die mit Reinraumlaboren und „DNA-Ködern“ arbeiten, lässt sich in manchen Fällen die originale DNA finden und sequenzieren. Dem Team von Professor Uwe Fritz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden ist es nun gelungen, aus Knochenfunden und Museumsexemplaren DNA von Riesenschildkröten zu sequenzieren, die aus Madagaskar und von benachbarten Inseln stammen. So konnten die Evolution und Ausrottung dieser Tiere rekonstruiert werden.


Durch DNA-Sequenzierung konnten die Evolution und Ausrottung der Landschildkrötenarten der Inseln im westlichen Indischen Ozean rekonstruiert werden. Ausgerottete Arten, darunter die neu entdeckte Art Astrochelys rogerbouri, sind grau dargestellt.

Dabei zeigte sich, dass auf Madagaskar, Aldabra und den Seychellen drei nahe verwandte Riesenschildkrötenarten vorkamen, von denen zwei im Mittelalter, wenige Jahrhunderte nach der Besiedlung Madagaskars, ausgerottet wurden. Diese Arten sind nicht verwandt mit fünf weiteren Spezies, die auf Mauritius, Réunion und Rodrigues lebten – den östlichen Nachbarinseln Madagaskars, die durch den flugunfähigen Dodo eine gewisse Berühmtheit erlangt haben. Wie auf Madagaskar verschwanden die Riesenschildkröten auch hier nach der Ankunft der ersten Menschen, in diesem Fall allerdings erst vor etwa 200 Jahren.

„Unsere Studie gehört zu einem neuen Forschungsschwerpunkt von Senckenberg, der sich mit dem Einfluss des Menschen auf die Artenvielfalt beschäftigt. Wir denken häufig, dass der Mensch erst in jüngerer Zeit Arten ausgerottet hat. Tatsächlich ist es aber so, dass Menschen schon früh lokale Nahrungsressourcen ausgebeutet und ihre Umwelt verändert haben“, erläutert Professor Uwe Fritz und fährt fort: „Dadurch verschwanden weltweit viele große Tierarten, wie etwa die meisten Riesenschildkrötenarten im westlichen Indischen Ozean. Dies führte zu massiven Störungen des natürlichen Gleichgewichts, denn die ursprünglich häufigen und bis zu 200 kg schweren Riesenschildkröten vertraten auf den Inseln die großen Huftiere des Festlands. Beispielsweise sind manche Baumarten auf diesen Inseln heute vom Aussterben bedroht, weil die Riesenschildkröten verschwunden sind. Die Baumsamen wurden früher nämlich erst keimfähig, wenn ihre harte Schale von den Schildkröten nach dem Fressen teilweise verdaut worden war. Seit die Schildkröten verschwunden sind, können keine Jungpflanzen mehr keimen. Das zeigt, dass der Verlust einer Art einen fatalen Dominoeffekt im Ökosystem auslösen kann.“

Eine große Überraschung erlebte das Forschungsteam außerdem mit dem Knochenmaterial aus Madagaskar. Dr. Christian Kehlmaier, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Molekulargenetischen Labor der Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden und Erstautor der Studie, berichtet: „Wir verwendeten für unsere Arbeit oft kleine, für die Wissenschaft vermeintlich wertlose Knochenstücke. Aus einem solchen Fragment konnten wir Erbgut isolieren, das beweist, dass es auf Madagaskar eine weitere ausgerottete Landschildkrötenart gab, die eine Panzerlänge von etwa einem halben Meter erreichte. Eine Radiokarbondatierung des Knochens zeigte, dass diese Art noch im Mittelalter auf Madagaskar lebte und genau wie die Riesenschildkröten nach der Ankunft des Menschen verschwunden sein muss. Ähnliche Entdeckungen sind bestimmt noch bei weiteren Tiergruppen zu erwarten.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseen via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

Die News der letzten 7 Tage 6 Meldungen






warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte