Lungenfischflossen zeigen, wie sich Gliedmaßen entwickelten



Bio-News vom 19.08.2020

Neue Untersuchungen zur Flossenentwicklung des Australischen Lungenfischs durch eine internationale Forschungsgruppe verdeutlichen, wie sich Flossen zu Gliedmaßen mit Händen und Fingern beziehungsweise Füßen und Zehen entwickelten.

Die Entwicklung von Gliedmaßen mit funktionellen Fingern und Zehen aus Fischflossen fand vor etwa 400 Millionen Jahren, im Devon, statt. Dieser morphologische Wandel ermöglichte es Wirbeltieren, das Land zu erobern, und brachte alle vierbeinigen Tiere oder Tetrapoden hervor – die evolutionäre Stammlinie, die alle Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere (einschließlich des Menschen) umfasst. Seit dem 19. Jahrhundert wurden verschiedene Theorien aufgestellt, die mit Blick sowohl auf Fossilien also auch auf Embryonen zu erklären versuchen, wie sich dieser Wandel vollzog. Wie genau Hände mit Fingern aus Fischflossen entstanden blieb jedoch ungeklärt. Die Haupterkenntnis aus der neuen Studie ist, dass beim Lungenfisch bereits eine primitive Hand vorhanden ist, funktionsfähige Finger und Zehen sich bei Landwirbeltieren aber erst aufgrund von Veränderungen in der Embryonalentwicklung herausbildeten.


Australischer Lungenfisch im Zoo Leipzig

Publikation:


Joost M. Woltering, Iker Irisarri, Rolf Ericsson, Jean M. P. Joss, Paolo Sordino & Axel Meyer,
Sarcopterygian fin ontogeny elucidates the origin of hands with digits
Science Advances, 19. August 2020

DOI: 10.1126/sciadv.abc3510



Die internationale Arbeitsgruppe hat anhand von Embryonen des Australischen Lungenfisches (Neoceratodus forsteri) untersucht, wie sich Gliedmaßen aus Flossen entwickelt haben. Der Australische Lungenfisch ist der mit den Tetrapoden nächstverwandte heute noch lebende Fisch und wird oft als „lebendes Fossil“ betrachtet, da er immer noch den Fischen ähnelt, die es zu der Zeit gab, als die ersten viergliedrigen Wirbeltiere begannen, an Land zu gehen. Aus diesen Gründen bieten die Flossen von Lungenfischen einen besseren Bezugspunkt für die Untersuchung des evolutionären Übergangs von Flossen zu Gliedmaßen als die jeder anderen heute lebenden Fischart.

Die Forschungen der Arbeitsgruppe, die in der neuesten Ausgabe von Science Advances erscheinen, zeigen, dass in den Lungenfischflossen eine primitive Hand vorhanden ist, lassen aber gleichzeitig vermuten, dass die einzigartige Anatomie der Gliedmaßen mit Fingern/Zehen erst während der Entstehung der Tetrapoden durch Veränderungen bei der Embryonalentwicklung aufkam.

Erkenntnisse aus der Embryonalentwicklung: „Architekten“-Gene der Gliedmaßen

Um das Rätsel zu lösen, wie Gliedmaßen während der Evolution aus Flossen entstanden, hat sich die Forschung auf die Embryonalentwicklung konzentriert. „Während der Embryogenese formt ein Satz von ‚Architekten’-Genen eine amorphe Gruppe von Vorläuferzellen zu voll ausgebildeten Gliedmaßen“, erklärt Dr. Joost Woltering, Erstautor der Studie und Dozent sowie Forscher in der von Prof. Dr. Axel Meyer geleiteten Arbeitsgruppe für Evolutionsbiologie an der Universität Konstanz. Dieselben „Architekten“-Gene treiben auch die Flossenentwicklung an. Da jedoch evolutionäre Veränderungen in der Aktivität dieser Gene stattgefunden haben, entstehen während des Entwicklungsprozesses Flossen bei Fischen und Gliedmaßen bei Tetrapoden.

Um diese Prozesse zu vergleichen, untersuchte die Arbeitsgruppe solche „Architekten“-Gene in den Embryonen der Australischen Lungenfische. „Erstaunlicherweise sahen wir, dass das Gen, das die Hand in Gliedmaßen spezifiziert – hoxa13 –, in einer ähnlichen Skelettregion in Lungenfischflossen aktiviert ist“, erklärt Woltering. Ein wesentlicher Punkt ist, dass diese Domäne in den Flossen anderer Fische, die weniger nah mit Tetrapoden verwandt sind, nie beobachtet wurde. „Diese Entdeckung zeigt deutlich, dass eine primitive Hand bereits bei den Vorfahren der Landwirbeltiere vorhanden war“.

Entwicklungsmuster: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Die „Hand“ des Lungenfischs ähnelt jedoch trotz dieser modernen genetischen Signatur nur teilweise der Anatomie von Tetrapodenhänden, denn Finger oder Zehen fehlen. Um die genetische Grundlage für diesen Unterschied nachzuvollziehen, analysierte das Team weitere Gene, die mit der Bildung von Fingern und Zehen in Zusammenhang gebracht werden. Dabei stellte sich heraus, dass ein Gen, das für die Bildung von Fingern und Zehen wichtig ist (hoxd13 – ein „Schwestergen“ des oben erwähnten hoxa13), in Flossen offenbar anders aktiviert wird.

Während der Entwicklung der Tetrapodengliedmaßen wird das Gen hoxd13 dynamisch eingeschaltet. Es wird zunächst im sich entwickelnden kleinen Finger aktiviert, dann breitet sich die Aktivität in Daumenrichtung über die gesamte zukünftige Hand aus. Dieser Prozess koordiniert die korrekte Ausbildung aller fünf Finger. Während die Arbeitsgruppe von Joost Woltering ein ähnliches Aktivierungsmuster dieses Gens in Lungenfischflossen beobachtete, zeigte es diese Ausbreitung nicht, sondern blieb nur in einer Hälfte der Flosse aktiviert. Zusätzliche Unterschiede wurden für Gene gefunden, die in Fingern und Zehen normalerweise abgeschaltet werden. In Lungenfischflossen bleiben diese Gene aktiv, aber auf der gegenüberliegenden Seite der Domäne, in der hoxd13 aktiviert wird.

Alte Hypothesen – zukünftige Richtungen

„All dies zeigt, dass zwar Lungenfischflossen unerwartet eine primitive Hand mit Tetrapoden gemeinsam haben, die Flossen unserer Vorfahren jedoch noch einen evolutionären ‚letzten Schliff’ benötigten, um Gliedmaßen zu bilden. In diesem Sinne sieht es so aus, als ob die Hand zuerst da gewesen sei und erst später im Laufe der Evolution um Finger ergänzt wurde“, sagt Woltering. Eine einflussreiche Hypothese zur Entwicklung von Gliedmaßen, die zuerst von den Paläontologen Thomas Westoll und William Gregory zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt und in den 1980er Jahren von Neil Shubin weiterentwickelt wurde, nimmt an, dass Finger und Zehen durch eine Ausdehnung der Skelettelemente auf einer Seite der Flossen des Tetrapodenvorfahren entstanden. Diese angenommene Ausdehnung der Flossenelemente entspricht genau den Unterschieden, die das Forschungsteam bei der Ausbreitung der Fingergene zwischen Lungenfischflossen und Tetrapodengliedmaßen gefunden hat. Die Beobachtungen der Arbeitsgruppe zur Aktivierung und Deaktivierung von Gliedmaßen-“Architekten“-Genen in Lungenfischflossen liefern somit Belege für dieses klassische Umwandlungsmodell.

Für die Zukunft planen die Forscher weitere Analysen zur Entwicklung von Flossen und Gliedmaßen, um vollständig zu verstehen, was die Ausdehnung dieser Domäne bewirkt und somit dazu führt, dass sich unsere Gliedmaßen so sehr von Fischflossen unterscheiden. Hierbei sollen Lungenfische, aber auch modernere Fischarten wie Buntbarsche verwendet werden, da ihre Embryonen sich mit Techniken wie CRISPR leichter untersuchen lassen. „Um das Bild zu vervollständigen, was in unseren fischartigen Vorfahren geschah, die vor Hunderten von Jahrmillionen an Land krochen, sind wir wirklich auf heute lebende Arten angewiesen, um zu sehen, wie ihre Embryonen Flossen und Gliedmaßen so unterschiedlich bilden“, schließt Woltering.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Konstanz via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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