Innere Uhr der Spitzbergen-Rentiere tickt trotz Mitternachtssonne und Polarwinter immer



Bio-News vom 16.11.2018

Alle Lebewesen verfügen über eine innere Tagesuhr mit einer Zykluslänge, die geringfügig von 24 Stunden abweicht und die mit externen „Zeitgebern“, zumeist dem täglichen Tag- /Nachtwechsel, synchronisiert wird. Ob diese innere Uhr auch in den Polarregionen funktioniert, wo im Winter monatelang Dunkelheit und im Sommer Dauerlicht herrscht, wurde bezweifelt. Ein Forschungsteam der Vetmeduni Vienna untersuchte in einer Studie an freilebenden Rentieren auf Spitzbergen erstmals mit einem hochauflösenden Telemetriesystem nicht nur das Verhalten, sondern auch die Physiologie der Tiere. Sie fanden heraus, dass, entgegen früherer Befunde, die circadiane Rhythmik das ganze Jahr über bestehen bleibt.

Leben unter extremen Bedingungen

In den Polarregionen herrschen extreme Lebensbedingungen, besonders für pflanzenfressende Säugetiere und Vögel. Die Erhaltung ihrer hohen inneren Körpertemperatur ist während der langen Winterzeit mit kalten Temperaturen und Stürmen eine energetische Herausforderung. Es gibt aber kaum Nahrung und die wenigen, vom Sommer übriggebliebenen Pflanzenreste, sind unter Schnee und Eis verborgen. Pflanzenfresser sind daher im Winter auf ihre Fettreserven angewiesen.

Um diese in ausreichendem Maß anzulegen, müssen die Tiere in der kurzen Zeit, in der Futterpflanzen wachsen, so viel wie möglich fressen. Tägliche Ruhephasen, wie sie die innere Tagesrhythmik diktiert, können sie sich während des kurzen arktischen Sommers nicht leisten. Bei Spitzbergen-Rentieren schienen sie in der Tat auch zu fehlen. Man nahm an, dass die natürliche Selektion bei ihnen die innere Tagesrhythmik stillgelegt hat, um im Dauerlicht des Sommers auch Nahrungsaufnahme „rund um die Uhr“ zu gewährleisten.

Die innere Uhr tickt regelmäßig weiter

Gemeinsam mit norwegischen und britischen Kollegen haben Walter Arnold und Thomas Ruf vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Veterinärmedizinischen Universität Wien freilebende Rentiere auf dem arktischen Archipel Spitzbergen mit einem am FIWI entwickelten Telemetriesystem ausgestattet.

Dieses System erfasste nicht nur die gesamte Bewegungsaktivität der Tiere kontinuierlich, wie bisherige Studien, sondern gleichzeitig auch die Fressaktivität, die Körpertemperatur und die Herzschlagrate als Maß für den Energieumsatz der Tiere. Ob diese Messwerte sich tagesrhythmisch verändern, wurde mit einem besonders trennscharfen statistischen Verfahren analysiert, das Thomas Ruf für biologische Anwendungen etabliert hatte.


Rentier

Publikation:


Walter Arnold, Thomas Ruf, Leif Egil Loe, R. Justin Irvine, Erik Ropstad, Vebjørn Veiberg und Steve D. Albon
Circadian rhythmicity persists through the Polar night and midnight sun in Svalbard reindeer
Scientific Reports

DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-018-32778-4



Die Ergebnisse waren überraschend: Es war in allen Messreihen eine klare tagesrhythmische Organisation nachweisbar. Die Stärke dieser Rhythmik nahm im Sommer beträchtlich ab, jedoch nicht wegen des Dauerlichtes der Mitternachtssonne, sondern aufgrund der Verfügbarkeit frisch wachsender Pflanzennahrung. Um so viel zu Fressen wie nur möglich ignorieren die Tiere offenbar weitgehend ihre innere Tagesuhr.

Auch im Winter, wenn die Rentiere ihre Stoffwechselaktivität auf weniger als die Hälfte des Sommerniveaus absenken – ein Rekordniveau unter wilden Huftieren - war die circadiane Rhythmik abgeschwächt. Während der Polarnacht wich die Zykluslänge zudem leicht von 24 Stunden ab, mit Unterschieden zwischen den untersuchten Individuen und je nach Messparameter. Dieses „Freilaufen“ des inneren Rhythmus aufgrund des Fehlens einer äußeren Lichtrhythmik im Dauerdunkel war der ultimative Beweis, dass die innere Tagesuhr auch bei Spitzbergen-Rentieren das ganze Jahr über nicht aufhört zu ticken.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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