Evolutionsexperiment: Spezifische Immunabwehr von Käfern passt sich Bakterien an



Bio-News vom 24.09.2019

Das Gedächtnis des Immunsystems ist in der Lage, ein fremdes Protein, mit dem der Organismus schon einmal in Kontakt gekommen ist, von einem anderen zu unterscheiden und mit einem entsprechenden Antikörper zu reagieren. Evolutionsbiologen der Universität Münster haben nun bei Mehlkäfern herausgefunden, dass sich die Fähigkeit des Immunsystems, spezifisch Erreger abzuwehren, im Zuge der Evolution anpassen kann. Die Ergebnisse könnten dabei helfen, auch molekulare Prozesse zu durchschauen, die im menschlichen angeborenen Immungedächtnis eine Rolle spielen und medizinisch genutzt werden könnten. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „PNAS“ erschienen.

Wenn das Immunsystem Erreger abwehrt, kann das auf die unterschiedlichsten Weisen passieren. Das Gedächtnis des Immunsystems ist zum Beispiel dazu in der Lage, ein fremdes Protein, mit dem der Organismus schon einmal in Kontakt gekommen ist, von einem anderen zu unterscheiden und mit einem entsprechenden Antikörper zu reagieren. Forscher haben nun experimentell untersucht, ob sich die Fähigkeit des Immunsystems, spezifisch Erreger abzuwehren, im Zuge der Evolution anpassen kann. Dazu sahen sie sich viele aufeinanderfolgende Generationen von Mehlkäfern an – denn auch Insekten können bis zu einem gewissen Grad Krankheitserreger spezifisch bekämpfen.


Rotbraune Reismehlkäfer.

Publikation:


K. Ferro & R. Peuß et al.
Experimental evolution of immunological specificity
PNAS

DOI: 10.1073/pnas.1904828116



Nachdem die Wissenschaftler die Tiere und ihre Nachkommen wiederholt mit Bakterien konfrontiert hatten, beobachteten sie, dass bereits nach wenigen Generationen die Immunsysteme der Käfer verstärkt reagierten. „Unsere Studie hilft uns, zu verstehen, ob die Fähigkeit zur Spezifität eines Immunsystems sich rasch an die Bedingungen der wiederholten Konfrontation mit Krankheitserregern anpassen kann“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Joachim Kurtz von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU).

Die Ergebnisse könnten dabei helfen, auch molekulare Prozesse zu durchschauen, die im menschlichen angeborenen Immungedächtnis eine Rolle spielen und medizinisch genutzt werden könnten. Da sich Insekten gut dazu eignen, um experimentelle Evolution durchzuführen, können die so gewonnenen Erkenntnisse das Wissen über das Immunsystem von Säugetieren sinnvoll ergänzen. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „PNAS“ (Proceedings of the National Academy of Sciences) erschienen.

Hintergrund und Methode

Das Immunsystem des Menschen besteht aus zwei Hauptsystemen, dem angeborenen und dem erworbenen Immunsystem. Letzterer ist der Teil, der sich hauptsächlich an Erreger „erinnern“ und spezifisch reagieren kann. Insekten haben ein anderes Immunsystem, jedoch konnten Wissenschaftler bereits zeigen, dass auch Insekten durch Vorerfahrungen mit Krankheitserregern verstärkt auf Infektionen reagieren können. Bisher war aber noch nicht untersucht worden, ob sich diese immunologische Spezifität an die jeweilige bakterielle Umgebung evolutionär anpassen kann.

Für ihr Experiment sammelten die Evolutionsbiologen Daten von mehr als 48.000 Rotbraunen Reismehlkäfern über einen Zeitraum von drei Jahren. Dabei teilten sie die Käfer in verschiedene Gruppen ein, um sie – ähnlich einer Impfung – jeweils im Larvenstadium zunächst abgetöteten und dann lebenden Bakterien in unterschiedlichen Kombinationen von sechs verschiedenen Bakterienarten auszusetzen. In einigen der Gruppen setzten die Wissenschaftler innerhalb einer Generation dieselben Bakterien ein, in den anderen Gruppen konfrontierten sie die Käfer mit jeweils unterschiedlichen Bakterien. 14 Generationen und drei Jahre später erhoben sie die Ergebnisse des Experiments: Käfer, die jeweils derselben Bakterienart für „Impfung“ und Infektion ausgesetzt waren, hatten über die Generationen hinweg eine erhöhte Spezifität ausgebildet. Diese half den Käfern vor allem, wenn sie sich gegen Bacillus thuringiensis, einem natürlichen Insektenpathogen, verteidigen mussten.

Die erhöhte Spezifität zeigte sich darin, dass nach der „Impfung“ mit diesem natürlichen Erreger eine größere Aktivierung bestimmter Gene zu erkennen war, die für das Immunsystem und den Stoffwechsel eine Rolle spielen. Gleichzeitig stiegen die Überlebenschancen der Käfer nach einer Infektion mit dem Bakterium – anders als bei Käfern, deren Evolution in Richtung einer niedrigen Spezifität abgelaufen war. „Für bestimmte Bakterien kann sich also zügig eine hohe Spezifität im Zuge der Evolution entwickeln, vermutlich bedingt durch Veränderungen in der Steuerung von Immungenen“, sagen die Erstautoren, Dr. Kevin Ferro und Dr. Robert Peuß, die im Rahmen ihrer Doktorarbeiten am Institut für Evolution und Biodiversität der WWU die Experimente durchführten. Auffällig war allerdings, dass diese Veränderung nicht bei allen Bakterien auftrat, die im Versuch eingesetzt wurden. Eine mögliche Erklärung hierfür könnten die bei Insekten begrenzten Möglichkeiten sein, verschiedene Antigene zu erkennen und zu bekämpfen.

Relevanz und Ausblick

Die in diesem Versuch identifizierten molekularen Mechanismen könnten beim Menschen in der sogenannten Trained Immunity eine Rolle spielen – einer in der Medizin diskutierten Möglichkeit, nicht nur das Gedächtnis des erworbenen, sondern auch des angeborenen Teils des Immunsystems zu trainieren. Auf Grundlage der neu gewonnenen genetischen Daten wollen die Wissenschaftler das Immungedächtnis von Insekten noch genauer untersuchen und dazu die relevanten Gene durch molekularbiologische Verfahren „ausschalten“. Darüber hinaus möchten die Wissenschaftler zukünftig auch einen Blick auf die Bakterien werfen und untersuchen, ob diese sich zum Beispiel schneller entwickeln, wenn ihr Wirt auf sie vorbereitet ist. Da der Mehlkäfer unter anderem in der Lebensmittelproduktion als Schadinsekt gilt, können die Ergebnisse auch dazu beitragen, neue Strategien zu finden, um ihm entgegenzuwirken.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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