Auch Vögel bilden komplexe Gesellschaften



Bio-News vom 04.11.2019

Erstes Vorkommen einer mehrschichtigen Gesellschaftsform bei einem Nichtsäugetier zeigt, dass ein großes Gehirn keine Voraussetzung für die Bildung komplexer Gesellschaften ist.

Mehrschichtige Gesellschaften waren bislang nur bei Säugetieren mit großem Gehirn bekannt, wie zum Beispiel beim Menschen, anderen Primaten, Elefanten, Giraffen und Delfinen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz sowie der Universität Konstanz berichten nun, auch bei einem Vogel mit kleinem Gehirn, dem Geierperlhuhn (Acryllium vulturinum), eine mehrschichtige Gesellschaftsform beobachtet zu haben. Die aktuell in der Zeitschrift Current Biology veröffentlichte Studie legt nahe, dass die Vögel den Überblick über soziale Vereinigungen mit Hunderten anderer Individuen behalten können – was die Vorstellung in Frage stellt, dass ein großes Gehirn Voraussetzung für die Bildung komplexer Gesellschaften sei. Die Studie liefert zudem einen Hinweis darauf, wie sich diese Gesellschaften entwickelt haben könnten.


Publikation:


Danai Papageorgiou, Charlotte Christensen, Gabriella E.C. Gall, James A. Klarevas-Irby, Brendah Nyaguthii, Iain D. Couzin, Damien R. Farine
The multilevel society of a small-brained bird
Current Biology

DOI: 10.1016/j.cub.2019.09.072



Mehrschichtige Gesellschaften

Mehrschichtige Gesellschaften entstehen, wenn soziale Einheiten von Tieren, wie zum Beispiel Pärchen, Gruppen mit stabiler Zugehörigkeit bilden, und diese Gruppen dann bevorzugt mit bestimmten anderen Gruppen Umgang pflegen. Da dies erfordert, dass die Tiere den Überblick über die Individuen sowohl in ihrer eigenen als auch in anderen Gruppen behalten müssen, wurde lange Zeit davon ausgegangen, dass mehrschichtige Gesellschaften nur bei Arten mit der entsprechenden Intelligenz vorkommen, um diese Komplexität zu bewältigen. Es gibt zwar viele Vogelarten, die in Gruppen leben, diese sind jedoch entweder offen, langfristig nicht stabil oder sehr territorial, mit wenig Kontakt zu anderen Gruppen.

Geierperlhühner stellen dagegen eine bemerkenswerte Ausnahme dar: Die Forschenden beobachteten, dass diese Vögel, die aus einer alten, eher Dinosauriern als Vögeln gleichenden Linie stammen, einen sehr starken Zusammenhalt pflegen, ohne dabei die charakteristische Aggression gegenüber anderen Gruppen zu zeigen, wie sie bei anderen in Gruppen lebenden Vögeln üblich ist. Und das, obwohl sie ein relativ kleines Gehirn haben, selbst im Vergleich zu anderen Vögeln. „Sie schienen die richtigen Elemente zu vereinen, um komplexe soziale Strukturen zu bilden, und dennoch war nichts über sie bekannt“, sagt Danai Papageorgiou, Erstautor der Veröffentlichung und Doktorand am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie.

Feldstudie in Kenia

Diese Studie ist die erste, die jemals an dieser Vogelart durchgeführt wurde. Sie verfolgte über ein Jahr hinweg die sozialen Beziehungen einer Population von über 400 erwachsenen Vögeln in einem Forschungsgebiet in Kenia. Die Forschenden markierten jeden einzelnen Vogel und entdeckten im Laufe ihrer Beobachtungen, dass die Population 18 verschiedene soziale Gruppen umfasste (mit jeweils 13 bis 65 Individuen). Auffällig war, dass diese Gruppen stabil blieben, obwohl sie sich sowohl tagsüber als auch nachts regelmäßig mit einer oder mehreren anderen Gruppen überschnitten.

Um zu sehen, ob diese Gruppen bevorzugt miteinander Umgang pflegten, brachten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einer Stichprobe von Individuen in jeder Gruppe GPS-Tags an. Somit konnten sie die Position jeder einzelnen Gruppe jeden Tag kontinuierlich erfassen und gleichzeitig beobachten, wie alle 18 Gruppen in der Population interagierten. Die Beobachtungen ergaben, dass sich die Gruppen auf Präferenzen basierend und nicht zufällig miteinander vermengten. Sie zeigten auch, dass Interaktionen zwischen den Gruppen verstärkt zu bestimmten Zeiträumen des Jahres und um charakteristische Punkte der Landschaft herum stattfinden.

„Nach unserer Kenntnis ist dies das erste Mal, dass eine solche soziale Struktur bei Vögeln beschrieben wurde“, so Papageorgiou. „Es ist schon bemerkenswert, Hunderte von Vögeln zu beobachten, die jeden Tag aus dem Schlafplatz kommen und sich perfekt in völlig stabile Gruppen aufteilen. Wie stellen sie das an? Das hat ganz offensichtlich nicht nur mit Intelligenz zu tun.“

Mechanismen komplexer Gesellschaften

Obwohl noch weitgehend unerforscht, so haben die Perlhühner doch unser Verständnis über die Entstehung von Sozialität ins Wanken gebracht. „Diese Entdeckung wirft eine Menge Fragen über die grundlegenden Mechanismen komplexer Gesellschaften auf und eröffnet spannende Forschungsperspektiven, welche Eigenschaften diese Vögel dazu gebracht haben, ein Sozialsystem zu entwickeln, das in vielerlei Hinsicht eher dem von Primaten gleicht als dem von anderen Vögeln“, erklärt Dr. Damien Farine, Hauptautor der Veröffentlichung und maßgeblich beteiligter Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und dem Exzellenzcluster Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour an der Universität Konstanz.

Geierperlhühner geben uns wichtige Hinweise darauf, wie sich komplexe Gesellschaften entwickelt haben könnten. „Viele Beispiele für mehrschichtige Gesellschaften – Primaten, Elefanten und Giraffen – könnten sich unter ähnlichen ökologischen Bedingungen wie das Geierperlhuhn entwickelt haben“, so Damien Farine.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Konstanz via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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