„Alien“ im Bernstein



Bio-News vom 26.05.2016

Biologen der Universität Jena entdecken Bindeglied zwischen Gottesanbeterinnen und Schaben

Ein bisschen Heuschrecke, ein bisschen Käfer, etwas Ohrwurm, und einiges von der Gottesanbeterin: Zuerst dachte Dr. Benjamin Wipfler, dass er es bei dem kleinen Fossil mit einem winzigen Wolpertinger zu tun hat – jenem legendären Mischwesen, das aus verschiedenen Tieren zusammengesetzt ist. Nach genauerer Untersuchung steht jedoch nun fest: Biologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben gemeinsam mit chinesischen Kollegen eine neue Insektenordnung entdeckt, und mit ihr das lang gesuchte Verbindungsstück zwischen Schaben und Gottesanbeterinnen. „Wir wissen schon lange, dass beide Ordnungen miteinander verwandt sind, aber bisher hat das sogenannte Connecting Link, also das verbindende Element, gefehlt“, erklärt Wipfler, Evolutionsbiologe an der Universität Jena, die Sensation.


Auf den Monitoren von Dr. Benjamin Wipfler von der Uni Jena ist die neue Insektenordnung aus einem ca. 100 Millionen Jahre alten burmesischen Bernstein zu sehen.

Publikation:


Bai, M., et al.
†Alienoptera — A new insect order in the roach–mantodean twilight zone
Gondwana Research

DOI: 10.1016/j.gr.2016.02.002



Aufgetaucht ist es nun in einem Bernstein aus Burma. Ein chinesischer Sammler hatte das 100 Millionen Jahre alte Kleinod – eingearbeitet in einem Ring – auf einem Bernsteinmarkt in China erworben und sich an die Akademie der Wissenschaften des Landes gewandt. Mit dem Institut für Zoologie der Akademie pflegen die Jenaer Biologen seit Jahren eine rege Zusammenarbeit. Diese führte auch hier zum Erfolg: „Unser chinesischer Kollege Prof. Dr. Ming Bai und sein Team fotografierten das Fossil und untersuchten es mittels Mikrocomputertomografie“, berichtet der Jenaer Insektenexperte Prof. Dr. Rolf Beutel. „Wir haben dann daraus 3-D-Modelle gemacht und die Daten ausgewertet.“

Hilfreich war dabei der besonders gute Erhaltungszustand des 1,4-Zentimeter-langen Tieres, dessen neue Ordnung aufgrund seiner augenscheinlichen Andersartigkeit den Namen „Alienoptera“ (lat. alienus „fremd“) trägt. So konnten die Forscher etwa den Flügel am Computer visuell entfernen und den vollständigen Geschlechtsapparat des Männchens genauer untersuchen.

Für die Einordnung des Tieres ist aber eines fast noch wichtiger: die Beine. „An den Extremitäten und an dem sehr beweglichen Kopf erkennen wir, dass die Vertreter der neuen Spezies – genauso wie die Gottesanbeterin – auf die Jagd gingen“, sagt Benjamin Wipfler. Nur unterschied sich die Vorgehensweise aufgrund eines anatomischen Merkmals dabei erheblich. „Die Gottesanbeterinnen sind mit dornenbesetzten Fangbeinen ausgestattet, die ähnlich einem Taschenmesser zusammenklappen und dabei die Beute, vor allem größere Insekten, fixieren“, erklärt der Jenaer Biologe.

„Die Alienoptera setzen beim Nahrungserwerb zwar auch die Vorderbeine ein, allerdings befinden sich darauf dichte Reihen von feinen Borsten, was sich eher dazu eignete, kleine Beuteobjekte wie etwa Blattläuse oder Milben aufzusammeln.“ Aufgrund dieses Beuteerwerbsmechanismus gehen die Jenaer Wissenschaftler davon aus, dass die Tiere auf Bäumen und Sträuchern gelebt haben. Dafür sprechen auch die spezialisierten Haftstrukturen an den Füßen. Diese kennt man bisher nur von den Gladiatoren – einer auf Sträuchern lebenden Insektengruppe, die erst vor 13 Jahren in Südafrika entdeckt wurde.

Die Alienoptera waren gute Flieger, wie die Biologen der Uni Jena am Computer feststellten. Denn dank der 3-D-Technik konnten sie den Flügel am Bildschirm aufklappen und genauer unter die Lupe nehmen. Dabei fielen auch die schalenartigen Vorderflügel auf, die weder bei Schaben noch bei Gottesanbeterinnen vorkommen, sondern eher bei Käfern und Ohrwürmern. Das sattelförmige Rückenteil der Vorderbrust erinnert dagegen an Heuschrecken. Mit dieser ungewöhnlichen Merkmalskombination und den nur geringfügig spezialisierten Vorderbeinen waren die Alienoptera offensichtlich der Konkurrenz der hocheffizienten Räuber aus der Gruppe der Gottesanbeterinnen nicht gewachsen. Sie sind nach geologisch betrachtet kurzer Zeit wieder von der Bühne der Evolution verschwunden.

Rund 100 Millionen Jahre später sorgte die ungewöhnliche Merkmalskombination des Insektenfossils für einen verwirrenden ersten Eindruck, der die Jenaer Experten vor eine spannende Herausforderung stellte: „Das war Detektivarbeit“, sagt Rolf Beutel rückblickend. „Da fängt Wissenschaft an, richtig Spaß zu machen.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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