Galaktosämie


Klassifikation nach ICD-10
E74.2 Störungen des Galaktosestoffwechsels
- Galaktosämie
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Galaktosämie (gr. γαλάκτωσις (galaktosis) = Verwandeln in Milch + αἷμα (häma) = Blut) ist eine seltene angeborene Stoffwechselstörung, bei der sich zu viel Galaktose (Einfachzucker) im Blut befindet.

Es handelt sich um eine Mutation des sogenannten GALT-Gens die autosomal-rezessiv vererbt wird. Das GALT-Gen liegt auf dem Chromosom 9. Galaktosämie tritt weltweit etwa bei einem von 40.000 Neugeborenen auf und wurde zuerst 1917 durch Friedrich Goppert (1870-1927) beschrieben.

Die klassische Galaktosämie ist durch das teilweise oder vollständige Fehlen des Enzyms Galactose-1-phosphat-Uridyltransferase (= Galaktosetransferase, Abk.: GALT), welches eine wichtige Rolle im Galaktosestoffwechsel innehat, gekennzeichnet. Durch den Enzym-Mangel erfolgt eine Anreicherung von Galaktose und Galaktose-1-Phosphat in den Zellen.

Untersuchung

Die Untersuchung auf Vorliegen einer Galaktosämie wird in Deutschland seit mehr als 30 Jahren im Rahmen des Neugeborenenscreening ab der 36. Lebensstunde vorgenommen. Für diese Untersuchung wird dem Kind ein Tropfen Blut an der Ferse entnommen und in ein Speziallabor geschickt, wo die Galaktose im getrockneten Blut gemessen wird (Beutler-Test).

Symptome

Die Neugeborenen werden ab dem zweiten bis dritten Lebenstag trinkschwach, beginnen zu erbrechen und weisen einen starken Ikterus auf. Sie wirken septisch und leiden zudem gehäuft an einer E. coli-Sepsis. Falls die Milchernährung fortgeführt wird, kommt es zu einer Verstärkung der schweren Leberfunktionsstörung mit den laborchemischen Zeichen einer ausgeprägten Neugeborenengelbsucht (Bilirubin > 20 mg/dl mit Überwiegen des konjugierten, direkten Bilirubins), einer Gerinnungsstörung (Quick-Wert < 10 %, Antithrombin III <10 %) und eines Transaminasenanstiegs (GOT, GPT ca. 100-300 U/l). Klinisch bluten die Kinder verlängert aus den Einstichkanälen, die Augenlinsen trüben sich (Grauer Star). Ihre Apathie nimmt zu, sie verfallen und versterben schließlich im Leberkoma.

Wird diese kritische Phase im Neugeborenenalter ohne Diagnosestellung überlebt, kann es bei ca. 40 % der Fälle zu Störungen in der geistigen (Intelligenzminderung) oder körperlichen (Motorik, Pubertät) Entwicklung, Konzentrationsstörungen, Erblindung (heute selten), und bei Mädchen zu einer Fehlfunktion der Eierstöcke durch Hormonmangel in der Pubertät (80 % der Fälle) kommen.

Therapie

Die Therapie besteht in lebenslanger laktosefreier und galaktosearmer Diät. Lebensmittel mit hohem Galaktoseanteil sind z. B. Milch und Milchprodukte. (Achtung: Die handelsübliche „laktosefreie Milch“ ist zwar laktosefrei, da die Laktose in Galaktose und Glukose gespalten wurde, aber dadurch immer noch galaktosehaltig und somit genauso schädlich für einen Galaktosämiepatienten, wie normale Milch. Laktosefreie Milch ist für Patienten mit Laktoseintoleranz gedacht.) Für Neugeborene bedeutet dies auch den Verzicht auf Muttermilch und herkömmliche Säuglingsnahrung, die in Form von Laktose auch Galaktose enthält. Säuglingsnahrungen auf Sojabasis enthalten keine Laktose.

In Hülsenfrüchten (Erdnüsse, Erbsen) sind Stoffe enthalten, die im Darm in Galaktose zersetzt werden können; in Obst und Gemüse kommt Galaktose in freier Form vor. Aber auch bei Körperpflegemitteln wie Cremes, Seifen, Zahnpasten ist oft Laktose enthalten, und es sollte auf die Angabe der Inhaltsstoffe geachtet werden.

Dennoch sind selbst bei streng eingehaltener Diät Entwicklungsstörungen aufgrund der endogenen (vom Körper selbst produzierten) Galaktoseproduktion nicht immer zu vermeiden.

Varianten

Die GALT ist nur eines von drei Enzymen, die am Abbau der Galaktose beteiligt sind. Aber nur der GALT-Mangel führt zur Galaktosämie. Auch die GAL-Kinase (GALK) und die GAL-Epimerase (GALE) sind für den Galaktosestoffwechsel wichtig.

Und so wie die GALT können auch GALK oder GALE bei Menschen in zu geringer Menge vorhanden sein. Sie führen jedoch nicht zu einem Krankheitsbild wie bei der Galaktosämie. Dennoch werden sie - vermutlich weil sie den Abbau der Galaktose betreffen - oft ebenfalls zur Galaktosämie gezählt. Diese Zuordnung ist nicht ganz richtig und hat vor Jahren schon dazu geführt, dass man für den GALT-Mangel den Begriff „klassische Galaktosämie“ eingeführt hat. Um die Abgrenzung zu ermöglichen, soll im folgenden kurz auf den GALK- und den GALE-Mangel eingegangen werden.

D2G-Galaktosämievariante

Zehn mal häufiger als die klassische Galaktosämie kommt die sog. D2G-Variante vor, es sind also etwa 200 Neugeborene jährlich in Deutschland mit dieser Variante zu erwarten im Vergleich zu 20 Kindern mit klassischer Galaktosämie. Diese Kinder haben von einem Elternteil die sog Duarte 2 (D2) Variante mit ca. 25 % GALT-Aktivität, vom anderen Elternteil das klassische Galaktosämie-Gen mit 0 % Aktivität ererbt. Der Galaktose-1-Phosphatwert im Neugeborenenscreening ist normal bis 0,3 mg/dl, Kinder mit klassischer Galaktosämie weisen Blutkonzentrationen zwischen 30 und 40 mg/dl auf , die Träger der D2G-Variante zwischen 1 und 6 mg/dl. Diese Kinder entwickeln sich auch unter einer galaktosehaltigen Kost normal, zeigen keine Auffälligkeiten der Leberfunktion oder der Intelligenzentwicklung. Sie können in der Regel normal gestillt werden, nur bei einem Galaktosewert über 5 mg/dl sollte vorübergehend auf Zwiemilchernährung unter Beifütterung einer galaktosefreien Sojamilch für vier bis sechs Monate umgestellt werden. Spätestens ab der Umstellung auf feste Kost ist keinerlei Einschränkung an Nahrungsmitteln notwendig, die Kinder und später Erwachsene können sich normal ernähren.

Galaktokinasemangel

Ein Galaktokinasemangel kommt wesentlich seltener vor als die klassische Galaktosämie (1:150000 bis 1:1000000). Die Symptome sind bei weitem nicht so vielfältig wie beim GALT-Mangel. Das einzige typische Merkmal des GALK-Mangels ist - bei ausbleibender oder zu später Behandlung - eine meist beidseitige Trübung der Augenlinse. Der GALK-Mangel wird ebenfalls meist schon im Neugeborenen-Screening entdeckt, so dass diese Augenschädigung in der Regel vermieden werden kann. Sollte es bereits zu einer Trübung der Linse gekommen sein, so ist sie häufig umkehrbar, wenn die Behandlung konsequent durchgeführt wird. Menschen mit GALK-Mangel müssen dazu aber genauso eine galaktosearme Diät einhalten wie Patienten mit GALT-Mangel.

UDP-Galaktose-4-Epimerase-Mangel

Beim GALE-Mangel fehlt das Enzym UDP-Glucose-4-Epimerase, abgekürzt GALE, und auch hier kann die Galaktose nicht vollständig in Glukose umgewandelt werden. Die Störung ist aber nicht so schwerwiegend, unter anderem weil es nicht zur Bildung bzw. Freisetzung von körpereigener Galaktose kommt. Zwei Formen des GALE-Mangels muss man voneinander trennen:

1. Einerseits kann der Enzymmangel lediglich in den roten Blutkörperchen vorkommen. Diese Form des GALE-Mangels wird auch als periphere Form bezeichnet. Menschen mit peripherem GALE-Mangel sind eigentlich gar nicht krank, und sie müssen auch keine galaktosearme Diät einhalten.

2. Betrifft der Enzymmangel aber nicht nur die roten Blutkörperchen, sondern auch andere Zellen und Gewebe des Körpers, so spricht man von einem zentralen GALE-Mangel. Menschen mit zentralem GALE-Mangel müssen eine galaktosearme Diät einhalten, wie es Patienten mit GALT-Mangel tun müssen. Diese Form des GALE-Mangels ist aber extrem selten und wurde bis vor kurzem nur bei weniger als zehn Patienten auf der Welt gefunden.

Siehe auch

  • Nahrungsmittel-Intoleranz

Weblinks

Literatur

  • Goppert F. Galaktosurie nach Milchzuckergabe bei angeborenem, familiärem chronischem Leberleiden. Klinische Wochenschrift 1917;54:473-477.

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