Bewegungssehen

Beim Bewegungssehen wirken drei Komponenten zusammen:

  1. Retinale Gegebenheiten: Gegenstände werden dann als bewegt wahrgenommen, wenn durch denselben Reiz nacheinander unterschiedliche Stellen der Netzhaut gereizt werden. So entstehen die meisten Bewegungswahrnehmungen: gehende Menschen, fahrende Busse usw.
  2. Körperempfindungen: Gleichfalls häufig bewegt sich der Mensch selbst, nicht aber seine Umgebung - Bäume und Häuser zum Beispiel stehen still, wenn der Mensch an ihnen vorbeigeht oder -fährt. Auch in solchen Fällen werden beim Vorbeigehen oder Vorbeifahren verschiedene Netzhautstellen durch diese ruhenden Objekte gereizt. Dennoch erleben wir nicht diese Gegenstände als bewegt, sondern uns selbst. Die Umwelt wird als stabil wahrgenommen, weil alle anderen Körperempfindungen vom Gehirn mit den visuellen Wahrnehmungen "verrechnet" werden und so als Ergebnis der unbewussten Beurteilung unterschiedlicher Sinneseindrücke der Schluss gezogen werden kann, dass sich nicht die Häuser um uns bewegen, sondern wir selbst in Bewegung sind.
  3. Die Erfahrung: Neben den diversen Körperempfindungen bewirkt auch die Erfahrung (unser erworbenes Wissen darüber, dass sich nicht die Häuser, sondern nur wir selbst uns bewegen können), dass man sich selbst als bewegt erlebt.

Bewegungstäuschungen und Scheinbewegungen

Wenn wir in einem fahrenden Schnellzug sitzen und die Landschaft vorbeifliegt, dann wissen wir, dass es sich um eine Scheinbewegung der Landschaft handelt. Sitzt man jedoch in einem stehenden Zug, und auf den Nachbargleis setzt sich ein Zug in Bewegung, kann man häufig nicht sofort unterscheiden, ob man selbst bewegt wird oder nur einen sich bewegenden Nachbarzug wahrnimmt (siehe Vektion).

Eine einfache Scheinbewegung, den sogenannten „Daumensprung“, kann man an sich selbst demonstrieren. Wenn man seinen Daumen nahe vor die Nase hält und abwechselnd das linke und das rechte Auge schließt, scheint der Daumen hin und her zu springen. Eine überaus große Bedeutung im Kulturleben hat das Phänomen der Scheinbewegung durch den Film bekommen: Es werden Bilder in rascher Aufeinanderfolge (24 in der Sekunde) dargeboten, die daraufhin bewegt erscheinen.

Vergleichbar mit Nachbildern sind die Bewegungsnachbilder. Diese Wahrnehmungstäuschung entsteht, wenn man für etwa 30 Sekunden in einen vorbeiströmenden Fluss oder in einen Wasserfall schaut und anschließend auf feste Körper. Diese scheinen sich nun zu verflüssigen.

Bewegungsmuster

Für die Erforschung des Bewegungssehens seit Helmholtz hat die Entwicklung von geeigneten Bewegungsmustern eine zentrale Rolle gespielt. Traditionell wurden hierfür Lichtbündel mittels bewegbarer Spiegel gelenkt und Oszilloskope eingesetzt. Heute werden experimentelle Bewegungsmuster fast nur noch als Scheinbewegung mit Computern erstellt, obwohl bekannt ist, dass das menschliche Auge bis zu 300 Bilder pro Sekunde unterschiedlich auf Scheinbewegungen und kontinuierliche Bewegungen reagiert. Bekannte Bewegungsmuster sind Juleszmuster, Summierungen von Gaussischer blobs oder Punktmuster (z.B. biologische Bewegung). Lehrreiche und sehr anschauliche Webseiten sowie Sammlungen von Bewegungsmustern gibt es unter: visuelle Illusionen und visuelle Wahrnehmung.

Siehe auch

Literatur

  • Hecht, H. (2006). Bewegungswahrnehmung. In J. Funke & P. A. Frensch (Eds.), Handbuch der Allgemeinen Psychologie: Kognition. (pp. 182–189). Göttingen: Hogrefe. ISBN 978-3-8017-1846-6

Weblinks

News mit dem Thema Bewegungssehen

Die News der letzten Tage

24.09.2023
Biodiversität | Insektenkunde
Streetlife: Insektenvielfalt auf Berliner Mittelstreifen
Das Museum für Naturkunde Berlin beobachtet seit 2017 im Rahmen des Projektes „Stadtgrün“ die Insektenvielfalt auf den Grünflächen der Mittelstreifen ausgewählter Straßen in der grünen Hauptstadt Europas.
23.09.2023
Anthropologie | Genetik
Studie zur genetischen Geschichte der Menschen Afrikas
Mithilfe von Erbgutanalysen moderner Populationen ist es einem internationalen Forschungsteam gelungen, die komplexen Abstammungsverhältnisse verschiedener in der angolanischen Namib-Wüste ansässiger Bevölkerungsgruppen besser zu erforschen.
22.09.2023
Bionik, Biotechnologie und Biophysik | Evolution | Neurobiologie
Der Quallentrainer
Quallen können aus Erfahrungen lernen, ähnlich wie der Mensch oder andere komplexe Lebewesen – das hat jetzt ein Team von Biologinnen und Biologenaus Deutschland und Dänemark gezeigt.
20.09.2023
Biodiversität | Citizen Science | Ethologie | Vogelkunde
Das Erfolgsgeheimnis steckt im Verhalten
Während viele Arten gerade zahlenmäßig und hinsichtlich ihres Verbreitungsgebiets drastisch zurückgehen, scheinen andere gut zu gedeihen.
19.09.2023
Land-, Forst-, Fisch- und Viehwirtschaft
Vitamine vom Dach
Obst und Gemüse wird heute über Tausende von Kilometern nach Deutschland transportiert.
19.09.2023
Land-, Forst-, Fisch- und Viehwirtschaft
Optimierte Kakaobestäubung für höhere Erträge
Wie lässt sich der Anbau von Kakao durch die richtige Bestäubungstechnik verbessern?
18.09.2023
Mikrobiologie
Stinkender Schleim: Wohlfühlort für Würmer und Mikroben
Kieler Forschungsteam untersucht am Beispiel von Fadenwürmern in einem naturnahen Kompost-Experiment, welchen Beitrag Wirtslebewesen und Mikroorganismen zur gemeinsamen Anpassung an einen neuen Lebensraum leisten.
18.09.2023
Anthropologie | Evolution | Neurobiologie
Evolution der sprach-relevanten Hirnstrukturen aufgedeckt
Sprache ist ein Aspekt, der uns zu Menschen macht.
18.09.2023
Mikrobiologie | Taxonomie
Darmmikrobe produziert stinkendes Giftgas, schützt aber vor Krankheitserregern
Taurin abbauende Bakterien beeinflussen das Darmmikrobiom, so ein internationales Team von Wissenschafter*innen unter der Leitung des Mikrobiologen Alexander Loy von der Universität Wien.
17.09.2023
Insektenkunde | Ökologie
Dieselabgase schädigen Insekten: erstmals Auswirkungen auf Hummeln erforscht
Der Rückgang der Insekten bedroht weltweit viele Ökosysteme - Während die Auswirkungen von Pestiziden gut erforscht sind, fehlte es bisher an Erkenntnissen über die Folgen anderer anthropogener Schadstoffe.
17.09.2023
Mikrobiologie | Toxikologie
Wie man Giftschlangen auf den Zahn fühlt
Nicht nur in den Tropen führen Schlangenbisse zu gefährlichen Vergiftungen – auch Bisse europäischer Giftschlangen können ernste körperliche Beschwerden hervorrufen.
16.09.2023
Evolution | Paläontologie
Langzeitseen als Motor für die Evolution von Süßwasserschnecken
In Millionen Jahre existierenden Langzeitseen entwickelten Süßwasserschnecken im Laufe der Erdgeschichte eine besonders große Vielfalt an Arten.