Wie sich Veränderungen in der Schweizer Flora auf blütenbesuchende Insekten auswirken



Bio-News vom 30.09.2022

Bisherige Naturschutzmaßnahmen steigern kaum die Artenvielfalt heimischer Pflanzen mit spezialisierter Bestäubungsbiologie. Ökologische Untersuchungen relativieren positiven Biodiversitätstrend in der Schweizer Flora. Eine Studie liefert Hinweise für Naturschutzmaßnahmen in Mitteleuropa.

Der Verlust von Lebensräumen hat in weiten Teilen Europas zu einem drastischen Rückgang der Artenvielfalt von Pflanzen sowie zu massiven Veränderungen in der Zusammensetzung der Artengemeinschaften geführt. Studien in einzelnen Regionen Mitteleuropas deuten aber darauf hin, dass dieser Trend seit den späten 1990er Jahren aufgrund von Naturschutzmaßnahmen regional gestoppt oder sogar umgekehrt werden konnte.


Knautien-Sandbiene, Andrena hattorfiana.

Publikation:


Abrahamczyk S., Roth T., Kessler M., Heer N.
Temporal changes in the Swiss flora - implications for flower-visiting insects
BMC Ecology & Evolution 22: 109 (2022)

DOI: 10.1186/s12862-022-02061-2



Unklar war bisher, ob diese Entwicklung bei verschiedenen Pflanzengruppen gleichermaßen zu beobachten ist. Ein deutsch-schweizerisches Wissenschaftlerteam der Universitäten in Bonn, Zürich und Basel sowie des Naturkundemuseums Stuttgart haben in einer Studie die Veränderungen in der Schweizer Flora seit dem Jahr 2002 analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Generalisten unter den Pflanzenarten aufgrund von Naturschutzbemühungen wieder zugenommen haben. Spezialisierte Pflanzen und Insekten profitieren davon aber kaum. Die Ergebnisse der Wissenschaftler können bei zukünftigen Renaturierungsplanungen in Mitteleuropa helfen. Die Publikation ist in der Fachzeitschrift „BMC Ecology and Evolution“ erschienen.


Breitblättrige Platterbse, Lathyrus latifolius.

Die Intensivierung der Landwirtschaft und der wachsende Flächenverbrauch durch die Ausweitung von Siedlungen, Gewerbegebieten und Infrastruktur, als auch der Klimawandel haben zu einer starken Verarmung der Flora seit Beginn des 20. Jahrhunderts geführt. Dieser Diversitätsrückgang war vor den 1990er Jahren am stärksten ausgeprägt. Seitdem haben Änderungen in der Naturschutzpolitik die Abnahme des Artenreichtums zwar verlangsamt und für einige Gruppen auf kleineren räumlichen Skalen sogar umgekehrt. Allerdings ging die Vereinheitlichung der Pflanzengemeinschaften oft weiter. Die Wiederzunahme der Artenzahl erfolgt meist durch weit verbreitete Arten und Neophyten, eingewanderte Pflanzen, die sich unter anderem aufgrund des Klimawandels ausbreiten können.

Unklar war bisher, ob Pflanzen, die von generalistischen Insekten oder dem Wind bestäubt werden, genauso stark zugenommen haben, wie Pflanzen, die an spezialisierte Bestäuber, wie Hummeln oder Schmetterlinge, angepasst sind. Außerdem war unbekannt, ob sich Pflanzen, die auf Pollen anderer Individuen derselben Art zur Samenproduktion angewiesen sind, genauso stark vermehrt haben wie Pflanzen, die mit dem eigenen Pollen Samen bilden können.

„Bei den Untersuchungen der Schweizer Flora konnten wir feststellen, dass es positive Entwicklungen über alle Artgruppen hinweg gibt. Diese Entwicklung ist allerdings viel deutlicher ausgeprägt bei Arten, die vom Wind und nicht von Insekten bestäubt werden. Innerhalb der insektenbestäubten Pflanzenarten profitieren Arten, die von generalistischen Insekten, wie z.B. Fliegen oder Bienen mit kurzen Zungen bestäubt werden mehr, als Arten, die auf spezialisierte Bestäuber angewiesen sind. Hierunter fallen Hummeln und langzüngige Wildbienen. Ebenfalls erholen sich Pflanzenarten stärker, die nicht auf Pollen eines anderen Individuums der eigenen Art angewiesen sind besser, als fremdbestäubte Pflanzen. Spezialisten hingegen profitieren kaum“, so Dr. Stefan Abrahamczyk, Botaniker am Naturkundemuseum Stuttgart. Der Experte für Bestäubungsbiologie hatte 2021 mit den Arbeiten zur Studie an der Universität Bonn begonnen.

Diese Erkenntnis lässt sich ebenfalls auf Insekten übertragen, die auf der Suche nach Nektar und Pollen auf spezifische, hoch spezialisierte Nahrungspflanzen angewiesen sind. Was die Bestäuber betrifft, so hat Europa in den letzten Jahrzehnten einen viel beachteten Zusammenbruch der Insektenpopulationen erlebt. Vor allem Insektenarten mit spezialisiertem Brut- oder Fressverhalten, darunter viele langzüngige Arten, sind drastisch zurückgegangen.

Aus naturschutzfachlicher Sicht belegen diese Ergebnisse der Studie, dass bei zukünftigen Schutz- und Renaturierungsplanungen die reproduktionsbiologischen Eigenschaften der habitattypischen Pflanzenarten berücksichtigt werden sollten. Naturschutzmaßnahmen sollten so ausgewählt werden, dass spezialisierte Pflanzen profitieren. Wenn diese Punkte in der Planung berücksichtigt werden, können sich spezialisierte, heimische Pflanzen und Insekten in Zukunft erholen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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