Wie neuronale Schaltkreise hungrige Individuen zu Höchstleistungen antreiben: Das Geheimnis der Motivation



Bio-News vom 26.09.2019

Erfolg kommt nicht von ungefähr: Wer sein Ziel erreichen will, braucht Durchhaltevermögen. Doch woher kommt die Motivation dafür? Ein internationales Forschungsteam, angeführt von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Technischen Universität München (TUM), hat jetzt im Gehirn von Fruchtfliegen den neuronalen Schaltkreis identifiziert, der diese bei der Futtersuche zu Höchstleitungen antreibt.

Der Duft von Essig oder Obst lässt Fruchtfliegen schneller laufen. Um das Futter zu erreichen, rennen sie bis zur Erschöpfung. Doch trotz der Anstrengung kommen sie ihrem Ziel nicht näher: Die winzigen Fliegen im Labor der TUM School of Life Sciences Weihenstephan sind am Oberkörper fixiert und können nur auf der Stelle laufen.


Prof. Ilona C. Grunwald Kadow wählt Drosophila Fliegen für ihre Motivationsversuche aus.

Publikation:


Sercan Sayin, Jean-Francois De Backer, K.P. Siju, Marina E. Wosniack,Laurence P. Lewis, Lisa-Marie Frisch,Benedikt Gansen, Philipp Schlegel, Amelia Edmondson-Stait, Nadiya Sharifi, Corey B. Fisher, Steven A. Calle-Schuler, J. Scott Lauritzen, Davi D. Bock, Marta Costa, Gregory S.X.E. Jefferis, Julijana Gjorgjieva, Ilona C. Grunwald Kadow
A Neural Circuit Arbitrates between Persistence and Withdrawal in Hungry Drosophila
Neuron 104, 1–15, November 6, 2019

DOI: 10.1016/j.neuron.2019.07.028



Die Bewegungen ihrer Beine drehen einen Ball, der auf einem Luftkissen schwebt. Aus der Drehgeschwindigkeit kann die Neurobiologin Prof. Ilona C. Grunwald Kadow ableiten, wie sehr sich eine Fruchtfliege bemüht, Futter zu finden.

„Unsere Experimente zeigen, dass hungrige Individuen ihre Leistung immer weiter steigern – sie laufen in einer Minute bis zu neun Meter. Satte Fruchtfliegen hingegen geben schnell auf“, berichtet die Forscherin. „Dies beweist, dass auch einfache Organismen Durchhaltevermögen und Beharrlichkeit an den Tag legen – bisher dachte man, dass diese Eigenschaften Menschen und anderen höheren Lebewesen vorbehalten sind.“

Ein neuronaler Schaltkreis steuert das Durchhaltevermögen

Zusammen mit Julijana Gjorgjieva, Professorin für Computergestützte Neurowissenschaften an der TU München und Gruppenleiterin am MPI für Hirnforschung in Frankfurt, sowie einem internationalen und interdisziplinären Forscherteam, konnte Grunwald Kadow erstmals einen neuronalen Schaltkreis im Gehirn der kleinen Fliegen identifizieren, der diese Art von Durchhaltevermögen steuert.

Dass die Wissenschaftler ausgerechnet die Motivation von Fruchtfliegen untersucht haben, ist kein Zufall. „Die Fliegengehirne haben eine Million Mal weniger Nervenzellen als das menschliche Gehirn. Man kann daher bei Fruchtfliegen deutlich einfacher herausfinden, was ein einzelnes Neuron bewirkt und wie“, erläutert die Professorin. „So können wir die Prinzipien neuronaler Schaltkreise verstehen, die der Funktion auch komplexer Gehirne zu Grund liegt.“

Die Macht der Neuronen

Um den für die Motivation verantwortlichen neuronalen Schaltkreis zu identifizieren, verwendete das Team verschiedene Techniken: Zunächst wurde ein mathematisches Modell erstellt, welches das Zusammenspiel von äußeren und inneren Reizen – beispielsweise Essiggeruch und Hunger – simuliert.

Im nächsten Schritt identifizierten die Neurowissenschaftler der TUM zusammen mit Kollegen in USA und Großbritannien das gesuchte Netzwerk im Gehirn der Fruchtfliege. Dies gelang mit Hilfe von Elektronenmikroskopie, In-Vivo-Imaging und Verhaltensversuchen.

Das Ergebnis: Der gesuchte neuronale Schaltkreis liegt im Lern- und Erinnerungszentrum des Fliegengehirns. Gesteuert wird er durch die beiden Botenstoffe Dopamin und Octopamin. Das Dopamin verstärkt die Aktivität des Schaltkreises, steigert also die Motivation, das Octopamin hingegen senkt die Bereitschaft sich anzustrengen.

„Da diese Botenstoffe und entsprechende Schaltkreise auch im Gehirn von Säugetieren existieren, nehmen wir an, dass hier ähnliche Mechanismen über Weitermachen oder Aufhören entscheiden“, resümiert die Neurobiologin. Langfristig hoffen die Forscher, dass ihre Erkenntnisse helfen zu verstehen, warum das Zusammenspiel von Neuronen und Botenstoffen im Gehirn beispielsweise bei Suchtkrankheiten aus dem Ruder läuft.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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