Optographie


Die Optographie wird auch als „Wissenschaft um die Fixierung des letzten Bildes, das ein Lebewesen vor dem Tod sieht.“[1] bezeichnet.

Die Idee und die ersten Forschungsansätze mit dem Ziel, eine Methode zu erarbeiten, die das letzte Bild auf der Netzhaut eines Toten (Optogramm) wiedergibt, stammen aus dem 19. Jahrhundert.[2] Die Namensgebung Optogramme stammt von dem Heidelberger Professor Wilhelm Friedrich Kühne.

Der wissenschaftliche Stellenwert der Optographie ist aufgrund des fehlenden Nutzens minimal. Historische Überlegungen, sie als forensisches Mittel einzusetzen, waren nie zu realisieren. Heutzutage haben Künstler die Optographie als den magischen Moment des letzten Blickes für sich entdeckt.[3]

Physiologie

Funktionsweise einer Lochkamera

Auf der Netzhaut des Auges entsteht ähnlich wie bei einer Kamera ein auf dem Kopf stehendes Abbild des einfallenden Lichts. In der Netzhaut gibt es Sehzellen, in denen sich der „Sehpurpur“, das Rhodopsin, befindet. Trifft ein Photon mit ausreichend Energie auf das Rhodopsin, ändert dieses seine Konformation. Siegfried Seligmann beschrieb diesen Effekt 1899 als Bleichen des Sehpurpurs.[4] Wenn also helles Licht längere Zeit auf bestimmte Stellen der Netzhaut einwirkt, werden diese heller als die nicht oder weniger belichteten Nachbarbereiche. Die Darstellung dieser Netzhautveränderungen nennt man ein Optogramm. Sein Herstellungsprinzip beruht auch heutzutage noch auf dem Bleichen des Sehpurpurs durch hellen Lichteinfall.[5]

Geschichtliche Aspekte

Die Geschichte der Optographie reicht zurück bis ins 17. Jahrhunderts. Damals hatte ein Jesuiten-Mönch (Christopher Schiener) bei einem toten Frosch ein Bild auf dessen Netzhaut gesehen und als den Anblick interpretiert, den der Frosch kurz vor seinem Ableben gesehen hat.[3]

1876 entdeckte Franz Boll das Rhodopsin. Wilhelm Kühne stellte wenig später optographische Untersuchungen bei einem Kaninchen an und erkannte das Abbild seines Laborfensters. Robert Bunsen war Zeuge der Entdeckung. 1880 konnte Kühne bei dem mittels Guillotine hingerichteten Erhard Reif ein Optogramm auf einer menschlichen Retina erkennen. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, was es darstellte. Später versuchte man Optogramme zur Aufklärung von Mordfällen zu verwenden. Eine Wiener Zeitung will in Erfahrung gebracht haben, dass der Oberstaatsanwalt in einem der sensationellen Massenmord-Prozesse der Weimarer-Zeit neben den Fällen Fritz Haarmann und Peter Kürten 1924/25, dem Fall Fritz Angerstein, den Angeklagten – und das wohl letztmals in der deutschen Strafjustizgeschichte – mit diesem an esoterische Methoden anmutenden Beweismittel konfrontiert haben soll: Ein Optogramm hätte den ohnehin verdächtigen Angerstein als Täter bestätigt. Sämtliche Versuche, das Verfahren kriminaltechnisch nutzbar zu machen, scheiterten allerdings,[2][5] obwohl US-Richter in dem Verfahren Eborn v. Zimpelman zu dem Schluss kamen: „Die Wissenschaft hat herausgefunden, dass eine perfekte 'Fotografie' eines Objektes, das im Auge eines Sterbenden reflektiert wird, nach dem Tod auf der Retina fixiert bleibt.“

1975 führte der Augenarzt Evangelos Alexandridis an der Heidelberger Universitätsaugenklinik auf Anfrage von Kriminologen erneut ähnliche Versuche durch. Auch dabei konnten erfolgreich Optogramme erstellt werden.[2][1][3] Überlegungen an eine praktische Umsetzung der theoretisch möglichen Verwendung in der Forensik mussten dabei jedoch verworfen werden.[6][5]

Herstellung eines Optogrammes

Aufbau des Auges (Mensch). Netzhaut dunkelgrün.

Erste konkrete Anleitungen zum Erhalt von Optogrammen gehen auf Wilhelm Kühne und August Ewald zurück. Sie führten ihre Untersuchungen an Augen von Fröschen, Kaninchen und Ochsen durch, die noch lebten, oder kurz vorher getötet worden waren. Als wesentlich für den Versuchsaufbau forderten sie dabei, dass das Auge gut fixiert, das Bild scharf und das Licht gut sein müsse. Die Einwirkzeit des Lichtes dürfe gleichzeitig in aller Regel nicht unter drei Minuten liegen.[4]

Die Herstellung des Optogrammes selbst wurde Ende des 19. Jahrhunderts beispielsweise für das Kaninchen beschrieben: Die Augen wurden nach der Belichtung unverzüglich bedeckt, um weiteren Lichteinfall und damit eine zweizeitige Änderungen der Netzhaut zu verhindern. Die Arbeit des Eröffnens und Härtens der Augen mittels Alaunlösung wurde in einer Dunkelkammer durchgeführt. Die anschließend abgelöste Netzhaut wurde in einer kleinen konkaven Porzellanschale so ausgebreitet, dass die ursprünglich dem Glaskörper zugewandte Seite oben zu liegen kam. Konserviert wurden die Präparate durch Trocknung mit konzentrierter Schwefelsäure.[4]

In den 1970er Jahren nahm Evangelos Alexandridis diese Experimente wieder auf. Er setzte dabei narkotisierte Kaninchen ebenfalls vor kontrastreiche Bilder, tötete sie anschließend, entnahm die Augen, löste deren hinteren Bereich ab und legte diesen ebenfalls in Alaunlösung (24 Stunden lang). Anschließend entnahm er die Netzhaut, zog diese auf eine kleine Kugel von der Größe eines Augapfels auf und ließ sie im Dunkeln trocknen. Da die Präparate nicht lichtresistent waren, photographierte er sie zur Dokumentation.[5]

Stellenwert

Der Stellenwert der Optographie als dem magischen Moment des letzten Blickes liegt heutzutage eher im Bereich der Kunst. Schon der Physiologe Wilhelm Kühne stellte seine Optogramme als Lithographien zu Schau.[7]

Literatur

  • Bernd Stiegler: Belichtete Augen. Optogramme oder das Versprechen der Retina. S. Fischer Verlag, 2011, ISBN 978-3-10-075550-6
  • Derek Ogbourne: Encyclopedia of Optography: The Shutter of Death, The Muswell Press, 2008, ISBN 978-0954795948
  • Derek Ogbourne. Der letzte Blick - Museum of Optography, Katalog zur Ausstellung im Kurpfälzischen Museum der Stadt Heidelberg mit Beiträgen von Prof. Frieder Hepp, Dr. Kristina Hoge und Stefanie Boos, 66 Seiten, 2010, ISBN 978-3-938839-89-8
  • Arthur B. Evans, Optograms and Fiction: Photo in dead Man's Eye, Science Fiction Studies, Vol. 20, Part 3, 1993.
  • Richard L. Kremer, The Eye as inscription Device in the 1870s: Optograms, Cameras and the Photochemistry of Vision, in: Brigitte Hoppe (Hg.), Biology integrating scientific fundamentals, München 1997, S. 359 - 381.
  • Wilhelm Kühne, Untersuchungen des Physiologischen Instituts der Universität Heidelberg, Bd. 4, 1881, S. 280ff.
  • Wilhelm Kühne, Vorläufige Mitteilung über optographische Versuche, in: Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften, 1877, p. 33 et p. 49.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 die-stadtredaktion.de: „Der letzte Blick“ – Derek Ogbournes ‚Museum of Optography‘, hier online; zuletzt eingesehen am 23. Aug 2010
  2. 2,0 2,1 2,2 Kurt F. de Swaaf: Der letzte Blick. Der Spiegel, 13. Juli 2010; zuletzt eingesehen am 23. Aug 2010
  3. 3,0 3,1 3,2 Ausstellung zur Optografie im Kurpfälzischen Museum der Stadt Heidelberg; zuletzt eingesehen am 23. Aug 2010
  4. 4,0 4,1 4,2 Seligmann S. 184ff: Die Mikroskopischen Untersuchungsmethoden Des Auges, S. Karger Verlag, Berlin, 1899; als Reprint BiblioBazaar, LLC, 2009, ISBN 1110256507, hier online
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 Ogbourne D.: Encyclopedia of Optography, Muswell Press, 2008, S. 10ff, ISBN 0954795946, hier online
  6. Wissenschaft im Dialog Der letzte Blick - Museum of Optography
  7. Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik, Band 2,2, Akademie Verlag, Berlin, S. 25, ISBN 3-05-004063-7 hier online

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