Muskelfunktionstest

Der Muskelfunktionstest nach Vladimir Janda ist eine Untersuchungsmethode, die über die Kraft einzelner Muskeln oder Muskelgruppen, die eine funktionelle Einheit bilden, und über das Ausmaß von Läsionen peripherer motorischer Nerven Auskunft gibt. Sie ermöglicht außerdem die Analyse einfacher motorischer Stereotype, bildet die Grundlage für die analytisch vorgehende Physiotherapie und ist zugleich Hilfsmittel zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit eines getesteten Körperteils. Janda geht bei seinem Muskelfunktionstest davon aus, dass stets eine gewisse Muskelkraft erforderlich ist, um ein Körperteil durch den Raum zu bewegen. Grundsätzlich können folgende Stufen der Muskelkraft unterschieden werden:

  • Die Muskulatur ist imstande, einen der Bewegung von außen entgegengesetzten Widerstand zu überwinden.
  • Die Muskulatur kann nur noch die Schwerkraft überwinden.
  • Die Muskulatur kann Körperteile nur noch unter Ausschluss der Schwerkraft überwinden.
  • Es kommt nur eine Muskelanspannung zustande, eine Bewegung bleibt dagegen aus.

Der Muskelfunktionstest ist eine analytische Methode. Sie dient grundsätzlich nur der Kraftbestimmung einzelner Muskelgruppen, jedoch ist sie auch eine Untersuchung bestimmter, genau definierter, verhältnismäßig einfacher motorischer Stereotype.

Bewertungsstufen

Janda beschreibt die Muskelkraft mittels sechs Grundstufen. Jeder Grundstufe ist ein spezieller Prozentwert der maximalen Muskelleistungsfähigkeit zugeordnet:

  • Stufe 5: N (normal) Volle, normale Muskelkraft (100 % der Norm), normal kräftiger Muskel bedeutet nicht, dass der Muskel in allen Funktionen normal ist (z. B. Ermüdbarkeit).
  • Stufe 4: G (good) Circa 75 % der normalen Muskelkraft, d.h. mittelgroßer Widerstand kann in vollem Bewegungsausmaß überwunden werden.
  • Stufe 3: F (fair) Circa 50 % der normalen Muskelkraft, d.h. Bewegung kann gegen die Schwerkraft in vollem Bewegungsmaß ausgeführt werden.
  • Stufe 2: P (poor) Circa 25 % der normalen Muskelkraft, d.h. Ausführung der Bewegung in vollem Bewegungsausmaß möglich, jedoch nicht gegen die Schwerkraft.
  • Stufe 1: T (trace) Spur einer Anspannung; circa 10 % der normalen Muskelkraft.
  • Stufe 0: Z (zero) Beim Bewegungsversuch keine Muskelkontraktion möglich.

Gearbeitet wird nur mit der Verwendung der arabischen Zahlen. Die Prozentsätze oder Abkürzungen werden nicht verwendet. Ergibt sich bei den Untersuchungen ein Wert der zwischen 2 Stufen liegt, so wird die entsprechende Zahl mit einem „+“ oder „–“ versehen. Bei Sportlern werden nur die Stufen 3,4 und 5 in der Bewertung verwendet. Den Grund dafür findet man bereits in der Stufenerklärung, denn wer wäre ein Sportler, der Muskeln besitzt die gerade einmal 10 % der normalen Muskelkraft besitzen.

Untersuchung verkürzter Muskelgruppen

Unter dem Begriff Muskelverkürzung oder besser „verminderte Dehnbarkeit“ wird ein Zustand bezeichnet, bei dem es aus den verschiedensten Ursachen zu einer Verkürzung des in Ruhe befindlichen Muskels gekommen ist. Der Muskel ist also im Ruhezustand kürzer als normal, und er lässt sich passiv nicht soweit dehnen, wie es dem vollen Bewegungsausmaß des zugeordneten Gelenks entsprechen würde. Dieser Zustand ist weder durch eine erhöhte Aktivität des Nervensystems, noch durch eine aktive Muskelkontraktion bedingt. Eine Form der Verkürzung ist die Muskelkontraktur, wie sie durch Änderung des Kräfteverhältnisses von antagonistischen Muskelgruppen entsteht.

Es ist bewiesen, dass gewisse Muskelgruppen zur Verkürzung, andere zur Abschwächung neigen. Im Gegensatz zur Muskelabschwächung wurde der Untersuchung von Verkürzungen bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, wobei verkürzte Muskeln bei einer Vielzahl von Bewegungsstörungen eine große Rolle spielen können.

Bei der Untersuchung verkürzter Muskelgruppen muss ebenso präzise gearbeitet werden wie beim Muskelfunktionstest. Dementsprechend wird hier derselbe Bewertungsmaßstab angewendet.

Es ist bei einem Großteil der verkürzten Muskeln sehr schwierig, den Grad der Verkürzung quantitativ genau zu bestimmen, und daher begnügt man sich meistens nur mit einer allgemeinen Bewertung. Um jedoch trotzdem eine zuverlässige Prüfung zu erreichen, müssen die vorgeschriebene Ausgangslage, Fixation und Bewegungsrichtung peinlich genau eingehalten werden. Wie beim Muskelfunktionstest darf der Muskel nicht gedrückt werden. Logisch ist, dass Muskelverkürzungen nur dann richtig bewertet werden können, wenn die Gelenkbeweglichkeit in keiner Weise eingeschränkt ist.

Beispielübungen zum Test der Muskelfunktion und Verkürzung

Muskelfunktion

Streckung des Hüftgelenkes

Ausgangsstellung: Bauchlage, kleines Kissen unter dem Bauch, Kopf liegt auf der Stirn, Arme längs neben dem Körper, Beine in Grundstellung, Fußspitzen ragen über den Bankrand.

  • Stufe 5:
    • Fixation: mit Finger und Hand wird das Becken auf der zu testenden Seite fixiert, während der Daumen den Trochanter major (großer Rollhügel, oberes Ende des Oberschenkelhalses) betastet.
    • Bewegung: Hyperextension des Beines im Hüftgelenk von 10-15° hinter die Frontalebene.
    • Widerstand: mit Hand am unteren Drittel der hinteren Oberschenkelmuskulatur: bogenförmig gegen die Bewegungsrichtung
  • Stufe 4:
    • Fixation: mit Finger wird der Trochanter major betastet
    • Bewegung: Hyperextension des Beines im Hüftgelenk von 10-15° hinter die Frontalebene.
    • Widerstand: keiner
  • Stufe 3: Seitlage auf dem zu testenden Bein, oberes Bein wird vom Tester in Abduktion gehalten
    • Fixation: Festhalten des Beckens am Darmbeinkamm
    • Bewegung: Hyperextension im Hüftgelenk aus der Nullstellung (10-15°)

Verkürzung

Dehnfähigkeit der Musculus pectoralis major (PMA/ PMS/ PMC)

Ausgangsstellung: Rückenlage am Bankrand auf der zu untersuchenden Seite. Beine gebeugt, Fußsohlen auf der Bank abgestützt. Arme entspannt neben dem Körper, Kopf in Mittelstellung.

  • Stufe 5: Arm sinkt bis zur Horizontalen ab. Bei Druck vergrößert sich das Bewegungsausmaß
  • Stufe 4: Arm erreicht die Horizontale nicht von allein sondern nur unter Druck von oben.
  • Stufe 3: Arm bleibt selbst mit Druck über der Horizontalen.

Anhang

Literatur

  • Janda, Vladimir:Manuelle Muskelfunktionsdiagnostik, Urban&Fischer, 4. Auflage (ISBN 3-437-46430-2)
  • Tittel, Kurt:Beschreibende und funktionelle Anatomie des Menschen, VEB Gustav Fischer Verlag Jena, 4. Auflage

Weblinks

Die News der letzten Tage

22.03.2023
Physiologie
Startschuß zur optischen Wahrnehmung
Forschende haben den molekularen Vorgang entschlüsselt, der als Allererstes im Auge abläuft, wenn Licht auf die Netzhaut trifft.
22.03.2023
Neurobiologie
Wettbewerb zwischen den Gehirnhälften im Schlaf
Der Mensch ist beidseitig symmetrisch: unser Gehirn besteht aus zwei Hälften, den so genannten Hemisphären.
22.03.2023
Neurobiologie | Physiologie
Warum wir von Schokoriegeln und Co. nicht die Finger lassen können
Schokoriegel, Chips und Pommes - warum können wir sie im Supermarkt nicht einfach links liegen lassen?
22.03.2023
Biochemie | Genetik | Zytologie
Aus Perspektive eines Ingenieurs ist Biologie chaotisch und unvollkommen
Der Vorteil von Redundanz in biologischen Systemen.
21.03.2023
Paläontologie
Neue Augen bei Trilobiten entdeckt
Wissenschaftler*innen der Universitäten Köln und Edinburgh entdecken bisher übersehene Augen bei Trilobiten.
21.03.2023
Bionik, Biotechnologie und Biophysik | Bioinformatik
Molekularbiologie trifft auf Quantenphysik
Biologische Systeme sind hochkomplex: Sie werden vor allem über genregulatorische Netzwerke gesteuert, in denen Gene, Proteine und RNA auf vielfältige Art interagieren.
21.03.2023
Astrobiologie | Bionik, Biotechnologie und Biophysik
Leben auf fernen Monden
Flüssiges Wasser gehört zu den wichtigsten Bedingungen für die Entstehung von Leben, wie wir es auf der Erde kennen.
21.03.2023
Biodiversität | Ökologie
Die Fichte stirbt und andere Bäume leiden
Ergebnisse der Waldzustandserhebung 2022 zeigen: Kronenverlichtungen für alle Baumarten weiterhin hoch.
21.03.2023
Genetik | Klimawandel | Physiologie | Zytologie
Modell Arabidopsis thaliana: Ein neuer Signalweg bei niedrigem Sauerstoffgehalt
Der Klimawandel führt zu einem vermehrten Auftreten von Wetterextremen: Im Fokus stehen bisher vor allem lange Dürre- und Hitzeperioden.
21.03.2023
Biodiversität | Taxonomie
Neue Arten der Riesenkrabbenspinnen beschrieben
Ein Forschungsteam aus Deutschland und aus China hat 99 neue Arten aus der Familie der Riesenkrabbenspinnen in Süd-, Ost- und Südostasien beschrieben.
20.03.2023
Biodiversität | Neobiota
Weitverbreitete Arten auf dem Vormarsch
Das menschliche Verhalten treibt den Wandel der Biodiversität und Veränderungen in der Zusammensetzung der Arten rapide voran.