Aneurysma


(Weitergeleitet von Hirn-Aneurysmen)
Klassifikation nach ICD-10
I71.- Aortenaneurysma und -dissektion
I72.0 Aneurysma der Arteria carotis
I72.1 Aneurysma einer Arterie der oberen Extremität
I72.2 Aneurysma der Nierenarterie
I72.3 Aneurysma der Arteria iliaca
I72.4 Aneurysma einer Arterie der unteren Extremität
I72.8 Aneurysma sonstiger näher bezeichneter Arterien
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das Aneurysma (von altgriechisch ἀνεύρυσμα aneúrysma /aneǔ̯rusma/, wörtlich: „Erweiterung“)[1][2][Anmerkung 1], auch Arterienerweiterung oder umgangssprachlich Arterielle Aussackung genannt, ist eine spindel- oder sackförmige, lokalisierte, permanente Erweiterung des Querschnitts von Blutgefäßen infolge angeborener oder erworbener Wandveränderungen. Im Gegensatz zum Aneurysma handelt es sich bei einer Ektasie um eine permanente Erweiterung, welche sich trotz Intaktheit aller beteiligten Wandschichten ausgebildet hat.

Einteilung

Man unterscheidet zwischen dem „echten“ Aneurysma (Aneurysma verum), dem „falschen“ Aneurysma (Aneurysma spurium = A. falsum) und dem dissezierenden Aneurysma (Aneurysma dissecans) als Folge einer Gefäßwand-Dissektion. Mit einem „Aneurysma“ ohne weitere Angabe ist normalerweise ein Aneurysma verum gemeint.

Aneurysma verum

Aneurysma im linken Leistenbereich

Bei einem Aneurysma verum ist die gesamte Gefäßwand mit allen Schichten (Intima, Media und Adventitia) erweitert, meist als Folge von Arteriosklerose. Überwiegend sind Männer ab dem 50. Lebensjahr betroffen, vor allem Hypertoniker und Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit. Ein Riss der Gefäßwand, der hier durch die mit der Aufweitung verbundene Schwächung des Gefäßes eintreten kann (Ruptur), kann je nach Lage des Gefäßes lebensbedrohlich sein.

Aneurysma spurium/falsum

Bei einem Aneurysma spurium (= Aneurysma falsum) durchzieht ein Riss, dessen Entstehung etwa auf die Folge einer stumpfen oder scharfen Verletzung (wie bei einer Seldinger-Punktion) zurückgeht, die Intima und die Media, die Adventitia bleibt laut Lehrbuchdefinition bestehen, wobei in der pathologischen Praxis das Hämatom oft die Adventitia durchschreitet. Um diese Gefäßwandleckage entwickelt sich ein Bluterguss („pulsierendes Hämatom“). Das den Gefäßwanddefekt umgebende Gewebe, etwa das Brust- oder Bauchfell, kann die Ausdehnung des Blutergusses begrenzen und damit bei Verletzung großer Gefäße – häufig nur kurzfristig – den Verblutungstod hinauszögern. Sollte die Tamponade länger stabil bleiben, wird das pulsierende Hämatom innerhalb von vier bis sechs Wochen von einer Bindegewebskapsel umgeben. Da dieses aneurysmatoide Gebilde aber außerhalb der Gefäßwand entstanden ist, nennt man es falsches Aneurysma (Aneurysma spurium oder falsum). Eine Rupturgefahr besteht aber weiterhin.

Aneurysma dissecans

Eine Dissektion ist kein Aneurysma, denn die Aorta wird nicht erheblich dilatiert (erweitert). Dennoch gibt es in verschiedenen Lehrbüchern den irrtümlichen Begriff des Aneurysma dissecans als Bezeichnung für eine Dissektion. Obwohl dies nicht korrekt ist, wird der Begriff immer noch von einigen Fachpathologen verwendet.[3]

Bei einer Dissektion wühlt sich das Blut zwischen die Schichten der Gefäßwand vor und zerteilt (disseziert) diese. Dadurch entsteht eine zweite, künstlich geschaffene Blutbahn, ein Pseudolumen. Da eine recht rigide Muskelschicht das Gefäß umgibt, kann es durch Wachsen der Dissektion und Druckanstieg zur Abklemmung des echten Lumens kommen.

Ursachen

Als Ursache stehen die degenerativen Gefäßwanderkrankungen (in über 80 % der Fälle Arteriosklerose) zahlenmäßig weit im Vordergrund. Weit seltenere Ursachen sind Traumata, Infektionen (rheumatisches Fieber, Syphilis, Lyme-Borreliose), Entzündungen und angeborene Bindegewebsschwächen (Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom). Bei etwa fünf bis sieben Prozent der Aneurysmaträger treten diese multipel an verschiedenen Körperlokalisationen auf (Morbus aneurysmaticus). Aneurysmata der Aorta betreffen nicht nur Erwachsene, sondern können als Folge eines Marfan-Syndroms oder als Spätfolgen einer Volumenbelastung der Aorta bei angeborenen Herzfehlern mit Rechts-Links-Shunt oder einer shuntabhängigen Perfusion der Lungen klinisch bedeutsam werden. Des Weiteren kann es nach einer Erkrankung am Kawasaki-Syndrom zu Aneurysmen an den Herzkranzgefäßen kommen. Eine 2010 veröffentlichte Studie dokumentiert zudem ein deutlich erhöhtes Risiko für das Vorliegen von Hirnaneurysmen bei Patienten mit einer Aorta bicuspida, einer relativ häufigen angeborenen Fehlbildung der Aortenklappe.[4]

Pathogenese und Verlauf

Die Brisanz zentraler Aneurysmen (etwa infrarenales Bauchaortenaneurysma) liegt in ihrer potentiell tödlichen Rupturgefahr (also Rissgefahr). Diese steigt mit zunehmendem Querdurchmesser des Aneurysmas, da, analog zum Laplace-Gesetz, die elastischen Rückstellkräfte der Gefäßwand proportional zum wachsenden Radius abnehmen (vgl. Gummiballon).

Aneurysmen der peripheren Gefäße bedrohen vor allem durch thromboembolische Gefäßverschlüsse die Gliedmaßen. In der Regel sind Aneurysmata teilweise mit Thrombenmassen, welche sich oft randständig befinden, ausgefüllt. Diese Thrombenmassen können zum Beispiel beim Aneurysma in der Kniekehle durch entsprechende Bewegungen in die periphere Zirkulation ausmassiert werden. Dies führt zu peripheren, zum Teil irreversiblen Gefäßverschlüssen mit entsprechenden Folgen.

Symptome und Befunde

Ein Großteil der Bauchaorten- und Becken-Aneurysmataträger ist asymptomatisch. Die Diagnose findet meistens zufällig im Rahmen einer Routineuntersuchung oder Bauchabklärung statt. Im Ultraschall kann die Diagnose bei Bauchschlagader- oder Beckenarterien-Untersuchungen mit großer Treffsicherheit erfolgen. Werden diese Aneurysmata symptomatisch, treten Rückenschmerzen oder diffuse Abdominal-Schmerzen auf. Sie sind typisch für das expandierende Aneurysma mit Einblutung in die Wand. Die intraabdominalen Aneurysmata können frei in die Bauchhöhle rupturieren, was zur Bildung eines großen intraperitonealen Hämatoms (Hämaskos) und oft zum Verbluten des Patienten führt. Häufig kann aber das Retroperitoneum (die Gefäße liegen im Retroperitonealraum) diese Blutung noch zurückhalten. Der Patient präsentiert sich mit heftigsten Flankenschmerzen und einer Schock-Symptomatik (Differentialdiagnose: Nierenkolik, Pankreatitis). Bei den peripheren Aneurysmata steht nicht die Ruptur, sondern der thrombotische Verschluss des Aneurysmas oder der embolische Verschluss der distalen Gefäße im Vordergrund. Die Symptomatik ist häufig akut. Embolien nach distal können auch chronisch und lange Zeit oligosymptomatisch (der Patient merkt wenig oder nichts) ablaufen. Bei den cerebralen (im Gehirn gelegenen) Aneurysmata (sogenannte Hirn-Aneurysmata) kann es durch den Druck, den ein Aneurysma auf einen Nerv ausübt, zu Lähmungserscheinungen im Gesicht kommen. Bei einer Ruptur eines solchen Aneurysmas ist ein Schlaganfall oder eine Subarachnoidalblutung (Hirnblutung) die Folge.

Diagnostik

Klinische Untersuchung:

  • Periphere Aneurysmata sind oft ohne Schwierigkeiten durch Inspektion (Betrachtung) und Palpation (Ertastung) zu erkennen.
  • Das Bauchaortenaneurysma kann bei schlanken Patienten während der Untersuchung als expansiv pulsierender Tumor im Mittelbauch palpiert (ertastet) werden. Bei adipösen (fettleibigen) Menschen ist dies allerdings selten möglich.

Apparative Untersuchung:

  • Die Ultraschall-Sonografie ermöglicht eine nicht-invasive und kostengünstige Aneurysma-Diagnostik. Sie eignet sich gut als Screening-Methode bei asymptomatischen Personen.
  • Die Computertomografie gibt morphologisch präzise und geometrisch reproduzierbare Messwerte des Aneurysmas an. Ebenfalls können die Art der Thrombosierung, die Wandbeschaffenheit und der Bezug des Aneurysmas zu den Nachbarorganen bildlich dargestellt werden.
  • Die Angiografie dient nicht nur dem Aneurysmanachweis, sondern wird zum Nachweis von Verschlusserkrankungen in peripheren oder zentralen Gefäßen wie etwa Nierenarterien begleitend eingesetzt.

Therapie

Endovaskulär oder chirurgisch (zu den Details siehe auch Abschnitt „Spezielle Aneurysmata“).

Spezielle Aneurysmata

Aortenaneurysmata

Als Aortenaneurysma wird ein Aneurysma der Hauptschlagader (Aorta) bezeichnet. Man unterscheidet Aneurysmen der Aorta in der Höhe des Brustkorbes von abdominellen Varianten. Bei fortgeschrittenem Aneurysma droht eine Ruptur mit einer hohen Sterblichkeitsrate.

Als Bauchaortenaneurysma (BAA) oder abdominales Aortenaneurysma (AAA) wird eine Erweiterung der abdominalen Aorta unterhalb des Abgangs der Nierenarterien im anterioposterioren Durchmesser auf über 30 mm angesehen. Klinisch unterscheidet man zwischen asymptomatischen, symptomatischen und rupturierten Aneurysmata. Beim asymptomatischen (schmerzfreien) Aneurysma handelt es sich um einen Zufallsbefund. Beim symptomatischen Aneurysma stehen die Symptome und bei den rupturierten die Kreislaufsituation im Vordergrund.

Die chirurgische Behandlungsbedürftigkeit eines thorakalen Aortenaneurysmas (TAA) hängt von der Zunahme des normalen Durchmessers von über 50 % ab, besonders beim Kind. Die kritische Größe bei Erwachsenen ist bei einem Durchmesser von 50 bis 55 mm erreicht. Dafür stehen verschiedene Operationsverfahren zur Verfügung.

Als Aortendissektion bezeichnet man eine Aufspaltung der Wandschichten der Aorta.

Gehirnaneurysma

Angiografie eines Aneurysmas in einer Gehirnarterie

Aneurysmata von Hirngefäßen werden, abhängig von ihrer Lokalisation, Form und Größe entweder endovaskulär oder neurochirurgisch behandelt. Unter einer bestimmten Größe oder bei Beschwerdefreiheit des Patienten bedürfen cerebrale Aneurysmata gegebenenfalls gar keiner weiteren Therapie.

  • Bei der endovaskulären Therapie werden mittels eines hohlen Mikrokatheters über die Leistenarterie sogenannte Coils (Spiralen aus einer Platinlegierung) in den Aneurysmasack gebracht. Diese Coils füllen das Aneurysma zwar nur zu etwa 30 % aus, verursachen aber eine Thrombenbildung und verhindern so die weitere Blutzirkulation im Aneurysma. So ist das Hirn-Aneurysma vor einer möglichen Ruptur geschützt. Dies ist seit Anfang der 1990er Jahre die bevorzugte Technik, da sie keine offene Operation am Gehirn erfordert.
  • Bei der neurochirurgischen Therapie wird das Aneurysma mittels einer Kraniotomie (offene Hirn-Operation) angegangen. Der Aneurysmasack wird mittels eines Clips (meist aus Titan) abgeklemmt. Somit ist das Aneurysma vom Blutkreislauf ausgeschlossen. Ist ein Clipping nicht möglich, wird das Aneurysma gewrappt, d. h. die Arterien-Aneurysma-Wand wird wandverstärkt. So soll die mitunter poröse Arterienwand verstärkt werden, um eine mögliche Ruptur zu verhindern.

Die Ursache ist eine wahrscheinlich angeborene Schwäche der Zellen der Gefäßinnenwand, der sogenannten Endothel-Zellen. Im Laufe des Lebens entsteht dann unter bestimmten Umständen, wie z. B. bei Normvarianten von Gefäßaufzweigungen, Verschluss von hirnzuführenden Gefäßen und länger bestehendem Hochdruck ein Aneurysma. Bevorzugt treten sie an Aufzweigungen von Gefäßen auf. An den intracraniellen Hirnarterien ist die Muskelschicht dünner als an den übrigen Arterien des Körpers. Daher sind die Hirnbasis-Gefäße prädisponiert für das Entstehen von Aneurysmen.

In Autopsie-Serien werden bei ein bis fünf Prozent der Bevölkerung Mitteleuropas Aneurysmen gefunden, die nicht geblutet haben. Frauen sind häufiger betroffen als Männer (5:3).

Bei zehn bis 20 Prozent aller Aneurysma-Patienten liegen mehrere Aneurysmata an den Hirnbasis-Gefäßen vor.

Aneurysmata an den Hirnbasis-Gefäßen sind gefährlich. Auch hier können sie platzen und eine tödliche Hirnblutung verursachen (Subarachnoidalblutung). Man geht davon aus, dass 60 bis 70 % der Patienten an oder nach der Hirnblutung sterben, nur an die zehn Prozent behalten keine neurologischen Ausfälle; der Rest muss mit neurologischen Ausfällen wie vollständiger Lähmung/Halbseitenlähmung, Sprachverlust oder anderen Hirnschäden rechnen.

Medizingeschichte

Die älteste schriftliche Schilderung über Aneurysmen findet sich im Papyrus Ebers aus dem Alten Ägypten. Die ersten präzisen anatomischen Beschreibungen stammen aus den Autopsiestudien von Andreas Vesalius und William Harvey aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Antonio Scarpa unterschied als erster 1804 zwischen „echten“ und „falschen“ Aneurysmen. In der Antike wurde bereits versucht, Aneurysmen durch Kompression zu behandeln. Der griechische Arzt Antyllos beschrieb um das 3. Jahrhundert n. Chr. eine Methode zur Operation der Aneurysmen durch Exstirpation.[5] Der britische Chirurg John Hunter propagierte im 18. Jahrhundert die Ligatur des betroffenen Gefäßes stromaufwärts des Aneurysmas. Noch in den 1950er Jahren wurden Aneurysmata operativ umwickelt, um die lebensbedrohlichen Blutungen zu verhindern. Im 20. Jahrhundert setzten sich schließlich Stents und Prothesen als Behandlungsmethode durch.[6]

Literatur

Weblinks

Commons: Aneurysma – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wilhelm Gemoll: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. München/Wien 1965.
  2. Pschyrembel Medizinisches Wörterbuch. 257. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 1993, ISBN 3-933203-04-X, S. 67.
  3. Luca Cioccari: Spezielle Pathologie in der Übersicht. Skriptenzentrale Medizin, Bern (2007) 1:21.
  4. Wouter I. Schievink, S. Sharo, M. Raissi, Marcel Maya, Arlys Velebir: Screening for intracranial aneurysms in patients with bicuspid aortic valve. In: Neurology. 74. Jahrgang, Nr. 18, 4. Mai 2010, S. 1430 -1433, doi:10.1212/WNL.0b013e3181dc1acf (neurology.org [abgerufen am 21. Mai 2011]).
  5. M. Sachs: Die Methoden der Blutstillung in ihrer historischen Entwicklung. In: Hämostaseologie. Band 20, Nr. 2, 2000, ISSN 0720-9355, S. 83–89 (online).
  6. Roland Sedivy, Thomas Kolomanzik, Anita Uhl, Beatrix Patzak: Pathologie in Fallstudien - Historische Präparate neu betrachtet. Wien 2007, S.52-53

Anmerkungen

  1. Es handelt sich um ein kaiserzeitlich-spätantikes griechisches Wort, das laut Liddell-Scott-Jones erst von Rufus von Ephesos apud Aëtium 14.51, Antyllus apud Oribasium 45.24.1 (um 300 n. Chr.), Galenos 7.725, 10.335 verwendet wurde. Klassisch ist jedoch das Adjektiv εὐρύς eurýs /eu̯rʉ̌s/ „breit“, „weit ausgedehnt“, aus dem das Wort zusammen mit der Präposition ἀνα- ana- „auf“ gebildet ist.

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