Nervenzellen als Teamplayer: Göttinger Forscher erklären, wie das Auge Bewegungen erkennt



Bio-News vom 19.02.2019

Forscher der UMG haben analysiert: Spezielle Nervenzellen im Auge signalisieren eine Verschiebung der Blickrichtung. Gruppen von diesen Zellen tragen zur Erkennung kleiner Augenbewegungen bei und helfen, die Blickrichtung stabil zu halten. Ein scharfes Abbild der Umgebung wird möglich. Veröffentlicht im renommierten Wissenschaftsmagazin „Neuron“.

Wer ein scharfes Foto machen will, muss die Kamera still halten, sonst drohen verwackelte Bilder und verschwommene Konturen. Ähnlich geht es unserem Sehsystem. Damit wir unser Umfeld klar wahrnehmen, muss die Blickrichtung fixiert werden, auch wenn wir uns selbst in Bewegung befinden. Dafür überwacht das Gehirn ständig die Bewegung der Blickrichtung, um gegebenenfalls mit Bewegungen der Augen gegenzusteuern. Bei unterschiedlichen Krankheitsbildern ist dieses System gestört. Das führt zu unkontrollierten Augenbewegungen, häufig Nystagmus genannt. Eine Folge kann unter anderem Sehschwäche sein.

Bei der Überwachung der Blickrichtung spielen Nervenzellen im Sehsystem eine zentrale Rolle. Diese Zellen werden aktiv, wenn sich das Bild im Auge in eine bestimmte Richtung verschiebt. Ihre Signale können somit als Auslöser gegensteuernder Augenbewegungen agieren. Derartige Nervenzellen haben Dr. Norma Kühn und Prof. Dr. Tim Gollisch von der Klinik für Augenheilkunde an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) bereits vor einiger Zeit im Auge von Salamandern entdeckt. Nun können sie zeigen, wie diese Nervenzellen durch ihre Aktivität die Bewegung der Umgebung signalisieren.


Bewegung einer Kamera führt zu verschwommenen Konturen. Nervenzellen im Gehirn können visuell wahrgenommene Bewegung nutzen, um die Augenposition zu stabilisieren.

Publikation:


Kühn NK, Gollisch T
Activity correlations be-tween direction-selective retinal ganglion cells synergistically enhance motion de-coding from complex visual scenes
Neuron 2019 Jan 17. pii: S0896-6273(19)30004-2

DOI: 10.1016/j.neuron.2019.01.003



Die Forschungen wurden durch die europäische Forschungsförderung des European Research Council und durch den Göttinger Sonderforschungsbereich 889 „Zelluläre Mechanismen sensorischer Verarbeitung“ unterstützt. Die Ergebnisse sind jetzt im renommierten Wissenschaftsmagazin „Neuron“ veröffentlicht.

Bei ihren Untersuchungen stellten die Wissenschaftler fest, dass die Zellen ihre Aufgabe nicht einzeln vollbringen können, da sie außer durch Bewegung auch durch einfache Änderungen der Helligkeit aktiviert werden. Um Bewegungen von Helligkeitsänderungen zu unterscheiden, müssen die Nervenzellen im Verbund agieren. Als echte Teamplayer leiten sie nicht nur Informationen zur wahrgenommenen Bewegung weiter, sondern liefern auch ein Korrektursignal an die Nachbarzellen. Nachgeschaltete Nervenzellen bekommen so wichtige Informationen, um Signale von Bewegungen und Helligkeitsänderungen getrennt zu verarbeiten.

„Nicht die Signale einzelner Zellen zeigen an, in welche Richtung eine Bewegung stattgefunden hat. Entscheidend dafür ist vielmehr die Differenz der Signale zweier Zellen“, sagt Norma Kühn, ehemals Stipendiatin des Dorothea Schlözer-Programms der Universität Göttingen und Erst-Autorin der Publikation. Gruppen von Nervenzellen übertragen mehr Information über die beobachtete Bewegung, weil sie sich gegenseitig korrigieren. „Wir sehen hier einen klaren Fall von ‘Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile‘, ein Beispiel für ‘Synergie‘ zwischen Nervenzellen“, sagt Prof. Tim Gollisch, Senior-Autor der Publikation. „Diese Synergie zwischen Nervenzellen wird noch erhöht durch gleichzeitige, also synchrone Aktivität der Nervenzellen. Dies führt zu einer genaueren Repräsentation der Bewegungsrichtung“, so Kühn. „Wir schließen daraus, dass die koordinierte Aktivität in Gruppen von Nervenzellen von Bedeutung ist.“

Erkenntnisse können helfen Sehprothesen zu entwickeln

Nach Einschätzung von Prof. Dr. Tim Gollisch sind diese Erkenntnisse nicht nur aus Sicht der Grundlagenforschung interessant. Langfristig, so hofft er, können diese Erkenntnisse in die Entwicklung von Sehprothesen einfließen. Solche Sinnesprothesen stellen mittels künstlicher Aktivierung, beispielsweise durch kleine Elektroden im Auge, eine gewisse Sehfunktion wieder her, wenn durch Absterben der Lichtsensoren im Auge Blindheit eingetreten ist. „Die Ergebnisse weisen darauf hin“, so Gollisch, „dass nicht nur die richtigen Zellen aktiviert werden müssen, sondern dass auch das Verhältnis der Aktivierung von unterschiedlichen Zellklassen wichtig ist, damit das Gehirn die Information, die vom Auge kommt, korrekt interpretieren kann.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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