Erinnerungen an das Neue



Bio-News vom 15.10.2020

Das Gehirn und seine Funktionen werfen viele Fragen auf. Eine davon ist, wie genau wir unser Langzeitgedächtnis über die Umwelt bilden. In einer neuen Studie entdeckte ein Forschungsteam einen neuen Signalweg im Bereich des Hippocampus im Gehirn, der reguliert, wie Informationen über neue Umgebungen in das Langzeitgedächtnis übertragen werden.

Stellen Sie sich vor, Sie gehen in ein Café, in dem Sie noch nie waren. Sie werden sich danach an diese neue Umgebung erinnern, aber wenn Sie das Café immer wieder besuchen, werden sich immer weniger neue Erinnerungen an die Umgebung bilden. Nur die Dinge, die sich verändert haben, werden Ihnen in Erinnerung bleiben. Wie dieses Langzeitgedächtnis reguliert wird, ist immer noch nicht ganz verstanden.

Ryuichi Shigemoto vom Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) hat nun in Zusammenarbeit mit Forscherinnen und Forscher der Universität Aarhus und des National Institute for Physiological Sciences in Japan eine zentrale neue Facette in der Bildung von Erinnerungen aufgedeckt. In ihrer in Current Biology veröffentlichten Studie untersuchten sie einen Signalweg im Hippocampus im Gehirn und zeigten, wie dieser die Bildung von Erinnerungen über das Erleben neuer Umgebungen steuert.


Schichten des Hippocampus. Die Zellkörper der Moos-Zellen sind rot, Interneuronen, welche die Neuronen verbinden, sind grün, und andere Neuronen sind blau dargestellt.

Publikation:


Felipe Fredes, Maria Alejandra Silva, Peter Koppensteiner, Kenta Kobayashi, Maximilian Joesch, Ryuichi Shigemoto
Ventro-dorsal hippocampal pathway gates novelty-induced contextual memory formation
Current Biology

DOI: 10.1016/j.cub.2020.09.074



Der Hippocampus ist ein zentraler Bereich im Gehirn, der eine wichtige Rolle bei der Übertragung von Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis spielt. Unter den vielen ineinandergreifenden Teilen des Hippocampus konzentrierten sich die Forscherinnen und Forscher auf die Verbindung zwischen den sogenannten Moos-Zellen, die Signale von Sinneseindrücken über die Umwelt empfangen, und den sogenannten Granule-Zellen, an die diese Informationen weitergeleitet werden. Bei Krankheiten wie Alzheimer ist dieser Teil des Gehirns als einer der ersten betroffen.

Neuronen feuern sehen

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verwendeten für diese Studie vier verschiedene Ansätze, um diese neuen Erkenntnisse rigoros zu erforschen. Zuerst nahmen sie den Hippocampus unter das Mikroskop und untersuchten wie die Moos-Zellen mit den Granule-Zellen mittels komplexer Strukturen verbunden sind.

Zweitens wandten sie die Technik der Kalzium-Bildgebung an, die eine Liveaufnahme der Neuronenaktivität ermöglicht. Diese gentechnisch veränderten Neuronen leuchten auf, wenn sie aktiviert werden. Wenn die Tiere mehrere Tage lang einer neuen Umgebung ausgesetzt wurden, war die Aktivität der Moos-Zellen, welche die Signale an die Granule-Zellen sendeten, zunächst hoch und wurde dann immer niedriger. Als die Mäuse dann in eine andere neue Umgebung gebracht wurden, stieg die Aktivität wieder an, was zeigt, dass diese Neuronen spezifisch für die Verarbeitung neuer Umwelteinflüsse relevant sind.

Drittens folgten die Forscherinnen und Forscher den Spuren, welche die Signale in der Nervenzelle hinterlassen haben. Die Nervenaktivität in diesen Neuronen löst die Expression eines bestimmten Gens aus, was bedeutet, dass dort ein entsprechendes Protein produziert wird. Je mehr Aktivität vorhanden war, desto mehr von diesem Protein können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler danach finden. In den Granule-Zellen fanden sie große Mengen dieses Proteins, die auch mit der Aktivität der Moos-Zellen korrelierten.

Neue Orte fürchten

Schließlich nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch noch Verhaltensstudien, um die Auswirkungen dieses Pfades im Hippocampus auf die Gedächtnisbildung zu untersuchen. Dies ist besonders wichtig, da der Zusammenhang zwischen Gedächtnisbildung und Verhalten ihnen viel über die Funktionen des Gehirns sagen kann. Sie kombinierten einen negativen Sinnesreiz, einen kleinen elektrischen Schock, mit einer für das Tier neuen Umgebung. Die Mäuse lernten schnell, die neue Umgebung mit unangenehmen Gefühlen zu assoziieren, und sie reagierten darauf indem sie wie festgefroren stillstanden. Diese negative Reaktion konnte dann gemessen werden, selbst wenn kein Schock vorhanden war.

Als nächsten Schritt verabreichten die Forscherinnen und Forscher den Mäusen Medikamente, um die Aktivität der Moos-Zellen, welche die Signale über die neue Umgebung empfangen, zu hemmen. Als sie dann die negative Konditionierung mit den elektrischen Reizen in der neuen Umgebung durchführten, erinnerten sich die Mäuse danach nicht an den Zusammenhang zwischen der neuen Umgebung und dem unangenehmen Gefühl. Falls sie die Tiere sich zuerst an die neue Umgebung gewöhnt ließen und dann konditionierten, gab es auch keine Aktivierung der Moos-Zellen und somit auch keinen Zusammenhang zwischen der neuen Umgebung und den Schocks im Gedächtnis der Mäuse.

Als die Moos-Zellen hingegen künstlich mit Medikamenten aktiviert wurden, konnten sich diese Assoziation auch dann noch bilden, wenn die Tiere bereits an die neue Umgebung gewöhnt waren. Dies zeigt deutlich, wie die Moos-Zellen im Hippocampus auf neuen Input reagieren und bei Mäusen die Bildung neuer Langzeiterinnerungen auslösen.

Nächste Schritte

Ob genau die gleichen Prozesse im menschlichen Gehirn ablaufen, ist noch eine offene Frage, aber diese neuen Erkenntnisse sind ein wichtiger erster Schritt zum Verständnis dieses Teils unseres komplexesten Organs. Ryuichi Shigemoto und seine Forschenden betreiben Grundlagenforschung, die eines Tages dazu beitragen könnte, degenerative Hirnerkrankungen, welche die Gedächtnisbildung beeinträchtigen, zu bekämpfen. Das liegt jedoch noch eine Weile entfernt.

Ryuichi Shigemoto stellt fest: "Dieses Forschungsgebiet ist sehr kompetitiv und es entwickelt sich sehr schnell weiter. Es gibt viele umstrittene Mechanismen der Gedächtnisbildung, aber unsere Ergebnisse bestätigen eine bestehende Hypothese und sind sehr robust, sodass sie ein neues Feld der neurowissenschaftlichen Forschung eröffnen und unser Verständnis des Gehirns fördern können".


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Institutse of Science and Technology Austria via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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