Auswirkungen von Klimaveränderungen auf die genetische Vielfalt einer Art



Bio-News vom 20.05.2019

Über das Genom des Alpenmurmeltiers.

Welche Auswirkungen hat der Wandel des Klimas auf die genetische Diversität von Lebewesen? Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat das jetzt am Beispiel des Alpenmurmeltiers und seiner Anpassung an das Klima der letzten großen Eiszeit untersucht. Der überraschende Befund: Diese Spezies besitzt die geringste genetische Vielfalt, die bislang bei einem wildlebenden Säugetier nachgewiesen wurde. Trotz seiner großen Population konnte das Murmeltier diese wegen seiner Anpassung an die Klimaveränderungen nicht wieder aufbauen. Die Erkenntnisse sind in der Fachzeitschrift Current Biology* veröffentlicht.

Das Alpenmurmeltier ist ein großes Nagetier aus der Gruppe der

Eichhörnchen, das jenseits der Baumgrenze in Gebirgshöhenlagen heimisch ist. Ein internationales Forschungsteam hat nun sein Genom entschlüsselt und dabei herausgefunden, dass sich die einzelnen Tiere auf der Erbgutebene sehr ähnlich sind. Sie weisen die geringste genetische Diversität aller bisher sequenzierten wildlebenden Säugetiere auf. „Dieses Ergebnis war für uns sehr überraschend, da genetische Verarmung vor allem bei sehr bedrohten Tierarten, wie beispielsweise dem Berggorilla, zu finden ist. Von den Alpenmurmeltieren gibt es aber hunderttausende, weshalb sie bislang nicht als vom Aussterben bedroht gelten“, erklärt Prof. Dr. Markus Ralser. Der Leiter des Instituts für Biochemie der Charité verantwortet die Studie, die auch am Francis Crick Institute durchgeführt wurde.


Spielende Alpenmurmeltiere

Publikation:


Gossmann et al.
Ice-Age Climate Adaptations Trap the Alpine Marmot in a State of Low Genetic Diversity
Current Biology. 2019 May 20;(29): 1-9

DOI: 10.1016/j.cub.2019.04.020



Um eine Erklärung für diesen Befund zu finden, rekonstruierten die Forschenden die genetische Vergangenheit am Computer, denn die heutigen Lebensumstände liefern keinen Grund für die geringe genetische Vielfalt des Alpenmurmeltiers. Dazu kombinierten sie umfassende genetische Analysen mit Erkenntnissen, die von der Analyse von Murmeltier-Fossilien herrührten, und kamen zu dem Schluss: Das Alpenmurmeltier verlor seine genetische Vielfalt, weil es sich mehrfach an Klimaveränderungen der letzten großen Eiszeit anpassen musste. Zum einen bei der Besiedlung der eiszeitlichen Steppe vor etwa 110.000 bis 115.000 Jahren, zum anderen gegen Ende der Eiszeit vor etwa 10.000 bis 15.000 Jahren, als die eiszeitliche Steppe wieder verschwand. Seither leben sie in der höher gelegenen Steppe der Hochalpen, wo die Temperaturen denen der eiszeitlichen Steppe ähneln. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden Hinweise, dass die Adaption an die kälteren Temperaturen der eiszeitlichen Steppe dazu führte, dass sich die Generationszeit der Murmeltiere verlangsamte und ihre Mutationsrate abnahm. Deshalb konnten die Tiere nach der Besiedelung der Hochalpen keine wesentliche neue genetische Diversität mehr aufbauen. Insgesamt weist das Genom des Alpenmurmeltiers eine außergewöhnlich langsame Evolutionsgeschwindigkeit auf.

„Unsere Studie zeigt, dass Klimaveränderungen extrem langfristige Auswirkungen auf die genetische Vielfalt einer Art haben. Das war in der Deutlichkeit so noch nicht bekannt. Wenn sich also eine Spezies genetisch sehr ähnelt, kann das an Klimaereignissen liegen, die zehntausende Jahre zurückliegen“, ordnet Prof. Ralser die Ergebnisse ein und ergänzt: „Es ist erstaunlich, dass es das Alpenmurmeltier trotz seiner genetischen Armut geschafft hat, über tausende von Jahren zu bestehen.“ Denn eine niedrige Variation im Genpool einer Spezies bedeutet eine geringere Anpassungsfähigkeit und höhere Anfälligkeit für beispielsweise Krankheiten, aber eben auch für Veränderungen der Umwelt und damit des Klimas. Entsprechend stellt eine geringe genetische Diversität ein Aussterberisiko dar.

„Wir sollten die Ergebnisse der Studie ernst nehmen, denn es gibt warnende Beispiele aus der Vergangenheit: Die Wandertaube war im 19. Jahrhundert einer der häufigsten Landvögel der nördlichen Hemisphäre. Dennoch ist diese Taube innerhalb von wenigen Jahren komplett ausgestorben. Geringe genetische Vielfalt hat dabei möglicherweise eine Rolle gespielt“, resümiert Prof. Ralser und gibt einen Ausblick für weitere Forschungsarbeiten: „In einem nächsten Schritt wäre es deshalb wichtig, auch andere Tiere, die wie das Alpenmurmeltier die Eiszeit überlebt haben, genauer zu untersuchen. Diese könnten sich in einer ähnlichen genetischen Verarmungssituation befinden. Im Moment schätzt man die Gefährdung einer Art meist nur an der Anzahl der Tiere, die sich fortpflanzen können, ab. Dies als alleiniges Kriterium heranzuziehen, sollten wir überdenken.“

Informationen zur Studie

Prof. Dr. Markus Ralser ist seit Mai 2018 Einstein-Professor für Biochemie an der Charité. Der Experte für Stoffwechsel war zuvor am Francis Crick Institute in London sowie der University of Cambridge tätig. An beiden Einrichtungen arbeitete er mit seinen Teams an der vorgestellten Studie. Zudem waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der University of Sheffield, der Universität Bielefeld, des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik und weiterer Institutionen beteiligt. Ursprünglich sequenzierten die Forschenden das Genom des Murmeltiers, um seinen Fettstoffwechsel besser zu verstehen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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