Hypervitaminose


Klassifikation nach ICD-10
E67 Sonstige Überernährung
E67.0 Hypervitaminose A
E67.1 Hyperkarotinämie
E67.2 Hypervitaminose B6
E67.3 Hypervitaminose D
E67.8 Sonstige näher bezeichnete Überernährung
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Als Hypervitaminose werden jene Erscheinungen zusammengefasst, die bei übermäßiger Zufuhr der entsprechenden Vitamine, beispielsweise über die Ernährung, in Form von Nahrungsergänzungsmitteln oder Vitaminpräparaten, aber auch bei parenteraler Gabe, auftreten können.

Überdosierungserscheinungen treten wesentlich eher bei den fettlöslichen Vitaminen (insbesondere bei den Vitaminen A und D) auf, da diese nicht wie die wasserlöslichen Vitamine über die Niere ausgeschieden werden können. Eine Überdosierung kann daher akut durch eine 50–100 fache Tagesdosis erfolgen, oder chronisch durch langfristige Einnahme nur geringfügig überhöhter Dosen (Vitamin A ab etwa 5-facher Tagesdosis). Eine ernährungsbedingte Hypervitaminose kann praktisch nur durch Vitamin A aus Leber oder Lebertran auftreten.

Ein Vitaminmangel wird mit Hypovitaminose und ein Fehlen von Vitaminen mit Avitaminose bezeichnet.

Vitamin A

Historisches

Als erster dokumentierter Todesfall infolge Hypervitaminose A galt lange Xavier Mertz, ein Schweizer Polarforscher, der an Douglas Mawsons Antarktisexpedition teilnahm.[1][2] Aus Mangel an anderen Vorräten ernährte sich dieser ebenso wie Mawson von geschlachteten Grönlandhunden, einschließlich ihrer an Vitamin A reichen Leber. Eine neuere Untersuchung kommt aber zu dem Schluss, dass der Organismus des bis dahin streng vegetarisch lebenden und unter starkem psychischen Stress stehenden Manns die Umstellung auf eine rein fleischliche Ernährung nicht vertragen hat.[3]

Prähistorisches

Kamoya Kimeu entdeckte am Turkana-See in Afrika das weibliche Skelett eines Homo erectus (KNM-ER 1808), welches die für Hypervitaminose A typischen Formen von Knochenmissbildungen aufwies. Dies war der erste Beweis, dass H. erectus ein Fleischfresser war, da man diese Form der Krankheit nur durch den dauerhaften Verzehr der Leber von Fleischfressern bekommt.

Akute Vergiftungserscheinungen

Akute Vergiftungserscheinungen wurden erstmals bei Polarforschungsreisenden festgestellt, die Eisbärenleber gegessen hatten – Inuit essen diese nicht. Bei einer kurzzeitigen und hohen Überdosierung (das Hundertfache des Tagesbedarfs und mehr) können folgende Symptome auftreten:

  • Kopfschmerzen
  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • Schwindel
  • Appetitlosigkeit
  • Muskelkoordinationsstörungen
  • Doppelbilder
  • Hautschäden (z. B. Mundwinkelrhagaden), die sich auf den gesamten Körper ausbreiten können
  • Schleimhautblutungen
  • Lethargie
  • gesteigerter intrakranieller Druck bis hin zu Todesfällen

Chronische Vergiftungserscheinungen

Nach monate- und jahrelanger erhöhter Retinolaufnahme, die den Tagesbedarf wesentlich überschreitet, können Vergiftungserscheinungen auftreten. Ein Grenzwert, ab dem eine Gefährdung besteht, ist dabei schwer zu definieren: Da sich das Vitamin im Körper anreichert, kommt es auf die akkumulierte Menge (Einnahmedauer × Menge) und die körperliche Veranlagung an. Dies sollte auch beim Einsatz von Retinoiden bei der Aknetherapie bedacht werden. Folgende Symptome sind möglich:

  • Kopfschmerzen
  • Haarausfall bis zur Alopezie
  • Schwellung der Unterhaut der Gliedmaßen
  • Knochen- und Gelenkschmerzen
  • Trockenheit und Jucken der Kopfhaut wie auch der gesamten übrigen Haut
  • trockene und schuppige Lippen
  • (blutende) Mundwinkelrhagaden
  • Lebervergrößerung bis hin zur Leberfibrose mit portaler Hypertension
  • Lymphknotenvergrößerungen
  • Hyperkalzämie
  • Hyperlipidämie
  • Ausbleiben der Menstruation
  • gesteigerter intrakranieller Druck
  • „Symptome“ einer Hypothyreose
  • vermutlich langfristig höheres Lungenkrebs-Risiko bei Rauchern

In der Schwangerschaft sollte die tägliche Aufnahme von Vitamin A 10.000 IU bzw. 3 mg pro Tag nicht überschreiten, da es ansonsten zu kindlichen Fehlbildungen wie kraniofacialen Abnormitäten oder Herzklappenfehlern kommen kann, allerdings auch spontane Fehlgeburten möglich sind.

Der Vitamin-A-Säureabkömmling Isotretinoin (13-cis-Retinsäure), der zur Behandlung schwerer Akneformen eingesetzt wird, kann eine Trockenheit von Haut und Schleimhäuten, in seltenen Fällen Gelenk- und Muskelbeschwerden verursachen. Die Wirkung der Trockenheit wird aber durch die Behandlung auch erwünscht, da sie zu einem Schälvorgang führt, in dessen Verlauf die Haut dünner wird und Akne zum Verschwinden kommt. Da aber die gesamte Haut und Schleimhäute betroffen sind, wird es meist als unerwünschte Nebenwirkung interpretiert. V.a. aber wurde ein Zusammenhang mit kindlichen Fehlbildungen hergestellt, sodass bei einer derartigen Behandlung für einen ausreichenden Empfängnisschutz auch für eine gewisse Zeit über das Behandlungsende hinaus gesorgt werden muss. Bei schwangeren Frauen ist die Gabe kontraindiziert.

Eine Hypervitaminose A kann nur bei Zufuhr von Retinol, nicht aber seiner Vorläuferprodukte auftreten – die Umwandlung der Carotinoide zu Retinol wird entsprechend dem Bedarf des Körpers reguliert. Wohl aber kann es zu einer starken Gelbfärbung der Haut – nicht aber der Skleren – kommen, wenn täglich mehr als 30 mg Beta-Karotinen zugeführt werden, wobei Patienten mit einer Schilddrüsenunterfunktion besonders anfällig sind.

Quellen

Retinol ist vor allem in der Leber von bestimmten Meeresfischen wie dem Heilbutt und verschiedenen Haifischarten sowie bestimmter Säugetiere wie der Seerobbe und des Eisbären enthalten. In unseren Breiten ist es v. A. die kritiklose Einnahme von Vitaminpräparaten, die zu Nebenwirkungen führen kann.

Studien

Eine zu hohe Zufuhr von Vitamin A könnte zu vermehrten Knochenbrüchen im Alter führen, wie eine schwedische Langzeitstudie, die im New England Journal of Medicine (NEJM 2003; 348: 287?294) veröffentlicht wurde, zeigt.

Nicotinsäure (Vitamin B3)

Bei einer Zufuhr von >500 mg/Tag kommt es zum hautgefäßerweiternden Effekt Flush und bei einer Menge von >2500 mg/Tag kann der Blutdruck sinken, Schwindelgefühle auftreten und ein erhöhter Harnsäuregehalt im Blut auftreten.

Vitamin B6

Obwohl immer wieder von Überdosierung die Rede ist, trifft man in der Fachliteratur selten auf konkrete Fälle, und wenn, dann wird allenfalls klar, dass es sich um exotische Fälle handelt. So werden bei Vitamin B6 in der Literatur Überdosierungsreaktionen erst ab 1.000 mg täglich beschrieben. Voraussetzung ist die Einnahme über Monate hinweg. Schaumburg et al. (1983) beschrieben toxische Reaktionen, nachdem Patienten 2.000–6.000 mg über 2–40 Monate hinweg einnahmen. Empfindliche Personen sollen bereits ab 500 mg täglich Nebenwirkungen empfunden haben. Im Allgemeinen gilt, dass Dosierungen zwischen 2 und 10 g täglich zu neurologischen Störungen führen können. In seltenen Fällen traten Unverträglichkeitsreaktionen gegenüber Sonnenlicht nach Einnahme hoher Dosen B6 auf.

Vitamin C

In Einzelfällen wird Vitamin C, besonders wenn auf nüchternen Magen konsumiert, mit Indigestion durch Übersäuerung des Magens in Verbindung gebracht. Dies kann unter anderem vermieden werden, indem Vitamin C nicht als Ascorbinsäure, sondern als Ascorbat (Salz der Ascorbinsäure, z.B. Natrium-Ascorbat) aufgenommen wird. Dies kann zum Beispiel durch die Zugabe von Backpulver (NaHCO3) erreicht werden. Wässrige Lösungen von Ascorbinsäure, die alkalisch gemacht worden sind, weisen allerdings verringerte Stabilität auf. Menschen mit einer Neigung zur Bildung von Nierensteinen (Typ Oxalat) sollten vor der Einnahme hoher Dosen ihren Arzt befragen. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung ist von diesem Problem betroffen.

Vitamin D

Siehe Artikel: „Hypervitaminose Vitamin D“

Vitamin K

Es treten kaum Überdosierungen auf, da Vitamin K nicht toxisch ist (auch bei Aufnahme des 500-fachen der empfohlenen Menge sind keine toxischen Wirkungen bekannt). Bei Injektion von Vitamin K in sehr hohen Dosen können allergische Reaktionen und Veränderungen der Blutzusammensetzung auftreten.

Einzelnachweise

  1. J. Cleland und R. V. Southcott: Hypervitaminosis A in the Antarctic in the Australasian Antarctic Expedition of 1911-1914: a possible explanation of the illness of Mertz and Mawson. In: Med. J. Aust. 1, 1969, S. 1337–1342 (engl.)
  2. D. J. Shearman: Vitamin A and Sir Douglas Mawson. In: Brit. Med. J. 1, 1978, S. 283–285 (engl.)
  3. Denise Carrington-Smith: Mawson and Mertz: a re-evaluation of their ill-fated mapping journey during the 1911–1914 Australasian Antarctic Expedition. In: Med. J. Aust. 183, 2005, S. 638–641 (engl.), abgerufen am 6. Januar 2009.

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