Faustkeil


Faustkeil aus Hornstein, 26,8 × 12 × 5,5 cm, Acheuléen (ca. 500.000-300.000 Jahre), Naturhistorisches Museum Toulouse

Der Faustkeil ist ein zweiseitig bearbeitetes Steingerät und wird daher auch als Zweiseiter (franz.: Biface) bezeichnet. Faustkeile haben eine runde Basis, die gegenüberliegende Seite ist spitz zugerichtet. Während sie zunächst sehr groß (> 20 cm) waren, wurden sie in späteren Zeitabschnitten kleiner. Auch die Bearbeitung wurde aufwendiger.

Faustkeile sind die Leitform des Acheuléen, das vor etwa 1,5 Millionen Jahren in Afrika beginnt. Nach den über zwei Millionen Jahre alten Choppern und Chopping Tools der Oldowan-Kultur sind Faustkeile die ältesten bekannten Werkzeuge der Gattung Homo. Als erste Hersteller kommen die gleichzeitig in Ostafrika existierenden Hominini-Arten Homo habilis und Homo rudolfensis sowie Homo ergaster bzw. Homo erectus in Frage. In Eurasien sind Faustkeile erst deutlich später, vor etwa 600.000 Jahren häufiger – für Homo heidelbergensis – nachgewiesen. Auch der Neandertaler und der seit etwa 200.000 Jahren in Afrika gesichert fossil belegte anatomisch moderne Mensch (Homo sapiens) verwendeten Faustkeile bis vor etwa 40.000 Jahren.

Ihrer vielseitigen Funktionsweise als „Schweizer Taschenmesser“ der Steinzeit ist es wohl zu verdanken, dass es sie vom Altpaläolithikum bis ins späte Mittelpaläolithikum gab. Wahrscheinlich erfüllten sie zahlreiche Funktionen wie Hacken, Schneiden, Schaben, Schlagen und sogar Werfen.

Mögliche Handhabung eines Faustkeiles

Klassifikation

Faustkeile sind meist oval bis birnenförmig. Die Länge der Faustkeile liegt im Durchschnitt bei 100 bis 250 Millimetern, es gibt aber auch weitaus größere Exemplare.

Drei große Faustkeile, Fundort Libyen/Algerien

Als Material wurden vor allem sehr feinkörnige Gesteine mit hohem Quarzgehalt wie Quarzit und Vulkanit, seltener Feuerstein und andere Kieselgesteine wie Hornsteine sowie Obsidian verwendet. Äußerst selten sind Funde aus Knochen, wie etwa der Mammutfaustkeil von Rhede,[1] ausgestellt im LWL-Museum für Archäologie.

Es gibt so genannte Faustkeil-Industrien, die prägnante Formen und Bearbeitungsmethoden hervorgebracht haben und zur Einteilung der ältesten menschlichen Kulturen dienten: Abbevillien, auch Chelléen genannt (vor 600.000 bis 400.000 Jahren), Acheuléen (bis vor 150.000 Jahren), Micoquien (vor 130.000 bis 70.000 Jahren) und Moustérien (vor 120.000 bis 40.000 Jahren), alle nach Fundorten in Frankreich benannt. Ob sich hinter diesen verschiedenen Formen aber auch tatsächlich unterschiedliche archäologische Kulturen oder gar verschiedene Menschentypen verbergen, ist nicht eindeutig nachzuweisen.

Ihre Verbreitung in Mitteleuropa ist ein Ausläufer der überaus reichen Vorkommen in Westeuropa. Die Grenze der Faustkeile des Acheuléen liegt an der Oder. Nur späte Faustkeilformen und verwandte beidflächig zugeschlagene Geräte des Micoquien sind auch im östlichen Mitteleuropa und in Osteuropa verbreitet.

Verbreitung

Verbreitungsgebiet der Faustkeile mit sog. Movius-Linie

Faustkeile sind sehr weit verbreitet. Die einfachsten und ältesten Formen wurden in Afrika gefunden. Die aktuell am weitesten zurückdatierbaren Funde beidseitig bearbeiteter Faustkeile werden einem Alter von 1,75 Mill. Jahren zugeordnet[2][3] Nur östlich der so genannten Movius-Linie, in Südostasien und China, gibt es sehr wenige Funde. Dies lässt sich mit einer Forschungslücke, mangelnden Rohmaterialien sowie geeignetem Alternativmaterial wie Bambus erklären.

Die ältesten europäischen Faustkeile im mediterranen Raum sind vor etwa 900.000 Jahren belegt,[4] nördlich der Alpen dagegen frühestens vor etwa 600.000 Jahren (Fundplatz Boxgrove Quarry).

Weiteres Auftreten

2016 wurden Kapuzineraffen beobachtet, die Faustkeile herstellen.[5][6][7][8] Sie nutzten sie jedoch nicht als Werkzeuge, sondern brachen die Steine nur, um an Nahrung in kleinsten Ritzen heranzukommen. Weil dabei aber Bruchstücke entstehen, die von archäologischen Abschlägen und Kernen nicht unterscheidbar sind, regen die Studienautoren an künftig zu überprüfen, ob möglicherweise als archäologische Artefakte identifizierte Funde auf Kapuzineraffen zurückgehen könnten.

Literatur

  • Jean-Marie Le Tensorer: Faustkeile. In: H. Floss (Hrsg.): Steinartefakte vom Altpaläolithikum bis in die Neuzeit. 2. Auflage, Tübingen 2013, ISBN 978-3-935751-16-2, S. 209–218.
  • K. Kuman, A. S. Field: The Oldowan Industry from Sterkfontein: raw materials and core forms. In: R. Soper/G. Pwiti (Hrsg.), Aspects of African Archaeology. Papers from the 10th Congress of the Pan-African Association for Prehistory and Related Studies. Univ. of Zimbabwe Publications (Harare 1996), S. 139–146 (online, PDF).
  • José M. Merino: Tipología lítica. Editorial Munibe 1994. Suplemento, ISSN 1698-3807.
  • Harold L. Dibble: Reduction sequences in the manufacture of Mousterian implements in France. In: O. Soffer (Hrsg.), The Pleistocene of the Old world, regional perspectives (New York 1987).
  • Mary Leakey: Olduvai Gorge, vol. 3: Excavations in Beds I and II, S. 1960–1963. (Cambridge 1971).
  • Francis Knowles: Stone-Worker’s Progress (Oxford 1953).

Weblinks

Commons: Faustkeile – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Internet-Portal 'Westfälische Geschichte'. In: www.lwl.org. LWL-Archäologie für Westfalen, 25. März 2014, abgerufen am 10. Januar 2017.
  2. Christopher J. Lepre u. a.: An earlier origin for the Acheulian. Nature Bd. 477, 2011, S. 82–85 doi:10.1038/nature10372
  3. Yonas Beyene u. a.: The characteristics and chronology of the earliest Acheulean at Konso, Ethiopia. PNAS, 2013 doi:10.1073/pnas.1221285110
  4. Gary R. Scott und Luis Gibert: The oldest hand-axes in Europe. In: Nature, Band 461, 2009, S. 82–85, doi:10.1038/nature08214
  5. Martin Pfaffenzeller: Entdeckung in der Anthropologie : Kapuzineraffen stellen Faustkeile her - Wissenschaft. In: Spiegel Online. 19. Oktober 2016, abgerufen am 31. Dezember 2016.
  6. Miray Caliskan: Diese Affen leben in der Steinzeit. In: FAZ.net. 21. Oktober 2016, abgerufen am 31. Dezember 2016.
  7. Harald Frater: Sind Faustkeile doch kein reines Menschenwerk? Kapuzineraffen produzieren verblüffend "menschliche" Steinwerkzeuge. In: scinexx.de. 20. Oktober 2016, abgerufen am 31. Dezember 2016.
  8. T. Proffitt, L. V. Luncz u. a.: Wild monkeys flake stone tools. In: Nature. Band 539, Nummer 7627, November 2016, S. 85–88, doi:10.1038/nature20112, PMID 27760117.

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