Epidemiologie
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Die Epidemiologie (von griech. epi „auf, über“, demos „Volk“, logos „Lehre“, ursprünglich: „Seuchenkunde“) ist jene wissenschaftliche Disziplin, die sich mit den Ursachen und Folgen sowie der Verbreitung von gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen in Populationen beschäftigt. Eine der wichtigsten Kennzahlen stellt die Lebenserwartung einer Population dar, denn dies ist der am sichersten erfassbare Wert. Die Epidemiologie untersucht somit jene Faktoren, die zu Gesundheit und Krankheit von Individuen und Populationen beitragen, und ist deshalb die Basis aller Maßnahmen, die im Interesse der Volksgesundheit unternommen werden. Epidemiologische Untersuchungen spielen auch in der Soziologie und Psychologie eine Rolle, z. B. bei Verhaltensstörungen, Autismus und Selbsttötungen. So können Zusammenhänge mit der Verbreitung dieser Erscheinungen erfasst und ggf. beeinflusst werden. In der Veterinärmedizin wird dafür der analoge Begriff Epizootiologie bevorzugt.
Im Gegensatz dazu kümmert sich die klinische Medizin darum, dem einzelnen Menschen in einem konkreten Krankheitsfall zu helfen.
Tätigkeiten der Epidemiologie
Der Epidemiologe leistet praktische Arbeit in der Untersuchung einer Epidemie, von Umwelteinflüssen und in der Gesundheitsförderung. Theoretische Aspekte sind statistische Erfassung von Krankheiten und deren Auslösern, die Entwicklung mathematischer Modelle und Methoden sowie die Klärung philosophischer und ethischer Aspekte. Um dies zu erreichen, wird mit beobachtenden oder experimentellen Studien gearbeitet So können zum Beispiel Beziehungen zwischen möglichen Ursachen wie Ernährung, sozialem Status, Stress und Umweltchemikalien sowie Folgen wie Krankheit und Wohlbefinden objektiv festgehalten werden.
Mathematische Modelle sind sehr wichtig, um die Wahrscheinlichkeit von zukünftigen Epidemien und deren Verlauf zu bestimmen. Ebenso helfen sie bei der Planung der Impfkampagnen. Siehe dazu auch Mathematische Modellierung der Epidemiologie.
Epidemiologische Untersuchungen sind generell in beschreibende, analytische und experimentelle Tätigkeiten unterteilt. Einige Wissenschaftler arbeiten in der öffentlichen Gesundheitsförderung, andere in Kliniken und wieder andere in der Entwicklungshilfe. Beim Auftreten neuer Krankheiten wie etwa SARS und Vogelgrippe sind Epidemiologen unentbehrlich.
Epidemiologische Teilgebiete
Auflistung der Arbeitsgruppen der Dt. Ges. für Epidemiologie (DGEpi): Infektionsepidemiologie, Epidemiologie allergischer und dermatologischer Erkrankungen, Epidemiologie der Arbeitswelt, Epidemiologische Methoden, Ernährungsepidemiologie, Genetische Epidemiologie, Herz-Kreislauf-Epidemiologie, Krebsepidemiologie, Statistische Methoden in der Epidemiologie, Umweltmedizin
Herkunft des Begriffs
„Epidemiologie“ stammt vom griechischen epi „über“, demos „Menschen, Bezirk“ und logos „Wort, Beschreibung“ und suggeriert somit, die Epidemiologie befasse sich nur mit der Ausbreitung von Krankheiten in menschlichen Populationen. Es gibt allerdings auch die veterinärmedizinische Epidemiologie (auch Epizootiologie) und epidemiologische Untersuchungen von Krankheiten auf Pflanzen (botanische Epidemiologie).
Geschichte
Die Geschichte der Epidemiologie im eigentlichen Sinn begann 1854, als Dr. John Snow einen Cholera-Ausbruch im Londoner Soho-Bezirk bekämpfte. Er erkannte aufgrund einer Kartierung der Erkrankungsfälle, dass eine öffentliche Wasserfassung die Infektionsquelle war und ließ den verschmutzten Brunnen (unter Polizeigewalt) sperren. Der Ausbruch wurde gestoppt; man hat allerdings Hinweise, dass die Epidemie ohnehin im Begriff war abzuflachen, als Snow handelte.
Schon im frühen 18. Jahrhundert allerdings führte Giovanni Maria Lancisi (1654 - 1720), welcher in Rom als Leibarzt des Papstes wirkte, den Rückgang von diversen Erkrankungen – darunter Malaria – auf verbesserte Hygiene und die Trockenlegung von Sümpfen zurück. Dieser Rückgang der Infektionskrankheiten infolge von Hygienemaßnahmen wird auch als erste Epidemiologische Transition bezeichnet.
Andere Pioniere waren der dänische Arzt Peter Anton Schleisner, der 1849 daran arbeitete, die Tetanus-neonatorum-Epidemie auf den Westmännerinseln durch vorbeugende Maßnahmen zu beenden, und der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis, der 1847 das oftmals tödliche Kindbettfieber durch Einführung konsequenter Hygienemaßnahmen abschaffte. Die Erkenntnisse von Semmelweis wurden von der Fachschaft nicht akzeptiert, denn damals galt die Annahme, dass es krankmachende Kleinstlebewesen – nämlich Bakterien – gebe, als lächerlich.
Florence Nightingale (1820–1910), eine britische Krankenschwester, war die Tochter eines Mathematikers und machte in ihren Berichten über die Gesundheitslage in Indien und jene der Soldaten des Krimkriegs Gebrauch von statistischen Methoden und gilt als eine Pionierin der grafischen Datenaufbereitung.
Ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Epidemiologie (und auch der Parasitologie) ist die 1880 während des Baus des Gotthard-Eisenbahntunnels erfolgte Entdeckung des Hakenwurms, Ancylostoma duodenale, als Ursache der sogenannten Sankt-Gotthard-Krankheit – einer parasitären Anämie. Auf der Grundlage der epidemiologischen Erkenntnisse wurden dann die Arbeitsbedingungen und die hygienischen Verhältnisse verbessert.
Die Desinfektion wurde in der Medizin erst dann breit angewandt, als der britische Chirurg Joseph Lister antiseptische Mittel entdeckte, basierend auf Arbeiten von Louis Pasteur. Im frühen 20. Jahrhundert wurden mathematische Methoden in die Epidemiologie eingeführt, um das Auftreten von Krankheiten in Populationen zu beschreiben und zu prognostizieren.
Epidemiologische Kennzahlen
Diese Kennzahlen erleichtern den Überblick über die Lage der Bevölkerung oder über die Ausbreitung einer bestimmten Krankheit. Überschreitet eine Kennzahl ein gewisses Maß, so kann man gezielt Maßnahmen ergreifen. Definierte Situationen werden also mit definierten Aktionen bekämpft. Dies erleichtert auch eine objektive Beurteilung der Effizienz einer Intervention.
Prävalenz
Die Prävalenz einer Erkrankung gibt die Anzahl der erkrankten Individuen in der betrachteten Population an. Nach Checkoway u. a. 1989 kann man genauer unterscheiden zwischen „Prävalenz zu einem Zeitpunkt“ (point prevalence) und „Prävalenz über einen Zeitraum“ (period prevalence). Auf Grund der problematischen Interpretation der „Prävalenz über einen Zeitraum“ konzentriert man sich meist auf die „Prävalenz zu einem Zeitpunkt“, was auch meist gemeint ist, wenn man nur von Prävalenz spricht.
Die Prävalenz wird meistens als Prävalenzrate dargestellt - nämlich die Anzahl der jetzigen Fälle in einer Population (z. B. Erkrankte, Verstorbene, Unterernährte usw. unabhängig von der Dauer) dividiert durch die Anzahl aller Mitglieder dieser Population. Die Prävalenzrate ist aber nicht mit der Inzidenzrate zu verwechseln - diese meint nämlich das Auftreten neuer Krankheitsfälle pro Individuenzahl.
Beispiel: Zum 1. Januar 2002 waren im Unternehmen XYZ 1.024 Mitarbeiter an Rückenleiden erkrankt. Bei einer Belegschaft von insgesamt 15.000 Mitarbeitern liegt die Prävalenz(rate) somit bei 0,068.
Lebenszeitrisiko
Das Lebenszeitrisiko ist die Wahrscheinlichkeit, im Laufe einer üblichen Lebensspanne an einer bestimmten Störung zu erkranken.
Risiko
Als Risiko wird die Wahrscheinlichkeit bezeichnet während eines bestimmten Zeitraums an einer bestimmten Krankheit zu erkranken oder zu sterben. Zum Beispiel: verfolgte man eine Gruppe von 1.000 Personen über einen Zeitraum von 15 Jahren und würde dabei feststellen, dass 20 Personen gestorben sind während dieser 15 Jahre, so läge das 15 Jahre-Risiko bei 20/1.000.[1] Risiko ist die Zahl der Neuerkrankungen innerhalb einer bestimmten Population und innerhalb einer bestimmten Zeitspanne. Es ist zu beachten, dass dieselbe Person innerhalb des Zeitraums mehrmals erkranken kann – bei 1000 Menschen können folglich innerhalb eines Jahres 1500 Schnupfen-Neuerkrankungen auftreten.
Inzidenzrate
Hauptartikel: Inzidenz (Medizin)
Die Inzidenzrate ist die Anzahl der Neuerkrankungen (Inzidenz) dividiert durch den Zeitraum und die Individuenzahl; das entspricht dem absoluten Risiko (absolutes Risiko bezeichnet das Erkrankungsrisiko in einer bestimmten Population; relatives Risiko ist das Verhältnis des Risikos der exponierten Personen zum Risiko der nicht- exponierten Personen). Diese Kennzahl hilft zu beschreiben, welche Krankheiten bei welcher Personengruppe häufig ausbrechen. Der Vergleich der Inzidenzraten zeigt etwa, dass Krebserkrankungen meist ein Problem der älteren Menschen sind und nicht der jüngeren, und deshalb ist die Ursache (Ätiologie) in einem Faktor zu suchen, welcher mit dem Alter zusammenhängt (Alterskrankheit).
Ist die Inzidenzrate nicht überflüssig, wenn es die Prävalenzrate schon gibt? Nein, die Prävalenzrate hilft, zum Beispiel die Krankenpflegekosten der Unfallopfer in einer bestimmten Berufsgruppe zu errechnen (d.h. Zählung der Unfallopfer, die zum Zeitpunkt X in Behandlung/Rehabilitation sind). Die Inzidenzrate gibt aber der Unfallverhütung eine andere Information: Dort spielt es keine Rolle, wie lange sich jemand wegen Unfallschäden behandeln lassen muss (was sich in der Prävalenz niederschlägt), sondern, wie viele Unfälle geschehen. Ein abgewendetes Unglück bedeutet, dass eine Behandlung erspart wurde, die sowohl sehr kurz als auch sehr lange hätte dauern können.
Attributionelles Risiko
Hauptartikel: Attributables Risiko
Diese Kennzahl hilft zu beurteilen, wie stark ein bestimmter Faktor zu einer bestimmten Erkrankung beiträgt (Kausalität). Eine konkrete Fragestellung könnte lauten: Wie stark ist der Einfluss von 10 Zigaretten täglich auf das Lungenkrebsrisiko?
Die Antwort darauf lautet:
Im Prinzip werden also die Inzidenzraten von Personen, die entweder 10 oder 0 Zigaretten pro Tag rauchen, miteinander verglichen. Die Inzidenzrate der Nichtraucher ist sozusagen das „Restrisiko“, das man (oft) nicht vermeiden kann und somit keine weitere Beachtung verdient.
Modellvorstellung der Inzidenz und der Prävalenz
Man kann sich diese beiden Kennzahlen gut als einen Brunnen vorstellen. Der Zufluss in den Brunnentrog ist die Inzidenz der Erkrankung und der Brunnentrog ist die Prävalenz, also das ständige Vorkommen der Krankheit. Die zwei Abflüsse aus dem Trog sind die Inzidenz der Heilung und als notwendiges Gegenstück die Inzidenz des Todes. Stets fließt gleich viel in den Brunnentrog wie auch abfließt - es sei denn, eine lange Dauer der Erkrankung bedingt ein temporäres Ungleichgewicht:
Reproduktionsrate
Die Basisreproduktionsrate ist eine Reproduktionsrate, die angibt, zu wie vielen Folgefällen eine Infektion führt, falls die betroffene Bevölkerung weder geimpft noch anderweitig vor Infektionen geschützt wird. Die Nettoreproduktionsrate berücksichtigt auch die Immunität der Menschen. Um eine Epidemie einzudämmen, muss die Nettoreproduktionsrate auf den Wert 1 gebracht werden (jeder Infektionsfall führt zu einem Folgefall, das heißt keine Vergrößerung der Krankenzahl). Für eine Ausrottung der Krankheit ist folglich eine Nettoreproduktionsrate kleiner 1 notwendig (je näher der Wert gegen 0 geht, desto schneller die Ausrottung).
Beispiele für Basisreproduktionsraten:
- Malaria: mehr als 1000
- Masern: 15 bis 18
- Polio: 6 bis 8
$ {\mathsf {N_{0}={\frac {R_{0}*(100-n)}{100}}}} $ |
oder: $ {\mathsf {N_{0}=R_{0}*(100\%-n)}} $ |
R0: Basisreproduktionsrate |
N0: Nettoreproduktionsrate |
n: Anteil der Bevölkerung, der geimpft oder anderweitig immunisiert ist (Durchimpfungsrate) |
Aus dieser Formel folgt, dass bei Malaria 99.9 %, bei Masern etwa 93.7 und bei Polio (Kinderlähmung) rund 86 % der Bevölkerung geimpft sein müssen, damit die Krankheit im Endemie-Zustand verharrt oder sogar ausgerottet wird. Eine Unterschreitung der Durchimpfungsraten hat lokale Epidemien zur Folge.[2]
Deshalb betrifft die Frage „Soll ich mein Kind impfen?“ keineswegs nur die Gesundheit des Kindes, sondern auch die der gesamten Bevölkerung. Ein erkranktes Kind stirbt zwar sehr selten an einer Kinderkrankheit wie Röteln oder Masern, aber es kann die Infektion weiterverbreiten.
Ein extremes Beispiel unterschiedlicher Reproduktionsraten der gleichen Krankheit wird für Malaria angegeben: in Afrika ist die Erkrankung verheerend, in Indien ist sie ein beherrschbares Problem. Siehe Anopheles: Malaria in Kenia und im Punjab (Indien).
Epidemiologische Methoden und Studientypen
Generell möchte man mit epidemiologischen Methoden und Studien den Zusammenhang zwischen Exposition gegenüber Risikofaktoren und Erkrankung ermitteln. Ein Risikofaktor kann etwa Rauchen, fettes Essen oder auch ein bestimmtes soziales Umfeld sein, welches die Erkrankungswahrscheinlichkeit erhöht. Analog zum Risikofaktor spricht man vom „protektiven Faktor“, welcher sie verringert. Regelmäßige Bewegung und Obst sind z.B. protektive Faktoren für Herz-Kreislauferkrankungen, Stillen schützt Babys vor Infektionen. Zu den allgemein erhobenen Daten gehören neben Krankheitsstatus, Grunderkrankungen, Alter und Geschlecht oft das Rauchverhalten und der Bildungsstand. Man unterscheidet zwischen Beobachtungsstudien (Querschnittsstudie, Kohortenstudie, Fall-Kontrollstudie) und Interventionsstudien.
- Querschnittsstudien (engl. cross sectional study) ermitteln eine Momentaufnahme der untersuchten epidemiologischen Daten. Durch den zeitlichen „Schnappschuss“ der epidemiologischen Daten sind die aus der Studie gezogenen kausalen Zusammenhänge zwischen Exposition und Erkrankung schwach und dienen mehr der Generierung von Hypothesen als deren Verifizierung.
- Längsschnittstudien (engl. longitudinal study) sind ein Überbegriff für Studien, die regelmäßig Daten der Studienpopulation über einen längeren Zeitraum hinweg erheben. Sie entsprechen periodisch durchgeführten Querschnittsstudien.
- Kohortenstudien (engl. cohort studies) untersuchen definierte Gruppen von Menschen mit und ohne Exposition einem Risikofaktor gegenüber über eine längere Zeit und messen am Ende des Beobachtungszeitraums den Erkrankungsstatus. Aus der Anzahl Erkrankter unter den Exponierten dividiert durch die Gesamtzahl an Exponierten kann das Risiko der Exponierten für diese Erkrankung gemessen werden. Analog verfährt man für die Nicht-Exponierten. Das Verhältnis des Risikos der Exponierten zum Risiko der Nicht-Exponierten ist das Risikoverhältnis (auch genannt relatives Risiko oder engl. risk ratio) und gibt an, wie stark die Exposition das Risiko der Erkrankung erhöht. Beispielsweise erhöht Rauchen von täglich 20 Zigaretten gegenüber Nicht-Rauchen das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, um den Faktor 15. Bei prospektiven Kohortenstudien liegen Studienbeginn und Beginn des Beobachtungszeitraums eng beieinander, die Kohorte wird „in die Zukunft“ (prospektiv) verfolgt und der Krankheitsstatus ist noch unbekannt. Retrospektive Kohortenstudien betrachten bereits vergangene Kohorten, hier sind die Beobachtungen bereits abgeschlossen und der Krankheitsstatus ist bereits bekannt. Sie sind einfacher und kostengünstiger durchzuführen als prospektive Kohortenstudien, allerdings auch anfälliger für Verzerrer (engl. bias), speziell bei der Rekrutierung der Studienteilnehmer, die ja in der Vergangenheit lag und nicht mehr zu beeinflussen ist. Beispiele für Kohortenstudien wäre die Untersuchung von Lungenkrebs bei Asbestarbeitern (exponierte Gruppe) einer Firma und deren Büroangestellten (nicht-exponierte Gruppe).
Anzahl Erkrankter | Anzahl Gesunder | |
---|---|---|
Anzahl Exponierter | ||
Anzahl Nicht-Exponierter |
- Fall-Kontrollstudien (engl. case control study) gehen methodisch den umgekehrten Weg einer Kohortenstudie. Bei einer Fall-Kontrollstudie ist der Krankheitsstatus bekannt und die Exposition unbekannt. Sie eignet sich insbesondere für seltene Erkrankungen, da eine Kohortenstudie sehr viele Teilnehmer haben müsste, um eine statistisch ausreichende Anzahl Erkrankter zu erreichen. Die Studienpopulation der Fall-Kontrollstudie besteht aus Erkrankten und Gesunden, wobei aus statistischen Gründen auf einen Erkrankten auch zwei oder mehr Gesunde kommen können (1:2 matching, 1:n matching). Erst nach der Zuordnung zu den beiden Gruppen wird die Exposition erfasst, um Beeinflussungen des Ergebnisses durch die Beobachter auszuschließen. Ausgewertet wird die Chance (engl. odds) der Erkrankten, exponiert zu sein. Sie ergibt sich aus der Zahl der Erkrankten mit Exposition dividiert durch die Zahl der Erkrankten ohne Exposition ('nicht' die Gesamtzahl der Erkrankten). Analog wird die Chance der Gesunden berechnet, exponiert zu sein. Die Division der Chance der Erkrankten durch die Chance der Gesunden ergibt das Chancenverhältnis (engl. odds ratio). Es entspricht dem Faktor, um den sich die Chance erhöht, durch die Exposition zu erkranken. In einer Fall-Kontrollstudie muss man das Chancenverhältnis und nicht etwa das Risikoverhältnis berechnen, da man durch die willkürliche Wahl der Anzahl von Kontrollpersonen den Nenner des Risikoterms (der Summe von a+b) verzerren würde. Hingegen würde sich eine Verdoppelung von Kontrollen beim Chancenverhältnis wieder rechnerisch herauskürzen (doppelt so viele im Zähler wie im Nenner).
Bei seltenen Erkrankungen entspricht das Chancenverhältnis dem Risikoverhältnis. Fall-Kontrollstudien sind grundsätzlich retrospektiv.
Anzahl Erkrankter | Anzahl Gesunder | |
---|---|---|
exponiert | ||
nicht exponiert |
- Interventionsstudien (engl. intervention studies) verfolgen ähnlich einer prospektiven Kohortenstudie eine Population entlang der Zeit, wobei man den Einfluss einer spezifischen Intervention, meist eine neue Behandlung oder ein neues Medikament, auf das Krankheitsrisiko messen möchte. Vor der Studie wird die Population in den Interventionszweig und den Kontrollzweig geteilt. Während der Studie wird dann aktiv diese Intervention (z.B. Medikament) gegeben, während die Kontrollpopulation unbehandelt bleibt, bzw. eine nicht-wirksame Behandlung bekommt (z.B: Placebo). Die Auswertung erfolgt ähnlich einer Fall-Kontrollstudie über Chancenverhältnisse (engl. odds ratios). Die Zuordnung zur Behandlungsgruppe und Kontrollgruppe ist der kritische Punkt einer Interventionsstudie, da sich die Teilnehmer in ihren Gesundheitsparametern unterscheiden und man nur den Einfluss der Intervention und nicht dieser Parameter messen möchte. Erfolgt diese Auswahl zufällig und damit nicht gerichtet, spricht man von einer randomisierten, kontrollierten Studie (engl. randomised controlled trial). Diese Studien haben eine besonders starke Kausalität in Bezug auf Intervention und Krankheitsstatus und werden daher in der Medikamententestung eingesetzt.
- Die Paläopathologie liefert Fakten zur Ver- und Ausbreitung sowie Symptomatik von Krankheiten in historischen und prähistorischen Epochen; speziell anhand von Untersuchungen alter DNA ist außerdem die Erforschung ausgestorbener Erregerstämme möglich. Ebenso können dank Skelettreste Symptome und Krankheiten diagnostiziert werden, wie etwa osteolytische Entzündungen.
- Laufende Statistiken oder Infektionssurveillance der Gesundheitsbehörden zeigen Tendenzen auf.
Endemie, Epidemie und Pandemie
Die Endemie ist das normale, übliche Auftreten einer bestimmten Krankheit in einer bestimmten Population. So ist ein gewisser Anteil von Grippe-Erkrankungen in der Bevölkerung üblich, und wird eine bestimmte Grenze überschritten – bei Grippe etwa 10 % – so spricht man von einer Epidemie. Aus der Definition der Endemie folgt also, dass die Epidemie das unüblich starke und zeitlich begrenzte Auftreten einer Krankheit ist.
Die Pandemie ist ebenso wie die Epidemie ein heftiger Ausbruch einer Krankheit, jedoch ist die Epidemie immer noch auf bestimmte Gebiete beschränkt. Pandemien sind dagegen länder- und kontinentübergreifend. Ihrer Vorbeugung und ggf. Eindämmung dient der Pandemieplan der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und darauf aufbaueend idealerweise jeweils ein Nationaler Pandemieplan.
Man beachte, dass für die Einordnung von Erkrankungen als Endemie, Epidemie oder Pandemie ausschließlich die Auftretenshäufigkeit ausschlaggebend ist und nicht der Verlauf oder die Schwere der Erkrankungen.
Epidemiologisches Beziehungsnetz
Die Epidemiologie betrachtet auch das soziale, geografische und ökonomische Umfeld von Erkrankungen, während sich die Medizin meistens nur auf unmittelbare Faktoren wie etwa Viren und Körperverletzungen beschränkt. In der Epidemiologie ist die alleinige Feststellung nicht ausreichend, dass der Erreger HI-Virus die Krankheit AIDS auslöst. Epidemiologen untersuchen das weitere Umfeld, in welchem jeder Zustand weitere Faktoren beeinflusst.
Zum Beispiel:
- Hierzulande ermöglicht das Klima den Anbau von Lebensmitteln, was Mangelernährung verhindert. Sind die Menschen einmal mit guter Ernährung gesünder geworden, können sie öfter die Schule besuchen, anstelle krank zuhause zu bleiben.
- Eine verbesserte Schulbildung kann für die Kinder zur Folge haben, dass sie als Erwachsene bessere Arbeitsplätze erhalten und mehr verdienen, was ihnen ermöglicht, bessere Gesundheitspflege zu empfangen oder in ein Gebiet zu ziehen, in welchem zum Beispiel keine Malaria vorkommt.
- Eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle ermöglicht es den Eltern, den gesamten Nachwuchs pflegen zu lassen anstatt nur den ältesten Sohn, welcher in Zukunft den Betrieb des Vaters erben wird. Epidemiologen versuchen in Entwicklungsländern oft, die Gesundheitspflege so zu gestalten, dass die Familie als Ganzes möglichst produktiv bleibt.
Siehe auch
- Ätiologie -- Bedingte Wahrscheinlichkeit -- Gesundheitsberichterstattung
- Hygiene -- Virologie
- Infektion -- Infektionskrankheit -- Infektionsbiologie -- Infektionsepidemiologie -- Immunologie --
- Krebsregister -- Medizinsoziologie -- Positiver prädiktiver Wert
- Krankheitsprävention -- Präventivmedizin -- Risikofaktor -- Sensitivität
- Sozialmedizin -- Spezifität
- Oralepidemiologie
Literatur
- K. J. Rothman: Epidemiology: An introduction. Oxford University Press, 2002, ISBN 0-19-513554-7.
- M. Porta, S. Greenland, J. M. Last (Hrsg.): A dictionary of epidemiology. 5. Auflage. Oxford University Press, New York 2008. [2]
- Lothar Kreienbrock, Siegfried Schach: Epidemiologische Methoden. 4. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, 2005, ISBN 3-8274-1528-4.
- Alexander Krämer, Ralf Reintjes (Hrsg.): Infektionsepidemiologie - Methoden, Surveillance, Mathematische Modelle, Global Public Health. Springer, Berlin 2003, ISBN 3-540-42764-3. (mit CD-ROM)
- R. Beaglehole, R. Bonita, T. Kjellström: Einführung in die Epidemiologie. Huber, Bern 1997, ISBN 3-456-82767-9.
- H. Checkoway, N. Pearce, D. J. Crawdorf-Brown: Research methods in occupational epidemiology. Oxford University Press, New York 1989, ISBN 0-19-505224-2.
- P. Armitage, G. Berry: Statistical Methods in Medical Research. Blackwell Scientific Publications, Oxford 1987.
- J. W. R. Twisk: Applied Longitudinal Data Analysis for Epidemiology. Cambridge University Press, Cambridge 2003, ISBN 0-521-52580-2.
- J. Hardin, J. Hilbe: Generalized Linear Models and Extensions. Stata Press, College Station TX 2001.
- Leon Gordis: Epidemiologie. Verlag im Kilian, ISBN 3-932091-63-9.
- Wolfgang Ahrens, Iris Pigeot (Hrsg.): Handbook of Epidemiology. Springer, Berlin/ Heidelberg 2005, ISBN 3-540-00566-8.
- Weiß Christel: Basiswissen Medizinische Statistik. 5. Auflage. (mit Epidemiologie). Springer, Berlin/ Heidelberg 2010, ISBN 978-3-642-11336-9.