Barbara McClintock


Barbara McClintock bei ihrer Nobelpreisrede 1983 in Stockholm

Barbara McClintock (* 16. Juni 1902 in Hartford, Connecticut; † 2. September 1992 in Huntington, New York) war eine US-amerikanische Botanikerin und Genetikerin. Sie gehörte zu den führenden Zytogenetikern und entdeckte die Transposons („springende Gene“), wofür sie 1983 den Nobelpreis erhielt.

Leben

Barbara McClintock war das dritte von vier Kindern des Arztes Thomas Henry McClintock (1876–1960) und der Pianistin, Dichterin und Malerin Sara Handy McClintock (1865–1963). Ihr ursprünglicher Vorname war Eleanor; ab ihrem vierten Geburtstag wurde sie jedoch Barbara genannt, weil das den Eltern besser zu ihrem burschikosen Wesen zu passen schien. Ab 1908 lebte die Familie im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Von 1919 bis 1923 studierte McClintock Botanik an der Cornell University, wo sie dann bis 1936 tätig war. 1927 promovierte sie, und von 1936 bis 1941 war sie an der University of Missouri als Forscherin und Dozentin tätig, danach bis zu ihrem Tod im Jahr 1992 am Cold Spring Harbor Laboratory auf Long Island.

Barbara McClintock war schon in früher Kindheit ungewöhnlich eigenständig und besaß, wie sie es später einmal nannte, eine besondere „Fähigkeit, allein zu sein“ („capacity to be alone“). Zeit ihres Lebens blieb sie alleinstehend, und sie gab an, nie ein Bedürfnis nach einer engen Bindung gehabt zu haben oder auch nur verstanden zu haben, warum man heiraten sollte. Ihre Ambitionen als Wissenschaftlerin waren wegen ihres Geschlechts immer wieder gefährdet. Schon ihr Wunsch zu studieren wäre fast nicht in Erfüllung gegangen, da ihre Mutter entschieden dagegen war. Die Cornell University legte zwar Wert darauf, weibliche Studenten ohne Einschränkung zuzulassen, weibliche Lehrkräfte waren jedoch nur im Fach Hauswirtschaft vorgesehen. Auch nachdem McClintock durch erste bedeutende Entdeckungen eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte, erhielt sie keine feste Anstellung. Zeitweise ermöglichten ihr Fördergelder des National Research Council, der Guggenheim Foundation und der Rockefeller-Stiftung, neben Cornell auch in anderen Forschungseinrichtungen zu arbeiten. Einer dieser Gastaufenthalte führte sie 1933/1934 nach Deutschland, wo sie mit Richard Goldschmidt zusammenarbeitete, aber über die politischen Verhältnisse so bestürzt war, dass sie vorzeitig nach Cornell zurückkehrte.[1]

McClintocks ohnehin geringe Karrierechancen als Frau in einem ausgesprochenen Männerberuf wurden zudem noch dadurch beeinträchtigt, dass sie vielen Kollegen als „schwierig“ galt, weil sie nicht nur außerordentlich begabt war, sondern auch intolerant gegenüber zweitklassigen Leistungen anderer Forscher. Erst 1936 erhielt sie dank der Initiative ihres einstigen Studenten Lewis Stadler an der University of Missouri eine Stelle als assistant professor, die allerdings mit erheblichen Einschränkungen verbunden und offenbar prekär war, da von Stadlers Protektion abhängig. Als vollwertige Mitarbeiterin wurde Barbara McClintock erst 1941 in Cold Spring Harbor aufgenommen, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1992 aktiv war und in völliger Freiheit und ohne sonstige Verpflichtungen forschen konnte. Wegen ihrer den herrschenden Vorstellungen widersprechenden Publikationen über mobile genetische Elemente in den frühen 1950er Jahren geriet sie allerdings als Forscherin ins Abseits. Erst nach ihrer offiziellen Emeritierung 1967 wurden ihre Entdeckungen auch bei anderen Organismen bestätigt. McClintock war rehabilitiert und wurde mit einigen hohen Auszeichnungen geehrt, darunter der Nobelpreis im Jahr 1983. Als beste Party ihres Lebens bezeichnete sie die Feier ihres 90. Geburtstags im Hause James Watsons wenige Monate vor ihrem Tod.

Werk

Schon während ihres Studiums in Cornell begann McClintock mit Untersuchungen auf dem neuen Gebiet der Zytogenetik. Das Forschungsobjekt ihrer Arbeitsgruppe, der zeitweilig auch der spätere Nobelpreisträger George Beadle angehörte, war der Mais. McClintock fand heraus, wie man mit Hilfe einer bestimmten Färbetechnik die zehn verschiedenen Chromosomen dieser Pflanze unter dem Mikroskop unterscheiden konnte. Dadurch war es dann möglich, die aus genetischen Untersuchungen bekannten Koppelungsgruppen (bei Kreuzungen gemeinsam vererbte Gene) jeweils einem Chromosom zuzuordnen. Weiter beschrieb McClintock 1930 erstmals die kreuzförmige Interaktion homologer Chromosomen bei der Meiose, und daran anknüpfend klärte sie 1931 zusammen mit der damaligen Studentin Harriet B. Creighton den Crossing-Over-Effekt auf, bei dem es zum Austausch einzelner Chromosomen-Abschnitte und damit zum Austausch von genetischer Information kommt. Weitere bedeutende Entdeckungen McClintocks in den frühen 1930er Jahren waren die Teilbarkeit des Centromers und die Bedeutung der Nukleolusorganisatorregion für die Bildung des Nucleolus nach einer Zellteilung.

1936 wurde McClintock an die University of Missouri berufen, wo sie durch Röntgenstrahlung verursachte Chromosomenbrüche beim Mais untersuchte. Sie beschrieb, dass die Bruchstellen sich später wieder vereinigen können und dass es dabei zu massiven Mutationen kommt. Ihre Beobachtung, dass Bruchstellen unter gewissen Bedingungen „verheilen“ können, führte zum Konzept des Telomers.

Im Jahr 1944 – inzwischen war sie nach Cold Spring Harbor gewechselt – wurde McClintock in die National Academy of Sciences der USA aufgenommen – als dritte Frau in der Geschichte dieser Institution. Im selben Jahr begründete sie bei einem Gastaufenthalt bei George Beadle an der Stanford University die Zytogenetik des Schimmelpilzes Neurospora crassa, der daraufhin zu einem der wichtigsten Modellorganismen der klassischen Genetik avancierte, und klärte dessen Lebenszyklus auf. 1945 wurde sie Präsidentin der Genetics Society of America; in dieser Position war sie die erste Frau überhaupt.

Mehrfarbige Maiskolben

Mit den Untersuchungen, die zur Entdeckung der „springenden Gene“ (Transposons) führen sollten, begann McClintock ebenfalls 1944. Dabei ging es anfangs um spontan auftretende Brüche des Chromosoms 9 des Maises, die, wie sich herausstellte, mit instabilen Mutationen zu tun hatten, welche u. a. die Färbung mehrfarbiger Maiskörner beeinflussen können. McClintock beobachtete, dass das Chromosom 9 häufig an einer bestimmten Stelle bricht, die sie Ds (dissociator) nannte. Bei weiteren Untersuchungen kam sie 1948 zu dem überraschenden Ergebnis, dass Ds seine Position auf dem Chromosom verändern kann. Damit hatte sie erstmals ein Transposon entdeckt, einige weitere sollten folgen.

Des Weiteren fand McClintock heraus, dass Transposons wie Ds instabile Mutationen hervorrufen können, indem sie an Stellen des Chromosoms springen, welche z. B. ein Gen für die Produktion eines Pigments enthalten. Durch die Einfügung (Insertion) des Transposons wird das betroffene Pigmentgen funktionsunfähig. Diese Mutation ist jedoch reversibel, da das Transposon mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erneut „springt“ und dabei das Pigmentgen wieder in den funktionsfähigen Zustand versetzt. Das Ergebnis sind gescheckte Maiskörner oder auch komplett gescheckte Pflanzen. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, entwickelte McClintock eine allgemeine Theorie der Genregulation und Zelldifferenzierung, die sie erstmals 1950 publizierte und dann auf dem Cold Spring Harbor Symposion 1951 vorstellte. Damit widersprach sie der herrschenden Vorstellung eines statischen Genoms, und ihre Darstellung war zudem sehr kompliziert. Die Reaktionen der Kollegen reichten von Verwirrung bis hin zu offener Ablehnung, und auch einige folgende Artikel in verschiedenen Zeitschriften brachten keine positive Resonanz. Um ihre Reputation nicht noch weiter zu gefährden, stellte McClintock 1953 jegliche Publikationstätigkeit zu diesem Thema ein, während sie ihre Forschungen jedoch unvermindert fortsetzte und in publikationsfähiger Form dokumentierte.

1957 begann McClintock im Rahmen einer Initiative der National Academy of Sciences, die zahlreichen alten und bedrohten Mais-Sorten in Südamerika auf chromosomaler und morphologischer Ebene zu untersuchen, wobei sie sich besonders für evolutionäre Aspekte interessierte. Als 1961 François Jacob und Jacques Monod ihre bahnbrechenden Erkenntnisse über die Genregulation bei Bakterien veröffentlichten, machte McClintock auf Übereinstimmungen mit ihren früheren Resultaten aufmerksam. Als schließlich in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren auch bei Bakterien und Hefen Transpositionsvorgänge entdeckt wurden und deren molekulare Grundlagen aufgeklärt wurden, erfuhren McClintocks entsprechende Entdeckungen beim Mais eine späte Würdigung. Im Laufe der 1970er und 1980er Jahre stellte sich heraus, dass Transposons bei Lebewesen allgemein verbreitet und zum Teil in großer Zahl vorhanden sind.

McClintock erhielt eine Reihe hoher Auszeichnungen, darunter den Albert Lasker Award for Basic Medical Research, die Thomas Hunt Morgan Medal, den Kimber Genetics Award 1967 und die MacArthur Fellowship 1981, den Louisa-Gross-Horwitz-Preis 1982 und den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 1983.

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • L.F. Randolph, B. McClintock (1926): Polyploidy in Zea mays L. In: Amer. Naturalist. Bd. 60, S. 99–102.
  • B. McClintock (1929): Chromosome morphology in Zea mays. In: Science. Bd. 69, S. 629.
  • H.B. Creighton, B. McClintock (1931): A Correlation of Cytological and Genetical Crossing-Over in Zea Mays. In: Proc. Natl. Acad. Sci. Bd. 17, S. 492–497. PMID 16587654
  • B. McClintock (1950): The origin and behavior of mutable loci in maize. In: Proc. Natl. Acad. Sci. Bd. 36, S. 344–355. PMID 15430309
  • B. McClintock (1951): Chromosome organization and genic expression. In: Cold Spring Harb. Symp. Quant. Biol. Bd. 16, S. 13–47. PMID 14942727
  • B. McClintock (1961): Some parallels between gene control systems in maize and in bacteria. In: Amer. Naturalist. Bd. 95, S. 265–277.
  • B. McClintock (1984): The significance of response of the genome to challenge. In: Science. Bd. 226, S. 792–801. PMID 15739260

Literatur über Barbara McClintock

  • Nathaniel C. Comfort: The real point is control: The reception of Barbara McClintock's controlling elements. In: Journal of the History of Biology. 32 (1999), PMID 11623812, S. 133–162.
  • Nathaniel C. Comfort: From controlling elements to transposons: Barbara McClintock and the Nobel Prize. In: Trends in Biochemical Sciences. 26 (2001), PMID 11440859, S. 454–457.
  • Nina V. Fedoroff: Springende Gene beim Mais. In: Spektrum der Wissenschaft. August 1984, S. 36–47.
  • Nina V. Fedoroff: Barbara McClintock. In: Biographical Memoirs of the National Academy of Sciences. 68 (1996), S. 211–235. HTML PDF
  • Nina V. Fedoroff, David Botstein (Hrsg.): The Dynamic Genome: Barbara McClintock's Ideas in the Century of Genetics. Cold Spring Harbor Laboratory Press, Plainview, NY 1992, ISBN 0-87969-422-X.
  • R. N. Jones: McClintock's controlling elements: the full story. In: Cytogenetics Research. 109 (2005), PMID 15753564, S. 90–103.
  • Evelyn Fox Keller: Barbara McClintock. Die Entdeckerin der springenden Gene. Birkhäuser Verlag, Basel u. a. 1995, ISBN 3-7643-5013-X.
  • Renate Ries: Das Leben ist viel wunderbarer, als uns die Wissenschaft erkennen läßt. In: Charlotte Kerner: Nicht nur Madame Curie - Frauen, die den Nobelpreis bekamen. Beltz Verlag, Weinheim/ Basel 1999, ISBN 3-407-80862-3.
  • Sigrid Schmitz: Barbara McClintock. 1902–1992. In: Ilse Jahn, Michael Schmitt (Hrsg.): Darwin & Co. Eine Geschichte der Biologie in Portraits. Band 2. C. H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-44639-6, S. 490–506.

Weblinks

Commons: Barbara McClintock – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Der Aufenthalt in Deutschland war eigentlich gedacht, um mit Curt Stern arbeiten zu können, der kurz nach McClintock und Creighton das Crossing-over bei Drosophila entdeckt hatte. Stern, der jüdischer Abstammung war, hielt sich zu dieser Zeit jedoch in den USA auf und kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück. Auch Goldschmidt, ebenfalls Jude, emigrierte später in die USA.

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