François Guizot


François Pierre Guillaume Guizot
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Guizot, Lithographie von Gabriel Decker, 1840

François Pierre Guillaume Guizot (* 4. Oktober 1787 in Nîmes; † 12. September 1874, Saint-Ouen-le-Pin, Basse-Normandie) war ein französischer Politiker und Schriftsteller.

Leben

Guizot war Sohn protestantischer Eltern. Sein Vater, der Advokat war, starb während der französischen Revolution am 8. April 1794 unter der Guillotine. Guizot ging mit seiner Mutter nach Genf, wo er das Gymnasium besuchte. Ab 1805 studierte er in Paris Rechtswissenschaften und übernahm 1807 eine Stelle als Hauslehrer. 1812 heiratete er die 14 Jahre ältere französische Schriftstellerin Pauline de Meulan und wurde vom Marquis Louis de Fontanes zum Professor für moderne Geschichte an der Faculté des Beaux-Arts in Paris ernannt. Ab 1809 veröffentlichte er politische Denkschriften und wissenschaftliche Abhandlungen.

Nach der Restauration wurde er 1814 vom Minister des Innern, Abbé Montesquiou, zum Generalsekretär ernannt, saß im Zensurausschuss und half das neue strenge Pressegesetz ausarbeiten. Nach Napoleons Rückkehr von Elba begab er sich nach Gent an den Hof Ludwigs XVIII. und wurde nach der zweiten Restauration zum Generalsekretär der Justiz ernannt. Schon 1816 jedoch trat er zusammen mit dem Justizminister François Barbé-Marbois zurück, da es ihm nicht gelang, die Terroraktionen zurückgekehrter Monarchisten und Adliger, besonders in Südfrankreich, zu unterbinden. Schon bald darauf wurde er vom König zum Requetenmeister und Staatsrat befördert. In dieser Stellung gründete er zusammen mit Decazes, Royer-Collard und seinen anderen politischen Freunden die Partei der Doktrinäre, die sich als Angehörige des Juste Milieu und als Verteidiger der gemäßigt monarchischen Systems gegen radikale politische Strömungen verstanden.

Infolge seiner Denkschrift über die Zustände der Kammern wurde er Anfang 1819 Generaldirektor der Kommunal- und Departementalverwaltung. Als Élie, Herzog von Decazes und Glücksberg 1820 zurücktreten musste, wurde auch Guizot entlassen und verlor seine Stelle als Zensor. Er nahm wieder eine Tätigkeit als Lehrer für neuere Geschichte an der Faculté des lettres auf. Nebenbei arbeitete er bis 1822 an einer normalen Schule.

1824 wurden Guizot infolge seiner Angriffe auf das Kabinett des Ministerpräsidenten Jean-Baptiste de Villèle auch seine geschichtlichen Vorträge an der Faculté des lettres untersagt. Erst 1828 unter Martignac konnte er sie wieder aufnehmen. Ab dieser Zeit kämpfte er offen gegen die Regierung. Er war zunächst Mitglied und später Präsident der Gesellschaft Aide-toi, le ciel t'aidera, die zum Schutz der Unabhängigkeit von Wahlen gegründet worden war. Zeitgleich war er auch weiterhin als Schriftsteller aktiv. Neben politischen Schriften versah er zu dieser Zeit auch viele Werke anderer mit Einleitungen oder Anmerkungen (beispielsweise Letourneurs Shakespeare-Übersetzung).

1826 übernahm Guizot die Direktion der Encyclopédie progressive. Dieses Unterfangen geriet jedoch schnell ins Stocken. 1828 gründete er die Revue française, die von der Julirevolution unterbrochen und erst 1837 für kurze Zeit wiederaufgenommen wurde.

Im März 1829 wurde Guizot wieder außerordentlicher Staatsrat, und ab Januar 1830 saß er für die Stadt Lisieux in die Deputiertenkammer, wo er zum linken Zentrum gehörte. Seine eigentliche staatsmännische Tätigkeit begann erst mit der Julirevolution. Er war es, der den Protest gegen die Juliordonnanzen verfasste und so den ersten Anstoß zum Ausbruch der Revolution gab. Am 30. Juli wurde er provisorischer Minister des öffentlichen Unterrichts und am 11. August ernannte ihn Ludwig Philipp zum Minister des Innern. Da er jedoch die Politik Laffittes nicht billigte, nahm er schon im November 1830 mit den übrigen Doktrinären seine Entlassung.

Als Casimir Pierre Périer 1831 Innenminister wurde, unterstützte Guizot ihn als Führer der konstitutionellen Monarchisten. Nach Périers Tode trat er am 11. Oktober 1832 als Minister des öffentlichen Unterrichts wieder ins Kabinett. Er verbesserte das Schulsystem, vor allem die Primärschulen durch ein Gesetz vom 28. Juni 1833, das die Ausbildung der Lehrer verbesserte, und veranlasste die Wiederherstellung der von Napoleon 1803 aufgehobenen 5. Klasse des Instituts der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften. Mit einer kurzen Unterbrechung blieb Guizot bis zum 15. April 1837 Unterrichtsminister.

Mit Odilon Barrot und Adolphe Thiers verbündet, intrigierte er dann so lange gegen die Regierung Molé, bis sie 1839 stürzte. Doch wurde Guizot nicht in das neue Kabinett berufen, sondern an Horace François Sébastianis Stelle als Gesandter nach London geschickt, wo er den gegen Frankreichs orientalische Politik gerichteten Vertrag der vier Großmächte vom 15. Juli 1840 nicht verhindern konnte. Am 28. Oktober 1840 übernahm er nach Thiers' Rücktritt in der Regierung von Nicolas Jean-de-Dieu Soult das Amt des Außenministers. Er wurde zu einer der stärksten Figuren des Kabinetts und nach Soults Rücktritt im September 1847 auch dessen offizieller Chef.

Bis zur Februarrevolution 1848 blieb Guizot in dieser Position. Er repräsentierte sowohl nach innen als auch nach außen die Politik von König Ludwig Philipp und hat wohl nicht wenig dazu beigetragen, dass die konstitutionelle Monarchie in Misskredit geriet und letztlich auch stürzte. Er unterdrückte kritische Meinungen und Reformforderungen aus der Bevölkerung, vor allem auf dem Gebiet des Wahlrechts. Ihm wurden die Worte Enrichissez-vous par le travail et par l'épargne et la probité (dt. „Bereichert euch durch Arbeit, durch Sparsamkeit und durch Redlichkeit.!“) zugeschrieben, welche in der politischen Geschichtsschreibung als zynisches Credo der Julimonarchie verstanden wurden.

In der auswärtigen Politik führte er durch die Intrigen bei den spanischen Heiraten die Entfremdung mit England herbei und erregte durch die Unterstützung der Jesuiten in der Schweiz die Unzufriedenheit der Liberalen. Die Wahlreform lehnte er hartnäckig ab und rief dadurch die Bewegung von 1848 hervor, die sich wegen seiner allgemeinen Unpopularität zuerst gegen seine Person richtete. Am 16. Februar reichte er seine Entlassung ein, die der König jedoch nicht annahm; am 24. Februar 1848 musste er aus Paris flüchten und wurde von der provisorischen Regierung angeklagt, aber im November vom Gerichtshof in Paris freigesprochen. Er lebte seit März 1848 in London und erließ von hier aus im April 1849 ein Wahlmanifest, worin er den Wählern in Frankreich seine Dienste, wiewohl vergeblich, anbot.

Nachdem er im November 1849 nach Paris zurückgekehrt war, wirkte er hier mit den Häuptern der monarchischen Partei gemeinsam für eine Fusion der Bourbonen und Orléans. Der Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 steckte dieser seiner Tätigkeit ein Ziel und veranlasste ihn, wieder nach England zu gehen. Später kehrte er in sein Vaterland zurück, um hier seine literarischen Studien wiederaufzunehmen, und wurde im Januar 1854 Präsident der Pariser Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften. Zum letzten Mal trat er 1870 beim Plebiszit öffentlich auf, indem er in einem Brief das bejahende Votum anriet. Auch an den Fusionsverhandlungen 1873 hatte er einen bedeutenden, aber geheimen und erfolglosen Anteil. Unter seinem Einfluss beschloss die Synode der protestantischen Kirche Frankreichs 1874 den Ausschluss der liberalen Protestanten. Als er mit den Bonapartisten in einen Streit geriet, bereiteten ihm diese den Schmerz, zu veröffentlichen, dass Guizots Sohn 1855 von Napoleon III. ein Geschenk von 50.000 Franc angenommen habe. Guizot verkaufte ein Bild, um der Kaiserin Eugenie die Summe zurückzuzahlen, die aber nicht angenommen wurde.

Guizot starb am 12. September 1874 im Alter von 86 Jahren auf seinem Landgut Val-Richer bei Lisieux in der Normandie und wurde auf dem Friedhof des Val Richer in Saint-Ouen-les-Pin beigesetzt.

So sehr seine ministerielle Tätigkeit Angriffen ausgesetzt gewesen ist, so bereitwillige Anerkennung haben von allen Seiten seine schriftstellerischen Leistungen gefunden. Durch die Gründung der Comités historiques, durch Anregung zu Herausgabe wichtiger Quellensammlungen sowie durch seine eignen zahlreichen Schriften hat er sich um Beförderung der historischen Studien in Frankreich die größten Verdienste erworben. Leiden auch seine Geschichtswerke an teleologisch-pragmatischem Doktrinarismus, so ist doch die große Kunst der Komposition und Darstellung unbestritten, und Guizot muss, wenn nicht zu den großen Staatsmännern, doch zu den ersten Schriftstellern Frankreichs gezählt werden. Im Auftrag der Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika bearbeitete er die Geschichte Washingtons nach dessen hinterlassenen Papieren in Vie, correspondance et écrits de Washington (1839-40, 6 Bde.), wofür sein Bildnis im Sitzungssaal der Repräsentantenhauses in Washington D.C. angebracht wurde.

Neben Klemens Wenzel Lothar von Metternich wurde er im Vorwort des Kommunistischen Manifests als Feind des Kommunismus genannt.

Der Botaniker Alexandre Henri Gabriel de Cassini benannte 1829 ihm zu Ehren die Pflanzengattung Guizotia (Ramtillkraut) aus der Familie der Korbblütler. Auch Preußen ehrte Guizot: Am 24. Januar 1849 wurde er in den Orden pour le merite für Wissenschaft und Künste als ausländisches Mitglied aufgenommen.[1]

Weitere Veröffentlichungen

  • Nouveau dictionnaire universel des synonymes de la langue française (1809).
  • De l'état des beaux-arts en France et du Salon de 1810 (1811)
  • Vie des poètes français du siècle de Louis XIV (1813),
  • Annales de l'éducation (1811-15, sechs Bände)
  • „Du gouvernement représentatif et de l'état actuel de la France“ (4. Auflage von 1821)
  • „Des constitutions et de la justice politique“ (1820)
  • „Les moyens de gouvernement et d'opposition dans l'état actuel de la France“ (1821)
  • „Sur la peine de mort en matière politique“ (1822)
  • „Cours d'histoire moderne“ (Vorträge 1828-30, 6 Bände)
  • „Collectlon des mémoires relatifs à l'histoire de France depuis la fondation de la monarchle francaise jusqu'au XIII. ciècle“ (1823 ff., 31 Bände, Gemeinschaftsausgabe mit mehreren Gelehrten)
  • „Essai sur l'histoire de France“ (1824 in Mably: „Observatlons sur l'histoire de France“)
  • „Histoire de la révolution d'Angleterre“, „Histoire de Charles I, 1625-49“ (1828, 2 Bände)
  • Histoire des origines du gouvernement représentatif, 1820 bis 1822 gehaltenen Vorlesungen (1851, zwei Bände)

Literatur

  • Gabriel de Broglie: Guizot. Perrin, Paris 1990, ISBN 2-262-01853-7 (prix des Ambassadeurs).
  • Dirk Hoeges: François Guizot (1787–1874). In: Heinz Duchhardt, Malgorzata Morawiec, Wolfgang Schmale, Winfried Schulze (Hrsg.): Europa-Historiker. Band 3, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-30158-6, S. 89–111.
  • Dirk Hoeges: François Guizot und die Französische Revolution. Romanistisches Seminar der Universität Bonn, Bonn 1973 (Romanistische Versuche und Vorarbeiten 44, ZDB-ID 974776-x), (Zugleich: Bonn, Univ., Philos. Fak., Diss. 1972), (Auch: Lang, Frankfurt am Main u. a. 1981, ISBN 3-8204-5937-5 (Bonner romanistische Arbeiten 13).
  • Dirk Hoeges: Guizot und Tocqueville. In: Historische Zeitschrift. Bd. 218, 2, 1974, S. 338–353.
  • Rut Keiser: Guizot als Historiker. Saint-Louis, Basel 1925 (Dissertation Basel).
  • Laurent Theis: François Guizot, Librairie Arthème Fayard, Paris 2008, ISBN 978-2-213-63653-5.

Weblinks

Commons: François Guizot – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Der Orden pour le merite für Wissenschaft und Künste, Die Mitglieder des Ordens. Band I (1842–1881), Gebr. Mann-Verlag, Berlin, 1975, S. 140.
Vorgänger Amt Nachfolger

Adolphe Thiers
Außenminister von Frankreich
29. Oktober 1840–23. Februar 1848

Alphonse de Lamartine

Martial, comte de Guernon-Ranville
Louis Gaspard Amédée, baron Girod de l'Ain
Jean-Baptiste Teste
Privat Joseph Claramont
Bildungsminister von Frankreich
31. Juli 1830–1. August 1830
11. Oktober 1832–10. November 1834
18. November 1834–22. Februar 1836
6. September 1836–15. April 1837

Louis, baron Bignon
Jean-Baptiste Teste
Privat Joseph Claramont
Narcisse-Achille de Salvandy

Achille-Charles-Léonce-Victor de Broglie
Innenminister von Frankreich
1. August 1830–2. November 1830

Marthe Camille Bachasson de Montalivet
Meyers Konversationslexikons logo.svg Dieser Artikel basiert auf einem gemeinfreien Text aus Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage von 1888–1890.
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