Die Tonkin-Stumpfnase (Rhinopithecus avunculus) ist ein tagaktiver Primat aus der Familie der Schlank- und Stummelaffen (Colobinae). Die Affen sind heute auf wenige Gebiete im äußersten Nordosten Vietnams beschränkt [2], wobei sich ihr Verbreitungsgebiet in historischen Zeiten noch östlich des Roten Flusses ausdehnte. In den letzten Jahrzehnten sind die Populationen wegen massiver Abholzung und intensiver Bejagung an den Rand des Aussterbens gedrängt worden.


Lebensraum

Derzeit leben Tonkin-Stumpfnasen (Rhinopithecus avunculus) nur noch in kleinen Waldgebieten in den Provinzen Tuyen Quang und Bac Kan, sowie in geringerer Zahl in den Provinzen Ha Giang und Thai Nguyen [5]. Tonkin-Stumpfnasen gehören zu den seltensten und gefährdetsten Säugetieren der Welt.

Tonkin-Stumpfnasen (Rhinopithecus avunculus) leben in tropischen immergrünen Wäldern mit karstigen Hügeln und Bergen, die sich weitgehend aus Primärwald [1] zusammensetzen. Sie leben in Höhenlagen zwischen 200 und 1.200 m [3].


Aussehen

Tonkin-Stumpfnasen (Rhinopithecus avunculus) haben einen braunen bis schwarzen Rücken. Die Unterseite ist gelblich-weiß bis orange, die Ellenbogen haben einen Fleck der gleichen Farbe. Die Krone und die Ohren sind weiß bis gelblich,die Gesichtshaut ist blau, die Lippen sind rosa. Der braune Schwanz hat eine weißliche bis gelbe oder orange-graue Spitze. Der Penis der Männchen ist schwarz, der Hodensack ist weiß. Der Nachwuchs ist weißlich grau, dunkelt aber allmählich nach [7].

Bei Tonkin-Stumpfnasen (Rhinopithecus avunculus) herrscht sexueller Dimorphismus vor. Männchen sind mit rund 14 kg deutlich schwerer als Weibchen, die lediglich 8,5 kg erreichen. Letztere erreichen eine Körperlänge einschließlich Kopf von rund 54 cm, ihr Schwanz wird etwa 65 cm lang. Männchen übertreffen die Weibchen neben dem Gewicht auch in der Körperlänge: Sie werden etwa 65 cm lang, hinzu kommt der Schwanz mit etwa 85 cm [7].


Gruppenleben

Die Reviere der einzelnen Gruppen überschneiden sich stark [1]. Die Gruppen zählen etwa 25 Individuen und bestehen aus einem Männchen und mehreren Weibchen und deren Nachwuchs. Die Männchen verlassen bei Erreichen der Geschlechtsreife ihre Geburtsgruppe und schließen sich Junggesellengruppen an [7].


Ernährung

Tonkin-Stumpfnasen (Rhinopithecus avunculus) ernähren sich von jungen Blättern, unreifen Früchten und Samen von 52 verschiedenen Pflanzenarten [1]. Von Dezember bis April besteht ihre Nahrung zu 47% aus Früchten, gefolgt von jungen Blättern mit 38% und Samen mit 15% [7].


Verhalten

Tonkin-Stumpfnasen (Rhinopithecus avunculus) sind in erster Linie Baumbewohner, die sich vierbeinig, kletternd, springend und gelegentlich hangelnd durch das Geäst fortbewegen [6][7]. Sie haben einen lauten Kontaktruf und einen Alarmruf, der sich wie ein Schluckauf, oder "Huu chhhk" anhört. Rufe über weitere Distanzen hören sich wie das Bellen eines Hundes an [7].


Bedrohungen

Tonkin-Stumpfnasen (Rhinopithecus avunculus) sind Berichten zufolge von Lebensraumzerstörung und Bejagung bedroht. Wissenschaftler verzeichnen in den südlichen Bereichen des Na Hang Schutzgebiets verstärkt Störungen durch Menschen. Die Affen sind nicht sonderlich scheu und fliehen nicht unbedingt, wenn sie Menschen begegnen, was ihre Chance erhöht, erschossen zu werden [6]. Die Jagd ist die unmittelbarste Bedrohung für diese Primaten, obwohl verschiedenen Quellen behaupten, dass keine Jagd stattfindet [5]. Der einzige Grund, warum nicht mehr Affen geschossen werden, ist die Seltenheit der Tiere, und nicht, weil die Jagd unter Strafe steht oder das Bewusstsein für die Bedrohung dieser Art sonderlich hoch wäre [4].

Tonkin-Stumpfnasen (Rhinopithecus avunculus) werden in der Regel nicht wegen ihres Fleisches gejagt (es soll einen fauligen Geschmack haben), aber ihre Körperteile finden Vewendung in der traditionellen chinesischen Medizin [3][5]. Daher gibt es in ihrem Verbreitungsgebiet einen hohen Jagddruck, wie Schüsse belegen, die fast täglich während Exkursionen (2004-2005) im Na Hang Nature Reserve zu hören waren [3].

Wanderfeldbau und andere landwirtschaftliche Aktivitäten stellen eine weitere Bedrohung dar [3][5]. In der Vergangenheit zählten übermäßiger und nicht wiedergutzumachender illegaler Holzeinschlag und Goldgewinnung zu den größten Bedrohungen. Vor kurzem verwandelte ein Wasserkraftprojekt entlang des Gam Flusses in Na Hang große Gebiete ihres Lebensraums in eine Baustelle [3][5]. Dadurch folgte ein plötzlicher Anstieg der menschlichen Bevölkerung, vor allem Bauarbeiter, der zu einer gestiegenen Nachfrage nach Fleisch geführt hat, und somit erhöhte sich der Jagddruck abermals [3].

Unterdessen haben Forscher von Fauna and Flora International eine neue Teilpopulation im Nordwesten Vietnams entdeckt, wie die BBC im Dezember 2008 berichtete. Die Biologen berichten von bis zu 20 Tonkin-Stumpfnasen (Rhinopithecus avunculus) in einem entfernten Waldgebiet. Sie bezeichnen die Entdeckung der neuen Gruppe als Lichtblick im Kampf gegen das Aussterben der seltenen Affen, da ihr drei Kleinkinder angehören.

Die Biologen hoffen nun, dass die Entdeckung zu verstärkten Bemühungen zum Schutz der Primaten und deren verbleibenden Lebensraum führen wird. "Wir haben nun die fantastische Chance diese Population zu schützen, was die Chancen für das Überleben der Art als Ganzes enorm steigert", erklärt Paul Insua-Cao, Manager des Vietnam Primatenprogramms von Fauna and Flora International.

Die Weltnaturschutzunion stuft Tonkin-Stumpfnasen (Rhinopithecus avunculus) als vom Aussterben bedroht (Critically Endangered) ein, da der Gesamtbestand sehr klein ist und schätzungsweise weniger als 250 geschlechtsreife Affen überlebt haben. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der derzeitige Abwärtstrend der Population anhalten wird.


Systematik


Literatur

[1] Boonratana und Le 1998; [2] Groves, 2001; [3] Le und Boonratana, 2006; [4] Long und Le, 2001; [5] Nadler et al., 2003; [6] Nguyen, 2000; [7] Rowe, 1996; [8] Xuan Canh, L., Khac Quyet, L., Thanh Hai, D. & Boonratana, R. 2008. Rhinopithecus avunculus. In: IUCN 2010. IUCN Red List of Threatened Species. Version 2010.1. <www.iucnredlist.org>. Downloaded on 26 June 2010.

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