Wie Pilze lernen, Insekten besser zu infizieren



Bio-News vom 07.03.2024

Forschende des Kiel Evolution Center untersuchen erstmals im Detail, wie ein für den biologischen Pflanzenschutz wichtiger Pilz ein vorteilhaftes Chromosom horizontal weitergeben und dabei einen bislang wenig erforschten Weg des Austauschs von Erbinformationen nutzen kann.

Nachhaltige, nicht auf chemischen Pestiziden beruhende Maßnahmen zum Pflanzenschutz greifen auf verschiedene Organismen und biologische Wirkstoffe zurück, um Kulturpflanzen vor Schädlingen zu schützen. Solche für den biologischen Pflanzenschutz verwendete Organismen sind zum Beispiel mikroskopisch kleine Pilze der Gattung Metarhizium, die eine Vielzahl von pflanzenschädlichen Insekten befallen und abtöten können und beispielsweise im südamerikanischen Zuckerrohranbau eingesetzt werden.


Das Forschungsteam untersuchte genetische Veränderungen von Metarhizium-Pilzen bei der Infektion der invasiven Argentinischen Ameise, hier abgebildet sind ihre Arbeiterinnen, rechts mit Brut. ©

Publikation:


Stock, M., Milutinović, B., Hoenigsberger, M. et al.
Pathogen evasion of social immunity

Nat Ecol Evol 7, 450–460 (2023)

DOI: 10.1038/s41559-023-01981-6



Die molekularen Mechanismen der Pilzinfektion und die Immunantwort der Insekten befinden sich in einem fortlaufenden Prozess gegenseitiger evolutionärer Anpassungen. Ein Forschungsteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) untersuchte in einem gemeinsamen Projekt mit Kolleginnen und Kollegen vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) die genetischen Veränderungen des Pilzes bei Infektion der invasiven Argentinischen Ameise (Linepithema humile).

Dazu untersuchten die Forscherinnen und Forscher die Genome verschiedener Stämme der Pilze Metarhizium robertsii und Metarhizium brunneum aus einem früheren Ko-Infektionsexperiment, in dem Ameisen mit dem Pilzmix infiziert worden waren. Mit den auswachsenden Sporen wurden dann über zehn aufeinanderfolgende Infektionszyklen neue Ameisen infiziert. Bei der Analyse der Pilzgenome aus diesen Infektionsreihen machte der Pilzgenetiker und Erstautor der nun erschienenen Studie, Dr. Michael Habig von der CAU, eine spannende Beobachtung: Seine Analysen zeigten, dass ein einzelnes Chromosom sehr häufig zwischen zwei unterschiedlichen Stämmen horizontal ausgetauscht wurde.


Pilze der Gattung Metarhizium können eine Vielzahl von Insekten befallen und abtöten, im Bild eine getötete Gartenameise (oben), aus deren Körper neue infektiöse Sporenpakete auswachsen.

Dieses Chromosom beinhaltet bestimmte Gene, von denen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass sie dem Pilz Vorteile bei der Infektion ihrer Wirte verschaffen können. Der horizontale Transfer ganzer Chromosomen ist bisher sehr selten wissenschaftlich beschrieben worden und konnte hier erstmals im Detail untersucht werden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden des Kiel Evolution Center (KEC) und des ISTA gestern in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS).

Horizontaler Chromosomen-Transfer bei insektenschädlichem Pilz nachgewiesen

Mit dem Begriff des horizontalen Gentransfers beschreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie Lebewesen genetisches Material zwischen verschiedenen, auch artfremden Individuen übertragen können. Auf diese Weise tauschen zum Beispiel Bakterien umfangreiche genetische Informationen, häufig in Form von Plasmiden untereinander aus, um sich damit schnell an geänderte Umweltbedingungen anzupassen und dadurch beispielsweise ihre Schädlichkeit für den Wirt zu erhöhen. Die rasante Evolution verschiedener Krankheitserreger beruht unter anderem auf solchen Mechanismen.

„Bei Pilzen und vielen anderen sogenannten eukaryotischen Lebewesen ist der horizontale Gentransfer in Form ganzer Chromosomen dagegen sehr selten und bislang kaum erforscht worden“, sagt Dr. Michael Habig, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der CAU. „Die Analyse der Erbinformationen der Pilzstämme zeigt, dass M. robertsii im Laufe der Ko-Infektionsexperimente insgesamt fünfmal unabhängig ein einzelnes Chromosom, aber keine weitere Erbinformation von einem Stamm zum anderen per horizontalem Transfer weitergegeben hat“, so Habig weiter.

Weitere Analysen wiesen zudem darauf hin, dass das gleiche Chromosom auch in der entfernt verwandten, ebenfalls insektenschädlichen Pilzart Metarhizium guizhouense zu finden ist, deren gemeinsamer evolutionärer Ursprung mit M. robertsii bereits rund 15 Millionen Jahre zurückliegt. „Das Chromosom ist dort deutlich weniger verändert, als man es für die lange Zeitspanne getrennter evolutionärer Entwicklung der beiden Pilzarten annehmen würde. Die Weitergabe des Chromosoms scheint also auch auf natürlichem Wege zwischen Pilzarten stattgefunden zu haben - und zwar wahrscheinlich wieder horizontal“, so Habig.

Analyse des Chromosoms deutet auf mögliche Überlebensvorteile für den Pilz hin

Bei dem untersuchten Chromosom handelt es sich um ein sogenanntes akzessorisches Chromosom. Das bedeutet, es kommt nicht bei allen Individuen einer Art vor und beinhaltet nicht-lebensnotwendige Erbinformationen. „In den Experimenten zeigte sich, dass die Pilze, die das akzessorische Chromosom empfangen hatten, unter bestimmten Bedingungen Wettbewerbsvorteile gegenüber Pilzen des gleichen Stamms hatten, der das Chromosom nicht aufgenommen hatte, und sich gegen diese durchsetzen konnten. Worauf diese Vorteile im Detail beruhen, wollen wir in Zukunft genauer untersuchen“, betont Habig. Erste Hinweise konnte das Kieler Forschungsteam bereits aus der Analyse der auf dem Chromosom befindlichen Gene ableiten. „Das Chromosom enthält Hunderte Gene, deren potenzielle Funktionen wir erst in Zukunft entschlüsseln können. Wir konnten jedoch bereits jetzt 13 Kandidatengene bestimmen, die vermutlich für sogenannte Effektoren-Proteine verantwortlich sein könnten, die zum Beispiel mit dem Immunsystem der Insekten interagieren können“, so Habig weiter.

Die Übertragung des Chromosoms birgt also möglicherweise Vorteile für den Pilz, deren funktionale Grundlagen zurzeit noch unklar sind. Eine plausible Möglichkeit dafür ist aber die Übertragung bestimmter Gene, die Chitin-spaltende Enzyme bilden und so die Fähigkeit zum Befall der Insekten verbessern können. „Bemerkenswert ist, dass wir unter anderem die Gene dreier solcher Enzyme gefunden haben, die vermutlich eine Rolle beim Abbau der Chitin-haltigen Kutikula des Wirtsinsekts spielen. Dies könnte einen entscheidenden Schritt des Infektionsprozesses beeinflussen, denn die Pilzsporen sind darauf angewiesen, das schützende Exoskelett des Wirts zu durchdringen, um ihn infizieren zu können“, vermutet Professorin Sylvia Cremer, Letztautorin der Studie, vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA).

Insgesamt bietet die nun vorgelegte Forschungsarbeit aus dem KEC interessante neue Aspekte zu einem bei Pilzen bisher wenig untersuchten Weg der Weitergabe von Erbinformationen. „Unsere neue Arbeit zeigt, dass der horizontale Chromosomen-Transfer bei Pilzen regelmäßig vorkommt und dieser Mechanismus dem Empfängerstamm zumindest im Experiment unter bestimmten Bedingungen Vorteile einräumen kann“, so Habig zusammenfassend. Damit beschreibt das Kieler Forschungsteam mit seinen Kollaborationspartnern vom ISTA erstmals im Detail einen neuen Aspekt in der Genomevolution von Pilzen, die möglicherweise Bakterien-ähnliche Mechanismen der schnellen evolutionären Anpassung nutzen können, um zum Beispiel ihre Virulenz oder Schädlichkeit für ihren Wirtsorganismus zu erhöhen und genetische Informationen über Artgrenzen hinweg zu übertragen. Künftig wolle man am Beispiel von M. robertsii die Zusammenhänge von horizontalem Chromosomentransfer, etwaigen Fitnessvorteilen und der gegenseitigen Anpassung von Pilzen und Insekten im Detail untersuchen und so weitere Erkenntnisse über diesen für den Pflanzenschutz wichtigen Organismus zusammentragen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

Die News der letzten 7 Tage 4 Meldungen






warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte