Die Familie Omomyidae wird seit geraumer Zeit den Trockennasenprimaten (Koboldmakis und höhere Primaten) zugeordnet.
Sie repräsentiert 35-40 Gattungen mit 85-90 Arten früher Primaten aus dem frühen Känozoikum. Sie hatten ihre Blütezeit im Eozän und waren vor allem in Nordamerika weit verbreitet, kamen aber auch recht zahlreich in Europa vor. Einige sind aus Asien sowie möglicherweise aus Nordafrika bekannt.
Die meisten Omomyiden waren kleiner als die gleichzeitig lebenden Adapiformes und erreichtenein Gewicht von durchschnittlich 50 - 500 Gramm, nur wenige Arten erreichten 1 - 2½ Kilogramm [1][2].
Omomyiden werden in der Regel in drei Unterfamilien eingeteilt: Das sind zum einen die vor allem in Nordamerika gefundenen Anaptomorphinae und Omomyinae und zum anderen die ausschließlich aus Europa stammenden Microchoerinae.
Die Unterfamilie Anaptomorphinae
Die ältesten bekannten Primaten aus der Familie Omomyidae gehören zur Gattung Teilhardina. Manche Autoren stellen sie zur Unterfamilie Anaptomorphinae, die plötzlich wie aus dem Nichts in den unteren Schichten des Eozäns von Nordamerika, Europa und Asien auftaucht [6][14][15][16]. Teilhardina ist die einzige frühe Primatengattung, die auf allen drei nördlichen Kontinenten verbreitet war. Sie ist in Bezug auf das Gebiss ursprünglicher als jedes andere Mitglied der Anaptomorphinae, dazu gehören das Vorhandensein von vier Prämolaren und, bei den frühesten Arten, die relativ ursprünglichen, nicht reduzierten Eckzähne. Die meisten Autoren erkennen mindestens 14 anaptomorphine Gattungen an.
Die anaptomorphinen Gattungen Tetonius, Absarokius und Anemorhysis stellen drei verschiedene Abstammungslinien dar, die entweder von Teilhardina oder einer verwandten Form im westlichen Nordamerika abstammen. Zahlreiche Fundstücke dieser frühen Primaten aus dem Bighorn Basin in Wyoming zeigen einen allmählichen Übergang von Ursprungsarten zu Arten jeder der drei Unterfamilien der Omomyidae und dokumentieren die unabhängige Entwicklung zahlreicher Merkmale der Gebisse [17][14]. Wiederkehrende Trends sind die Vergrößerung des unteren ersten Schneidezahns (I1), die Vergrößerung oder Molarisation des vierten Prämolaren, Reduzierung der Größe und Anzahl der Prämolaren und mesiodistale Kompression der restlichen vorderen Zähne, die Reduzierung der dritten Molaren und die Faltenbildung auf dem Zahnschmelz [14].
Unterfamilie Omomyinae
Zur Unterfamilie Omomyinae werden in der Regel 15-20 Gattungen gezählt, die sich von der Familie Anaptomorphinae generell durch einen relativ kleineren und weniger liegend ausgerichtenen unteren ersten Schneidezahn (I1) unterscheiden. Weiterhin sind Omomyinae durch nicht so starke Reduktion und Kompression der Frontzähne gekennzeichnet, durch relativ ungekürzte dritte Molare und durch die kleine basale Inflation der Backenzähne, was mehr periphere Höcker zur Folge hat [6][14]. Die Unterschiede sind sehr subtil und widersprüchliche Merkmale machen die Zuordnung mehrerer Gattungen schwer. Die Gattung Steinius aus dem frühen Eozän repräsentiert die ältesten und primitivsten Omomyinen und taucht in der Fossildokumentation mindestens eine Million Jahre später als die anaptomorphine Gattung Teilhardina auf, ist aber in einigen Merkmalen primitiver, in anderen fortschrittlicher [13].
Steinius scheint am ehesten mit den Gattungen Omomys und Jemezius verwandt zu sein. Die Mitglieder der Familie Omomyinae waren mit einem Gewicht von 100 Gramm bis 2,5 Kilogramm, sowie in der Gebissmorphologie vielfältiger als es die Anaptomorphinae waren. Sie verdrängten letzere weitgehend im mittleren und späten Eozän [18][2]. Zu den gemeinsamen Trends bei den Omomyinae zählen die Entwicklung der molaren Mesostylen und Metastyliden (z.B. Shoshonius), unregelmäßiger, gewellter Zahnschmelz und die Molarisation des unteren vierten Prämolaren (P4). Omomyiden wurden vor allem in Nordamerika gefunden, wobei aber die Gattung Asiomomys und eine Spezies der Gattung Macrotarsius aus Asien stammen.
Zwei der erst später auftretenden Omomyiden gehören auch zu den problematischsten: obwohl in der Regel als Omomyinen eingestuft, sind die Verwandschaftsverhältnisse unklar. Die späteozäne Gattung Rooneyia aus Texas, von der man einen Schädel fand, hat obere Molare mit abgerundeten Spitzen und großen Hypoconi. Verschiedene Aspekte der Zahn- und Schädelanatomie sind im Vergleich zu anderen Omomyiden ungewöhnlich, so ist es möglich, dass Rooneyia überhaupt gar kein Mitglied der Familie Omomyidae ist. Seit seiner Entdeckung ist Rooneyia verschiedentlich als frühes Mitglied der Tarsiiformes oder möglicherweise der Anthropoidea (Eigentliche Affen) ausgelegt worden, und einer aktuellen Analyse zufolge gehört die Gattung eher zu den Adapiformes [19].
Die zweite problematische Gattung ist Ekgmowechashala aus dem späten Oligozän South Dakotas und Oregons. Sie ist einzigartig mit ihren niedrigkronigen, bunodonten Zähnen und Höckern und dem stark unregelmäßigen, gewellten Zahnschmelz. Diese Besonderheiten führten zu der Annahme, dass Ekgmowechashala zu den Riesengleitern (Dermoptera) anstatt zu den Primaten zu zählen ist [20]. Die Beziehungen dieser beiden abweichenden Formen werden voraussichtlich auch weiterhin umstritten sein, solange bis umfassenderes Fossilmaterial gefunden wurde.
Unterfamilie Microchoerinae
Die europäische Familie Microchoerinae umfasst vier oder fünf Gattungen von kleinen Omomyiden aus dem mittleren und späten Eozän. Sie zeichnen sich u.a. durch vergrößerte mittlere Schneidezähne und eine reduzierte Zahnformel (2.1.3.3 / 2.1.2.3) aus. Die primitive Gattung Nannopithex ähnelt nordamerikanischen Gattungen aus der Unterfamilie Anaptomorphinae wie Tetonius und entwickelte sich wahrscheinlich auch aus einer anaptomorphinen Art [21]. Den oberen Molaren fehlt der Hypokonus, haben dafür aber ein aussagekräftiges Unterscheidungsmerkmal in Form eines Kammes, der distal zum Protokonus verläuft: diese "Nannopithex-Falte" ist namengebend für die Gattung. Spätere Mitglieder der Microchoerinae (Microchoerus und Necrolemur) entwickelten bunodonte Molaren mit großen cingularen Hypokoni und unregelmäßig gewelltem Zahnschmelz (parallel zu den nordamerikanischen Omomyiden). Sie waren höchstwahrscheinlich Frugivoren [2]. Wie bereits erwähnt, waren die Mitglieder der Familie Microchoerinae besser an das Springen in den Bäumen angepasst als andere Omomyiden.
Verwandtschaft mit rezenten Koboldmakis (Tarsius)
Die Omomyiden scheinen die Vorfahren der heutigen Kobolmakis (Tarsius) oder zumindest eng mit ihnen verwandt zu sein. Diese Annahme beruht auf den relativ großen Orbita beider Formen, den ektotympanalen Knochen (Gehörgang) und anderen Details der Schädelanatomie, sowie auf den verlängern Fußwurzelknochen und eng anliegenden oder verschmolzen Schien- und Wadenbeinen. In all diesen Merkmalen unterscheiden sich die Oomomyiden von den Adapiformes und ähneln mehr den Koboldmakis. Von letzteren unterscheiden sie sich in den Proportionen der Schneide- und Eckzähne, der Struktur der Orbita und in endokranialen arteriellen Mustern, was jedoch auch die Möglichkeit beinhaltet, dass diese Ähnlichkeiten konvergente Entwicklungen sind. Dessen ungeachtet haben jüngste phylogenetische Analysen ergeben, dass die Omomyiden eine paraphyletische Gruppe sind und die Haplorhini (Höhere Primaten einschl. Koboldmakis und Eigentliche Affen) innerhalb der Omomyidae verschachtelt sind [19].
Ernährung
Zur Beurteilung der möglichen Ernährungsweise der Omomyiden zog man verschiedene Messwerte der Körpermasse und der relativen Länge der molaren Scherkämme heran und verglich diese mit heute lebenden Primaten [22]. Im Gegensatz zu füheren Annahmen (die auf Morphologien des Gebisses beruhten), wonach Omomyiden möglicherweise Insektenfresser waren, zeigen diese Analysen, dass fast alle Anaptomorphinae und Microchoerinae (mit kürzerer Gesamtkammlänge) eindeutig im Bereich der rezenten Frugivoren anzusiedeln sind. Die meisten kleinen Omomyinae (einschließlich Omomys, Shoshonius und Washakius) und die kleine, weniger als 100 Gramm schwere microchoerine Gattung Pseudoloris waren der Analyse zufolge wahrscheinlich faunivor, was bedeutet, dass sie sich sowohl von Insekten als auch von kleinen wirbellosen Tieren und Wirbeltieren ernährten.
Der Schädel

Bild © aus Szalay, 1974
Die meisten Arten der Omomyidae sind nur durch Gebisse vertreten, aber von einigen Gattungen kennt man auch den Schädel, so etwa von den früheozänen Gattungen Teilhardina, Tetonius und Shoshonius, von den mitteleozänen Gattungen Omomys und Nannopithex sowie von den Gattungen Necrolemur und Rooneyia aus dem späten Eozän (Abb. 2). Im Vergleich zu Adapiformes haben Omomyifomes kürzere Gesichter, eine schmälere Schnauze und relativ größere Orbita . Sie sind (außer bei Rooneyia) vergleichbar mit denen der heutigen Galagos und anderen nachtaktiven Primaten, wenn auch nur Shoshonius im Durchmesser ähnlich große Orbita wie heutige Koboldmakis besaß [3][4].
Rooneyia hatte etwas kleinere Orbita und war daher vermutlich tagaktiv. Die Bulla in der Gehörregion ist bei einigen Omomyiden (Tetonius und Shoshonius) groß und aufgeblasen. Der ektotympanale Ring (der das Trommelfell umgibt) ist lateral als äußerer, knochiger Gehörgang verlängert, ähnlich wie bei Tarsius aber im Gegensatz zum freien intrabullaren Trommelfellring bei Adapiformes. Beide intrabullaren Zweige (promontorial und stapedial) der Ateria carotis interna sind vorhanden und in knöchernen Röhren eingeschlossen - ein relativ ungewöhnlicher Zustand, den man auch bei den meisten Adapiformes vorfindet [5][6][7]. Die Unterkiefersymphyse der Omomyiden ist im Gegensatz zu Adapiformes nie verschmolzen.
Das Skelett
Die postkraniale Anatomie von Omomyiformes ist zwar weniger gut bekannt als von Adapiformes, aber viele fragmentarische Überreste (meist isolierte Knochen) konnten einer Reihe von Gattungen zugeordnet werden, etwa Absarokius, Arapahovius, Teilhardina und Tetonius aus der Unterfamilie Anaptomorphinae, den Gattungen Hemiacodon, Omomys und Shoshonius aus der Unterfamilie Omomyinae und vielen microchoerinen Gattungen, insbesondere Necrolemur. Basierend auf diesen Fossilien interpretiert man Omomyiden als baumlebende, vierbeinige Primaten, geschickt im Springen und in ihrer Größe und ihrer Art, sich fortzubewegen am besten mit heute lebenden Katzenmakis (Cheirogaleidae) oder mit dem Zwerggalago (Galago demidoff) vergleichbar [8][9][10][11].
Eine springende Fortbewegung ist bei Omomyiden wegen der schlanken, länglichen Hinterbeine wahrscheinlich, auch der halbzylinderförmige Femurkopf erinnert stark an die Morphologie springender Arten wie Galagos oder Koboldmakis, genau wie der distale Femur mit seiner hohen, engen und gut definierten Kniescheibenfurche, lateral begrenzt durch einen hohen, abgerundeten Rand.
In den meisten dieser anatomischen Merkmale ähneln die Omomyiden der adapoiden Familie der Notharctidae, doch gewisse Unterschiede zeigen, dass Omomyiden bessere Springer waren. Die Elemente der Fußwurzel waren länger und Schien- und Wadenbein (Tibia und Fibula) waren schlank, verlängert und entweder miteinander verschmolzen oder durch eine lange Faser über das distale Drittel miteinander verbunden. Allerdings deuten das lange Sitzbein (Ischium) und im Vergleich zu den Hinterbeinen relativ kürzeren Vorderbeine darauf hin, dass Omomyiden nicht so spezialisiert waren wie heutige vertikale Springer. Die Vorderbeine der Omomyiden waren etwa zwei Drittel so lang wie die Hinterbeine (zum Vergleich: bei den rezenten Gattungen Tarsius und Galago sind die Vorderbeine nur halb so lang wie die Hinterbeine). Die Oberschenkelknochen der Omomyiden waren relativ kürzer als ihre Oberarmknochen [10]. Die Unterfamilie Microchoerinae ist mit ihren distal verschmolzen Schien- und Wadenbeinen, ihren relativ kürzeren Oberarmen (59% der Femurlänge vs. 65% bei Shoshonius), und ihren verlängerten Fußwurzelknochen weniger spezialisiert als die Unterfamilien Anaptomorphinae und Omomyinae [12][8].
Zahnanatomie
Mit Ausnahme der Frontzähne ähnelt das Gebiß der Omomyiden heute lebenden Koboldmakis (Tarsius). Die Eckzähne sind in der Regel reduziert und die vorderen Schneidezähne oft vergrößert, während bei Koboldmakis die Situation umgekehrt ist. Die primitivsten Omomyiden gehören zur holarktischen Gattung Teilhardina und zur nordamerikanischen Gattung Steinius. Sie hatten die gleiche untere Zahnformel (2.1.4.3) wie die frühen Adapiformes und die Zähne zeigen nur feine Unterschiede zur primitivsten adapoiden Gattung Donrussellia, was auf eine enge gemeinsame Abstammung schließen lässt.
Omomyiden haben relativ einfache Molare mit niedrigen Kronen. Die oberen Molare weisen drei primäre Höcker auf. Oft verläuft eine Nannopithex-Falte aus dem Protokonus nach hinten, der Hypokonus ist primitiv, klein oder nicht vorhanden, und wenn vorhanden, dann entspringt er aus dem Postcingulum. Die unteren Molare sind in der Regel kürzer und breiter als bei Vertretern der Adapiformes und weisen zusammengedrückte Trigonide und große talonide Becken auf. Die letzten Molare sind bei einigen Gattungen reduziert. Die Schneidezähne sind in der Regel spitz und liegend ausgerichtet. Der untere erste Schneidzahn (I1) ist oft wesentlich größer als I2. Die Eckzähne sind bei allen Gattungen reduziert, am meisten aber bei den primitiven Arten. Die vormolaren Zähne der Omomyiden sind in der Regel mesiodistal verdichtet und in ihrer Zahl reduziert. Auf Grund der ähnlichen Morphologie der Zähne ist es aber oft schwierig festzustellen, welche Zähne verloren gegangen sind. Vier Prämolaren sind nur bei einigen Arten von Teilhardina und Steinius vorhanden, bei allen anderen Omomyiden ist die Zahl auf zwei oder drei in jedem Kieferquadranten reduziert. Die unteren Prämolaren P1 und P2 sind (wenn vorhanden) in der Regel reduziert und einwurzelig. Die Prämolaren haben einfache Kronen, obwohl der untere P4 bei einigen Arten hoch und spitz, bei anderen Arten niedrig und semimolariform ist. Die oberen Prämolaren P3-4 sind im Wesentlichen zweihöckrig, P4 ist manchmal vergrößert. Der molare Zahnschmelz variiert von glatt bei einigen Arten bis zu faltig (engl. crenulated) bei anderen. Viele dieser Gebissmerkmale haben sich bei Omomyiden allerdings wiederholt entwickelt, so dass es eine Herausforderung ist, die genauen verwandtschaftlichen Zusammenhänge zu entwirren.
Systematik
Literatur
[2] Fleagle, 1999;
[3] Martin, 1990;
[4] Beard et al., 1991;
[5] Simons und Russell, 1960;
[6] Szalay, 1976;
[7] Beard und MacPhee, 1994;
[8] Dagosto, 1993;
[9] Thalmann, 1994;
[10] Dagosto et al., 1999;
[11] Anemone und Covert, 2000;
[12] Dagosto, 1985;
[13] Rose und Bown, 1991;
[14] Bown und Rose, 1987;
[15] Ni et al., 2004;
[16] Smith et al., 2006;
[17] Rose und Bown, 1984;
[18] Gunnel, 1995;
[19] Kay et al., 2004;
[20] McKenna, 1990;
[21] Rose, 1995;
[22] Strait, 2001