Trigeminusneuralgie


Klassifikation nach ICD-10
G50.0 Trigeminusneuralgie
IHS/ICHD-II Code 13.1
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die Trigeminusneuralgie (auch Tic douloureux) ist eine Form des Gesichtsschmerzes. Es handelt sich um einen äußerst schmerzhaften Reizungszustand des fünften Hirnnerven, des Nervus trigeminus.

Formen

Man unterscheidet eine klassische oder idiopathische von einer symptomatischen Trigeminusneuralgie: Bei der idiopathischen Trigeminusneuralgie ist die Ursache weitgehend unbekannt, bei der symptomatischen Trigeminusneuralgie kann dagegen eine Ursache gefunden werden. Allerdings findet man auch bei der idiopathischen Trigeminusneuralgie häufig ein anatomisches Korrelat – es besteht ein enger Kontakt zwischen einem Gefäßast und einem Ast des Nervus trigeminus –, so dass dieser Umstand als Ursache vermutet werden kann.[1] Die symptomatische Trigeminusneuralgie kann beispielsweise die Folge eines Entzündungsprozesses, z. B. bei der Multiplen Sklerose (MS), oder eines Hirntumors sein. Diese Unterscheidung ist auch klinisch relevant, weil sich das therapeutische Vorgehen unter anderem danach richtet.

Epidemiologie

  • Idiopathische Trigeminusneuralgie: Erstmaliges Auftreten nach dem 40. Lebensjahr. Die Inzidenz liegt bei Frauen bei 5,9 auf 100.000 Personen pro Jahr, bei Männern bei 3,9 auf 100.000 Personen pro Jahr (Katusic et al., 1990). Am häufigsten sind der zweite (Nervus maxillaris) und dritte Trigeminusast (Nervus mandibularis) alleine (18 % bzw. 15 %) oder kombiniert (ca. 40 %) betroffen. Beidseitige Trigeminusneuralgien sind mit ca. 3 % selten.
  • Symptomatische Trigeminusneuralgie: Erstmaliges Auftreten vor dem 40. Lebensjahr. Sehr viel häufiger findet sich der Befall des 1. Trigeminusastes (Nervus ophthalmicus) sowie beidseitige Nervenschmerzen.

Symptome

Charakteristisch ist der spontane oder getriggerte, blitzartig einschießende Schmerz im Bereich eines oder mehrerer Trigeminusäste (meist zweiter und dritter Ast, selten der erste Ast). Der Schmerz hält meist für wenige Sekunden an, selten bis zu zwei Minuten. Ebenfalls können auf die Schmerzattacke vegetative Erscheinungen im Versorgungsgebiet des entsprechenden Trigeminusastes folgen, etwa Rötung oder Sekretion der Tränen-, Nasen- und/oder Speicheldrüsen. Diese Erscheinungen können, besonders nach langer und ausgeprägter Attacke, differentialdiagnostisch gegen das Vorliegen einer idiopathischen Trigeminusneuralgie sprechen. Die Attacken treten mehrmals pro Tag über Wochen und Monate auf; zu Beginn sind auch wochen- bis monatelange schmerzfreie Intervalle möglich.

Als Auslöser können wirken: Kauen, Sprechen, Schlucken, Zähneputzen, Berührung im Gesicht, kalter Luftzug, Bewegungen der Gesichtsmuskulatur.

Bei der idiopathischen Trigeminusneuralgie besteht zwischen den einzelnen Schmerzattacken Schmerzfreiheit, hingegen können bei der symptomatischen Trigeminusneuralgie auch zwischen den Attacken Missempfindungen oder ein dumpfes Schmerzgefühl bestehen bleiben. Bei der symptomatischen Trigeminusneuralgie kommt es häufiger zur Beteiligung des ersten Trigeminusastes und einem beidseitigen Auftreten. Diese Patienten haben häufig eine Gefühlsstörung im Versorgungsgebiet des betroffenen Trigeminusastes.

Jahrelang geplagte Patienten entwickeln oft ein Vermeidensverhalten und gehen beispielsweise nicht mehr ins Freie (wenn kalte Luft als Auslöser wirkt), waschen oder rasieren sich im betroffenen Gesichtsbereich nicht mehr, wenn schon leichte Berührung als Auslöser wirkt. Begleitet wird die Trigeminusneuralgie häufig von einer depressiven Verstimmung. Die Suizidrate ist bei Betroffenen signifikant erhöht.

Stärke der Schmerzen

Die Schmerzen, die bei der Trigeminusneuralgie auftreten, gehören zu den stärksten für den Menschen vorstellbaren Schmerzen. Sie werden häufig auf einer Schmerzskala von 0 bis 10 mit der höchsten Stufe angegeben.

Pathogenese

Bei über 70 % der Patienten kann intraoperativ ein pathologischer Gefäß-Nervenkontakt nachgewiesen werden [2]. Zumeist handelt es sich dabei um den Kontakt zwischen der Arteria cerebelli superior und der Wurzel des Nervus trigeminus im Bereich des Hirnstamms. Durch die herzrhythmische Ausdehnung des Gefäßes kommt es zur lokal umschriebenen Demyelinisierung des Nerven (Love/Coakham, 2001). Das bedeutet aber keineswegs, dass bei allen Personen mit pathologischem Gefäß-Nervenkontakt ein vaskulär bedingtes Schmerzsyndrom vorliegen muss. Neben dieser Theorie besteht die Hypothese einer funktionellen Störung im Kerngebiet des Nervus trigeminus sowie die Hypothese einer Störung im schmerzverarbeitenden System.

Bei der symptomatischen Trigeminusneuralgie führen beispielsweise Raumforderungen und Demyelinisierungsvorgänge im Rahmen der Multiplen Sklerose zu den typischen Schmerzen.

Differentialdiagnosen

Therapie

Es stehen sich konservative und operative Therapiemöglichkeiten gegenüber. Zuerst wird immer ein konservativer, also medikamentöser Therapieversuch erfolgen, da alle operativen Eingriffe (mitunter schwerwiegende) Nebenwirkungen aufweisen – ganz abgesehen von der Operabilität des Patienten.

In der Vergangenheit wurden immer noch häufig operative Maßnahmen im Bereich des Gesichtsschädels durchgeführt, weil die Schmerzen falsch gedeutet wurden. Deshalb sei an dieser Stelle festgestellt, dass die Entfernung von Zähnen oder die Spülung von Kieferhöhlen keinen therapeutischen Erfolg zeigten. Psychotherapeutische Verfahren konnten in ihrer Wirksamkeit ebenfalls nicht belegt werden.

Konservative Therapie

  • Mittel der ersten Wahl: Carbamazepin/Oxcarbazepin
  • Mittel der Wahl zur Akuttherapie: Phenytoin langsam i. v. (Natriumkanalblocker)
  • Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Medikamente, die in ihrer Wirksamkeit in Studien oder empirisch belegt worden sind, die hier aber nicht weiter aufgeführt werden sollen. Bei Interesse sei auf die unten stehenden Links verwiesen.
  • Opiate sind nur unzureichend wirksam und nicht in Langzeitstudien untersucht, weshalb die Expertengruppe 2001 ihre Verwendung nicht empfiehlt.

Operative Therapie

Auch hier stehen verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung:

Verfahren ohne Schädelknocheneröffnung im/am Ganglion Gasseri

Hierunter werden die Schädigung des Ganglion Gasseri durch Hitze (temperaturgesteuerte Koagulation, Sweet, 1968), durch chemische Substanzen (Glyzerinrhizolyse, Hakanson, 1981) und durch mechanischen Druck (Ballonkompression, Mullan/Lichtor, 1983) zusammengefasst. Alle Verfahren sind mit einer frühen Erfolgsquote von mehr als 90 % sehr gut wirksam (u. a. Jho/Lunsford, 1997), Skirving/Dan, 2001). Nach zehn Jahren liegt die deutliche Schmerzlinderung bzw. Schmerzfreiheit noch bei 70 bis 80 %. Als Nebenwirkung treten Gefühlsstörungen (evtl. auch schmerzhaft) im Versorgungsgebiet des Trigeminus sowie in seltenen Fällen Gehirnhautentzündungen (1 bis 5 %, je nach Therapieverfahren) auf.

Verfahren zur Entlastung des Nervus trigeminus im Kleinhirnbrückenwinkel

Siehe auch: mikrovaskuläre Dekompression

Auch: Operation nach Jannetta. Hierbei wird entweder ein Muskelkissen oder körperfremdes Material zwischen den Nervus trigeminus und das komprimierende Gefäß eingebracht. Die frühe Erfolgsquote von 98 Prozent belegt die Wirksamkeit (Schmerzfreiheit bzw. deutliche Schmerzlinderung). Nach 20 Jahren beträgt diese Erfolgsrate noch über 67 Prozent. In 11 Prozent der Fälle musste innerhalb von sechs Jahren erneut operiert werden, wobei die Erfolgsrate nach diesen Re-Operationen deutlich niedriger als nach der Erstoperation lag (nach fünf Jahren nur noch bei 51 Prozent). Als Nebenwirkung treten in 3 bis 30 Prozent der Fälle Gefühlsstörungen (meist in Form einer Verminderung des Gefühls) im Trigeminusgebiet sowie in bis zu 5 Prozent der Fälle eine Taubheit auf dem gleichseitigen Ohr auf.

Radiologische Behandlungsverfahren

Siehe auch: Gamma-Knife, Linearbeschleuniger

Die frühe Erfolgsrate liegt bei etwa 86 Prozent, sinkt jedoch nach knapp drei Jahren auf ca. 75 Prozent ab (Kondziolka et al., 2002). Es handelt sich um eine relativ junge Therapieoption, so dass Langzeitergebnisse noch abgewartet werden müssen.

Literatur

  • K. Poeck, Hacke: Neurologie. 11. Auflage. Springer, Berlin 2001, S. 427. ISBN 3-540-63028-7
  • H. Iro, F. Waldfahrer: Gestörte Sensibilität Trigeminus. In: Laryngo-Rhino-Otologie. Stuttgart 84.2005, 179-193. ISSN 0935-8943, doi:10.1055/s-2005-861141.

Einzelnachweise

  1. K. Poeck, W. Hacke: Neurologie. Springer-Verlag 2006, 12. Auflage. ISBN 3-540-29997-1
  2. u. a. Delitala et al., 2001, Zorman/Wilson, 1984

Weblinks

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