Schluckauf


Klassifikation nach ICD-10
R06.6 Singultus
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Der Schluckauf (lateinisch singultus „Schluchzen, Röcheln“) ist eine reflektorische Einatmungsbewegung (Kontraktion) des Zwerchfells, wobei die Einatmung durch plötzlichen Stimmlippenverschluss unterbrochen wird; dabei entsteht ein charakteristisches Einatmungsgeräusch, der Hickser.

Ursachen

Bei vielen Säugetieren und auch beim Menschen soll der Schluckauf verhindern, dass Flüssigkeit in die Lunge gerät, indem sich die Atemmuskulatur blitzartig zusammenzieht und sich gleichzeitig die Stimmritze schließt. Bei menschlichen Embryos verhindert der Reflex das Eindringen („Einatmen“) von Fruchtwasser und bei Säuglingen das versehentliche Einatmen der Muttermilch; bei ihnen ist dies besonders wichtig, da der noch nicht ausgebildete Kehlkopf weder Luftröhre noch Speiseröhre vollständig verschließen kann. Der Schluckauf übernimmt hier die Kehlkopffunktionen (Trennung zwischen Speise- und Luftröhre) für den Zeitraum bis zur vollständigen Ausbildung des Kehlkopfes und dient als „Umschalter“ zwischen Atmen und Schlucken. Da die Atmung Vorrang vor der Nahrungsaufnahme hat, kann der „versehentlich“ ausgelöste Schluckauf durch Anreicherung von Kohlenstoffdioxid im Blut wieder abgeschaltet werden.

Der Schluckauf entsteht durch eine ruckartige Verkrampfung des Zwerchfells. Das Zwerchfell wird über den Nervus phrenicus, dessen Ursprung im zentralen Nervensystem (= Gehirn und Rückenmark, wichtig für Motorik und Koordination der beteiligten Muskeln) liegt, innerviert.

Ausgelöst wird ein Schluckauf beim Menschen durch:

  1. Speisereste oder Fremdkörper in der Speiseröhre (physiologischer Auslöser im Gegensatz zu den folgenden pathologischen)
  2. Zentral-Störung im Zentralnervensystem, z. B. Schädel-Hirn-Trauma, Hirnblutung (anhaltender Schluckauf kann das erste Zeichen für eine Subarachnoidalblutung sein), Hirntumor, Enzephalitis
  3. Störungen/Läsionen im Verlauf des Nervus phrenicus
  4. Störungen am Zwerchfell (z. B. Subphrenischer Abszess)

Ablauf des Reflexes

Durch die Kontraktion des Zwerchfells wird der Brustraum erweitert und Luft in die Lunge gesaugt. Beim (ruckartigen) Einatmen der Luft verschließt sich reflektorisch die Stimmritze. Strömungsbedingt entsteht während des Verschlusses der Stimmlippen jenes Geräusch, das wir als den „Hicks“ kennen.

Das Aufsuchen eines Arztes ist erst ab einem über Stunden andauernden Schluckauf angeraten oder bei einem Zusammenhang mit anderen Beschwerden.

Die möglichen Ursachen lassen sich in mehrere Gruppen fassen:

  • zumeist vorübergehende Reizungen des Zwerchfells durch unübliche Magenfüllung (hastiges Essen, kohlensäurehaltige und/oder kalte Getränke, scharfes Essen) – diese Reize werden afferent über den N. vagus und N. phrenicus vermittelt – in Kombination mit Aufregung (weshalb mitunter Konzentration auf gleichförmige Abläufe wie ruhige Atmung hilft);
  • Veränderung des vegetativen Gleichgewichts (Alkoholgenuss, Hysterie);
  • krankheitsbedingte, also nicht in wenigen Minuten vorübergehende, direkte entzündliche Reizungen am Zwerchfell bei beispielsweise einem subphrenischem (unter dem Zwerchfell sitzenden) Abszess, einer Pleuritis, einer Pankreatitis oder nach Operationen im Oberbauch, wobei reflektorisch eine motorische Antwort über den N. phrenicus am Zwerchfell hervorgerufen wird;
  • chronisch narbig-entzündliche oder tumorbedingte Reizungen mit ähnlich reflektorischen Reaktionen.

Entwicklungsgeschichtliche Erklärungen

Atmung wird im Wesentlichen vom Hirnstamm zwischen Gehirn und Rückenmark gesteuert. Bei den Fischen reguliert er die rhythmischen Muskelbewegungen im nahe gelegenen Rachen und der Kiemen. Bei Säugetieren werden die Muskeln der Brustwand und des Zwerchfells vom Hirnstamm angesteuert. Hierzu haben sich lange Leitungsbahnen ausgebildet: der Vagus- und Phrenicusnerv. Der komplizierte Verlauf bedingt die Störanfälligkeit dieser Konstruktion. Alles, was die Funktion eines dieser Nerven beeinträchtigt, kann unkontrollierte Kontraktionen auslösen.

Der Mustergenerator, der im Hirnstamm für den Schluckauf verantwortlich ist, findet sich auch bei Kaulquappen und Lungenfischen (besitzen Lungen und Kiemen). Dieser Generator ist aktiv, wenn die Atmung über die Kiemen erfolgt. Das Wasser wird durch Maul, Rachen und Kiemen geleitet, darf aber nicht in die Lunge geraten. Das verhindert die Glottis (Epiglottis = Kehlkopfdeckel), ein Gewebedeckel, der dann die Luftröhre abdeckt. Das Schließen der Glottis bei Wasseratmung ist somit eine abgewandelte Form des Schluckaufs.[1] [2]

Chronischer Schluckauf

In besonders seltenen Fällen leiden Menschen unter chronischem Schluckauf, mitunter viele Jahre lang. Der längste ununterbrochene Schluckauf beim Menschen dauerte von 1922 bis 1990.[1] Ein solches Leiden bringt nicht nur körperliche Einschränkungen mit sich, sondern schlägt oft auch auf die Psyche und kann bis zum Suizid führen. Auf physischer Ebene wird durch dauernden Schluckauf die Sauerstoffversorgung beeinträchtigt und es kommt zu Schlafstörungen. Festgestellt wurden mehrere Ursachen, darunter Magenbeschwerden, neurologische Störungen und Tumore. Da fast ausschließlich Männer von diesem Phänomen betroffen sind, wird von einem Zusammenhang mit den Sexualhormonen ausgegangen. In Deutschland betreut die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Patienten mit chronischem Schluckauf im Zentrum für Schmerztherapie und Palliativmedizin der Klinik für Anaesthesiologie.

Therapie

Es existieren viele Volksweisheiten zur Hilfe gegen Schluckauf, die vorwiegend auf eine Beruhigung der Atmung und des Zwerchfells zielen. Ihre Wirksamkeit ist medizinisch nicht belegt, sie können den Betroffenen dennoch im Einzelfall Erleichterungen bringen. Z. B. kann es helfen, 60 Sekunden lang die Luft anzuhalten. Einige wenige Personen können sogar durch Konzentration auf die Atmung ihr Zwerchfell entspannen und somit den Schluckauf beenden. Im Gegensatz dazu erwähnt die medizinische Fachliteratur neben pharmakologischer Behandlung (etwa mit Cannabis[3]) auch einige unorthodoxe Behandlungsformen, darunter unter anderem Orgasmen,[4] rektale Massage per Finger[5] [6] oder die nasale Anwendung von Essig.[7] Aus dem japanischen Kappo, einer traditionellen Heilmethode, ist eine weitere Maßnahme überliefert, bei der man mit den Kleinfingerfäusten auf einen bestimmten Bereich des Nackens Druck ausübt.[8]

Medikamentös wird mit Protonenpumpenhemmern, Prokinetika, Sympathomimetika und Sedativa (Neuroleptika) behandelt; früher mit Triflupromazin (wurde 2003 vom Markt genommen) oder Diazepam.

Brauchtum

Wie beim Niesen (Sternution, Sternutation) etwas näher ausgeführt, sind (bzw. waren) auch mit dem Schluckauf allerlei traditionelle, „abergläubische“ Vorstellungen verbunden, wie z. B., dass jemand in diesem Moment an die Person denkt.[9]

Bezeichnungen

In Österreich und auch in Deutschland (Bayern) wird Schluckauf umgangssprachlich manchmal als „Schnackerln“ oder „Schnackler“ (Mehrzahl von „Schnackerl“ oder Infinitiv; auch „Schnackerlstessen“) bezeichnet[10] („Er/sie hat einen Schnackler“). In der Schweiz wird er umgangssprachlich als „Gluggsi“ oder „Hitzgi“ bezeichnet („Er/sie hat den Hitzgi). In Schwaben (Württemberg) und in Baden wird der Schluckauf als „Gluckser, Gluggser“ oder „Häcker, Hickser“ bezeichnet („er/sie hat den Gluckser / Gluggser / Häcker“), in Franken als „Hädscher“, in Schleswig-Holstein als „Hickop“ und in der Pfalz als „Schluggser“/„Schluckser“. Im Ruhrgebiet ist die Version „Hickeschlick“ und am Niederrhein „Hickepick“ gebräuchlich. Auch als „Schlucksen“ wird ein Schluckauf bezeichnet. Im schwäbischen Allgäu wird der Schluckauf mit „Hesch“ oder „Häsch“ bezeichnet. Im Gebiet vom Rhein sagt man „Schlicks“

Darstellung in Romanen

In Roberto Bolaños Monsieur Pain (1999) stirbt César Vallejo am Dauerschluckauf. In Jonathan Lethems Chronic City (2009) überträgt sich der Schluckauf von einem Pitbull auf einen Menschen. Dessen innere Organe werden durch die vom dauerhaften Schluckauf hervorgerufenen Spasmen letal geschädigt. Monologe mit Schluckauf werden hier als „Hickolog“[11] bezeichnet. In Kurt Vonneguts Timequake (1997) führt eine u.a. als „Schluckauf“[12] bezeichnete Störung des Raum-Zeit-Kontinuums dazu, dass sich die Jahre 1991 bis 2001 unverändert wiederholen.

Literatur

  • Launois et al.: Hiccup in adults: an overview, In: European Respiratory Journal, 1993, S.563–575, Abstract

Weblinks

Wiktionary: Schluckauf – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Neil Shubin, Der Fisch in uns, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2008, ISBN 978-3-10-072004-7
  2. Straus, C. et al.: A phylogenetic hypothesis for the origin of hiccough. In: BioEssays. 25. Jahrgang, Nr. 2, 2003, S. 182--188, doi:10.1002/bies.10224 (com.au [PDF]).
  3. Gilson, I et al., Marijuana for intractable hiccups, in: The Lancet, 1998 Jan 24;351(9098):267
  4. Peleg, R. et al., Case report: sexual intercourse as potential treatment for intractable hiccups., in: Can Fam Physician, 2000 Aug;46:1631-2
  5. Fesmire, L. M., Termination of intractable hiccups with digital rectal massage, in: Annals of Emergency Medicine, 1988 Aug;17(8):872
  6. Odeh, M. et al., Termination of intractable hiccups with digital rectal massage, in: Journal of Internal Medicine, 1990 Feb;227(2):145-6. Abstract
  7. Iwasaki, N. et al., Hiccup treated by administration of intranasal vinegar, in: No To Hattatsu, 2007 May;39(3):202-5. Abstract
  8. http://kuatsu.net/kuatsu.html#02, Das Kuatsu-Netzwerk, entnommen am 30. Mai 2012.
  9. K. Spangenberg et al. (1966): Thüringisches Wörterbuch (Akademie-Vlg. Berlin), Lemma:Schluckauf.
  10. österr. Wörterbuch 35. Ausgabe 1979 „das Schnackerl, -s, der Schnackerl: kurze (wiederholte) krampfartige Zwerchfellbewegung; das Geräusch dabei“
  11. Jonathan Lethem, Chronic City. Tropen Verlag, Hamburg 2011, S. 446.
  12. Kurt Vonnegut, Zeitbeben. Goldmann Verlag, München 2000, S. 106.