Mandschurenkranich



Mandschurenkranich

Mandschurenkranich (Grus japonensis)

Systematik
Klasse: Vögel (Aves)
Ordnung: Kranichvögel (Gruiformes)
Familie: Kraniche (Gruidae)
Unterfamilie: Echte Kraniche (Gruinae)
Gattung: Grus
Art: Mandschurenkranich
Wissenschaftlicher Name
Grus japonensis
(Statius Müller, 1776)

Der Mandschurenkranich (Grus japonensis), seltener auch Rotkronenkranich genannt, gehört zu den am stärksten bedrohten Arten in der Familie der Kraniche. Der Tiefpunkt des Bestandes dieser in Ostasien vorkommenden Art lag wahrscheinlich in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Bestand hat sich in einigen Gebieten seitdem wieder erholt. In den letzten 60 Jahren sind jedoch große Teile des Lebensraumes in Agrarflächen umgewandelt worden. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts lebten etwa 1.700 bis 2.000 Exemplare in freier Wildbahn. Die IUCN ordnet diese Art deshalb als stark gefährdet ein.[1] In der Volksrepublik China gehört sie gemeinsam mit dem Großen Panda und der Goldstumpfnase mittlerweile zu den „geschützten Arten ersten Grades“.[2]

Mandschurenkraniche sind eine ausgesprochene aquatische Art, die während ihrer Brutzeit ein dichtes Mosaik aus Schilfbeständen und freien, flachen Wasserzonen benötigen. Sie haben keine langen Überwinterungszüge. Die auf dem ostasiatischen Festland befindlichen Populationen ziehen in Küstenregionen. Die auf der japanischen Insel Hokkaido brütenden Mandschurenkraniche sind weitgehend Standvögel.

Beschreibung

Der Mandschurenkranich erreicht eine Höhe von 1,5 Metern und ein Gewicht von bis zu zehn Kilogramm. Seine Flügelspannweite beträgt 2,2 bis 2,5 Meter. Weibchen sind insgesamt etwas kleiner als Männchen. Die Lebenserwartung liegt bei rund 30 Jahren.

Das Gefieder ist überwiegend weiß, wobei die Schwingen, das Gesicht und der Hals grauschwarz gefärbt sind. Auf der nackten schwarzen Haut der Stirn weist der Mandschurenkranich vereinzelte schwarze Federn auf. Diese finden sich auch auf dem rauen, warzigen Kamm seiner karmesinroten Krone. Ähnlich wie bei Graukranich, Mönchs-, Schwarzhals- und Schreikranich ist dieser karmesinrote Fleck durch das Schwarzweißmuster der Kopffedern betont. Während der kalten Jahreszeit oder während eines Wanderfluges kann die Krone beim Mandschurenkranich dunkler wirken, weil sie dann weniger durchblutet wird.[3] Gelegentlich ist sie auch unter den weißen Nackenfedern versteckt, die wie eine Haube nach vorne gezogen werden können. Die sehr langen Beine lassen ihn mühelos durch Flachwasser und Uferbesäumungen waten. Der Schnabel ist spitz zulaufend und perfekt an seine Jagdtechniken angepasst.

Verbreitung

Der Mandschurenkranich ist in Ostasien, insbesondere in der Dongbei und auf Hokkaido zu Hause. Auf dem asiatischen Festland brütet der Mandschurenkranich nahezu ausschließlich im Einzugsgebiet des Amurs. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich hier vom Hulun-See in der inneren Mongolei und der Provinz Jilin nach Osten quer über Heilongjiang bis zum Chankasee und dem Ussuri. Das Zentrum seines Verbreitungsgebietes ist Heilongjiang und zwar vor allem die Umgebung des Songhua Jiang und die großen Zhalong-Sümpfe in der Nähe der Stadt Qiqihar. Am Mittellauf des Amurs, wo dieser Fluss große Überflutungsgebiete aufweist, teilt sich der Mandschurenkranich das Brutgebiet mit dem Weißnackenkranich.[4]

Mandschurenkraniche im Zhalong-Naturschutzgebiet
Porträt

Für den Bestand auf Hokkaidō vermutete man bis in die 1970er Jahre, dass es sich um eine überwiegend dort überwinternde Population handele. Erst der Ornithologe George Archibald fand heraus, dass Mandschurenkraniche in den unzugänglichen Kushiro-Sümpfen brüten. Im Frühjahr 1972 zählte man bei einer Lufterkundung der Sümpfe von Hokkaido nicht weniger als 53 Nester. Inzwischen weiß man, dass sich die Hokkaido-Kraniche innerhalb der Mandschurenkraniche sich schon vor Jahrtausenden von der Festlandpopulation abgesondert haben. Darauf weisen die unterschiedlichen Doppelrufe hin.[5] Zu Beginn der 2000er Jahre zählte man auf Hokkaido etwa 160 Brutpaare. 53 Brutpaare haben ihre Brutreviere in dem 260 Quadratkilometer großem Sumpfland im Herz des Kushiro-Kranichschutzgebietes. Eine weitere große Gruppe brütet an der Lagune von Akkeshi sowie im Küstengebiet von Nemuro.[6]

Der Mandschurenkranich weist keine ausgeprägten Wanderbewegungen auf. Die in der Region des Amurs und im Zhalong-Reservat brütenden Vögel ziehen zu den Küstenregionen nördlich von Shanghai. Die Populationen vom Ussuri und vom Chankasee überwintern auf der koreanischen Halbinsel. Bei der Population auf Hokkaido handelt es sich um Standvögel.[7]

Lebensraum

Der Mandschurenkranich bevorzugt Süßwasser-Feuchtgebiete, Sümpfe und andere feuchte Lebensräume. Als eine besonders aquatisch orientierte Art lebt er vor allem im hohen Schilfgürtel und in tiefen Sümpfen. Im Einzugsbereich des Amurs ist der Mandschurenkranich die erste Kranichart, die hier eintrifft. Sein Brutrevier steckt er – soweit es möglich ist – fernab menschlicher Aktivitäten in den Sümpfen ab. Der Weißnackenkranich dagegen hält sich eher in den Randbereichen desselben Bruthabitats ab und nistet auch im Ried und in feuchten Wiesen in der Nähe landwirtschaftlich genutzten Landes.[8]

Nahrung

Neben pflanzlicher Kost ernährt sich der Mandschurenkranich von Fischen, kleinen Reptilien, Fröschen und Insekten.

Fortpflanzung

Mandschurenkranich nahe der chinesischen Stadt Qiqihar

Der Balztanz der Mandschurenkraniche ist einer der komplexesten unter den Kranichen. Wie bei den meisten Kranicharten verstärkt der Balztanz die Paarbindung und baut aggressive Stimmungen innerhalb der Kranich-Schar ab. Tanzende Mandschurenkraniche erheben sich wie die meisten Grus-Arten auf die Zehen, spreizen die Deckfedern auf dem Rücken und breiten die Flügel zur sogenannten „Schmetterlingspose“ aus. Dadurch wirkt das Erscheinungsbild größer und imposanter. Anders als bei den anderen Kranicharten setzt sich der Tanz des Mandschurenkranichs fort, in dem die ausgebreiteten Schwingen hoch über den Rücken gehoben werden und der Hals so gekrümmt wird, dass die rote Krone vor den schwarzen Schirmfedern zu liegen kommt. Dabei weist der lange, scharfe Schnabel zum Himmel.[9]

Sein Nest baut der Mandschurenkranich in relativ tiefem Wasser inmitten von Schilf. Er verbaut dabei Gras, Schilf und andere Pflanzenteile. Das Weibchen legt zwei Eier, die es 26 bis 34 Tage bebrütet. Die Eier des Mandschurenkranichs sind sehr glatt. Ungewöhnlich ist die variable Färbung der Eischale. Mandschurenkraniche legen gelegentlich rein weiße Eier, wie es bei den subtropischen Kranicharten vorkommt. Es wird deshalb vermutet, dass der Mandschurenkranich ursprünglich auch in weiter südlich gelegenen Regionen Ostasiens brütete, da die weiße Schale gewöhnlich die Funktion hat, die Sonnenhitze zu reflektieren. Die übrigen Eier sind manchmal bläulich oder gefleckt wie bei den meisten nördlich vorkommenden Kranicharten.[10]

Die Küken, die über ein braunes Dunenkleid verfügen, sind Nestflüchter und folgen kurz nach dem Schlupf den Altvögeln. Sie wachsen sehr schnell heran mit einem Wachstumshöhepunkt zwischen dem 10. und 40. Lebenstag.[11] Sie sind nach rund drei Monaten flügge und erreichen die Geschlechtsreife mit drei bis vier Jahren. Abweichend von vielen anderen Kranicharten ziehen Mandschurenkraniche häufig beide Küken groß.[12]

Bestand und Gefährdung

Mandschurenkraniche auf Hokkaido

Aufgrund von Verlust der Lebensräume und starker Bejagung sind die Bestände des Mandschurenkranichs stark zurückgegangen. Die IUCN schätzt die Gesamtpopulation auf etwa 2.400 Tiere und stuft die Art als "stark gefährdet" ein. Der Schutz des Mandschurenkranichs ist zum Teil sehr konfliktreich. Am Chankasee, dessen Uferregion sowohl in China als auch in Sibirien liegt, zählt das Ufergebiet jeweils zu wirtschaftlich wertvollem Agrarland. Auf sibirischer Seite ist es sogar der fruchtbarste Boden, in dem lange Zeit der einzige Reis der UdSSR angebaut wurde und daneben auch Getreide, Sojabohnen und Tomaten angebaut werden konnten. Auch auf chinesischer Seite stellt das Gebiet wertvolles Ackerland dar.[13] Im Zhalong-Naturreservat könnte der Mandschurenkranich, der einen Flickenteppich von Schilfinseln und freiem Wasser bevorzugt, davon profitieren, wenn bis zur Hälfte des Schilfs durch die in angrenzendem Gebiet wohnende Bevölkerung geschlagen wird. Für diese macht die Schilfernte jedoch zwischen 70 und 80 Prozent ihres Einkommens aus. Die Einwohner sind daher gezwungen, mehr Schilf zu ernten als mit dem Schutz dieser Art vereinbar ist.[14]

Erhaltungsmaßnahmen

Mandschurenkraniche werden in einer Reihe von Zoos und Reservaten nachgezogen. Die in Gefangenschaft gehaltene Population ist immerhin so groß, dass es kein globales Zuchtbuch gibt, sondern regionale, meist auf den jeweiligen Kontinent bezogene Zuchtbücher.[15] In Japan hat man die Erfahrung gemacht, dass flugunfähige Männchen Weibchen in ihre Gehege locken und mit ihnen Nachwuchs groß ziehen, der sich den wilden Kranichscharen anschließt, sobald er flugfähig ist.

Im Zhalong-Naturschutzgebiet wurden Mandschurenkraniche mit der Hand aufgezogen und in die Marschen entlassen. Während des Winterhalbjahres wurden sie wieder eingefangen, um Verluste über den Winter zu verhindern. In den nachfolgenden Jahren verpaarten sich diese Vögel entweder miteinander oder mit wilden Mandschurenkranichen und zogen unweit ihres Aufzuchtsortes Nachwuchs auf. Auch dieser wurde während des ersten Winterhalbjahrs gemeinsam mit den Eltern in Gefangenschaft gehalten. Diese halbwilden Kraniche tolerieren in größerem Maße als ihre wilden Artgenossen die Anwesenheit von Menschen, was das Ziel dieser Maßnahme ist.[16]

Kulturelle Bedeutung

Pine, Plum and Cranes von Shen Quan (1759)

Der Mandschurenkranich gilt als die Kranichart, die in der ostasiatischen Kunst am häufigsten wiedergegeben ist.[17] Die chinesischen Philosophen sahen in dem Schwarzmuster, das sich zeigt, wenn der Mandschurenkranich die Schwingen spreizt, eine Manifestation des Yin-und-Yang-Prinzips.[18] Abbildungen finden sich auf Kimonos gestickt, als Holzschnitt wiedergegeben, auf Wandschirmen gemalt und auf Schriftrollen gezeichnet. Bei den Ainu, der Urbevölkerung Japans, ist der Mandschurenkranich Todesbote und zugleich Symbol des ewigen Lebens.[19] Die Kraniche wurden in Japan auch gejagt, wobei die Jagd, die mit Falken ausgeführt wurde, über lange Zeit nur dem japanischen Hochadel vorbehalten war. Erst nach 1867, dem Jahr der Meiji-Restauration war es in Japan erlaubt, dass auch die ländliche Bevölkerung Kraniche jagen durfte. Es bildete sich die Sitte heraus, Kraniche zu Neujahr zu verspeisen. Bereits 1889 waren die Bestände so dezimiert, dass man der Überzeugung war, dass der Mandschurenkranich in Japan weitgehend ausgerottet sei.[20]

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Mandschurenkraniche auch auf Hokkaido verschwunden. 1910 wurden vereinzelt wieder Mandschurenkraniche gesichtet, 1924 wurde erstmals wieder eine kleine Schar in den Kushiro-Sümpfen beobachtet. Die Kranichjagd wurde daraufhin verboten und das japanische Kulturministerium erklärte den Mandschurenkranich zum Nationaldenkmal. Bereits in den 1930er Jahren wurden 2.700 Hektar in diesen Sümpfen als besonderes Rückzugsgebiet ausgewiesen. Während einer schweren Frostperiode im Jahre 1952 retteten örtliche Bauern eine verbliebene Schar von 30 Mandschurenkranichen, die sich um eine heiße Quelle versammelt hatten, indem sie Getreide auslegten.[21] Diese Tradition wird bis heute fortgesetzt.

Literatur

  • David H. Ellis, George F. Gee, Claire M. Mirande (Hrsg.): Cranes: Their Biology, Husbandry, and Conversation, Hancock House Publishers, Blaine 1996, ISBN 0-88839-385-7
  • Peter Matthiessen: Die Könige der Lüfte – Reisen mit Kranichen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-596-18195-7

Weblinks

Commons: Mandschurenkranich – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ellis et al., S. 285
  2. Matthiessen, S. 23
  3. Matthiessen, S. 216 und S. 232
  4. Matthiessen, S. 20 und S. 21
  5. Matthiessen, S. 201
  6. Matthiessen, S. 205
  7. Matthiessen, S. 217 und S. 222
  8. Matthiessen, S. 44
  9. Matthiessen, S. 206 und S. 207
  10. Matthiessen, S. 45
  11. Ellis et al., S. 82
  12. Matthiessen, S. 45
  13. Matthiessen, S. 51
  14. Matthiessen, S. 180
  15. Ellis et al., S. 179
  16. Ellis et al., S. 233
  17. Matthiessen, S. 195 und S. 196
  18. Matthiessen, S. 217
  19. Matthiessen, S. 196
  20. Matthiessen, S. 197
  21. Matthiessen, S. 199

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