Arzneimittelgesetz (Deutschland)


Das deutsche Arzneimittelgesetz ist ein Gesetz des besonderen Verwaltungsrechts und regelt den Verkehr mit Arzneimitteln im Interesse einer ordnungsgemäßen und sicheren Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier. Inhaltlich steht es nah (supplementär) zum Betäubungsmittelgesetz. Die heute geltende Fassung des Arzneimittelgesetzes löste das Arzneimittelgesetz aus dem Jahre 1961 weitgehend ab; § 99 AMG verweist allerdings noch auf dieses Gesetz. Es wird oft als Arzneimittelgesetz von 1976 bezeichnet und trat am 1. Januar 1978 in Kraft.

Basisdaten
Titel: Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln
Kurztitel: Arzneimittelgesetz
Abkürzung: AMG
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Rechtsmaterie: Besonderes Verwaltungsrecht, Arzneimittelrecht
Fundstellennachweis: 2121-51-1-2
Ursprüngliche Fassung vom: 16. Mai 1961
(BGBl. I S. 533)
Inkrafttreten am: überw. 1. August 1961
Neubekanntmachung vom: 12. Dezember 2005
(BGBl. I S. 3394)
Letzte Neufassung vom: 14. August 1976
(BGBl. I S. 2445, 2448)
Inkrafttreten der
Neufassung am:
1. Januar 1978
Letzte Änderung durch: Art. 1, 2 G vom 19. Oktober 2012
(BGBl. I S. 2192 ff., 2216)
Inkrafttreten der
letzten Änderung:
überw. 26. Oktober 2012
(Art. 15 Abs. 1–8 G vom 19. Oktober 2012)
GESTA: M021
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Inhalt

Das Arzneimittelgesetz von 1976 gilt für Human- und Tierarzneimittel und besteht aus 18 Abschnitten. Unter anderem wichtig sind folgende:

  • Definition des Arzneimittelbegriffes und sonstige Begriffsbestimmungen
  • Anforderungen an die Arzneimittel
  • Herstellung von Arzneimitteln
  • Zulassung und Registrierung von Fertigarzneimitteln
  • Abgabe von Arzneimitteln
  • Schutz des Menschen bei der klinischen Prüfung
  • Sicherung und Kontrolle der Qualität
  • Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken
  • Überwachung
  • Haftung für Arzneimittelschäden

Das Arzneimittelgesetz dient als gesetzliche Grundlage für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung insbesondere durch die hohen Anforderungen an die Sorgfalt im Umgang mit Arzneimitteln durch die Pharmaindustrie, Apotheker und Ärzte. Dies betrifft vor allem die Belange Herstellung, Inverkehrbringung, Prüfung, Verschreibung, Aufklärung über und Abgabe von Arzneimitteln. Verstöße gegen das AMG werden teils als Ordnungswidrigkeiten, teils als Straftaten geahndet (siehe §§ 95 ff.). Es ist daher zum Nebenstrafrecht zu rechnen.

Neueren Aspekten, insbesondere der Bedeutung von bestimmten Präparaten im Sport ("Doping"), trägt das Gesetz Rechnung, indem es die Anwendung von Dopingmitteln (§ 6a), die auf einer durch das Bundesinnenministerium zu erlassenden Rechtsverordnung basierenden Liste verboten sind, unter Strafe stellt (§ 95).

Das Arzneimittelgesetz regelt in den §§ 84 ff. auch die Verantwortlichkeit für Arzneimittelschäden, die als Gefährdungshaftung ausgestaltet ist und seit der Novellierung durch das Schadensersatzrechtsänderungsgesetz von 2002 besondere Beweiserleichterungen für den Kausalzusammenhang vorsieht.

In Umsetzung europäischer Regelungen (vgl. auch Richtlinie 2001/83/EG) ermöglicht das AMG für bestimmte homöopathische Arzneimittel und für traditionelle pflanzliche Arzneimittel ein vereinfachtes Registrierungsverfahren. In diesem sind lediglich die Qualität und Unbedenklichkeit des Arzneimittels, jedoch nicht die medizinische Wirksamkeit nachzuweisen.

Das Arzneimittelgesetz behandelt nicht sozialrechtliche Belange (Erstattungsfähigkeit) oder wirtschaftliche Interessen der Pharmaindustrie.[1]

Geschichte

Bis 1961 gab es in Deutschland kein eigenes Arzneimittelgesetz, sondern Teile des Arzneimittelrechts wurden durch verschiedene Vorschriften geregelt, die in einer Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen verteilt waren. 1928, 1931, 1933 und 1938 gab es die ersten Entwürfe für ein Arzneimittelgesetz, sie wurden jedoch nicht umgesetzt.

Arzneimittelgesetz von 1961

Die Römischen Verträge zur Angleichung der europäischen Rechtsvorschriften forderten ein nationales Arzneimittelrecht, über das Deutschland als einziges Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) nicht verfügte. Deshalb errichtete die Bundesregierung am 14. November 1961 als letztes EWG-Land ein Gesundheitsministerium. Erste Gesundheitsministerin wurde Elisabeth Schwarzhaupt (CDU). [2]

Das AMG von 1961 enthielt keine Verpflichtung der Prüfung von Wirksamkeit und Sicherheit der Medikamente, sondern sah nur eine Registrierung vor. Die Medikamente sollten nicht vom Bundesgesundheitsamt geprüft werden, sondern bei der Verwendung von Stoffen, deren Wirksamkeit nicht "allgemein bekannt" sei, sollte ein Bericht über die Art und Ausmaße festgestellter Nebenwirkungen beigelegt werden. Dadurch sollten Verzögerungen bei der Registrierung vermieden werden, um deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu halten. Auch hinsichtlich der Wirksamkeit sollte die Verantwortung beim Hersteller liegen. Es wurden nur "Ärztliche Prüfungen", nicht aber Klinische Prüfungen für neue Arzneimittel verlangt. 1964 wurde der § 21 um zwei Absätze 1a und 1b ergänzt, die die Prüfung der Arzneimittel durch vorklinische und klinische Studien vorschrieb. Die Hersteller mussten ab dann eine bedeutsame schriftliche Versicherung liefern, dass die Arznei entsprechend dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend und sorgfältig geprüft worden sei.

Am 11. Juli 1971 gab Bundesgesundheitsministerin Käte Strobel die Richtlinie über die Prüfung von Arzneimitteln bekannt. Hierin wurden Grundsätze für die Pharmakologisch-toxikologische und Klinische Prüfung von Arzneimitteln festgelegt. Das Bundesgesundheitsamt wurde angewiesen, nur noch Arzneimittel zu registrieren, die nach der Richtlinie geprüft wurden.

Neufassung von 1976

Seit den Contergan-Vorfällen, die ab November 1961 bekannt wurden, wurden Forderungen nach einer Verbesserung der Arzneimittelsicherheit lauter. Das gerade zuvor verabschiedete Arzneimittelgesetz vom 8. Februar 1961 wurde zwar bis 1971 insgesamt 17 Mal geändert, eine grundlegende Reform und damit eine neue Gesamtkonzeption wurden jedoch notwendig. Auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft war bereits 1965 eine Richtlinie für die Anforderungen an die Zulassung von Arzneimitteln festgelegt worden,[3] deren Umsetzung in deutsches Recht einen ersten Schritt in der Schaffung eines europäischen Binnenmarktes für Arzneimittel darstellte.

Am 17. Juli 1974 wurde der Gesetzentwurf zur Neuordnung des Arzneimittelrechts einstimmig vom Bundeskabinett gebilligt. Am 18. Oktober 1974 gab der Bundesrat gemäß dem Gesetzgebungsverfahren eine erste Stellungnahme dazu ab. Anfang Januar 1975 stimmte die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung den meisten Verbesserungsvorschlägen des Bundesrates zu, einigen stimmte sie in modifizierter Fassung zu, wieder andere nahm sie nur zur Kenntnis.

Kerninhalte

Das neue Gesetz hat folgende Kerninhalte.[1][4]

  • Festschreibung eines Zulassungsverfahrens mit dem Nachweis von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit.
  • Der Begriff „Arzneispezialität“ wird ersetzt durch „Fertigarzneimittel“, definiert als ein im Voraus hergestelltes und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebrachtes Arzneimittel. Die zuvor nicht einmal registrierungspflichtigen Generika sind den ehemals „Arzneispezialitäten“ genannten Fertigarzneimitteln gleich gestellt und daher ebenfalls zulassungspflichtig.
  • Für homöopathische Arzneimittel, die keine Wirkungen und Anwendungsgebiete benennen, wird das weniger strenge Verfahren der Registrierung beibehalten.
  • An die Packungsbeilage und an die Kennzeichnung auf der Arzneimittelverpackung werden umfangreiche Anforderungen gestellt.
  • Die Anforderungen an die Voraussetzung für die Erteilung der Herstellungserlaubnis sind strenger; die Betriebsstätte muss über geeignete Räumlichkeiten und Ausstattung (Gute Herstellpraxis, GMP) verfügen und es sind bestimmte personelle Verantwortlichkeiten erforderlich.
  • Der Arzneimittelverkehr (Vertrieb, Abgabe) wird strenger reguliert und überwacht.
  • Aufbau eines Informationssystems, um Arzneimittelrisiken zu sammeln, auszuwerten und Abwehrmaßnahmen ergreifen zu können (Stufenplanverfahren).
  • Eine Gefährdungshaftung des pharmazeutischen Unternehmers unabhängig vom Verschulden. Dazu muss er eine Haftpflichtversicherung abschließen, damit mögliche Schadensersatzforderungen, die aus Schädigungen durch Arzneimittel entstehen können, abgedeckt sind.
  • Da für Fertigarzneimittel ein klinischer Wirksamkeitsnachweis erforderlich ist, enthält das Gesetz Schutzvorschriften für Probanden und Patienten, die an den entsprechenden klinischen Prüfungen teilnehmen. Beispielsweise muss der pharmazeutische Unternehmer eine Probandenversicherung abschließen.

Besondere Therapierichtungen

Das Arzneimittelgesetz räumt zulassungspflichtigen Arzneimitteln der Homöopathie, Anthroposophie und Phytotherapie („besondere Therapierichtungen“) spezifische Besonderheiten ein: so sind in der Entscheidung über die Erteilung bzw. Verlängerung einer Zulassung die „medizinischen Erfahrungen“ bzw. „die Besonderheiten“ dieser Therapierichtungen zu berücksichtigen (so genannter Binnenkonsens). Zulassungen dürfen nicht ohne Beteiligung entsprechender, von der Zulassungsbehörde eigens eingerichteten, Kommissionen versagt werden. Diese nationalen Besonderheiten basieren auf dem „Wissenschaftspluralismus“, zu dem sich der Gesetzgeber bekannte, um die „Monopolisierung einer herrschenden Lehre als verbindlicher ´Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse´“ zu vermeiden,[5] und führten zu Kritik am Arzneimittelgesetz.[6]

Nachzulassung

Fertigarzneimittel, die bereits vor 1978 im Markt waren, galten mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes als „fiktiv zugelassen“ um weiterhin verkehrsfähig zu bleiben. Sie waren den zugelassenen Arzneimitteln rechtlich gleich gestellt mit der Auflage, dass sie sich innerhalb einer Übergangsfrist von 12 Jahren dem neuen Zulassungsverfahren unterziehen mussten (Nachzulassung). Obwohl über AMG-Novellen Erleichterungen für die Nachzulassung geschaffen worden waren, lief die Bearbeitung schleppend und hatte zur Folge, dass 1997 immer noch eine Vielzahl von Nachzulassungsanträgen nicht abgeschlossen und die entsprechenden Mittel ohne Nachweis von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Markt waren. Die EU-Kommission strengte daher ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik an, die die Umsetzungsfristen nicht eingehalten hatte und zudem nicht EU-rechtskonforme Nachzulassungsentscheidungen getroffen hatte. Die generöse Ausdehnung der „fiktiven Zulassung“ bis Ende 2004 musste gestrichen werden, für noch nicht abgeschlossene Nachzulassungsanträge wurde die Dokumentationspflicht verschärft. Die Bundesregierung verpflichtete sich, die Bearbeitung der Nachzulassungsanträge für die vom Erlass der EU-Kommission vom 21. Oktober 1998 betroffenen Altpräparate bis Ende 2005 abzuschließen.[7]

AMG-Novellen

Bislang wurde das Gesetz von 1976 mehrfach novelliert.[8] Im Wesentlichen handelte es sich dabei um Änderungen, die durch die Harmonisierung des Arzneimittelrechts in der europäischen Union erforderlich wurden. Daneben gab es Novellierungen um das erhöhte Verfahrensaufkommen (Zulassungsstau, Nachzulassung) beschleunigt bearbeiten zu können sowie zur Nachbesserung des Gesetzes, etwa wenn sich Regulierungen nicht bewährt hatten.[1] Am 26. Oktober 2012 trat eine umfassende Novelle in Kraft. Die Schwerpunkte liegen in den Bereichen Pharmakovigilanz und Schutz vor Arzneimittelfälschungen.

Am 19. September 2012 hat das Bundeskabinett eine weitere Novelle des Arzneimittelgesetzes beschlossen. Insbesondere soll den Überwachungsbehörden ermöglicht werden, die Behandlungshäufigkeit mit Antibiotika in Tierhaltungsbetrieben zu beurteilen und darüber eine bundeseinheitliche Datenbank zu führen.[9]

Marktzugang

Der Marktzugang für Arzneimittel aus EU-Mitgliedstaaten wurde mit der 7. AMG-Novelle (1998) durch die Einbeziehung zusätzlicher Verfahren in das Arzneimittelgesetz geschaffen. In Anpassung an europäische Regelungen werden Arzneimittel in Deutschland außer durch eine rein nationale Zulassung nun auch durch eine „EU-Zulassung“ (siehe Zentralisiertes Zulassungsverfahren) verkehrsfähig, ferner können die deutschen Zulassungsbehörden über das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung eine zuvor in einem anderen EU-Land national erteilte Zulassung für den eigenen Markt akzeptieren. 2005 kam mit der 14. Novelle das Dezentralisierte Zulassungsverfahren zur Erlangung einer Vermarktungserlaubnis hinzu. Eine Zulassungsverlängerung muss der pharmazeutische Unternehmer nicht mehr wie bisher im 5-Jahres-Takt, sondern in der Regel nur noch einmal nach 5 Jahren beantragen, danach ist die Zulassung unbegrenzt gültig. Für nicht vermarktete Arzneimittel erlischt deren Zulassung nach 3 Jahren. Das Registrierungsverfahren für homöopathische Arzneimittel wurde durch die 5. Novelle (1994) und 14. Novelle (2005) durch die Umsetzung europäischer Richtlinien harmonisiert, mit der 14. Novelle kam ein Registrierungsverfahren für traditionell angewendete pflanzliche Arzneimittel hinzu.

Mit der 14. AMG-Novelle wurde auch das ausnahmsweise Inverkehrbringen von nicht zugelassenen Fertigarzneimitteln aus humanitären Erwägungen (Compassionate Use) rechtlich zulässig,[10] da sie ausdrücklich von der Zulassungspflicht ausgenommen wurden.

Klinische Prüfung

Mit der 2. AMG Novelle (1986) wurde die klinische Prüfung der amtlichen Überwachung unterstellt: der pharmazeutische Unternehmer musste den Zulassungsbehörden zusätzlich zu den pharmakologisch-toxikologischen Unterlagen zum Arzneimittel auch einen Prüfplan über die klinische Studie vorlegen. Eine umfassende Neuregelung brachte die 12. AMG-Novelle (2004) mit der Umsetzung einer Vielzahl europäischer Richtlinien zur guten klinischen Praxis: die Anzeigepflicht gegenüber den Zulassungsbehörden wurde ersetzt durch ein Genehmigungsverfahren und eine Verordnungsermächtigung eingeführt, die umfangreiche Vorschriften in Form der Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-Verordnung) rechtsverbindlich machte. So ist nun beispielsweise neben den bislang vorzulegenden Unterlagen auch ein Dossier über die pharmazeutische Qualität des Prüfpräparates, ein so genanntes Investigational Medicinal Product Dossier (IMPD), mit dem Genehmigungsantrag einzureichen. Die Genehmigungsverfahren der Ethikkommissionen und der Zulassungsbehörden wurden entkoppelt. Für die Meldung von Verdachtsfällen zu unerwarteten schwerwiegenden Nebenwirkung an die zuständige deutsche Bundesoberbehörde bzw. die zuständigen Oberbehörden anderer EU-Mitgliedstaaten und an die Ethikkommissionen wurde ein elektronisches und standardisiertes Format vorgeschrieben. Auch müssen seit der 12. AMG-Novelle mit dem Zulassungsantrag Unterlagen über eine klinische Prüfung an Kindern bzw. Jugendlichen eingereicht werden, wenn ein Arzneimittel für diese zugelassen werden soll. Zuvor wurden die Ergebnisse klinischer Prüfungen an Erwachsenen einfach auf Kinder übertragen.

Pharmakovigilanz

Unter Pharmakovigilanz versteht man die laufende systematische Überwachung der Arzneimittelsicherheit im Sinne einer Sammlung und Erfassung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen, um gegebenenfalls Maßnahmen zur Risikominimierung ergreifen zu können. Die Erstfassung des neuen Arzneimittelgesetzes verpflichtete die deutschen Zulassungsbehörden, Arzneimittelrisiken zentral zu erfassen und bei Bedarf entsprechende Abwehrmaßnahmen über das so genannte Stufenplanverfahren einzuleiten. Mit der 2. AMG-Novelle (1986) wurde die Funktion des Stufenplanbeauftragten geschaffen: ein pharmazeutischer Unternehmer muss eine entsprechend qualifizierte Person mit der Koordination des Beobachtens, Sammelns und Auswertens von Arzneimittelrisiken und der erforderlichen Zusammenarbeit mit den Behörden betrauen. 2004 wurden durch die 12. AMG-Novelle die Vorschriften zur Pharmakovigilanz durch Anpassung an europäisches Recht erweitert: der pharmazeutische Unternehmer wurde zur umfassenden Dokumentation und Meldung von Verdachtsfällen über Nebenwirkungen verpflichtet. Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen von Arzneimitteln müssen innerhalb bestimmter Fristen elektronisch in einem standardisierten Format an die zuständige deutsche Bundesoberbehörde übermittelt werden, was der Einspeisung in eine zentrale Datenbank bei der Europäischen Arzneimittelagentur dient (EudraVigilance). Auch muss der pharmazeutische Unternehmer der zuständigen Behörde in festgelegten Zeitabständen regelmäßig aktualisierte Berichte über die Unbedenklichkeit des Arzneimittels vorlegen. Vorschriften für die detaillierte Beschreibung eines Pharmakovigilanz- und Risikomanagement-Systems sowie die Verwendung einer international standardisierten medizinischen Terminologie (MedDRA) für die Übermittlung der Nebenwirkungsmeldungen waren über die 14. AMG-Novelle (2005) eingebrachte Neuerungen.

Tierarzneimittel

Die Arzneimittelsicherheit bei Tierarzneimitteln wurde verbessert durch die 1. Novelle (1983), 11. Novelle (2002) und 13. Novelle (2005). Besondere Regelungen für Tierarzneimittel enthält das Arzneimittelgesetz beispielsweise für die Verschreibung, Abgabe und Anwendung durch Tierärzte, ferner für Fütterungsarzneimittel und insbesondere auch für die Anwendung von Arzneimitteln bei Tieren, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen (Wartezeit, Rückstandsprüfung).

Regulierung der Antragsbearbeitung

Nach Inkrafttreten des neuen AMG waren die Kapazitäten der Zulassungsbehörde dem Antragsaufkommen nicht gewachsen; zusätzlich zu den Zulassungsanträgen für neue Arzneimittel kamen solche für Generika hinzu sowie eine Vielzahl von Nachzulassungsanträgen für die Altpräparate. Durch die Einbeziehung externer Gegensachverständiger in die Antragsbearbeitung (3. AMG-Novelle, 1988), die zeitliche Entzerrung der Nachzulassungsverfahren und Erleichterungen im Änderungsrecht für die Altarzneimittel (4. AMG-Novelle, 1990) sollte die Bearbeitung beschleunigt werden. Dennoch wurden bereits vier Jahre später mit der 5. AMG-Novelle (1994) neue Maßnahmen zur Beschleunigung der Nachzulassung angesetzt: das großzügige Änderungsrecht, das mehr behördliche Arbeit geschaffen als vermieden hatte, wurde wieder revidiert. Die Aufbereitungsarbeit der Zulassungskommissionen wurde eingestellt und stattdessen die Beweislast für Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels völlig dem Antragsteller übertragen. Im Nachzulassungsverfahren wurden für Antragsteller die Mängelbeseitigungsfrist gekürzt und die Rechtsmittel gegen Nachzulassungsentscheidungen beschnitten. Für traditionell angewendete Arzneimittel wurden erleichterte Nachzulassungsbedingungen geschaffen. Pharmazeutischen Unternehmern, die bis zu einem Stichtag zusagten ihren Nachzulassungsantrag zurückzuziehen, wurde ein Abverkauf bis Ende 2004 eingeräumt. Nachdem die EU-Kommission 1998 gerügt hatte, dass einige der eingeführten Maßnahmen nicht konform mit dem EU-Recht waren, wurden sie mit der 10. AMG-Novelle (2000) wieder abgeschafft, im Gegenzug wurde die Mängelbeseitigungsfrist weiter verkürzt. Ebenfalls bedingt durch die 10. AMG-Novelle mussten fiktive Arzneimittel (Altarzneimittel) als solche gekennzeichnet werden („Dieses Arzneimittel ist nach den gesetzlichen Übergangsvorschriften im Verkehr. Die behördliche Prüfung auf pharmazeutische Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ist noch nicht abgeschlossen.“)

Sonstige Neuerungen
  • Durch die 2. Novelle (1986) wurden die Angabe eines offenen Verfalldatums und die Fachinformation eingeführt.
  • Mit der 5. AMG-Novelle (1994) wurde das Arzneibuch amtlich.
  • In der 7. AMG-Novelle (1998) finden sich erstmals direkte Verweise auf europäische Rechtsvorschriften, die dadurch national rechtsgültig werden, ohne dass dies eine Umsetzung erfordern würde.
  • Die 9. Novelle (1999) diente der Errichtung eines Sondervertriebsweges für Arzneimittel zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs.
  • Der Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln erhielt mit der 12. AMG-Novelle (2004) eine rechtliche Basis, indem das aus der 8. AMG Novelle (1998) stammende generelle Verbot in ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt umgewandelt wurde.
  • Der Arzneimittelname muss in Brailleschrift („Blindenschrift“) auf Arzneimittelpackungen aufgeprägt werden (12. AMG-Novelle, 2004).
  • Arzneimittelfälschungen werden mit höheren Strafen bedroht (12. AMG-Novelle, 2004).
  • Die 14. AMG-Novelle (2005) führte Ausnahmeregelungen für den Fall des Auftretens einer Pandemie ein.[11] Ferner regelte sie die Verschreibungspflicht neu. Die automatische Verschreibungspflicht für neue Stoffe entfiel, ebenso wie die automatische Entlassung aus der Verschreibungspflicht nach Fristablauf. Durch die Novelle ist die Verschreibungspflicht in einer Rechtsverordnung zu regeln und Arzneistoffstoffe müssen aktiv vom Verordnungsgeber unter die Verschreibungspflicht gestellt oder daraus entlassen werden.[12]

Rechtsverordnungen aufgrund einer Ermächtigung im AMG

Das Arzneimittelgesetz enthält zahlreiche Verordnungsermächtigungen und ist somit die gesetzliche Grundlage für viele verschiedene Rechtsverordnungen (Auswahl):

  • Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) (§ 54 AMG)
  • Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) (§ 78 AMG)
  • Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) (§ 48 AMG)
  • Arzneimittelwarnhinweisverordnung (AMWarnV) (§ 12 AMG)
  • Dopingmittel-Mengen-Verordnung (DmMV) (§ 6a AMG)
  • GCP-Verordnung (GCP-V) (§ 12, 42 AMG)
  • Verordnung über Standardzulassungen von Arzneimitteln (StandZV) (§ 36 AMG)
  • AMG-Anzeigeverordnung (AMG-AV) (§ 80 AMG)

Literatur

  • Erwin Deutsch / Hans-Dieter Lippert (Hrsg.): Kommentar zum Arzneimittelgesetz (AMG), 3. Auflage, Heidelberg 2010, Springer-Verlag, ISBN 978-3-642-01454-3
  • Horst Hasskarl und Hellmuth Kleinsorge: Arzneimittelprüfung, Arzneimittelrecht. Nationale und internationale Bestimmungen und Empfehlungen. 2. Auflage, Stuttgart 1979. Gustav Fischer Verlag, ISBN 3-437-10562-0
  • Kloesel / Cyran: Arzneimittelrecht – Kommentar mit amtlichen Begründungen, weiteren Materialien und einschlägigen Rechtsvorschriften sowie Sammlung gerichtlicher Entscheidungen, Begründet von A. Kloesel und W. Cyran, fortgeführt von K. Feiden und H.J. Pabel. 3. Auflage einschließlich 106. Aktualisierungslieferung, 2007. ISBN 978-3-7692-4466-3
  • Kügel / Müller / Hofmann: AMG. Kommentar, 1.Aufl., München 2012, Verlag C.H. Beck, ISBN 978-3-406-61457-6

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Helga Blasius: 25 Jahre Arzneimittelgesetz. Die Grundlage unserer Arzneimittelsicherheit. In: Deutsche Apotheker-Zeitung, Ausgabe 43, 2003.
  2. Der lange Weg zum Arzneimittelgesetz in Deutschland: Hundert Jahre Gesetzeslücke, WDR, 24. November 2006
  3. Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten
  4. Herbert Hügel, Jürgen Fischer, Baldur Kohm: Pharmazeutische Gesetzeskunde: Textsammlung mit Erläuterungen für Studium und Praxis. 30. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 1995
  5. Bundestagsausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit. Präambel in Vorbereitung des 2. AMG vom 24. August 1976. Bundestagsdrucksache 7/5091, Seite 7 (PDF)
  6. I. Oepen, Marburg: Aus Sicht der wissenschaftlichen Medizin - Mängel der Rechtsprechung, (PDF-Datei, 322 Kb). Referat bei der Sitzung des Arbeitskreises „Ärzte und Juristen“ im November 1999 in Berlin. Abgerufen am 24. Februar 2012
  7. Pressemitteilung vom 9. Januar 2004 des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
  8. Erstes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 24. Februar 1983/BGBl. I, S. 169.
    Zweites Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 16. August 1986/BGBl. I, S. 1296.
    Drittes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 20. Juli 1988/BGBl. I, S. 1050.
    Viertes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 11. April 1990/BGBl. I, S. 717.
    Fünftes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 9. August 1994/BGBl. I, S. 2071.
    Sechstes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 20. Dezember 1996/BGBl. I, S. 2084.
    Siebtes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 25. Februar 1998/BGBl. I, S. 374.
    Achtes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 7. September 1998/BGBl. I, S. 2649.
    Neuntes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 26. Juli 1999/BGBl. I, S. 1666.
    Zehntes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 4. Juli 2000/BGBl. I, S. 1002.
    Elftes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 21. August 2002/BGBl. I, S. 3348.
    Zwölftes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 30. Juli 2004/BGBl. I, S. 2031.
    Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 29. August 2005 /BGBl. I, S. 2555.
    Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 29. August 2005 /BGBl. I, S. 2570.
    Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 /BGBl. I, S. 1990.
    Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 25. Mai 2011 /BGBl. I S. 946.
    Zweites Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19. Oktober 2012 /BGBl. I, S. 2192.
  9. Pressemitteilung Nr. 258 des BMELV vom 19. September 2012: Schärfere Kontrollen, strengere Auflagen, mehr Transparenz: Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung soll deutlich reduziert werden.
  10. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Compassionate Use
  11. 14. AMG-Novelle in Kraft getreten. Pharmazeutische Zeitung, Ausgabe 36, 2005
  12. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Neue Verordnung über die Verschreibungspflicht erstellt am 6. Juni 2006, aktualisiert am 2. März 2011