Amyotrophe Lateralsklerose


Klassifikation nach ICD-10
G12.2 Motoneuron-Krankheit
- Lateralsklerose, myatrophisch (amyotrophisch)
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die Amyotrophe Lateralsklerose (Abkürzung: ALS) ist eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. Sie wird auch Amyotrophische Lateralsklerose oder Myatrophe Lateralsklerose genannt, englisch auch {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value), auch Lou-Gehrig-Syndrom oder nach dem Erstbeschreiber Jean-Martin Charcot Charcot-Krankheit.

Die Ursache ist unbekannt. Es kommt zu einer fortschreitenden und irreversiblen Schädigung oder Degeneration der Nervenzellen (Neuronen), die für die Muskelbewegungen verantwortlich sind. Diese werden auch als Moto- oder Motorneurone bezeichnet. Es können sowohl die so genannten ersten Motoneurone betroffen sein, motorische Nervenzellen, die sich in der motorischen Hirnrinde (motorischer Kortex) befinden, als auch die als zweite Motoneurone bezeichneten Vorderhornzellen des Rückenmarks oder die motorischen Zellen des Hirnstamms in den Hirnnervenkernen. Die Fortsätze (Axone) der ersten Motoneurone ziehen zu den zweiten Motoneuronen, die wiederum mit ihren Fortsätzen zur Skelettmuskulatur ziehen und diese innervieren. Durch die Degeneration kommt es zur zunehmenden Muskelschwäche (Lähmung, Parese), die mit Muskelschwund (Amyotrophie) – durch Schädigung des zweiten Motoneurons – und mit einem erhöhten Muskeltonus (Spastik) – durch Schädigung des ersten Motoneurons – einhergeht. Durch die Lähmungen der Muskulatur kommt es unter anderem zu Gang-, Sprech- und Schluckstörungen, eingeschränkter Koordination und Schwäche der Arm- und Handmuskulatur und dadurch zu einer zunehmenden Einschränkung bei den Aktivitäten des täglichen Lebens.

Die Amyotrophe Lateralsklerose ist nicht heilbar. Der Schwerpunkt der Therapie liegt auf einer Linderung der Symptome und psychologischer Betreuung. Die Überlebenszeit beträgt im Mittel etwa drei bis fünf Jahre. Der Tod tritt häufig infolge von Lungenentzündung ein, deren Entstehung durch die zunehmenden Schluckstörungen und die Lähmung der Atemmuskulatur begünstigt wird.

Häufigkeit und Vorkommen

Die Amyotrophe Lateralsklerose ist eine weltweit auftretende und insgesamt seltene Erkrankung. Von 100.000 Menschen erkranken pro Jahr etwa ein bis drei neu an ALS (Inzidenz). Die Prävalenz – das heißt die Anzahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt erkrankten Menschen – wird mit 3 bis 8 pro 100.000 angegeben.

Bei Männern tritt die ALS häufiger auf als bei Frauen (das Geschlechterverhältnis beträgt etwa 1,5:1). Die meisten Erkrankungen treten zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr auf, wobei das mittlere Erkrankungsalter bei 56 bis 58 Jahren liegt. Selten betrifft die ALS jüngere Patienten zwischen 25 und 35 Jahren.

Obwohl die ALS weltweit etwa vergleichbar häufig auftritt, gibt es hiervon einige für die Forschung wichtige Ausnahmen. So ist eine Variante der Erkrankung, die neben den Symptomen einer ALS auch Symptome eines Parkinson-Syndroms sowie einer Demenz bietet, besonders häufig auf einzelnen Inseln im pazifischen Raum zu finden. Bei den Chamorro in Guam, den Auyu und Jakai in West-Neuguinea sowie auf der Kii-Halbinsel in Japan beträgt die Inzidenz dieses so genannten ALS-Parkinson-Demenz-Komplexes bis zu 100 (bis teilweise 1.000 in Neuguinea) pro 100.000 Menschen. Festzustellen ist weiterhin ein Rückgang der Inzidenzen in diesen Gebieten während der letzten Jahrzehnte. Da die betroffenen Populationen genetisch voneinander unabhängig sind, werden neben genetischen Faktoren auch Umweltfaktoren als Ursache der Erkrankungsfälle in den jeweiligen Bevölkerungen diskutiert.[1]

Bemerkenswert ist weiterhin die erhöhte relative Häufigkeit bei Fußballspielern. Eine Studie der Universität Pavia stellte bei einer Untersuchung italienischer Fußballprofis ein erhöhtes Risiko für das Erkranken an ALS vor dem 49. Lebensjahr fest.[2]

Ursache

Die Ursache (Ätiologie) der Erkrankung ist unbekannt. Die meisten Fälle treten sporadisch, das heißt ohne familiäre Häufung auf. In einem kleinen Teil der Fälle (5–10 %) kommt es jedoch zu einer familiären Häufung. Genetische Untersuchungen der betroffenen Familien sind von großem wissenschaftlichen Interesse, da sich aus den hier gewonnenen Erkenntnissen möglicherweise auch Behandlungsansätze für die häufigeren sporadischen Erkrankungsfälle ableiten lassen. Bei einem Großteil der betroffenen Gene macht man eine abnorme Verarbeitung der RNA für die pathologischen Ablagerungen verantwortlich.

In etwa 20 % der Familien ist eine Expansion eines repetitiven Genabschnittes von C9ORF72 nachweisbar, bei weiteren 10 % der betroffenen Familien sind Mutationen des für eine Superoxiddismutase kodierenden SOD1-Gens nachweisbar, weswegen vermehrtem oxidativem Stress eine Rolle bei der Pathogenese zugesprochen wurde.[3][4] Häufig besteht hier ein autosomal-dominanter Erbgang. Auch eine Reihe weiterer Gene wurde in Zusammenhang mit einem familiären Auftreten gebracht.[5] So wurden Mutationen des TAR DNA binding protein (TDP-43) beschrieben, die in vitro rascher abgebaut wurden und eine vermehrte Apoptose in neuralen Zellen auslösten.[6] Bei einer familiären Form mit X-chromosomalem Erbgang konnten Mutationen des UBQLN2-Gens nachgewiesen werden. Dieses Gen kodiert für Ubiquilin 2, ein Protein das an Regulation des Abbaus ubiquitinierter Proteine beteiligt ist und spielt möglicherweise auch eine Rolle bei der sporadischen ALS.[7]

Krankheitsbild

Die Amyotrophe Lateralsklerose ist ein – vor allem im Anfangsstadium – sehr variables Krankheitsbild, das durch Degeneration und damit einhergehende Funktionsstörung des ersten und zweiten Motoneurons gekennzeichnet ist. Dies hat Ausfallerscheinungen der Muskulatur zur Folge. Die klinische Symptomatik ist dementsprechend geprägt durch eine Kombination von spastischen und atrophischen Lähmungen der Muskulatur. Je nach Lokalisation der Schädigung der motorischen Bahnen kommt es zur Funktionseinschränkung der Muskulatur der oberen und unteren Extremität, der bulbären Muskulatur und der Rumpfmuskulatur.

Spastische Lähmungen entstehen durch die Degeneration des ersten Motoneurons und führen zu einer Funktionseinschränkung durch eine Erhöhung des Muskeltonus. Je nach Lokalisation der Schädigung zeigt sich dies unter anderem durch ein spastisches und verlangsamtes Gangbild, eine eingeschränkte Geschicklichkeit der Hände sowie durch bulbäre Symptome, beispielsweise Sprech- und Schluckstörungen, Schwierigkeiten, den Mund zu öffnen, bis hin zur Kieferklemme (Trismus). Die spastische Sprechstörung ist charakterisiert durch eine angestrengte und verlangsamte Sprache.

Die Schädigung des zweiten Motoneurons führt zu atrophischen Lähmungen. Durch die zunehmend eingeschränkte Innervation wird die Muskulatur abgebaut (Atrophie) und es kommt zu Muskelschwäche. Darüber hinaus sind Faszikulationen – Muskelzittern als Ausdruck erhöhter Erregbarkeit − und schmerzhafte Muskelkrämpfe (Crampi) typisch. Ist die bulbäre Muskulatur betroffen, kommt es, bedingt durch die Muskelschwäche, ebenfalls zu Sprech- und Schluckstörungen. Typisch sind auch Fibrillationen der Zunge.

Chronisch juvenile ALS

Die chronisch juvenile ALS ist eine Variation der Krankheit, die einen extrem langsamen Verlauf nimmt. Der berühmteste Patient ist der britische Physiker Stephen Hawking, bei dem ALS bereits im Jahre 1963 diagnostiziert wurde.

Diagnose

Die Patienten führt meist eine zunehmende Muskelschwäche, Muskelschwund (Muskelatrophie) oder nicht bewegungswirksame Muskelzuckungen (Faszikulationen) zum Arzt. Muskelzuckungen alleine stellen fast immer sogenannte benigne Faszikulationen dar. Ausgenommen von dem Ausfall sind die Augenmuskeln, sonst kann die Krankheit sich überall am Körper zuerst zeigen. Bei der Untersuchung verstärkt das gleichzeitige Auftreten von Zeichen einer schlaffen und spastischen Lähmung den Verdacht auf die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose. Es ist nach einem Muskelschwund, besonders an den Handmuskeln, zu suchen. Typisch sind auch maligne Muskelzuckungen (Faszikulationen), etwa beim Herausstrecken der Zunge (hier sind es Fibrillationen). Maligne Muskelzuckungen unterscheiden sich von den viel häufiger auftretenden benignen Muskelzuckungen durch ihre Unregelmäßigkeit und niedrigere Frequenz. Die Reflexe bleiben auch an gelähmten Körperteilen noch lange Zeit auslösbar, sie sind sogar vor allem am Anfang als Zeichen einer Läsion des ersten Motoneurons deutlich gesteigert, was auch, etwa in Form eines gesteigerten Masseterreflexes, der Diagnosefindung dient. Die Kranken zeigen manchmal auch einen Kontrollverlust beim Lachen, Weinen oder Gähnen (Affektlabilität).

Eine elektromyographische und elektroneurographische Untersuchung ist zur Diagnosestellung unabdingbar. Für die Diagnosestellung wurden international standardisierte Kriterien entwickelt (El-Escorial-Kriterien).

Wichtig ist die Abgrenzung von der Tropischen Spastischen Paraparese, weil diese durch HTLV-1 ausgelöste Krankheit ansteckend ist.

Der Substanzverlust ist bei der Autopsie sichtbar: er betrifft den praecentralen Cortex im Großhirn, in dem sich die Zellkörper des ersten Motoneurons befinden, die Vorderhörner des Rückenmarks, in denen die Zellkörper des zweiten motorischen Neurons liegen, und die dazwischen verlaufenden Nervenbahnen (so genannte Pyramidenbahn vom Gyrus praecentralis zum Rückenmark).

Behandlung

Die Behandlung von Patienten mit einer amyotrophen Lateralsklerose erfolgt in einem interdisziplinären Team aus Gesundheits- und Krankenpflegern, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Logopäden, Orthopäden, Pneumologen und Neurologen, Psychologen sowie dem Hausarzt. Sie umfasst zum einen die am Krankheitsmechanismus ansetzende medikamentöse Therapie mit Riluzol und zum anderen die symptomatisch orientierte Therapie. Die symptomatische Therapie soll Komplikationen der muskulären Schwäche vermeiden helfen und die Lebensqualität der Patienten verbessern.

Neuroprotektive Therapie

Die am vermuteten Krankheitsmechanismus ansetzende Therapie mit Riluzol wird auch als neuroprotektive Therapie bezeichnet, da der eingesetzte Wirkstoff den Untergang von motorischen Nervenzellen hemmt. Riluzol ist ein sogenannter Glutamat-Antagonist, der die Wirkung des Neurotransmitters Glutamat an der Nervenzelle beeinflusst. In Studien zeigte sich, dass die Gabe von Riluzol eine Verlängerung der Überlebenszeit (im Mittel um etwa drei Monate) bewirkt. Darüber hinaus wird angenommen, dass die Patienten länger in früheren Stadien der Erkrankung bleiben. Das Voranschreiten der Erkrankung kann durch Riluzol jedoch nicht aufgehalten werden.[1]

Symptomatische Therapie

Die im Verlauf der Erkrankung typischerweise auftretenden Beschwerden und Komplikationen können durch eine Vielzahl von therapeutischen Maßnahmen behandelt werden. Wichtige Einsatzgebiete der symptomatischen Therapie sind Schluckstörungen (und ein damit einhergehender Speichelfluss aus dem Mund), Sprechstörungen, Krämpfe oder Tonuserhöhungen der Muskulatur, Schwäche der Atemmuskulatur sowie psychische Veränderungen wie Depressionen oder Angstzustände.

Muskelkrämpfe (Crampi)

Krämpfe an einzelnen Muskeln (beispielsweise Wadenkrämpfe) sind ein häufiges, jedoch auch unspezifisches Frühsymptom der ALS. Die Krämpfe können auch mehrere Muskeln gleichzeitig betreffen. Sie können spontan – ohne erkennbaren unmittelbaren Anlass – oder nach körperlicher Betätigung, Kältereiz, Schlafentzug, Alkohol- oder Nikotingenuß auftreten. Zur Akuttherapie wird eine passive Dehnung des Muskels empfohlen. Zur Vorbeugung werden regelmäßiges körperliches Training, krankengymnastische Übungen sowie Massagen empfohlen. Bei entsprechendem Leidensdruck können Chininsulfat, Magnesium oder Carbamazepin eingesetzt werden.[1][8][9]

Schluckstörung

Durch eine Schwäche der Schlundmuskulatur kommt es bei ALS-Patienten zu Schluckstörungen (Dysphagie). Der normale Schluckvorgang gewährleistet, dass keine Teile der aufgenommenen Nahrung oder Flüssigkeiten (Speichel) in die Atemwege gelangen. Ein beeinträchtigter Schluckmechanismus erhöht das Risiko von sogenannten Aspirationspneumonien – Lungenentzündungen, die infolge des Übertritts von Flüssigkeiten in die Lungen entstehen. Weiterhin kann es aufgrund der erschwerten Nahrungsaufnahme mit häufigem Verschlucken zu einer Gewichtsabnahme und mangelnder Flüssigkeitsaufnahme mit Gefahr der Dehydratation kommen. Bei Auftreten der Symptomatik wird eine Umstellung der Ernährung auf pürierte Speisen und angedickte Flüssigkeiten empfohlen. Hochkalorische Nahrungsergänzungsmittel können zur Deckung des Energiebedarfs des Organismus eingesetzt werden. Mithilfe von logopädischen Maßnahmen können Schlucktechniken erlernt werden, die den Patienten das Schlucken erleichtern. Da bei weiterem Fortschreiten der Erkrankung diese Maßnahmen häufig nicht mehr ausreichen, um die erforderliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr zu gewährleisten, wird die Anlage einer Ernährungssonde (PEG-Sonde) empfohlen. Diese soll frühzeitig angelegt werden, da bei Patienten mit einer fortgeschrittenen Atemmuskelschwäche die Komplikationsrate während der Anlage erhöht ist. Die orale Nahrungszufuhr ist auch nach Anlage einer Ernährungssonde weiterhin möglich.[1][8][9]

Speichelfluss

Ein Speichelfluss aus dem Mund (Sialorrhoe) tritt als Folge der Schluckstörung und Schwäche der Mund- und Nackenmuskulatur auf. Bei ALS-Patienten liegt keine vermehrte Speichelproduktion vor. Die Sialorrhoe ist sozial stigmatisierend und wird von betroffenen Patienten häufig als belastend erlebt. Sie ist mithilfe von Medikamenten, die die Speichelproduktion hemmen (beispielsweise Amitriptylin, Scopolamin oder Glycopyrroniumbromid) sowie krankengymnastischen, orthopädischen und logopädischen Maßnahmen (wie Training des Lippenschlusses und Unterstützung der Halsmuskulatur) gut behandelbar.[1][8][9][10]

Sprechstörung und Kommunikation

Die Beeinträchtigung von Zungen-, Mund- und Gaumenmuskulatur sowie eine sprechabhängige Atemnot führen bei ALS-Patienten zu einer fortschreitenden Sprechstörung (Dysarthrie). Die Einschränkung der Kommunikation mit der Umwelt wird von Patienten und Angehörigen als sehr belastend erlebt. Bereits frühzeitig ist daher eine sprechtherapeutische (logopädische) Behandlung angezeigt, in der mit Hilfe von Übungen das Atmen und Sprechen erleichtert und koordiniert werden sollen. Daneben wird ebenfalls frühzeitig eine Versorgung mit Kommunikationshilfen empfohlen. Zum Einsatz kommen hier beispielsweise Alphabet- und Bildtafeln. Vor allem computergestützte Kommunikationshilfen ermöglichen auch im weiteren Krankheitsverlauf die Kommunikation mit der Umwelt. Spezielle Systeme können beispielsweise mit den Fingern, bei fortgeschrittenen Lähmungen auch mithilfe von Augenbewegungen gesteuert werden. Mithilfe von sogenannten Brain-Computer-Interfaces können Gehirnströme auf einen Computer übertragen und lesbar gemacht werden.[1][8][9]

Pathologisches Lachen und Weinen

Als pathologisches Lachen und Weinen (Pseudobulbäraffekt, pseudobulbäre emotionale Labilität) wird ein plötzliches, der Situation unangemessenes Lachen oder Weinen des Patienten bezeichnet. Das Symptom tritt bei bis zu 50 Prozent der ALS-Patienten auf und ist organisch bedingt. Bei Therapiewunsch des Patienten können Amitriptylin oder sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie Fluvoxamin oder Citalopram eingesetzt werden.[1][8][9]

Atemstörung

Bei fortgeschrittener ALS kommt es regelmäßig zu einer Schwäche der Atemmuskulatur und hierdurch zu einer Minderbelüftung der Lungen (Hypoventilation). Diese Einschränkung der Lungenfunktion (respiratorische Insuffizienz) führt zu einem erniedrigten Sauerstoffgehalt im Blut (Hypoxämie) sowie – aufgrund einer verminderten Abatmung – zu einem erhöhten Kohlendioxidgehalt im Blut (Hyperkapnie). Symptome der gestörten Atemfunktion sind Schlafstörungen, morgendliche Kopfschmerzen, Müdigkeit während des Tages, Konzentrationsstörungen, Unruhezustände sowie in fortgeschrittenen Fällen Luftnot (Dyspnoe). Durch Infektionen der Atemwege (wie beispielsweise Aspirationspneumonien) kann sich die Funktion der Lungen noch weiter verschlechtern. Die respiratorische Insuffizienz ist die wichtigste Ursache der begrenzten Lebenserwartung bei ALS-Patienten.

Bei Auftreten von Symptomen einer respiratorischen Insuffizienz besteht die Möglichkeit der Anpassung einer auch im häuslichen Umfeld durchführbaren maschinellen Beatmung (Heimbeatmung). Unterschieden werden eine so genannte nichtinvasive und invasive Beatmung. Bei der nichtinvasiven Beatmung handelt es sich um eine maschinell unterstützte Beatmung, die über eine Atemmaske erfolgt und vorwiegend nächtlich über 6 bis 8 Stunden eingesetzt wird. Die nichtinvasive Beatmung kann die Symptome der Lungenfunktionsstörung mildern und die Lebensqualität verbessern. Bei fortgeschrittener respiratorischer Insuffizienz ist eine maschinelle Beatmung über ein Tracheostoma (nach chirurgischem Luftröhrenschnitt) möglich (invasive Beatmung). Sowohl die Anpassung einer nichtinvasiven Beatmung als auch die Anlage eines Tracheostomas und nachfolgender maschineller Beatmung sind Therapieoptionen, die frühzeitig mit den Patienten besprochen werden. Etwa 15 Prozent der Patienten entscheiden sich für eine nächtliche nichtinvasive Beatmung und weniger als 10 Prozent für eine maschinelle Beatmung über ein Tracheostoma. Der Anteil der Patienten, die eine maschinelle Unterstützung der Beatmung in Anspruch nehmen, unterscheidet sich zwischen einzelnen Kulturen, Ländern und ethnischen Gruppen.[1][8][9]

Depressionen, Schlafstörungen und Angstzustände

Ein depressives Syndrom mit Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit und Antriebsverminderung kann die Lebensqualität des Patienten erheblich mindern. Depressive Episoden können sowohl medikamentös mit Antidepressiva wie Amitriptylin, Sertralin, Fluoxetin oder Paroxetin als auch psychotherapeutisch behandelt werden. Zur Therapie von Schlafstörungen werden schlafhygienische Maßnahmen sowie Zolpidem und Diphenhydramin eingesetzt. Bei Schlafstörungen, die im Rahmen einer depressiven Episode auftreten, erfolgt zusätzlich eine antidepressive Therapie. Angstzustände können beispielsweise bei Luftnot vorkommen. Neben der Behandlung zu Grunde liegender Ursachen können – bei entsprechendem Leidensdruck – medikamentös Diazepam, Lorazepam oder Bupropion eingesetzt werden.[8]

Literatur

  • M. C. Kiernan, S. Vucic, B. C. Cheah, M. R. Turner, A. Eisen, O. Hardiman, J. R. Burrell, M. C. Zoing: Amyotrophic lateral sclerosis. In: Lancet Band 377, Nummer 9769, März 2011, S. 942–955, ISSN 1474-547X. doi:10.1016/S0140-6736(10)61156-7. PMID 21296405. (Review).
  • Josep E. Esquerda Colell: Rätselhafter Kräfteschwund, in: Gehirn&Geist 3/2007, S. 66–73.
  • Reinhard Dengler: Amyotrophe Lateralsklerose, 2. Aufl., Thieme, Stuttgart [u. a.] 2000, ISBN 3-13-127502-2.
  • Albert C. Ludolph, Reinhard Dengler: Amyotrophe Lateralsklerose und andere Motoneuronerkrankungen, Kohlhammer, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-17-018618-7.
  • Bernhard Neundörfer: Praxis der amyotrophen Lateralsklerose, UNI-MED-Verlag, Bremen [u. a.] 2002, ISBN 3-89599-598-3.
  • Martin Egon Westarp: Amyotrophe Lateralsklerose, Schattauer, Stuttgart [u. a.] 1996, ISBN 3-7945-1681-8.
  • M. van Blitterswijk, M. A. van Es u. a.: Evidence for an oligogenic basis of amyotrophic lateral sclerosis. In: Human molecular genetics. [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck] Juni 2012, ISSN 1460-2083. doi:10.1093/hmg/dds199. PMID 22645277.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 A. C. Ludolph: Amyotrophe Lateralsklerose. In: P. Berlit (Hrsg.): Klinische Neurologie. 2. Auflage. Springer Verlag, Heidelberg 2006. ISBN 978-3-540-01982-4. S.541–550.
  2. Chio A, Benzi G, Dossena M, Mutani R, Mora G.: Severely increased risk of amyotrophic lateral sclerosis among Italian professional football players. in Brain. 2005 Mar;128(Pt 3):472-6. PMID 15634730
  3. D. R. Rosen, T. Siddique, D. Patterson, D. A. Figlewicz, P. Sapp, A. Hentati, D. Donaldson, J. Goto, J. P. O'Regan, H. X. Deng: Mutations in Cu/Zn superoxide dismutase gene are associated with familial amyotrophic lateral sclerosis. In: Nature Band 362, Nummer 6415, März 1993, S. 59–62, ISSN 0028-0836. doi:10.1038/362059a0. PMID 8446170.
  4. H. X. Deng, A. Hentati, J. A. Tainer, Z. Iqbal, A. Cayabyab, W. Y. Hung, E. D. Getzoff, P. Hu, B. Herzfeldt, R. P. Roos: Amyotrophic lateral sclerosis and structural defects in Cu,Zn superoxide dismutase. In: Science (New York, N.Y.) Band 261, Nummer 5124, August 1993, S. 1047–1051, ISSN 0036-8075. PMID 8351519.
  5. Amyotrophe Lateralsklerose. In: {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value). (englisch)
  6. Sreedharan et al.: TDP-43 mutations in familial and sporadic amyotrophic lateral sclerosis. Science. 2008 Mar 21;319(5870):1668-72. PMID 18309045
  7. Han-Xiang Deng, Wenjie Chen u. a.: Mutations in UBQLN2 cause dominant X-linked juvenile and adult-onset ALS and ALS/dementia. In: Nature. 2011, doi:10.1038/nature10353.
  8. 8,0 8,1 8,2 8,3 8,4 8,5 8,6 K. Kollewe, P. M. Andersen, G. D. Borasio et al: Klinische Leitlinien zur Behandlung der Amyotrophen Lateralsklerose. In: Nervenheilkunde. (2008) 27 4:302–316.
  9. 9,0 9,1 9,2 9,3 9,4 9,5 Ambulanz für ALS und andere Motoneuronerkrankungen (Charité): Symptomatische Therapie der amyotrophen Lateralsklerose., zuletzt eingesehen am 30. Oktober 2008
  10. N. Hockstein, D. Samadi, K. Gendron , S. Handler: Sialorrhea: a management challenge., 69(11) (2004) 2628–2634

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