Alois Alzheimer


Alois Alzheimer (* 14. Juni 1864 in Marktbreit (Unterfranken); † 19. Dezember 1915 in Breslau) war ein deutscher Psychiater und Neuropathologe und beschrieb als erster eine Demenzerkrankung, die nach ihm bis heute Alzheimersche Krankheit genannt wird.

Alois Alzheimer

Leben

Geburtshaus Alois Alzheimers in Marktbreit (2011)
Gedenktafel in Breslau

Alois Alzheimer war der älteste Sohn aus der zweiten Ehe des Notars Eduard Alzheimer und seiner Frau Barbara Theresia Busch, einer Schwester der 1862 verstorbenen ersten Ehefrau, Eva-Maria Busch. Nach Schulbesuchen in Marktbreit und am Kronberg-Gymnasium Aschaffenburg in Aschaffenburg begann Alois Alzheimer mit dem Medizinstudium an der Universität Würzburg, das er – nach einem Zwischenaufenthalt an der Universität Tübingen – dort 1888 mit der Note „sehr gut“ beendete. 1884 wurde er beim Corps Franconia Würzburg aktiv.[1] Seine 1887 fertiggestellte, lediglich 17 Seiten umfassende Dissertation befasste sich mit der Funktion der „Ohrenschmalzdrüsen“. 1888 bewarb sich Alzheimer erfolgreich als Assistenzarzt bei der von dem Psychiater Heinrich Hoffmann - auch bekannt als Autor der Struwwelpeter-Geschichten - gegründeten „Städtischen Anstalt für Irre und Epileptische“ in Frankfurt am Main. Mit vereinten Kräften führten der Leiter der Anstalt, Emil Sioli, sein Oberarzt Franz Nissl und Alzheimer eine neue Behandlungsmethode für Geisteskranke ein, die sie als „non-restraint“ bezeichneten und deren wesentliches Merkmal das Vermeiden von Zwangsjacken, Zwangsfütterungen und anderen Zwangsmitteln war. Stattdessen wurde in großen Wachsälen die Bettbehandlung der Kranken eingeführt, später die Therapie besonders unruhiger Patienten durch wärmende Dauerbäder praktiziert, deren Wassertemperatur vom Personal überwacht wurde. Einigen Patienten wurde gestattet, sich im Park der Klinik frei zu bewegen, andere wurden sogar zu Ausflügen in die Umgebung mitgenommen.

1894 bat ihn Wilhelm Erb, nach Argentinien zu kommen und seinen Patienten Otto Geisenheimer, einen Frankfurter Diamantenhändler, zu untersuchen. Er litt und starb an der später nach Alzheimer benannten Gehirnerweichung. Alzheimer verliebte sich in die Witwe Cecilie Geisenheimer und kehrte mit ihr nach Frankfurt zurück. Von Alzheimer unbedrängt, trat die Jüdin zum evangelischen Glauben über und heiratete Alzheimer im Februar 1895 kirchlich.[2] Aus der Ehe gingen die Kinder Gertrud, Hans und Maria hervor. Die folgende Zeit war geprägt von familiärem Glück und beruflicher Zufriedenheit. 1901 erkrankte Cecilie Alzheimer und verstarb am 28. Februar desselben Jahres. Um seinen Kummer hierüber zu bewältigen, stürzte sich Alzheimer in die Arbeit.

Auguste Deter

Am 25. November 1901 begegnete Alzheimer der Patientin, die ihn berühmt machen sollte: Auguste Deter. Ihr Ehemann brachte sie in die Anstalt, nachdem sie sich innerhalb eines Jahres stark verändert hatte. Sie war eifersüchtig geworden, konnte die einfachsten Sachen im Haushalt nicht mehr verrichten, versteckte Gegenstände, fühlte sich verfolgt und behelligte aufdringlich die Nachbarschaft. Das Krankenblatt von Auguste D. wurde 1996 im Archiv der psychiatrischen Klinik in Frankfurt am Main wiedergefunden.[3]

Die Patientin Auguste Deter

Alzheimer protokollierte - wie stets - die ersten Daten und Befunde. Er fragte:

„Wie heißen Sie?“
„Auguste.“
„Familienname?“
„Auguste.“
„Wie heißt ihr Mann?“ - Auguste Deter zögert, antwortet schließlich:
„Ich glaube... Auguste.“
„Ihr Mann?“
„Ach so.“
„Wie alt sind Sie?“
„51.“
„Wo wohnen Sie?“
„Ach, Sie waren doch schon bei uns.“
„Sind Sie verheiratet?“
„Ach, ich bin doch so verwirrt.“
„Wo sind Sie hier?“
„Hier und überall, hier und jetzt, Sie dürfen mir nichts übel nehmen.“
„Wo sind Sie hier?“
„Da werden wir noch wohnen.“
„Wo ist Ihr Bett?“
„Wo soll es sein?“

Zu Mittag isst Frau Auguste D. Schweinefleisch mit Karfiol.

„Was essen Sie?“
„Spinat.“ (Sie kaut das Fleisch)
„Was essen Sie jetzt?“
„Ich esse erst Kartoffeln und dann Kren.“
„Schreiben Sie eine fünf.“
Sie schreibt: „Eine Frau“
„Schreiben Sie eine Acht.“
Sie schreibt: „Auguste“ (Beim Schreiben sagt sie wiederholt: „Ich habe mich sozusagen verloren“.)

Alzheimer stellte fest, dass die Patientin keine Orientierung über Zeit oder Aufenthaltsort hatte, sich kaum an Einzelheiten aus ihrem Leben erinnern konnte und oft Antworten gab, die in keinerlei Bezug zur Frage standen und auch sonst ohne Zusammenhang blieben. Augustes Stimmungen wechselten rasch zwischen Angst, Misstrauen, Ablehnung und Weinerlichkeit, man konnte sie nicht allein durch die Räumlichkeiten der Klinik gehen lassen, da sie dazu neigte, allen anderen Patienten ins Gesicht zu fassen, und dafür von diesen geschlagen wurde. Es war nicht das erste Mal, dass Alzheimer dem Bild von kompletter geistiger Verwirrung begegnete – bei früheren Fällen hatte er immer wieder ähnliche Befunde gehabt, diesen aber keine Bedeutung beigemessen, weil die Patienten oft annähernd 70 Jahre und älter waren. Auguste Deter machte ihn neugierig, denn zum Zeitpunkt ihrer Einlieferung war sie erst 51 Jahre alt. Die nächsten Wochen waren geprägt von weiteren geduldigen Befragungen, die die schwere geistige Verwirrung offenkundig machten und die von Auguste wiederholt mit einem jammernden „ach Gott“ begleitet wurden. In einem Interview äußerte sie mehrfach: „Ich habe mich sozusagen selbst verloren“ – sie war sich ihrer Hilflosigkeit offensichtlich bewusst. Alzheimer gab dem Krankheitsbild einen Namen: „Die Krankheit des Vergessens“.

Das Jahr 1902 brachte eine weitere Wende: Alzheimer ließ Frankfurt hinter sich und wurde an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg wissenschaftlicher Assistent bei Professor Emil Kraepelin, der ihn nach seiner Berufung 1904 auch nach München mitnahm. Hier vollendete Alzheimer noch im selben Jahr seine Habilitationsschrift Histologische Studien zur Differentialdiagnostik der progressiven Paralyse. Forschungen, wissenschaftliche Veröffentlichungen sowie Vortragsveranstaltungen prägten diese Zeit. Gleichwohl hatte er Auguste Deter nicht vergessen. Regelmäßig erkundigte er sich in Frankfurt nach ihrem Gesundheitszustand und verhinderte ihre aus Kostengründen geplante Verlegung in eine andere Klinik, da er diese Patientin unbedingt noch einmal untersuchen wollte – nach ihrem Tod.

Am 9. April des Jahres 1906 ereilte Alzheimer an seinem Arbeitsplatz in München ein plötzlicher Anruf aus Frankfurt: Auguste Deter war verstorben. Alzheimer ließ sich die Krankenakte und das Gehirn der Patientin zuschicken. Die Akte ergab, dass sich Auguste Deters Geisteszustand in den letzten Jahren massiv verschlechtert hatte. Todesursache war eine durch Dekubitus (Wundliegen) hervorgerufene Blutvergiftung. Die mikroskopische Untersuchung des Gehirns ergab flächenweise zu Grunde gegangene Nervenzellen und Eiweißablagerungen (so genannte Plaques) in der gesamten Hirnrinde. Am 3. November 1906 stellte Alzheimer auf einer Fachtagung in Tübingen das später nach ihm benannte Krankheitsbild als eigenständige Krankheit vor. Diskussions-Meldungen der verblüfften Kollegenschaft blieben aus. Als Alois Alzheimer 1911 das Gehirn seines verstorbenen Patienten Johann F. untersuchte, fand er auffällige Veränderungen. Diese werden heute als »plaque-only«-Variante der Demenz bezeichnet. Alzheimer stellt daran gleichartige Gewebsveränderungen des Gehirns auch bei Fällen von seniler Demenz fest. Er kommt zu der Überzeugung, dass die senile Demenz eine später einsetzende und langsamer verlaufende Variante der von ihm 1906 beschriebenen Krankheit ist. Diese Auffassung hat bis heute zu der unzutreffenden Unterscheidung von seniler und präseniler Demenz geführt.

Grab von Alois Alzheimer auf dem Hauptfriedhof Frankfurt Gewann J an der Mauer 447a

Breslau

Alzheimers letzte Lebensstation war Breslau. An der schlesischen Friedrich-Wilhelm-Universität übernahm er die Nachfolge Karl Bonhoeffers als ordentlicher Professor (dank der Fürsprache seines Lehrers Kraepelin, denn der Favorit für diese Stelle war Eugen Bleuler aus Zürich gewesen) und wurde Direktor der „Königlich Psychiatrischen und Nervenklinik“. 1915 kam es zu einem rapiden Verfall seiner Gesundheit. Herzbeschwerden, Nierenversagen und Atemnot deuteten auf ein rasches Ende hin. Am 19. Dezember 1915 starb er im Kreis seiner Familie. Er wurde auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main neben seiner Frau beigesetzt.

Schriften

  • Über eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde, Allg. Zschr. Psychiat., 64., (pp.146-148), Georg Reimer, Berlin 1907
  • Der Krieg und die Nerven, Preuß & Jünger, Breslau 1915

Literatur

  • Georg Stertz: Alzheimer, Alois. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 1, Duncker & Humblot, Berlin 1953, ISBN 3-428-00182-6, S. 236 (Digitalisat).
  • Konrad und Ulrike Maurer: Alzheimer - Das Leben eines Arztes und die Karriere einer Krankheit; Piper Verlag München 1998
  • Anne Eckert: Alois Alzheimer und die Alzheimer Krankheit. Pharmazie in unserer Zeit 31(4), S. 356 - 360 (2002), ISSN 0048-3664
  • Michael Jürgs: Alzheimer. List. 1999. ISBN 3-612-65110-2 gebunden. Vergriffene Broschur ISBN 3-471-79389-5 Deutschspr. Biographie.
  • German E. Berrios: The history of 'Alzheimer's disease'. Archivierte Version im Internet Archive

Weblinks

Commons: Alois Alzheimer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Alois Alzheimer – Quellen und Volltexte
Wikiversity Wikiversity: Erstbeschreibung der Alzheimerschen Erkrankung – Kursmaterialien, Forschungsprojekte und wissenschaftlicher Austausch

Einzelnachweise

  1. Kösener Corpslisten 1930, 138, 524
  2. Preußische Allgemeine Zeitung, Nr. 43, 24. Oktober 2009, S. 21
  3. Auguste D. auf deutsche-alzheimer.de

Die News der letzten Tage