Tausendfüßer


(Weitergeleitet von Tausendfüßler)
Tausendfüßer

Tausendfüßer (Myriapoda)

Systematik
Unterabteilung: Bilateria
ohne Rang: Urmünder (Protostomia)
Überstamm: Häutungstiere (Ecdysozoa)
Stamm: Gliederfüßer (Arthropoda)
Unterstamm: Tracheentiere (Tracheata)
Überklasse: Tausendfüßer
Wissenschaftlicher Name
Myriapoda
Klassen
Tausendfüßer, Nahaufnahme des Kopfbereiches, der zur Bestimmung sehr wichtig ist
Tausendfüßer bei der Paarung
Hundertfüßer
Spirostreptus seychellarum, ein Doppelfüßer
Wellenförmiges Muster bei der Fortbewegung.
(zeige höher aufgelöste Version)

Die Tausendfüßer (Myriapoda), auch Tausendfüßler genannt, bilden eine Überklasse von Gliederfüßern (Arthropoda) und werden zu den Tracheentieren (Tracheata) gerechnet. Zu den Tausendfüßern gehört eine Reihe stammesgeschichtlich sehr alter Arten. Wie die Insekten (Insecta) sind sie Tracheen-Atmer. Insgesamt enthält diese Gruppe über 13.500 Arten, wobei die Mehrheit (etwa 10.000) den Doppelfüßern zugeordnet wird, etwa 3.000 Arten stellen die Hundertfüßer dar.

Einige Tausendfüßer, wie beispielsweise der Saftkugler (Glomeris marginata), besitzen die Fähigkeit, sich bei Gefahr einzurollen und ein stark riechendes, zum Teil blausäurehaltiges Sekret abzugeben.

Die meisten Tausendfüßer ernähren sich von abgestorbenen Pflanzenteilen, Früchten sowie Algen und Flechten, die auf Pflanzen, auf Baumrinde und im Boden wachsen. Die meisten Arten haben daher eine hohe bodenbiologische Bedeutung. Manchmal fressen sie auch tote Tiere. Einige Tausendfüßer leben räuberisch und erbeuten hauptsächlich Insekten.

Bau der Tausendfüßer

Die Tausendfüßer tragen ein Paar Antennen am Kopf, ihr Rumpf besteht aus Segmenten, die ersten drei Segmente weisen jeweils ein Laufbeinpaar auf, alle weiteren bei den Doppelfüßern jeweils zwei Laufbeinpaare, bei allen anderen Gruppen nur je ein Laufbeinpaar. An den letzten Segmenten befinden sich keine Beine. Eine weitere Körpergliederung existiert nicht.

Die angesprochenen Merkmale können jedoch als ursprüngliche Merkmale (Plesiomorphien) angesehen werden; die tatsächlich verbindenden Merkmale der vier Klassen sind offensichtlich nur der Verlust der Punktaugen auf der Kopfoberseite (Medianaugen) sowie die Auflösung der Facettenaugen in mehrere seitliche Einzelaugen, wobei diese jedoch einen sehr übereinstimmenden Aufbau haben. Bei ihnen fehlt ein zentraler Kristallkegel, die Linse wird durch mehrere Epidermiszellen abgeschieden, und es besteht eine mehrschichtige Netzhaut. Selten tragen sie auch kleine Hautkämme.

Zur Anzahl der Beine

Wie der Name andeutet, haben einige Tausendfüßer-Arten eine große Anzahl von Beinen - die meisten, 750 Beine, wurden bei der Art Illacme plenipes gezählt[1]. Den wortwörtlichen Tausendfüßler gibt es demnach gar nicht. Allerdings besitzen nicht alle Arten eine sehr hohe Beinzahl. Gerade die ursprünglichsten, systematisch basalsten Gruppen besitzen nur relativ wenige Beinpaare. Man nimmt daher an, dass die hohe Beinzahl womöglich kein primitives, sondern ein in der Evolution erst später erworbenes Merkmal darstellt. Die Frage ist aber schwierig zu entscheiden, da bis heute keine Fossilien von Stammgruppenvertretern der Tausendfüßer gefunden wurden.[2]

Bei den Tausendfüßern kommen bei verschiedenen Gruppen unterschiedliche Entwicklungswege vor[3]

  • Die Tiere schlüpfen mit ihrer endgültigen Segment(und Bein-)zahl aus dem Ei (Epimorphose)
  • Beim Schlupf sind nicht alle Segmente vorhanden, ihre Anzahl nimmt bei Wachstum und Häutungen zu (Anamorphose)

Bei der Anamorphose gibt es zwei unterschiedliche Wege:

    • Das Tier erreicht irgendwann eine fixierte Endzahl von Segmenten. Es häutet sich anschließend nicht mehr (Teloanamorphose) oder bei den folgenden Häutungen bleibt die Segmentzahl gleich (Hemianamorphose)
    • Das Tier gewinnt bei jeder Häutung Segmente hinzu, eine fixierte Endzahl ist nicht ersichtlich (Euanamorphose).

Bei Arten mit Euanamorphose existiert damit keine fixierte Beinzahl, diese ist bei unterschiedlichen Individuen unterschiedlich.

Innerhalb der Tausendfüßer sind u.a. folgende Gruppen zu unterschieden:

  • relativ geringe, fixierte Beinzahl. z.B. 12 Beinpaare bei den Symphyla, 15 bei den Scutigeromorpha und Lithobiomorpha (Chilopoda). Die geringste vorkommende Zahl ist 8 bei den Pauropoda (vermutlich sekundär vermindert).
  • relativ hohe, fixierte Beinzahl. z.B. 21 oder 23 Paare bei den Scolopendromorpha, 49 oder 51 bei zahlreichen Diplopoda.
  • hohe, nicht fixierte Beinzahl. Diplopoden: bis 216 Beinpaare bei den Platydesmida, bis 380 bei den Siphonophorida (vg. den Rekordhalter oben). Chilopoden: bis 194 Beinpaare bei den Geophilomorpha.

Bei Arten der Gattung Scolodendropsis (Chilopoda, Scolopendromorpha) konnte gezeigt werden, dass nahe verwandete Arten in derselben Gattung teilweise 21 oder 23, teilweise 39 oder 43 Beinpaare besitzen, hier liegt die Vermutung nahe, dass die Zahl der Segmente sich durch eine einzelne Mutation verdoppelt hat[4].

Die Verhältnisse werden noch dadurch kompliziert, dass bei verschiedenen Myriapoden die Anzahl der Beine, der dorsalen Platten (Tergite) und anderer segmentaler Anlagen nicht übereinstimmen muss. Beim Saftkugler Glomeris entwickeln sich Dorsal- und Ventralseite im Embryo offensichtlich voneinander unabhängig. so dass gar keine fixierte Anzahl "Segmente" existieren muss, die beiden gemeinsam wäre[5].

Systematik der Tausendfüßer

Aufgrund dieser sehr dürftigen Begründung der Tausendfüßer als natürliche Gruppe (Monophylum) wurden verschiedene alternative Stammbäume der Tracheentiere vorgeschlagen, bei denen die Tausendfüßer als nicht natürliche Gruppe (Paraphylum) betrachtet und entsprechend aufgelöst wurden. Gemeinsam ist diesen alternativen Hypothesen, dass sie die Tausendfüßer in die Taxa Hundertfüßer und Progoneata auflösen und jede dieser beiden Taxa als Schwestergruppe der Sechsfüßer (Hexapoda) ansiedeln. Die Zusammenfassung der Hundertfüßer und der Sechsfüßer als eine Gruppe wurde allerdings mittlerweile wieder verworfen und soll nicht weiter verfolgt werden.

Die alternativen Theorien sollen in der Folge kurz vorgestellt und diskutiert werden:

Alternative 1: Myriapoda – Hexapoda

Diese Hypothese spiegelt die klassische Systematik der Tracheentiere wider, wie sie auch oben dargestellt ist. Die Myriapoda stellen eine natürliche Gruppe dar und sind zugleich die Schwestergruppe der Sechsfüßer. Als Begründung für die Myriapoda dienen die fehlenden Medianaugen sowie die aufgelösten Facettenaugen (siehe oben ).


 Tracheentiere  

 Sechsfüßer


  Tausendfüßer  

 Hundertfüßer


   

 Progoneata: Symphyla, Diplopoda, Pauropoda





Alternative 2: Chilopoda – Labiophora

In der ersten Alternativhypothese werden die Tausendfüßer als Paraphylum aufgelöst. Stattdessen stellen hier die Hundertfüßer die Schwestergruppe eines gemeinsamen Taxons aus Sechsfüßern und Progoneata dar, welches als Labiophora bezeichnet wird. Begründet wird die Zusammenfassung der Labiophora durch den Besitz einer verschmolzenen Unterlippe (Labium) aus den basalen Gliedern der 2. Maxille und der Existenz von ausstülpbaren Organen an den Hüftgliedern (Coxen) sowie durch Styli.


 Tracheentiere  

 Hundertfüßer


  Labiophora  

 Sechsfüßer


   

 Progoneata: Symphyla, Diplopoda, Pauropoda





Auf der Basis molekularer Ergebnisse ist bislang ebenfalls noch keine befriedigende Auflösung dieses Problems gefunden worden, da die bisherigen Untersuchungen widersprüchliche Ergebnisse liefern. So untermauert die Analyse von Wheeler (1997) die Labiophora-Theorie, Zrzavy´ et al. (1997) sowie Friedrich & Tautz (1995) stützen die Myriapoda-Theorie.

In der weiteren Darstellung wird die Myriapoda-Hypothese trotz der Zweifel weiter verfolgt, um die zugehörigen Gruppen vorzustellen.

Interne Systematik

Die interne Systematik der Myriapoda ist relativ gut gesichert.

So bilden die Doppelfüßer und die Wenigfüßer aufgrund mehrerer gut begründeter Merkmale das Taxon Dignatha. Diese Merkmale sind eine Verschmelzung der basalen Glieder der ersten Maxille zu einer Unterlippe (Gnathocilarium), der Verlust der zweiten Maxille beziehungsweise rudimentäre Anlage derselben in der Embryonalentwicklung, Genitalöffnungen im zweiten Segment, Tracheenöffnungen nahe den Beinen, Jungtier mit nur drei Beinpaaren.

Die Dignatha wiederum bilden mit den Zwergfüßern das Taxon Progoneata aufgrund der Darm- und Fettkörperbildung innerhalb des Dotters sowie des Aufbaus der Mechanorezeptoren (Trichobothrien).

Tausendfüßer-Plagen

Fallweise kommt es zu Massenvermehrung von Tausendfüßern, wahrscheinlich bedingt durch milde Witterungsverhältnisse und günstiges Nahrungsangebot. Durch das massenhafte Auftreten des Diplopoden Megaphyllum unilineatum fühlten sich die Einwohner im bayerischen Obereichstätt belästigt. Zusammen mit dem Wasserzweckverband errichtete die Gemeinde eine 200 m lange und 30 cm hohe Schutzwand am Ortsrand.[6]

In der Gemeinde Röns in Vorarlberg, Österreich, die seit 6 Jahren jeden Frühling ebenfalls von Megaphyllum unilineatum heimgesucht wird, werden die Tausendfüßer mit Raubmilben und Diatomeenerde bekämpft.[7][8]

Terrarienhaltung

Tausendfüßer, besonders die größeren tropischen Arten, werden auch gerne als Terrarientiere gehalten. Sie erfordern zwar, wie alle anderen Tiere auch, regelmäßige Pflege und artgerechte Unterbringung, weisen aber den Vorteil auf, sehr kostengünstig im Unterhalt zu sein. Die meisten Arten benötigen weder Lebendfutter noch spezielle Beleuchtung, üblicherweise auch keine Heizung. Als Futter reicht ihnen meist das Bodensubstrat mit halbverrottetem Laub, weißfaulem Holz und gelegentlichen Früchtegaben.

Einzelnachweise

  1. Paul E. Marek & Jason E. Bond: Biodiversity hotspots: rediscovery of the world's leggiest animal. In: Nature. 441. Jahrgang, 8. Juni 2006, S. 707, doi:10.1038/441707a (nature.com).
  2. Gregory D. Edgecombe (2004): Morphological data, extant Myriapoda, and the myriapod stem-group. Contributions to Zoology, 73(3). http://dpc.uba.uva.nl/ctz/vol73/nr03/art02
  3. Giuseppe Fusco (2005): Trunk segment numbers and sequential segmentation in myriapods. Evolution & Development 7(6): 608–617.
  4. Alessandro Minelli, Amazonas Chagas Junior, Gregory D. Edgecombe (2009): Saltational evolution of trunk segment number in centipedes. Evolution & Development 11(3): 318–322 doi:10.1111/j.1525-142X.2009.00334.x
  5. R. Janssen, N.-M. Prpic, W. G. M. Damen (2004): Gene expression suggests decoupled dorsal and ventral segmentation in the millipede Glomeris marginata (Myriapoda: Diplopoda). Developmental Biology 268: 89–104
  6. Frederik Obermaier: Mit Fleischkas-Schifferln gegen Tausendfüßler (28. Oktober 2007)
  7. [1]
  8. [2]

Literatur

  • Wolfgang Dohle: Progoneata, in: W. Westheide, R. Rieger (Hrsg.): „Spezielle Zoologie Teil 1: Einzeller und Wirbellose Tiere“; Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, Jena; Seiten 592–600
  • Anderson, DT (2001): Invertebrate Zoology, 2nd Ed., Oxford Univ. Press, Kap. 12, S. 275, ISBN 0-19-551368-1
  • Barnes, RSK, Calow, P., Olive, PJW, Golding, DW, Spicer, JI (2001): The invertebrates – a synthesis, 3rd ed., Blackwell, Kap. 8.5.3a, S. 181, ISBN 0-632-04761-5
  • Brusca, RC, Brusca, GJ (2003): Invertebrates, 2nd Ed., Sinauer Associates, Kap. 18, S. 637, ISBN 0-87893-097-3
  • Moore, J (2001): An Introduction to the Invertebrates, Cambridge Univ. Press, Kap. 14.6, S. 217, ISBN 0-521-77914-6
  • Ruppert, EE, Fox, RS, Barnes, RP (2004), Invertebrate Zoology – A functional evolutionary approach, Brooks/Cole, Kap. 20, S. 702, ISBN 0-03-025982-7
  • Sigling, Shurá (2010): "PraxisRatgeber Tausendfüßer", Edition Chimaira, Frankfurt am Main, S. 50f.

Weblinks

Commons: Tausendfüßer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

News mit dem Thema Tausendfüßer

Die News der letzten Tage