Polymerase-Kettenreaktion


Die Polymerase-Kettenreaktion (englisch Polymerase Chain Reaction, PCR) ist eine Methode, um die Erbsubstanz DNA in vitro zu vervielfältigen. Dazu wird ein Enzym verwendet, die DNA-Polymerase. Der Begriff „Kettenreaktion” beschreibt in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Produkte vorheriger Zyklen als Ausgangsstoffe für den nächsten Zyklus dienen und somit eine exponentielle Vervielfältigung ermöglichen.

Die PCR wird in biologischen und medizinischen Laboratorien für eine Vielzahl verschiedener Aufgaben verwendet, zum Beispiel für die Erkennung von Erbkrankheiten und Virusinfektionen, für das Erstellen und Überprüfen genetischer Fingerabdrücke, für das Klonieren von Genen und für Abstammungsgutachten. Die PCR zählt zu den wichtigsten Methoden der modernen Molekularbiologie und viele wissenschaftliche Fortschritte auf diesem Gebiet (z. B. im Rahmen des Humangenomprojekts) wären ohne diese Methode nicht möglich gewesen.

Geschichte

Anfang der 1970er Jahre kam der norwegische Postdoc Kjell Kleppe im Labor von Nobelpreisträger Har Gobind Khorana auf den Gedanken, DNA durch zwei flankierende Primer zu vervielfältigen, jedoch geriet die Idee in Vergessenheit.[1] Die Polymerase-Kettenreaktion selbst wurde 1983 von Kary Mullis erneut erfunden. Seine Absicht war es, ein neuartiges DNA-Syntheseverfahren zu entwickeln, das DNA durch wiederholte Verdopplung in mehreren Zyklen mit Hilfe eines Enzyms namens DNA-Polymerase künstlich vervielfältigt. Sieben Jahre, nachdem er seine Idee veröffentlicht hatte, wurde Mullis hierfür 1993 der Nobelpreis für Chemie verliehen.[2]

DNA-Polymerase kommt in allen Lebewesen vor und verdoppelt während der Replikation die DNA vor der Zellteilung. Dazu bindet sie sich an einen einzelnen DNA-Strang und synthetisiert mit Hilfe eines kurzen komplementären Oligonukleotids (Primer) einen dazu komplementären Strang. Bereits in Mullis’ ursprünglichem PCR-Versuch wurde das Enzym in vitro verwendet. Die doppelsträngige DNA wurde zunächst durch Erhitzen auf 96 °C in zwei Einzelstränge getrennt. Bei dieser Temperatur wurde die dabei zunächst verwendete DNA-Polymerase I von E. coli zerstört und musste daher nach jedem Erhitzen erneut zugegeben werden. Diese Folge von Arbeitsschritten musste mehrere dutzendmal in Folge wiederholt werden, um eine ausreichende Amplifikation zu erreichen. Mullis’ ursprüngliches Verfahren war daher sehr ineffizient, da es viel Zeit, große Mengen DNA-Polymerase und ständige Aufmerksamkeit erforderte.

Eine entscheidende Verbesserung der PCR-Technologie brachte die Verwendung von thermostabilen DNA-Polymerasen, d. h. Enzymen, die auch bei Temperaturen von annähernd 100 °C ihre Polymerase-Aktivität behalten und nicht denaturieren. Eine der ersten thermostabilen DNA-Polymerasen wurde aus dem in heißen Quellen lebenden thermophilen Bakterium Thermus aquaticus gewonnen und Taq-Polymerase genannt. Durch die Verwendung thermostabiler DNA-Polymerasen bestand keine Notwendigkeit mehr, ständig neue Polymerase zuzugegeben, und der ganze PCR-Prozess konnte erheblich vereinfacht und automatisiert werden.

Mullis arbeitete zu dieser Zeit für die kalifornische Biotech-Firma Cetus und wurde mit einer Prämie von 10.000 US-Dollar abgefunden. Jahre später verkaufte Cetus dann die Rechte an der PCR-Methode mitsamt dem Patent für die von ihm verwendete DNA-Polymerase Taq an die Firma Roche für 300 Millionen Dollar. Das Enzym Taq wurde jedoch bereits 1980 von dem russischen Forscher Kaledin beschrieben. Aus diesem Grund wurde nach jahrelangem Rechtsstreit der Firma Roche das Patent für Taq inzwischen entzogen. Die US-Patente für die PCR-Technologie selbst liefen im März 2005 aus.

Die Taq-Polymerase erfährt nach wie vor breite Anwendung. Ihr Nachteil liegt darin, dass sie manchmal Fehler beim Kopieren der DNA produziert, was zu Mutationen in der DNA-Sequenz führt. Polymerasen wie Pwo und Pfu, die aus Archaea gewonnen werden, haben einen Korrektur-Mechanismus, der die Anzahl der Mutationen in der kopierten DNA erheblich senkt.

Zwei Thermocycler mit einem gemeinsamen Bedienelement
geöffneter Thermocycler, Heizblock mit 8 PCR-Reaktionsgefäßen

PCR in der Praxis

PCR wird eingesetzt, um einen kurzen, genau definierten Teil eines DNA-Strangs zu vervielfältigen. Dabei kann es sich um ein Gen oder auch nur um einen Teil eines Gens handeln oder auch um nicht-kodierende DNA-Sequenzen. Im Gegensatz zu lebenden Organismen kann der PCR-Prozess nur relativ kurze DNA-Abschnitte kopieren. Bei einer Standard-PCR können dies bis zu etwa 3.000 Basenpaare (3 kbp) lange DNA-Fragmente sein. Mit Hilfe bestimmter Polymerasen-Gemische, weiterer Additive in der PCR und optimalen Bedingungen können sogar Fragmente mit einer Länge von über 20–40 kbp vervielfältigt werden, was immer noch sehr viel kürzer ist als die chromosomale DNA einer eukaryotischen Zelle. Eine menschliche Zelle enthält beispielsweise etwa drei Milliarden Basenpaare pro haploidem Genom.

In ihren momentanen Anwendungsgebieten benötigt PCR mehrere grundlegende Komponenten. Diese sind:

  • Die Original-DNA, die den zu vervielfältigenden Abschnitt enthält (Template)
  • Zwei Primer, um auf den beiden Einzelsträngen der DNA jeweils den Startpunkt der DNA-Synthese festzulegen, wodurch der zu vervielfältigende Bereich von beiden Seiten begrenzt wird.
  • DNA-Polymerase, die bei hohen Temperaturen nicht zerstört wird, um den festgelegten Abschnitt zu replizieren (kopieren) (z. B. Taq-Polymerase)
  • Desoxyribonucleosidtriphosphate, die Bausteine für den von der DNA-Polymerase synthetisierten DNA-Strang
  • Mg2+-Ionen, für die Funktion der Polymerase essentiell
  • Pufferlösungen, die eine für die DNA-Polymerase geeignete chemische Umgebung sicherstellen

Die Polymerase-Kettenreaktion findet in einem sogenannten Thermocycler statt. Diese Maschine erhitzt und kühlt die in ihr befindlichen Reaktionsgefäße präzise auf die Temperatur, die für den jeweiligen Schritt benötigt wird. Um Verdunstung zu verhindern, wird ein dicht schließendes Reaktionsgefäß oder eine Ölschicht auf dem Reaktionsgemisch verwendet. Etwaige Kondensatbildung im Deckel des Gefäßes wird durch einen beheizbaren Gerätedeckel (über 100 °C) verhindert.

Soll die PCR vor allem als quantitativer Nachweis dienen, empfiehlt sich die sog. Real Time PCR.

Die Verwendung einer Pyrophosphatase kann unter Umständen die Effektivität der PCR steigern. Das Enzym katalysiert die Hydrolyse des von den Nukleotidtriphosphaten abgespaltenen Pyrophosphats zu Orthophosphat. Pyrophosphat kann als Inhibitor bei der PCR wirken.

PCR-Reaktionsgefäße.
PCR-Platte für 96 Ansätze mit Gummiabdeckung

Beispiel

Als allgemeines Beispiel sei hier eine typische Zusammensetzung einer PCR-Reaktion wiedergegeben. Viele Beispiele für die verschiedensten Variationen der PCR finden sich in der wissenschaftlichen Literatur in verschiedensten Kombinationen):

1,0 µl DNA-Lösung (100 ng/µl)
2,0 µl pro Primer (i. d. R. zwei) (10 µmol)
1,0 µl 10 mmol Desoxy-Nukleotide (dATP, dGTP, dCTP, dTTP), „dNTP“
5,0 µl 10-fach konzentrierte Polymerase-Pufferlösung
38,0  µl H2O
1,0 µl Pfu-, Taq- oder andere thermostabile DNA-Polymerase (1–5 U/µl)

50,0 µl Gesamtvolumen

Ein 200-µl-Reaktionsgefäß mit den 50 µl Gemisch wird in den Thermocycler gestellt. Als Reaktionsgefäß können, je nach Probeneinsatz bzw. Heizblock des Thermocyclers, neben einzelnen 200-µl-Reaktionsgefäßen auch acht zusammenhängende 200-µl-Reaktionsgefäße oder PCR-Platten für bis zu 96 Ansätze mit 200 µl oder auch 384 Ansätze zu je 50 µl verwendet werden. Die Platten werden entweder mit einer Gummiabdeckung oder einer selbstklebenden Klarsichtfolie verschlossen. Die Thermocycler der ersten Generation besaßen noch keinen beheizten Deckel, weshalb bei diesen Geräten zur Vermeidung einer Verdampfung von Wasser während der PCR die Reaktionsansätze mit Mineralöl überschichtet wurden.

Theoretischer Ablauf

Der PCR-Prozess besteht aus einer Anzahl von etwa 20-50 Zyklen, die in einem Thermocycler durchgeführt werden. Die folgenden Angaben sind als Richtwerte gedacht. Meist muss eine PCR auf die spezifische Reaktion hin optimiert werden. Jeder Zyklus besteht aus drei Schritten (siehe Abbildung unterhalb):

  1. Denaturierung (Melting, Schmelzen): Zunächst wird die doppelsträngige DNA auf 94–96 °C erhitzt, um die Stränge zu trennen. Die Wasserstoffbrückenbindungen, die die beiden DNA-Stränge zusammenhalten, werden aufgebrochen. Im ersten Zyklus wird die DNA oft für längere Zeit erhitzt (Initialisierung), um sicherzustellen, dass sich sowohl die Ausgangs-DNA als auch die Primer vollständig voneinander getrennt haben und nur noch Einzelstränge vorliegen. Manche (so genannte hot start-) Polymerasen müssen durch eine noch längere anfängliche Erhitzungs-Phase (bis zu 15 Minuten) aktiviert werden. Danach wird schnell auf 65 °C abgekühlt, um die Rückbildung der Doppelhelix zu verhindern.
  2. Primerhybridisierung (primer annealing): Die Temperatur wird ca. 30 Sekunden lang auf einem Wert gehalten, der eine spezifische Anlagerung der Primer an die DNA erlaubt. Die genaue Temperatur wird hierbei durch die Länge und die Sequenz der Primer bestimmt (bzw. der passenden Nukleotide im Primer, wenn durch diesen Mutationen eingeführt werden sollen = site-directed mutagenesis). Wird die Temperatur zu niedrig gewählt, können sich die Primer unter Umständen auch an nicht-100-%-komplementären Sequenzen anlagern und so zu unspezifischen Produkten („Geisterbanden“) führen. Wird die Temperatur zu hoch gewählt, ist die thermische Bewegung der Primer u. U. so groß, dass sie sich nicht richtig anheften können, so dass es zu gar keiner oder nur ineffizienter Produktbildung kommt. Die Temperatur, welche die beiden oben genannten Effekte weitgehend ausschließt, liegt normalerweise 5–10 °C unter dem Schmelzpunkt der Primersequenzen; dies entspricht meist einer Temperatur von 55–65 °C.
  3. Elongation (Extending, Polymerisation, Verlängerung, Amplifikation): Schließlich füllt die DNA-Polymerase die fehlenden Stränge mit freien Nukleotiden auf. Sie beginnt am 3'-Ende des angelagerten Primers und folgt dann dem DNA-Strang. Der Primer wird nicht wieder abgelöst, er bildet den Anfang des neuen Einzelstrangs. Die Temperatur hängt vom Arbeitsoptimum der verwendeten DNA-Polymerase ab (68–72 °C). Dieser Schritt dauert etwa 30 Sekunden je 500 Basenpaare, variiert aber in Abhängigkeit von der verwendeten DNA-Polymerase. Übliche Thermocycler kühlen die Reaktionsansätze nach Vollendung aller Zyklen auf 4–8 °C, so dass eine PCR am Abend angesetzt werden kann und die Proben am Morgen darauf weiter verarbeitet werden können.
Schematische Darstellung des PCR-Zyklus.
(1) Schmelzen (Denaturierung) bei ca. 96 °C.
(2) Anlagerung (Primerhybridisierung) bei ca. 68 °C.
(3) Verlängerung (Elongation) bei ca. 72 °C.
Exponentielles Anwachsen des Kurzen Produktes (von Primern eingeschlossener Bereich).
Das PCR-Produkt in niedriger (Spur 2) und hoher (Spur 3) Konzentration im Vergleich mit der DNA-Leiter (Spur 1) in Agarose-Gel.

Im ersten Zyklus entstehen pro DNA-Ausgangsdoppelstrang 2 DNA-Stränge, welche im Bereich der Zielsequenz doppelsträngig sind. Nach dem Schmelzen am Anfang des zweiten Zyklus stehen dadurch die beiden ursprünglichen DNA-Einzelstränge und zwei am 3’-Ende überlange Einzelstränge zur Verfügung. Dies ist damit zu erklären, dass lediglich ein Startpunkt (Primer), nicht aber ein Endpunkt exakt festgelegt ist. Der Abbruch der Strangsynthese erfolgt dabei spätestens durch die Strangtrennung im folgenden Denaturierungsschritt. Im zweiten Zyklus stehen die eingesetzte DNA sowie die gerade gebildeten DNA-Stränge zur Verfügung. An Ersterer erfolgt derselbe Prozess wie im ersten Zyklus. An die neu gebildeten DNA-Einzelstränge, welche an 5’ bereits dort enden wo sie sollen, lagern sich nun wieder Primer in der 3’-Region an. Die nun gebildeten Stränge haben auch keinen 3’-Überhang, da das Template am 5’ Ende bereits richtig endet (durch erste Syntheserunde und ersten Primer). Am Ende des zweiten Zyklus stehen damit erstmals unmittelbar Produkte der gewünschten Länge zur Verfügung. In den folgenden Zyklen vermehren sich die gewünschten Produkte exponentiell (da sie selbst als Matrize für weitere Strangsynthesen dienen), während die ungewünschten langen Produkte (siehe Produkte des ersten Zyklus) nur linear ansteigen (nur eingesetzte DNA dient als Matrize). Dies ist der theoretische Idealfall, in der Praxis fallen zudem in geringem Maße auch kürzere Fragmente als die gewünschte Ziel-DNA an. Diese kurzen Fragmente häufen sich vor allem in den späten Zyklen an, wodurch meist nur etwa 30 Zyklen durchlaufen werden, um insgesamt vorwiegend DNA der gewünschten Länge und Sequenz zu erhalten.

Das PCR-Produkt kann durch Agarose-Gelelektrophorese anhand seiner Größe identifiziert werden. (Die Agarose-Gelelektrophorese ist ein Verfahren, bei der DNA in ein Agarose-Gel eingebracht wird und anschließend eine Spannung angelegt wird. Dann bewegen sich die kürzeren DNA-Stränge schneller als die längeren auf den Pluspol zu.) Die Länge des PCR-Produkts kann durch einen Vergleich mit einer DNA-Leiter, die DNA-Fragmente bekannter Größe enthält und parallel zur Probe im Gel mitläuft, bestimmt werden.

PCR-Techniken

Die klassische PCR ist durch zahlreiche Variationen erweitert und verbessert worden. Dadurch können verschiedene Aufgaben spezifisch angegangen werden.

Echtzeit-PCR (real-time PCR) bzw. quantitative PCR (qPCR)

Im Laborjargon wird fast nur der englische Begriff real-time PCR oder quantitative PCR verwendet, kurz qPCR oder missverständlich auch rt-PCR, was aber zu Verwechslungen mit dem länger etablierten Begriff RT-PCR mit vorgeschalteter reverser Transkription (s. nächster Abschnitt) führt.
Bei der real-time PCR wird der Reaktion ein zunächst inaktiver Fluoreszenzfarbstoff beigemischt, der durch die DNA-Produktion aktiv wird. (Zum Beispiel, weil er sich in die DNA einlagert (wie SYBR Green) oder weil ein Quencher, der die Fluoreszenz zunächst löscht, bei der Amplifikation entfernt wird.) Bei jedem Zyklus - also „in Echtzeit” - wird die Fluoreszenz gemessen, woraus man auf die Menge der amplifizierten DNA schließen kann.
Abhängig von der ursprünglichen Anzahl an Kopien wird ein gewisser Schwellenwert des Fluoreszenzsignals früher oder später (oder gar nicht) erreicht. Wegen dieser Zusatzinformation hat die real-time PCR den Beinamen „quantitative PCR (qPCR)“. Z. B. durch die Verwendung von Standardkurven erlaubt diese Technik auch eine absolute Quantifizierung (als Kopienzahl pro Reaktion).
Obwohl Geräte und farbstoffmarkierte Reagenzien teurer sind als bei der „klassischen” Endpunkt-PCR, ist ein Sichtbarmachen der Amplifikate auf einem Gel nicht unbedingt nötig, so dass sich Arbeit und vor allem Zeit sparen lassen.
Die Technik der qPCR lässt sich auch mit einer vorgeschalteten reversen Transkription (RT) kombinieren, z. B. um RNA-Viren nachzuweisen, dann spricht man von qRT-PCR.

Reverse Transkription und PCR (RT-PCR)

Die Amplifikation von RNA (z. B. eines Transkriptoms oder eines RNA-Virus) erfolgt in einer Reverse-Transkriptions-PCR (engl. {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value)) über eine reverse Transkription der RNA in DNA mit einer reversen Transkriptase. In Kombination mit einer Konzentrationsbestimmung in Echtzeit (qPCR) bezeichnet man die Reaktion als qRT-PCR.

Multiplex-PCR

Bei der Multiplex-PCR verwendet man mehr als ein Primerpaar für die Amplifikation eines bestimmten Gens[3] oder auch mehrerer Gene auf einmal. Die Multiplex-PCR spielt u. a. in der Diagnostik von Krankheiten eine Rolle, beispielsweise beim Lesch-Nyhan-Syndrom.[4] Ursache für das Lesch-Nyhan-Syndrom ist eine Mutation des HPRT1-Gens, das für eine Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase kodiert. Das Gen hat neun Exons, in Patienten mit dem Lesch-Nyhan-Syndrom kann eines dieser Exons fehlen. Durch eine Multiplex-PCR kann dies leicht entdeckt werden.

Immunoquantitative Echtzeit-PCR (irt-PCR)

Manchmal müssen selbst geringe Mengen an Pathogenen wirksam erkannt werden, da sie auch einzeln für den Menschen gefährlich werden können. Die Detektionsschwelle vieler immunologischer Methoden (z. B. ELISA) kann für diese Fälle unzureichend sein, so dass man hier auf die immunoquantitative Echtzeit-PCR (immunoquantitative real-time PCR) zurückgreift.[5] Hierbei kombiniert man die hohe Spezifität von Antikörpern mit einer qPCR. Wie beim klassischen ELISA nutzt man zwei Antikörper. Der erste wird an einer Mikrotiterplatte fixiert und erkennt das gesuchte Antigen. Daran bindet dann der zweite Antikörper. Im herkömmlichen ELISA wird der immunologische Komplex aus erstem Antikörper, Antigen und zweitem Antikörper durch eine chemische Farbreaktion sichtbar gemacht, dagegen ist in der irt-PCR der zweite Antikörper über einen Streptavidin-Biotin-Komplex mit einer 246bp-langen doppelsträngigen DNA verbunden. Wenn der immunologische Komplex entsteht, kann diese Marker-DNA durch qPCR amplifiziert, detektiert und quantifiziert werden. Diese Methode ist etwa 1000-mal sensitiver als ein klassischer ELISA.

Nested-PCR

Die nested (verschachtelte[6] bzw. geschachtelte) PCR eignet sich sehr gut, wenn nur sehr geringe Mengen der zu amplifizierenden DNA relativ zur Gesamtprobenmenge an DNA vorhanden sind. Hierbei werden zwei PCR hintereinander ausgeführt.[7] Durch die erste PCR wird – neben unerwünschten Sequenzbereichen infolge unspezifischer Bindung der Primer – der gewünschte Abschnitt der DNA (Amplikon) erzeugt. Letztere wird für eine zweite PCR als Matrize verwendet. Durch Primer, die an Bereichen innerhalb der ersten Matrize binden (downstream der ersten Primer), wird der gewünschte Sequenzbereich mit sehr hoher Spezifität generiert. Da auch die DNA-Region der Wahl zum zweiten Mal amplifiziert wurde, entsteht ausreichend DNA für weiteres Prozedere.

Anwendung findet die nested-PCR beispielsweise in der Gen-Diagnostik, in der Forensik (bei sehr wenig verwertbaren Spuren wie Haaren oder Bluttropfen wie im Kriminalfall JonBenét Ramsey) oder bei phylogenetischen Untersuchungen.[3] Auch Mikrochimärismus bei Leukozyten nach einer Bluttransfusion kann mittels nested-PCR nachgewiesen werden.

Touchdown-PCR

Die Touchdown-PCR vermeidet eine Amplifizierung unspezifischer DNA-Sequenzen. In den ersten Synthese-Zyklen wird die Annealing-Temperatur nur knapp unterhalb der Denaturierungstemperatur gewählt. Damit ist die Primerbindung und somit auch das Amplifikat höchst spezifisch. In den weiteren Zyklen wird die Annealing-Temperatur herabgesetzt. Die Primer können jetzt zwar unspezifische Bindungen eingehen, allerdings verhindern die spezifischen Replikate der frühen Reaktion eine übermäßige Amplifikation der unspezifischen Sequenzen. Ein weiterer Vorteil ist eine enorme Steigerung der Amplifikatmenge. Diese abgewandelte PCR erlaubt somit eine starke und sehr spezifische DNA-Amplifikation.[8]

PCR-Anwendungsgebiete

Die PCR kann für eine Vielzahl von Experimenten und Analysen eingesetzt werden, einige Beispiele werden weiter unten vorgestellt.

Genetischer Fingerabdruck

Der genetische Fingerabdruck wird in der Rechtsmedizin zur Identifizierung einer Person eingesetzt, indem ihre DNA mit einer vorhandenen Probe verglichen wird. Beispielsweise kann eine Blutprobe von einem Tatort mit dem Blut eines Verdächtigen verglichen werden. Die Probe kann minimal sein, das heißt, eine einzige Zelle (nur weiße Blutzellen kommen in Frage, da in roten kein Kern ist) genügt. An Tatorten findet man meistens Blut, Sperma, Speichel, Haut, Haare oder ähnliche Zellen (Speichel und Haare enthalten zwar keine Zellkerne, jedoch sind im Speichel meist Zellreste zu finden, an Haaren oft die Haarwurzeln). Theoretisch genügt ein einziger Strang. Zuerst spaltet man die DNA-Probe in Fragmente auf, die dann mittels PCR vervielfältigt werden. Die vervielfältigten Fragmente werden anschließend durch Gelelektrophorese getrennt. Die so gewonnene Anordnung der DNA-Fragmente nennt man DNA-Fingerabdruck. Diese Fragmente enthalten jedoch größtenteils polymorphe Bereiche. Das sind sich wiederholende DNA-Abschnitte im nicht kodierenden Bereich der DNA (junk DNA), sogenannte repetetive Sequenzen. Diese Sequenzen liegen zwischen den Genen. Deshalb lässt sich anhand des genetischen Fingerabdrucks keine Disposition feststellen.

Vaterschaftstest

Elektrophorese von PCR vervielfältigter DNA-Fragmente. (1) Vater. (2) Kind. (3) Mutter. Das Kind hat Teile der Fingerabdrücke der beiden Elternteile geerbt wodurch es über einen eigenen, einzigartigen Fingerabdruck verfügt.

Obwohl diese erzeugten „Fingerabdrücke“ einzigartig sind (bei eineiigen Zwillingen sind sie nahezu identisch; Unterschiede können hier nur mit zusätzlichem Aufwand nachgewiesen werden), können genetische Beziehungen, zum Beispiel zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Geschwistern, durch zwei oder mehr genetische Fingerabdrücke bestimmt werden, was bei einem Vaterschaftstests zum Einsatz kommt (siehe Abbildung). Eine Abwandlung dieser Technik wird auch zur Bestimmung evolutionärer Beziehungen zwischen Organismen angewandt.

Erkennung von Krankheiten

Die Erkennung von Erbkrankheiten in einem vorliegenden Genom ist ein langwieriger und komplizierter Vorgang, der durch den Einsatz von PCR bedeutend verkürzt werden kann. Jedes Gen, das in Frage kommt, kann durch PCR mit den entsprechenden Primern amplifiziert (= vervielfältigt) und anschließend sequenziert werden (DNA sequenzieren heißt, die Sequenz der Nukleotide (oder Basen) der DNA zu bestimmen), um Mutationen aufzuspüren.

Virale Erkrankungen können ebenfalls durch PCR erkannt werden, indem man die Virus-DNA vervielfältigt bzw. bei RNA-Viren diese RNA erst in DNA umschreibt und dann mittels PCR vervielfältigt (die RT-PCR). Diese Analyse kann sofort nach der Infektion erfolgen, oft Tage oder Wochen vor dem Auftreten der Symptome. Erfolgt die Diagnose so früh, erleichtert das den Medizinern die Behandlung erheblich.

Die PCR kann auch zu Reihenuntersuchungen eingesetzt werden. So wird sie z. B. von Blutspendediensten zur Routineuntersuchung von Blutkonserven eingesetzt. Durch die frühestmögliche Entdeckung einer gefährlichen Infektionskrankheit beim Spender (z. B. HIV, Hepatitis B) kann das sogenannte diagnostische Fenster nahezu geschlossen werden. Durch die Empfindlichkeit der PCR-Tests ist es möglich, Proben in sogenannten Pools (z. B. 96 Einzelproben) zusammenzufassen. Wird ein Pool positiv getestet, wird seine Größe solange verkleinert (meistens halbiert), bis die verursachende Probe gefunden ist.

Klonierung von Genen

Das Klonieren eines Gens – nicht zu verwechseln mit dem Klonen eines ganzen Organismus – ist ein Vorgang, bei dem ein Gen aus einem Organismus isoliert und anschließend in einen anderen eingepflanzt wird. PCR wird oft benutzt, um das Gen zu vervielfältigen, das dann in einen Vektor (ein Vektor ist ein Mittel, mit dem ein Gen in einen Organismus verpflanzt werden kann), beispielsweise ein Plasmid (ein ringförmiges DNA-Molekül), eingefügt wird (Abb. 4). Die DNA kann anschließend in einen anderen Organismus eingesetzt werden, in dem das Gen oder sein Produkt besser untersucht werden kann. Das Exprimieren eines klonierten Gens kann auch zur massenhaften Herstellung nutzbarer Proteine wie z. B. Arzneimittel dienen.

Klonierung eines Gens mit Hilfe eines Plasmids:
(1) Chromosomale DNA von Organismus A.
(2) PCR.
(3) Mehrere Kopien eines einzelnen Gens von Organismus A.
(4) Einfügen des Gens in ein Plasmid.
(5) Plasmid mit dem Gen aus Organismus A.
(6) Einfügen des Plasmids in Organismus B.
(7) Vervielfältigung oder Expression des Gens, das aus Organismus A stammt, im Organismus B.

Mutagenese

Mutagenese ist eine Möglichkeit, die Sequenz der Nukleotide (Basen) der DNA zu verändern. Es gibt Situationen, in denen man mutierte (veränderte) Kopien eines bestimmten DNA-Strangs benötigt, um die Funktion eines Gens zu bestimmen. Mutationen können in kopierte DNA-Sequenzen auf zwei grundsätzlich verschiedene Arten während des PCR-Prozesses eingefügt werden.

Gezielte Mutagenese (zum Beispiel „site-directed mutagenesis“) erlaubt es dem Forscher, an spezifischen Stellen auf dem DNA-Strang Mutationen zu erzeugen. Meist wird dafür die gewünschte Mutation in die Primer integriert, die für die PCR verwendet werden. Bei der gezielten bzw. stellenspezifischen Mutagenese ist mindestens einer der Primer nicht 100-prozentig identisch mit der DNA, an die er sich anlagert. Während der Amplifikation wird so eine Mutation in das DNA-Fragment eingeführt.

Zufällige Mutagenese („random mutagenesis“) beruht hingegen auf der Verwendung von fehlerträchtigen Polymerasen (bzw. Polymerasen ohne Mechanismus zur Fehlerkorrektur) während des PCR-Prozess. Bei der zufälligen Mutagenese können Ort und Art der Mutationen nicht beeinflusst werden und müssen erst durch eine Sequenzierung identifiziert werden.

Eine Anwendung der zufälligen oder gezielten Mutagenese ist die Analyse der Struktur-Funktions-Beziehungen eines Proteins. Nach der Veränderung der DNA-Sequenz kann man das entstandene Protein mit dem Original vergleichen und die Funktion aller Teile des Proteins bestimmen. Weiterhin können damit auch Funktionen der Nukleinsäure selbst (mRNA-Transport, mRNA-Lokalisation, etc.) untersucht werden.

Analyse alter (fossiler) DNA

Da die PCR aus nur geringen DNA-Probemengen eine beliebige Menge von Material erzeugen kann, ist sie besonders für die sehr alte aDNA geeignet, die in der Natur nur noch in für Untersuchungen nicht mehr ausreichenden Mengen vorkommt. Dabei beruhen nahezu alle wissenschaftlichen Erkenntnisgewinne in Bezug auf die aDNA und somit viele seit langem ausgestorbener Arten auf der Methode der PCR.

Geschlechtsbestimmung

Die PCR kann eingesetzt werden, um Material für einen Nachweis der geschlechtsspezifischen Chromosomen zu gewinnen. Das ist bei den klassischen Haussäugetieren nicht üblich, außer eventuell bei Zwittern. Bei manchen Tieren im Zoo, besonders aber bei Vögeln, Reptilien oder Fischen, ist es die schonendste und sicherste Variante. Im Heimtierbereich ist diese PCR-Methode bei Papageien üblich.

Siehe auch

Literatur

Zur PCR (Polymerase-Kettenreaktion)
  • C. R. Newton, A. Graham: PCR. Introduction to Scientific Techniques. 2. Auflage. ed. BIOS Scientific Publishers, Oxford 1997, ISBN 1-872748-82-1.
  • R. K. Saiki, D. H. Gelfand, S. Stoffel, S. J. Scharf, R. Higuchi, G. T. Horn, K. B. Mullis, H. A. Erlich: Primer-Directed Enzymatic Amplification of DNA with a Thermostable DNA Polymerase. In: Science. 239.1988, S. 487–491, PMID 2448875, ISSN 0036-8075
  • Kary B. Mullis, F. Faloona, S. Scharf, R. Saiki, G. Horn, H. Erlich: Specific enzymatic amplification of DNA in vitro: the polymerase chain reaction. Cold Spring Harb Symp Quant Biol. 1986;51 Pt 1:263-73.
  • Kary B. Mullis, (et al.): System for automated performance of the polymerase chain reaction. United States Patent 5,656,493, August 12, 1997.
  • Kary B. Mullis: The polymerase chain reaction. Birkhäuser, Boston 1994, ISBN 3-7643-3607-2.
  • Rabinow, Paul: Making PCR: A Story of Biotechnology, University of Chicago Press, 1996, ISBN 0-226-70146-8.
  • D. Baltimore: RNA-dependent DNA polymerase in virions of RNA tumor viruses. In: Nature 226, 1970, S. 1209–1211.
Zum genetischen Fingerabdruck (Genetic Fingerprinting)

Weblinks

Commons: Polymerase-Kettenreaktion – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. K. Kleppe et al.: Studies on polynucleotides. XCVI. Repair replications of short synthetic DNAs as catalyzed by DNA polymerases. In: J. Mol. Biol., 1971, Bd. 56, S. 341–361, PMID 4927950.
  2. Informationen der Nobelstiftung zur Preisverleihung 1993 an Kary B. Mullis (englisch)
  3. 3,0 3,1 Thomas M. Devlin: Textbook of Biochemistry with Clinical Correlations. John Wiley & Sons; 7. Auflage 2010, ISBN 978-0-470-28173-4, S. 269
  4. JS. Chamberlain et al.: Deletion screening of the Duchenne muscular dystrophy locus via multiplex DNA amplification. In: Nucleic Acids Res. 16(23), 1988, S. 11141–11156, PMID 3205741, PDF (freier Volltextzugriff, engl.)
  5. Bernard J. Glick, Jack J. Pasternak, Cheryl L. Patten: Molecular Biotechnology: Principles and Applications of Recombinant DNA. John Wiley & Sons, 4. Auflage 2010, ISBN 978-1-55581-498-4, S. 359ff.
  6. Cornel Mülhardt: Der Experimentator: Molekularbiologie / Genomics. 6. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, 2008, ISBN 978-3-8274-2036-7, S. 99.
  7. Ulrich Busch: Molekularbiologische Methoden in der Lebensmittelanalytik: Grundlegende Methoden und Anwendungen. Springer Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-642-10715-3, S. 113.
  8. R Don, P Cox, B Wainwright, K Baker, J Mattick: Touchdown PCR to circumvent spurious priming during gene amplification. In: Nucleic Acids Res, 19(14);4008, PMID 1861999, pmc=328507

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