Humberto Maturana


Humberto Maturana

Humberto Romesín Maturana (* 14. September 1928 in Santiago de Chile) ist ein chilenischer Biologe (mit dem Schwerpunkt Neurobiologie) und Philosoph. Zusammen mit Francisco J. Varela gilt Maturana als einer der Begründer des radikalen Konstruktivismus - obwohl er dem widerspricht [1] - und als Erfinder des Konzepts der Autopoiesis (1972).

Biographisches

Humberto R. Maturana lebt in seiner Geburtsstadt Santiago de Chile und leitet dort zusammen mit Prof. Dávila das Instituto Matriztico.

Maturana arbeitet am Institut als Biologe und Philosoph und beschäftigt sich mit wissenschaftsübergreifenden Themen (cross-curricular topics). Auch seine gedruckten Werke zeugen von seiner interdisziplinären Arbeit zwischen Biologie, Philosophie, Psychologie und Soziologie. Beispielsweise beschäftigt er sich mit dem Verhältnis der „Biologie der Liebe“ („biología del amar“) zur Biologie der Erkenntnis („biologia del conocer“), die er beide als sich kreisförmig wechselseitig beeinflussend betrachtet.

Wissenschaftlicher Werdegang

Maturana studierte ab 1948 Medizin an der Universidad de Chile und ab 1954 mit einem Stipendium der Rockefeller-Stiftung Biologie/Anatomie am University College in London. Dort entstand erstmals eine Theorie zur Existenz lebender Systeme als autonome dynamische Einheiten. Ab 1956 absolvierte er ein Promotionsstudium an der Harvard University, USA, wo er 1958 das Doktorat in Biologie abschloss. Er arbeitete bis 1960 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (Massachusetts), USA, in einer Postdoc-Stelle an Forschungen über das Auge (blinder Fleck) hin zu erkenntnistheoretischen Fragen.

1960 erhielt er den Ruf auf den Lehrstuhl für Biologie an der Fakultät für Medizin der Universidad de Chile, Santiago de Chile. Hier erstreckten sich seine Tätigkeiten über Fragen der visuellen Perzeption, insbesondere der Farbwahrnehmung und der Unterscheidung von lebenden und nicht-lebenden Systemen.

1968 reiste er auf Einladung Heinz von Foersters nach Urbana und nahm von 1969-1970 eine Gastprofessur an der University of Illinois wahr.

Von 1970-73 arbeitete er in enger Kooperation mit Francisco J. Varela in Santiago de Chile. Ab 1970 widmete er sich vor allem der Weiterentwicklung der „Biologie der Erkenntnis“ und beschäftigt sich als Neurophysiologe mit erkenntnistheoretischen Problemen über den Weg der „Biologie des Erkennens“.

Bedeutung

Maturanas Werk und insbesondere sein Begriff der Autopoiesis hatte Auswirkungen über die Biologie hinaus. Schon früh hat er die Lehren des Biologen Jakob Johann von Uexküll gelesen und studiert, was besonders seine Aufmerksamkeit auf den Organismus und dessen Umwelt richtete. Dies führte ihn auch zu der Frage: Was ist "Kognition" als biologisches Phänomen?

Er gilt als einer der Begründer des radikalen Konstruktivismus. Maturanas Theorien beeinflussten unter anderem Heinz von Foerster und Niklas Luhmann. Er selbst distanzierte sich in einem Interview aus dem Jahre 2002 sehr deutlich davon, als Konstruktivist bezeichnet zu werden.

Beziehung zwischen Biologie und Erkenntnistheorie - Der Geist als Prozess

Zitat:[2]

„1960 kehrte Maturana "an die Universität von Santiago zurück, wo er Spezialist auf dem Gebiet der Gehirnwissenschaft, insbesondere für das Verständnis der Farbenwahrnehmung, wurde. Er beschäftigte sich in den 60er Jahren auch ganz allgemein mit der Frage: "Was ist Leben?" "Welche Eigenschaften muss ein System besitzen, damit man es als wahrhaft lebend bezeichnen kann?" "Können wir klar zwischen lebenden und nicht lebenden Systemen unterscheiden?" Er schaffte es, zwei Traditionen des Systemdenkens zu vereinen, indem er erkannte, dass die Verbindung im Verständnis der "Organisation des Lebendigen" liegt:

1) die organismische Biologie, die das Wesen der biologischen Formen untersucht,
2) die Kybernetik, die das Wesen des Geistes zu verstehen versucht.

Er setzte in Folge die Kognition mit dem Prozess des Lebens gleich, veröffentlichte seine Ideen 1970, und es begann die Zusammenarbeit mit Francisco Varela, einem jüngeren Gehirnwissenschaftler. Die beiden entwickelten den Begriff Autopoiese und veröffentlichten 2 Jahre später ihre erste Beschreibung dieses Begriffes.
In ihrem Aufsatz gehen sie davon aus, dass die Autopoiese ein allgemeines Organisationsmuster ist, das allen lebenden Systemen gemeinsam ist, wie auch immer ihre Bestandteile beschaffen sein mögen. Sie betonen, dass die Organisation des Systems unabhängig von den Eigenschaften seiner Bestandteile ist, so dass sich eine bestimmte Organisation auf viele verschiedene Weisen durch viele verschiedene Arten von Bestandteilen verkörpern kann. Nach Maturana und Varela ist der Begriff der Autopoiese notwendig und ausreichend, um die Organisation lebender Systeme zu charakterisieren.

Maturana entwickelte in den 60er Jahren den neuen Begriff des Geistes: der Geist ist kein Ding, sondern ein Prozess - der eigentliche Prozess des Lebens. 1969 präsentierte er diesen Grundgedanken auf einer Konferenz über Kognition in Chicago. Zusammen mit Varela entwickelte Maturana eine Systemtheorie der Kognition, die auch Santiago-Theorie genannt wird. In dieser Theorie wird die Kognition, der Erkenntnisprozess, mit dem Prozess des Lebens gleichgesetzt.
Maturana über Sprache und Kommunikation:
Kommunikation ist nicht eine Übermittlung von Information, sondern vielmehr eine Verhaltenskoordination zwischen lebenden Organismen durch wechselseitige, strukturelle Koppelung. Nach Maturana können wir das menschliche Bewusstsein nur durch die Sprache sowie durch den gesamten sozialen Kontakt verstehen, in den diese eingebettet ist.“

Der Baum der Erkenntnis (El árbol del conocimiento)

Humberto Maturana hat gemeinsam mit seinem Schüler und Kollegen Francisco Varela [3] die biologische Geschichte des Lebens seit Entstehung der Welt nachgezeichnet und neu akzentuiert.

→ Hauptartikel: Der Baum der Erkenntnis

Maturanas Bedeutung durch seine wissenschaftsübergreifende Denk- und Arbeitsweise

Maturanas Instituto Matriztico in Santiago de Chile

Maturanas Gedankengut und Lebenswerk spiegelt sich nicht nur in seinen Büchern, sondern vor allem im vielseitigen Instituto Matriztico in Santiago de Chile. Gegründet wurde es von Humberto Maturana und Ximena Dávila Yañez. Die beiden sind Direktoren, Forscher und Dozenten am Instituto de Formación Matríztica. Maturana, Davila und weitere Mitarbeiter am Institut beschäftigen sich mit biologischen Grundlagen der Menschheit im Sinne von wissenschaftsübergreifender Arbeit, wobei vielseitige Verbindungen von Biologie mit Fragen der Philosophie, Psychologie, Soziologie behandelt werden.

Die hauptsächliche Quelle für aktuelle Informationen, die mit Maturanas Schaffen zusammenhängen, ist die Web Site des Instituto. Dass es sich um mehr als nur ein Biologie- oder Philosophie-Institut handelt, bei dem man Diplome erwerben kann, zeigen die Untergliederungen des Instituts bzw. der Instituts-homepage: Bildung -Familie – Gesellschaft – Geschäftliches (Business) – Naturwissenschaft.

Maturana und Dávila als Gründungsmitglieder des Instituto matriztico

Das Instituto Matriztico wurde von Humberto Maturana und Ximena Dávila Yañez gegründet.

Auf den Internet-Seiten des Matriztica-Institutes kann man vielleicht noch besser als an den einzelnen Büchern die Doppel-Qualifikation Maturanas erkennen: er verbindet Biologie und Philosophie bzw. Psychologie.

Als Beispiel etwa ein Einführungskurs in die Biologie der Erkenntnis und Biologie der Liebe, wobei diese beiden zusammen als biologische Grundlage der Existenz des Menschen bezeichnet werden. Die deutsche Übersetzung des Kurstitels lautet etwa Die Kunst und Wissenschaft des konstitutiven ontologischen Denkens - die biologische Grundlage der Existenz des Menschen. In der etwa dreiseitigen Einleitung zu diesem Grundkurs von 33 Stunden lässt sich immer wieder die enge Verbindung von Naturwissenschaft (hauptsächlich Biologie) und Geisteswissenschaft, besonders Philosophie, Psychologie, Soziologie erkennen.

Auch die Übersicht zu diesem Kurs beweist, wie selbstverständlich Maturana Begriffe wie Biologie und Kultur verbindet und ineinander verflicht, indem er immer wieder auch soziale, ethische und kulturelle Komponenten mit hinein nimmt („the purpose of this course is to create a process of expansion of our understanding of our biological and cultural human existence“).

Begriffe, die jahrhundertelang in verschiedene, streng getrennte Systeme aufgeteilt wurden, erklären auf Seite 2 der Kursübersicht als ein zusammengehörendes Ganzes unsere Welt und stehen wie selbstverständlich nebeneinander z. B. biologisch-kulturell; Evolution – Moral, Ethik; Humanismus – Wissenschaft, Technologie; auf menschlichen Organismus und Nervensystem folgt das Kapitel Sprache und Gefühle, usw. die biologischen Grundlagen und der persönliche Alltag wie auch Arbeitsplatz gehören hier ebenso zum Kursinhalt.

Zitate

„Wir erzeugen die Welt, in der wir leben, buchstäblich dadurch, dass wir sie leben.“

„Als lebende Systeme existieren wir in vollständiger Einsamkeit innerhalb der Grenzen unserer individuellen Autopoiëse. Nur dadurch, dass wir mit anderen durch konsensuelle Bereiche Welten schaffen, schaffen wir uns eine Existenz, die diese unsere fundamentale Einsamkeit übersteigt, ohne sie jedoch aufheben zu können. [...] Wir können uns nicht sehen, wenn wir uns nicht in unseren Interaktionen mit anderen sehen lernen und dadurch, dass wir die anderen als Spiegelungen unserer selbst sehen, auch uns selbst als Spiegelung des anderen sehen.“[4]

Auszeichnungen

Im Dezember 2009 erhielt Maturana die Ehrendoktorwürde der Universidad de Santiago de Chile (USACH).[5]

Werke

Primärliteratur

  • mit Gerda Verden Zöller: Liebe und Spiel: Die vergessenen Grundlagen des Menschseins. Hrsg.: Carl-Auer-Verlag. Heidelberg 1993, ISBN 3-927809-18-7.
  • Biology of Cognition (Link auf den Text), 1970.
  • Autopoiesis and Cognition (mit Francisco J. Varela), 1980.
  • Gemeinsam mit Francisco Varela: Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens. (Übersetzung von: El árbol del conocimiento.1984, 1987.) Frankfurt 2010. ISBN 978-3-596-17855-1.
  • Erkennen : Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit, Braunschweig 1982; ISBN 3-528-18465-5.
  • Zur Biologie der Kognition : Ein Gespräch mit Humberto R. Maturana und Beiträge zur Diskussion seines Werkes, (mit Volker Riegas und Christian Vetter), 1990.
  • Zur Lippe, Rudolph (Hrsg.): Was ist erkennen? Durchges. Taschenbuchausg. Auflage. Piper, München, Zurich 1996, ISBN 3-492-22289-7.
  • "Ich bin kein Konstruktivist", Interview mit Astrid Kaiser in Päd. Forum 2003.
  • Biologie der Realität. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1998, ISBN 3-518-58146-5.
  • "Beobachter. Konvergenz der Erkenntnistheorien?" (von Niklas Luhmann, Humberto R. Maturana, und Mikio Namiki), 2003.
  • Vom Sein zum Tun. Die Ursprünge der Biologie des Erkennens. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme, 2002 (gemeinsam mit Bernhard Pörksen).

Sekundärliteratur

Sekundärliteratur - Allgemein

  • Exner, Helene. Ein Versuch Maturana zu verstehen. Dipl.-Arb. Univ. Wien. 1988.] (81 Bl.)
  • Gespräch mit H. Maturana in: Pörksen, Bernhard. "Die Gewissheit der Ungewissheit - Gespräche zum Konstruktivismus". Carl Auer-Verlag, Heidelberg, 2008 (2. Auflage). S.70-111.

Rezensionen zu Maturanas Werken

Weblinks

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Die Zuordnung zum Radikalen Konstruktivismus (RK) erfolgt wohl auf Grund der Übereinstimmung zentraler Aussagen. Von Glasersfeld (Der Radikale Konstruktivismus, Frankfurt, 1996) bezieht sich in seiner Darstellung der Entstehung des RK nicht auf Maturana. Siehe auch die Diskussion um den Artikel zum RK
  2. merke.ch: Biografieskizzen: Humberto R. Maturana (*1928).
  3. Humberto Maturana, Francisco Varela: Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens. (Übersetzung von: El árbol del conocimiento.1984, 1987.) Frankfurt 2010.
  4. Kognition; in: Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, hrsg. von Siegfried J. Schmidt, S. 117, Frankfurt am Main, 1987
  5. Instituto Matriztico: Humberto Maturana USACH Doctor Honoris Causa. December 14th, 2009.

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